Es geht nach unten, immerzu, zuletzt aber noch mal mit einem richtigen Rutsch: Preise hoch, Kaufkraft in den Keller. Als die Europäische Zentralbank in der Staatsschuldenkrise am Ende des ersten Jahrzehnts des neuen Jahrtausends die Geldpressen anwarf wie noch niemals zuvor, fragt die renommierte Wochenschrift „Die Zeit“ den Ökonomen James Galbraith, ob nicht durch die Politik der EZB das Inflationsrisiko steige, irgendwie? Nein, nein, nein, das sei Nonsens, sprach der Experte. Denn diese ganze Inflation, von der immer so viel die Rede ist, die gebe es ja gar nicht, assistierte Ulrike Herrmann von der „taz“ mitten im deutschen Fernsehen.
Alles wird teurer
Sie blieb dann auch fast ein Jahrzehnt lang nur für die sichtbar, die sich Vermögensgegenstände leisten konnten. Aktien, Gold, Immobilien, Kryptowährungen - alles wurde teurer. Die, die auch vorher schon hätten Kuchen essen können, wurden immer reicher. Die, die nichts hatten, hatten nun weniger, es aber überhaupt nicht bemerkt. Der Wohlstand stieg, das Land verwandelte sich in das, in dem wir gut und gerne leben. Die Kanzlerin verkündet im Überschwang des Glücks - und in Essen - nicht nur noch mehr für alle Landeskinder, sondern gleich eine globale Wohlstandsmission: "Wohlstand für alle", weltweit. Bald jeder ein Besserverdienender, vollbeschäftigt, ökologisch, erneuerbar nachhaltig digitalisiert, gründend auf einem immersprießenden Wachstum, das in multilateraler Weltinnenpolitik wurzelt.
Die Stimmen, die warnten, dass zu viel den Sack zerreißt, immer, nur eben nicht immer sofort, waren rar. Wer Angst hatte vor Inflation, dem wurde das Gespenst der Deflation vor die Nase gehalten. Dem deutschen Gemüt, in dem sich drei Prozent Preissteigerung seit der Superinflation von 1923 anfühlen wie fünf und offizielle Warenkörbe keine Chance haben gegen die eigene Wahrnehmung, ist es unmöglich, sich darüber zu freuen, dass steigende Preise das Autofahren, das Fliegen, das Wegwerfen von Brot und andere klimaschädliche Verhaltensweisen zunehmend unattraktiver machen.
Der Kehrwert des Geldes
So lange nicht darüber gesprochen wird, ist es auch nicht zurück, das Gespenst, das Uropa ruiniert und alle Enkelgenerationen traumatisiert hat. Wer hatte, der freute sich über wachsende Vermögen, über Aktien, deren Preise vom endlosen EZB-Geldnachschub aufgebläht wurden wie noch nie in der Menschheitsgeschichte. Und wer nichts hatte, der staunte nur, wo das ganze Geld wohl bleiben möge, das nicht in seiner Tasche gelandet war.
Dort war es, wo die Sachwerte sich nicht beliebig vervielfältigen lassen, wo nicht verbraucht, sondern aufbewahrt wird. Blind für die Umgebung fragte die staatliche "Tagesschau" gutgelaunt "Warum bleibt die Inflation aus", obwohl sie schon überall war, rundherum, in jedem Bus, in jeder Bahn, in dem Kaufhaus und jeder Kneipe. Erst ein Jahr und einen Artikel des "Neuen Deutschland" mit dem schönen Titel "Keine Inflation in Sicht" ging ein Licht auf in Hamburg: "Inflation fast auf 28-Jahres-Hoch", heißt es nun nach vorläufigen Zahlen, die 3,9 Prozent Kaufkraftverlust im Vergleich zum Vorjahr ausweisen. Ein bisschen schwummrig wird das selbst den Gemeinsinnsender, denn "In den kommenden Monaten dürfte die Inflation weiter steigen."
Halbieren im Handumdrehen
Gute Aussichten. Wer heute 20 ist und 5.000 Euro auf dem Sparbuch hat, muss sich keine Gedanken machen, was er sich im Alter Schönes davon kaufen wird. In 50 Jahren ist das Geld nur noch etwa ein Zehntel wert. Und Luft nach oben ist immer: Venezuela etwa verzeichnete im vergangenen Jahr eine Inflationsrate von rund 2.355 Prozent. Da werden aus 5.000 Euro im Handumdrehen 50 Cent. Aber gemessen an Simbabwe, das es vor Jahren mal auf 2,2 Millionen Prozent Geldentwertung im Jahr brachte und neue Geldschein im Nominalwert von 100 Milliarden Simbabwe-Dollar herausbrachte, die nicht ganz reichten, um einen Laib Brot zu bezahlen, ist selbst das noch überschaubar. Da ist also noch viel Luft nach oben - und wie auch immer die "vermeintlich schockierenden Zahlen" (SZ)aussehen: Es ist "gut, dass die Inflation steigt", denn darin zeigt sich eine "positive Entwicklung", wie die Süddeutsche Zeitung herausgearbeitet hat: "Die Angst vor der Inflation ist unbegründet".