Montag, 28. Juni 2021

Wie die Pest: In der Petitionsgesellschaft

Für alles, gegen alles: An Petitionen herrscht kein Mangel nirgendwo.
Ein Klick, und du bist gut. Noch einer, und schon wird es die Welt auch. Sich zu "engagieren" (Steinmeier), "Gesicht zu zeigen" (Schröder) und dem Fortschritt der Menschheit eine Stimme zu geben, kostet nichts mehr, seit virtuelle Wutmaschinen wie change.org den Ansichten der schweigenden Minderheit den Anstrich von Majorität geben. Ob es gegen den Fernsehmoderator Markus Lanz geht, den das ZDF vor Jahren vom Sender nehmen sollte, ob Pfeifen in der Nähe von Frauen unter Strafe gestellt oder Klimafreiheit durch die Beanspruchung von Cloudkapazitäten hergestellt werden sollte - Petitionen sind die Waffe der Wahl einer Gesellschaft, die das Bittstellen bei Hofe als befreienden Akt vor eigener Verantwortung begreift.

Der organisierte Aufschrei

Was Frédéric Bastiat vor anderthalb Jahrhunderten in der "Petition der Kerzenmacher" ausführte, als er die Kerzenhersteller sich bei der Regierung über die Sonne beschweren ließ, die als üble ausländische Konkurrentin mit ihrem kostenlosen Scheinen den Absatz der eigenen Produkte behinderte, ist heute ernst gemeint.  Petitionen, Lateinisch petitio von "Bittschrift", "Gesuch" oder "Eingabe" sind der große Trend der Zeit: der Souverän kniet vor denen, die er zum Regieren gewählt hat. Und bettelt darum, gehört und erhört zu werden.

Petitionen sind das "Mittel der Engagierten", der instituionalisierte organisierte Aufschrei der selbsternannten  Zivilgesellschaft als Chor des Guten. selbst im Corona-Jahr 2020 fraß sich die petitionale Pest weiter ins Zusammenleben: Change,.org, der Marktführer auf dem Markt der Bettelbriefe an die Obrigkeit, zählt inzwischen mehr als 7.097.278 registrierte Nutzer, Menschen also, die angemeldet sind, um bei jeder sich bietenden Gelegenheit per Klick klarzumachen, was sie richtig finden.

Kampfform der Klickgemeinsamkeit

Als "Partizipationsform der digitalen Zivilgesellschaft" lobt die Friedrich-Ebert-Stiftung das  "Engagement der Petitionsstarter*innen" auf den privaten Plattformen Change.org und OpenPetition und beim Petitionsausschuss des Bundestages, obwohl die Kampfform des Klickgemeinsamkeit gelegentlich auch mal so schief geht, dass Petitionen wegen drohenden Erfolges vorzeitig geschlossen werden müssen. Den Menschen aber, im Zeitalter des Subsidiaritätsabbaus nur noch Wähler, aber nicht mehr Entscheider, drängt es dazu, seiner Herrschaft Mitteilung zu machen über seine Wünsche: Ob "Abwendung der Rasterpsychotherapie", ein Appell an einen Ölkonzern, Einwegbecher abzuschaffen oder die Forderung nach einem Rücktritt von Jens Spahn - jeder darf, alle können, klick und weg.

Der Petitionsausschuss des Bundestages zählte zuletzt 14.314 neue Petitionen, 785 mehr als im Jahr zuvor.  Mit 3,7 Millionen Nutzern ist das Petitionsportal das erfolgreichste Online-Angebot des Parlaments, am heftigsten macht sich hier der Wunsch Luft, ein wegen Corona ein Grundeinkommen einzuführen, Kinderrechte nicht gesondert ins Grundgesetz auf zunehmen und eine Studie zum racial profiling bei der Polizei zu erstellen. Im Normalfall drohen Konsequenzen aus den digitalen Bittbriefen allerdings nicht: Obwohl die Zahl der gestarteten wie auch die der erfolgreich abgeschlossenen Unterschriftensammlungen seit Bastiats Zeiten geradezu explodiert ist, wurde auch aus jüngerer Zeit kein Fall bekannt, in dem das plattformgestützte Sammeln von rechtsgültigen Unterschriften für Bürger- und Volksbegehren" (change.org)  ernsthafte Konsequenzen zeitigte.


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