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Nora Schulze ist asexuell, wagt aber nicht, damit an die Öffentlichkeit zu gehen.
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Die dunklen Gedanken waren immer da, schon als Teenagerin plagte sich Nora Schulze damit. Freundinnen hatten Freunde, Freundinnen hatten Freundinnen, jeder um sie herum knutschte, er und sie waren schwul, bi oder trans, alle probten sich aus, suchten ihre Grenzen beim gleichen oder beim anderen Geschlecht. Nur sie, eine propere, hübsche Brünette fand sich nirgendwo wieder. Jungen waren ihr egal, Mädchen ebenso, Nora Schulze fühlte weder den Drang, Sex von vorn noch welchen von hinten oder oben auszuprobieren. "Ich fragte mit vielmehr, kann es normal sein, einfach kein Interesse an Sex zu haben?", erzählt sie zehn Jahre später, noch immer ungeküsst und das, was sie selbst scherzhaft "eine alte Jungfer" nennt.
Stolze alte Jungfer
Schulze brauchte Jahre, ehe sie erkannte, dass ihre Normalität die einer großen, aber absolut unsichtbaren Randgruppe der Gesellschaft ist: Diese asexuellen Menschen haben keine Lobby, sie tauchen nie in den Medien auf, es gibt keine berühmten Schauspieler oder Schauspielerinnen, die sich als asexuell outen, auch keine Musikerinnen oder Musiker, Literaten oder Politiker wie sie andere sexuelle Minderheiten zuletzt mit dem von Ulrike Folkerts, Karin Hanczewski und Maren Kroymann sowie Godehard
Giese, Ulrich Matthes und Mark Waschke unterzeichneten Manifest im „SZ-Magazin“ gefunden haben, in dem sich
185 Schauspieler*innen als lesbisch, schwul, bi, queer,
nicht-binär oder trans
outeten. „Wir sind schon da“ riefen sie - konseuent aber schloss ihr Outing die aus, die eine andere Diversität leben: Asexualität, und das
nicht nur für ein paar Tage oder Wochen, sondern ein Leben lang.
Asexuelle, denen man ihr Schicksal von außen nicht ansieht, gelten als die emotionalen Minderleister einer auf Sex konditionierten Gesellschaft. "Es ist wirklich wahr", erklärt Nora Schulze, "es gibt in meinem Leben keine
Verlockung, also auch keine Notwendigkeit, einem Gefühl Widerstand zu leisten". Sie könne durchaus Liebe empfinden, erzählt die 26-Jährige, aber "ich habe eben keinerlei Bedürfnis
nach sexueller Nähe., Penetration oder auch nur Berührungen". In einer Gesellschaftsordnung, die auf sexueller Anziehungskraft aufgebaut ist, gelten Schulze und ihre Leidensgenossen als Totalausfall.
Asexuelle als Totalausfall
Einer Zivilisation, deren Mitglieder sich über das definieren, was sie haben, sei es eine besondere Hingezogenheit
zu einem bestimmten Geschlecht oder die eigene Zugehörigkeit zu einer sexuelle definierter Gruppe, erscheint Asexualität den von ihr
Betroffenen als schlimmster vorstellbarer Mangel. Etwas nicht zu haben und
etwas nicht zu sein, sorgt für eine Lehrstelle in der gesellschaftlichen
Verabredung, nach der Sexualität eine unglaublich interessante Angelegenheit ist, so unglaublich, dass jedermann über die selbst bevorzugte Art und Weise der Durchführung des Aktes informiert werden muss.
Asexualität dagegen ist das Gegenteil. Sie ist nicht interessant, weil Menschen wie Nora Schulze etwas nicht tun. Nicht etwa, weil sie nicht könnten oder praktisch nicht in der Lage wären. Sondern weil es ihnen an sexuellem Interesse mangelt wie einem Ochsen, einem Kleiderschrank oder einem Gartenzaun. Ein wachsendes Problem bei dem die Gesellschaft alle ihre Verdrängungsreflexe aufbieten muss, um es weiterhin zu verschweigen, zu verleugnen und zu verdrängen.
Widerwillen gegen Sex
Und das, obwohl mit dem dänischen Nationaldichter Hans Christian Andersen ein Prominenter schon Ende des 19.
Jahrhunderts versucht hatte, Medien und Öffentlichkeit für sein Schicksal und das seiner Leidensgenoss*Innen zu sensibilisieren. "Es ist ein Widerwillen gegen diese
Dinge in mir, gegen die sich meine Seele so sträubt", bekannte Andersen die eigene Lustlosigkeit - und brach damit ein Tabu, das da hieß: Ein Mann hat Lust zu haben, weil der
Beischlaf zum Menschsein gehört wie das Atmen oder das Essen. Dabei sei es vollkommen natürlich, schwul, lesbisch, bisexuell, trans, queer und nicht-binär zu sein. Nicht aber, wie Nora Schulze und andere radikal ohne Sex zu leben.
Dabei fühlt es sich für Nora Schulze vollkommen natürlich an, sich weder von den Männern noch von Frauen, weder von Binärpersonen noch von Transmenschen sexuell
angezogen zu fühlen. "Die Vorstellung, Sex zu haben", sagt sie, "ist für mich
irgendwie absurd."Ebensowenig kann sie sich allerdings vorstellen, für das „SZ Magazin“ gemeinsam mit anderen Asexuellen ein Manifest zu unterzeichnen, um eine Debatte über Asexualität anzustoßen.
"Letztlich ist das doch irgendwie privat", sagt sie im Wissen darum, dass ein asexuelles Outfit die Fantasien der Öffentlichkeit nicht im selben Maße anzuregen gehalten ist wie schwul-lesbisch-queere Geständnisse von Prominenten wie Godehard Giese, Mark Waschke, Maren Kroymann, Karin Hanczewski, Ulrich Matthes, Jaecki Schwarz und Mavie Hörbiger.
Immer wieder Kurangebote
Als Asexueller kannst du mit deinem Privatleben nicht hausieren gehen, ohne dabei berufliche Konsequenzen zu fürchten“, sagt Schulze. Scheele Blicke, besorgte Fragen, ob man sich "normal" fühle und Vorschläge, wo man sich von wem behandeln lassen könne, seien an der Tagesordnung, wo man sich im kleinsten Kreis oute. "Die das sagen, meinen es immer gut." Oft werde angenommen, es müsse nur der Richtige kommen, mit dem man ins Bett steige, "um dann als bekehrt aufzustehen", schildert Schulze. "So funktioniert das aber nicht."
Für sie ist es längst an der Zeit, dass die Gesellschaft und die Filmbranche Diversität stärker sichtbar machen. „Denn wir sind mit unserer sexuellen Identität in der Öffentlichkeit überhaupt nicht vorhanden." Es werde einfach immer angenommen, man gehöre zur Norm und man selbst spiele das Spiel am besten unauffällig mit, um dazuzugehören. "Das ist es auch, was die Medien bis hin zu queeren und nicht-binären Magazinen dem asexuellen Nachwuchs suggerieren: Bleib fein still, verhalte dich ruhig, so lebst du am leichtesten mit deiner Behinderung", ärgert sich Noras Schulze, die ihre Asexualität allerdings eben nicht als Persönlichkeitsschaden sieht: "Das Leben ohne Sexualität", ist sie sicher, "ist leichter, man lebt gelassener, hat mehr Zeit für andere Hobbys."