Wenn Marco Wanderwitz eine Botschaft verbreiten will, dann denkt er sich die Fakten dazu einfach aus. |
Als Bundes-Ostbashingbeauftragter ist er noch recht neu im Amt, schon lange aber hat er seinen Vorgänger vergessen lassen. Marco Wanderwitz, eigentlich ein energischer Verteidiger des Ostdeutschen an sich mit all seinen Macken, Gebrechen und diktaturbedingten Verbildungen, hat im lahmenden Wahlkampf deutlich gemacht, warum ihn die scheidende Kanzlerin in der Stunde der höchsten Not auf den wohl bedeutendsten aller 37 Bundesbeauftragtenposten berufen hat: Wanderwitz benötigt keinerlei Fakten, Zahlen oder Informationen aus der wirklichen Welt, um Dinge zu sagen, die niemand hören will. Der 45-Jährige, noch in der DDR eingeschult, aber nie angekommen, denkt sich einfach aus, was wahr sein soll. Und so ist es dann auch.
Heimatloser Impfpatriot
Eben hat der gebürtige Karl-Marx-Städter die Freunde, Wähler und Anhänger der seit ihrem Gründungstag immer weiter nach rechts rückenden Alternative für Deutschland für die unablässig steigenden Infektionszahlen verantwortlich gemacht. Zwischen der Zustimmung für die AfD und der Ablehnung des patriotischen Aktes der Impfung gebe es "einen klaren Zusammenhang", sagte Wanderwitz. Deshalb seien hohen Ansteckungszahlen in den Hochburgen der Alternative für Deutschland kein Zufall. Die in Ostdeutschland verbreitete Weigerung, sich an der nationalen Kraftanstrengung einer Herstellung der Herdenimmunnität zu beteiligen, wertet Wanderwitz als "mal laute, mal leise Rebellion gegen die Infektionsschutzpolitik", die "unterm Strich die Virusabwehr behindert", wie der frühere Vorsitzende der Regierungskommission „30 Jahre Friedliche Revolution und Deutsche Einheit“ dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) verriet.
Da spricht ein - durch die Umbenennung von Karl-Marx-Stadt in das frühere Chemnitz - heimatlos gewordener Impfpatriot, augenscheinlich verzweifelt über die Situation seiner Partei. Erst wollten sich viele Impfen lassen, es war aber nicht genug Impfstoff bestellt worden. Dann gelang es zwar, den widerspenstigen britisch-schwedischen Hersteller AstraZeneca mit einer Angstkampagne über tödliche Nebenwirkungen und unabwägbare Langzeitschäden aus dem EU-Markt zu drängen. Aber die Botschaft, dass nur der nach einem weitgehend unerprobten Verfahren angefertigte MRNA-Impfstoff richtig sicher ist, verfing bei vielen nicht - Biontech und Moderne gerieten auch bei den medienskeptischen Ostdeutschen unter Verdacht, womöglich mit einer Notfallzulassung genehmigt worden zu sein, die nur aus Marketinggründen als "bedingte Marktzulassung" bezeichnet wird.
Die rätselhaften anderen Faktoren
Der Zusammenhang zwischen AfD-Erfolgen und Impfquoten, den Marco Wanderwitz entdeckt hat, kann erkennen, wer die Wahllandkarte von 2017 anschaut. Doch dass in einer Pandemie "natürlich viele Faktoren eine Rolle" spielen, wie Wanderwitz bei anderer Gelegenheit erwähnt hat, ist ebenso unverkennbar wie der Umstand, dass es eben offenbar nicht um "die Haltung der Menschen in einer Region zu Abstandsregeln und Maskenpflicht" geht und das Virus sich keineswegs genau dort am schnellsten ausbreitet, wo "viele AfD-Anhänger, Reichsbürger und Esoteriker" (Wanderwitz) die Infektionsschutzmaßnahmen ablehnen.
So unverkennbar die Kongruenz zwischen dem Stimmenanteil der AfD bei der letzten Bundestagswahl und dem Anteil der bisher Geimpften an der Bevölkerung ist, so deutlich ist allerdings der Unterschied zwischen Impfquoten und Ansteckungsraten. Alle Inzidenzhochburgen liegen derzeit im Westen. Der Spitzenreiter Kiel, wo die AfD zuletzt auf magere 5,9 Prozent der Stimmen kam, ist sogar schon wieder zurück im dreistelligen Bereich, obwohl stolze 67 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner geimpft sind. Bei den Bundesländern führt das benachbarte Hamburg unangefochten und unbeirrt von der Tatsache, dass die Hansestadt mit einer Impfquote von 66 Prozent stolze 18 Prozentpunkte höher liegt als Sachsen, das - gelegen jenseits das traditionellen Corona-Grabens - nur auf 53 Prozent Geimpfter kommt.
Siebenmal höher in Hamburg
Die Hamburger Inzidenz liegt derzeit dennoch bei knapp 69, die von Sachsen bei knapp über 10. Überhaupt befinden sich zwar mit Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Thüringen und Sachsen im Moment vier der fünf Länder im Osten im bundesweiten Vergleich der Impfquoten auf den letzten Plätzen. Einzig Mecklenburg-Vorpommern befindet sich im unteren Mittelfeld. Gleichzeitig aber liegen bei der heiligen Inzidenz der Neuansteckungen über sieben Tage alle fünf Ostländer ganz hinten.
Ein Wanderwitz, auf den der Bundesostdeutschenbetreuer nicht eingeht, weil eine einfache Erklärung, die nicht stimmt, besser ist als eine verwirrende, die mit Reiserückkehrern, Hochrisikogebieten und Verwandtenbesuchen zu tun hat. War es im Sommer vergangenen Jahres noch der Kosovo, der deutsche Urlauber so magisch anzog, dass sie eine eigene Welle auszulösen imstande waren.
1 Kommentar:
Das ist aber keine Kunst, die Latte auf den Boden legen und dann stolz wie Bolle drüberhüpfen.
Wobei im Zusammenhang mit dem geistigen Tiefflieger Wanderwitz selbst der Boden als Vergleich nicht passt. Richtig wäre wohl das Kellergeschoss.
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