Frauen, die auf Zukunft schauen: Die "Konferenz zur Zukunft Europas" ist einer der größten Flops der EU. |
Es ging ganz groß los, damals im Januar 2020. Die höchsten Autoritäten der Europäischen Union riefen zur großen "Konferenz zur Zukunft Europas", ein Herzensprojekt der neugestarteten Präsidentin Ursula von der Leyen, das schließlich feierlich am sogenannten "Europatag" im Mai gestartet wurde. Endlich sollten die Bürgerinnen und Bürger mitreden bei der Neuausrichtung einer Union, die von oben geplant, von oben umgesetzt und seitdem von oben regiert wird. Eine "bereits lebhaft geführte Debatte" habe es schon vorab gegeben, freute sich die EU-Kommission, mit der heißen Phase, die zwei Jahre dauern solle, werde nun erreicht werden, "dass beim Handeln der Europäischen Union und in der Art und Weise, wie diese funktioniert, die Stimme der Europäerinnen und Europäer besser gehört wird."
Millionen im Bürgerdialog
Alles war ausgezeichnet vorbereitet. Die EU, immer wieder bedauert, belächelt und bekämpft, weil sie langsam ist, unbeweglich, bürgerfern und im Ernstfall zu epischem Versagen neigt, baute auf sogenannte "frühere Erfahrungen, zum Beispiel mit Bürgerdialogen", wie es in Brüssel hieß, wo der korrekte Begriff "BürgerInnendialog" für viel noch ein Fremdwort ist. Es ging darum, "vielfältige neue Elemente einzuführen, um die Reichweite zu vergrößern und den Menschen bessere Möglichkeiten zur Mitgestaltung künftiger EU-Maßnahmen zu geben" Ziel waren "offene, inklusive, transparente und strukturierte Debatten mit Bürgerinnen und Bürgern unterschiedlichen Hintergrunds und aus sämtlichen Gesellschaftsschichten".
Achtzehn Monate sind vergangen, 18 Monate, in denen die Kommission sich stets entschlossen zeigte, "die Ergebnisse weiterzuverfolgen". Geordnet nach zwei parallelen Themenbereichen legte ein Teil der Debatte den "Schwerpunkt auf den Prioritäten und anzustrebenden Zielen der EU", darunter "die Bewältigung des Klimawandels und der Umweltprobleme, eine Wirtschaft, deren Rechnung für die Menschen aufgeht, soziale Gerechtigkeit und Gleichheit, der digitale Wandel Europas, die Förderung unserer europäischen Werte, die Stärkung der Stimme der EU in der Welt sowie die Festigung der demokratischen Grundlagen der Union" (EU). Der zweite Themenbereich konzentrierte sich dagegen "auf Fragen mit besonderer Bedeutung für demokratische Prozesse und institutionelle Fragen". Hier sollten insbesondere das krachend gescheiterte Spitzenkandidaten-System und beim weiteren Aufbau der Vereinigten Staaten von Europa unerlässliche länderübergreifende Listen für die Wahlen zum Europäischen Parlament diskutiert werden.
Ein Jahrhundertflop
Ursula von der Leyen ließ sich auch von der Corona-Pandemie nicht von ihrer Leitlinie abbringen. „Die Menschen müssen im Mittelpunkt unserer gesamten Politik stehen", sagte sie. Sie wünsche sich aber trotzdem, "dass sich alle Europäerinnen und Europäer aktiv in die Konferenz zur Zukunft Europas einbringen und ihnen eine maßgebliche Rolle bei der Festlegung der Prioritäten der Europäischen Union zukommt." es gelte, die "Dynamik der hohen Wahlbeteiligung bei den letzten Europawahlen" zu nutzen, forderte, Dubravka Šuica, von der Leyens Vizepräsidentin für Demokratie und Demografie, denn dabei habe es sich um einen "Aufruf zum Handeln" gehandelt.
Mit der "Konferenz zur Zukunft Europas" schien die Stunde des Redens als Handelsersatz nun gekommen. 440 Millionen Europäer waren aufgerufen, die "einzigartige Gelegenheit" (von der Leyen) zu nutzen, "mit den Bürgerinnen und Bürgern nachzudenken, ihnen zuzuhören, sich zu engagieren, Fragen zu beantworten und Sachverhalte zu erklären". Das werde "das Vertrauen zwischen den EU-Organen und den Menschen, denen wir dienen, stärken", glaubte die Chefkommissarin, die all den Millionen zeigen wollte, "dass ihre Stimme in Europa Gewicht hat.“
Geschwätz ohne gemeinsame Sprache
Es würden Festtage der Demokratie werden, Feiern der Kommunikation, ausgetragen in einem "neuen öffentliches Forum für eine offene, inklusive und transparente Debatte", an der nach dem erklärten Willen der Kommission "Bürgerinnen und Bürger aus allen Ecken der Union und nicht nur aus den Hauptstädten Europas teilnehmen" hätten können.Weil es der EU an einer gemeinsamen Sprache fehlt, wie sie in der Geschichte der Menschheit noch stets Voraussetzung war für eine gemeinsame Öffentlichkeit war, stellte die EU eine mehrsprachige Online-Plattform mit automatischer Übersetzungsfunktion ins Netz. Nun mussten nur noch die Bürgerinnen und Bürger auf die Idee fliegen, mit "Ideen und Rückmeldungen" die "Politikgestaltung der EU" zu beeinflussen.
Es wurde ein Jahrhundertflop, schlimmer noch als die episch gescheiterte Lissabon-Strategie, der Voodoo-Plan des früheren Kommissionschefs Jean-Claude Juncker und die Neuordnung der EU-Finanzen nach dem Brexit. Die Kampagnenseite futureu.europa.eu - Überschrift "Die Zukunft liegt in Ihren Händen" - versammelt nach 18 Monaten intersiver Diskussion knapp 10.000 Kommentare von nicht einmal 20.000 Teilnehmern. Stolze 0.0045 Prozent aller Europäer*;:_/Innen haben sich damit bislang in die Diskussion eingebracht, die "von entscheidender Bedeutung" (EU) dafür sein wird, "dass die drei Organe der EU zusammen auf eine Gemeinsame Erklärung hinarbeiten, in der Konzept, Struktur, Gegenstand und Zeitplan sowie die gemeinsam vereinbarten Grundsätze und Ziele der Konferenz zur Zukunft Europas festgelegt werden".
Basis als Grundlage des Fundaments
Die Basis als Grundlage des Fundaments, die EU auf der Höhe des Gipfels einer "Erklärung, die später auch anderen Unterzeichnern, einschließlich Einrichtungen, Organisationen und sonstigen Interessenträgern offenstehen" soll. dabei geht es um Fundamentales wie den "Europäischen Aktionsplan für Demokratie", der Bürgerinnen und Bürger endlich "zu mündigem Handeln befähigen" soll und die Aufgabe hat, "dazu beizutragen, EU-weit krisenfestere Demokratien aufzubauen".
Da scheint einiges übel im Argen zu liegen, denn konkret heißt das aus Sicht der Kommission, dass freie und faire Wahlen gefördert werden sollen, die offenbar nicht vorhandene Medienfreiheit ausgebaut und die "Bekämpfung von Desinformation"forciert werden soll. Was jetzt genau Plan ist, woher er kommt und inwiefern er schon fertig sein kann, obwohl die große Konferenzdebatte noch bis Mai 2022 läuft, bleibt unklar: 2023, ein Jahr vor den nächsten Europawahlen, will die Kommission jedenfalls die Umsetzung des Aktionsplans überprüfen und "entschlossenere Maßnahmen zum Schutz der Wahlabläufe" einführen.
Neue Kompetenzen, neue Stellen
Letztlich geht es dabei um neue Kompetenzen, neue Stellen und neue Aufsichtsgremien, ganz unabhängig davon, welche Debatte bei der imaginären "Konferenz" vielleicht doch noch stattfinden wird. Fest steht schon die "Einrichtung eines neuen gemeinsamen operativen Mechanismus über das Europäische Kooperationsnetz für Wahlen zur Unterstützung der Entsendung gemeinsamer Sachverständigenteams und zur engen Zusammenarbeit mit der Kooperationsgruppe für Netz- und Informationssicherheit (NIS) zur Abwehr von Bedrohungen für Wahlprozesse" - ein mit 20 Kernbegriffen aufgeladenes Monstrum, das selbst für EU-Verhältnisse eine neue Dimension an "institutionell-administrativer Infrastruktur für ein deliberatives bürgerschaftliches Engagement und politische Teilhabe" bedeutet. Dazu kommen Ankündigungen im "Rahmen
der EU-Jugendstrategie,
der politischen Bildung,
des Programms Kreatives Europa und
der Gleichstellungsagenda,
Medienfreiheit und -pluralismus".
3 Kommentare:
Oma Ursula hat's nicht so mit dem Internet, wie auch Genosse Danisch oft bestätigt. Wenn ihr einer erzählt, dass er für einen Beutel voller Goldmünzen eine populäre Internetplattform aufziehen kann, dann holt Oma Ursula eben das Portemonaie aus dem Küchenschrank.
Lieber ppq, sie betrachten diese Bürgerplattform viel zu sehr aus der Perspektive eines Wutbürgers, der insgeheim noch hofft, dass bei so viel eingesetzten Mitteln doch auch etwas sinnvolles oder wenigstens greifbares herauskommen müsste. Das ist aber leider völlig Oldschool.
Aus Sicht der EU läuft diese Konferenz doch super. Dutzende Angestellte können so simulieren, dass sie etwas arbeiten. In tollen Hochglanzbroschüren kann man sich zusätzlich selbst über den Klee loben, was man da wundervolles auf die Beine gestellt hat.
Da es die Nomenklatura zudem einen feuchten Kehricht kümmert, was Kreti und Pleti wirklich denken, wäre eine zu große Beteiligung und Begeisterung nur hinderlich. Wenn sich dort wirklich Ideen herauskristallisieren würden, die auch noch von Millionen EU-Bürgern gefordert würden, könnten diese ja anders lauten als sich die Oberste EU-Leitung das vorgestellt hat.
Dann käme man vielleicht sogar noch in Erklärungsnot, warum man etwas tut, obwohl die Bevölkerung etwas komplett anderes will. Nein, so wie es läuft, läuft es schon richtig.
Zudem kann auch der gemeine EU-Bürger wenigstens einen kleinen Gewinn aus der Konferenz ziehen. Alle die von Seiten der EU an diesem Projekt beteiligt sind, können sich in der Zeit in der sie daran arbeiten schon mal keine anderen Gängelungen für die EU-Insassen einfallen lassen. Uns allen wäre doch enorm geholfen, wenn sich die EU-Häuptlinge nur noch mit solchen Seifenblasen beschäftigen und uns sonst in Ruhe lassen würden.
Wenn man daher seinen Blickwinkel etwas ändert, sieht man hier keine Katastrophe, sondern eine Win-win-Situation für alle Beteiligten. Bitte viel mehr davon.
sondern eine Win-win-Situation für alle Beteiligten ---
Na, nicht gerade für alle. Für unsereinen eher nicht. Neuerdings leiert mir meine Bank für nix über 12 Bernanke-Shekel pro Monat aus den Rippen, aber das ist noch das wenigste.
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