Auf einmal waren sie da, die Impflinge, eine Spezies, die es Ende des 18. Jahrhunderts noch gegeben hatte, die danach aber nach und nach ausgestorben war. Mit der Corona-Pandemie aber feierte der Impfling sein Comeback, ein Begriff, der schnell allgemeine Akzeptanz fand, ohne dass die Wortwahl Kritik hervorrief. Das aber ruft jetzt Rainald Schawidow auf den Plan, den Chef der Bundesworthülsenfabrik (BWHF) in Berlin, der vor einer Verwendung der Vokabel im Alltag oder auch in Medien ausdrücklich warnt. "Der Begriff Impfling ist von uns nie offiziell freigegeben worden", sagt der erfahrene Worthülsendreher, "es gab auch keinerlei Empfehlung, auf dieses Wort zurückzugreifen."
Handwerkszeug der Impfkampagne
Dennoch hat es der Begriff ins Handwerkszeug von führenden Coronakommentatoren geschafft - zu Schawidows Entsetzen. "Gerade im Umgang mit einer Pandemie muss eine demokratische Gesellschaft mit sich aushandelt, wie sie ein Gespräch oder einen Streit darüber führen will - mit Worten." Rainald Schawidow, der als Vater von verlässlichen Begrifflichkeiten wie "Rettungsschirm" und "Energiewende", "Schuldenbremse" und "Wachstumspakt", "Stromautobahn", "Obergrenze mit atmendem Deckel" oder dem im vergangenen Jahr kreierten "Klimasommer" gilt, war deshalb einigermaßen entsetzt, als er das Wort immer öfter in den Medien auftauchen sah. Klar sei doch, sagt Schawidow, dass der Begriff „für sprachsensible Ohren abschätzig“ klingt.
Impfling" wecke Assoziationen mit negativ konnotierten Begriffen wie „Eindringling“, „Schreiberling“ oder „Wüstling“ , selbst eigentlich positiv konnotierte Wörter wie „schön“ würden versehen mit der Endung „-ling“ negative Vorstellungen wecken. "Wenn aber das Bild vermittelt werden soll, das Impfen etwas Tolles ist, dann ist das kontraproduktiv", warnt der Sprachexperte. Das Wort habe sprachtechnisch eine "bedenkliche Wortstruktur", sogar weit über seine Endung hinaus. "Die Endung hat einerseits zudem verniedlichenden Charakter", prangert Rainald Schawidow an, "andererseits fällt es selbst uns Spezialisten schwer, den Impfling zu gendern." Eine weibliche Form des Begriffs gebe es nicht, ein Experiment in Brandenburg, bei dem in einem Modellversuch versucht worden war, es als "Implinginnen" wenigstens im Plural zu verweiblichen, gelte inzwischen als gescheitert.
Kritik an der Wortstruktur
Wer Schawidows Kritik an der Wortstruktur verstehen will, muss tiefer in die in die Sprachwissenschaft einsteigen: "Impflinge" war ohne amtliche Anleitung Ende des vergangenen Jahres eingeführt worden, als Medien sich mit dem Problem konfrontiert sahen, eine Sammelbezeichnung für Ungeimpfte zu finden, die geimpft zu werden wünschen oder zumindest theoretisch geimpft werden könnten, wenn sie wollten und Impfstoff vorhanden wäre. Zur betreffenden Personengruppe gehören bis heute mehr als 50 Prozent der Deutschen, so dass der Bedarf immens war, eine Vokabel aber fehlte, die im besten Fall wie ein Fachbegriff wirkt.
Der Partizipkonstruktion „Zuimpfende“ räumten die Sprachwissenschaftler von Anfang an wenig Chancen ein, ebenso war "Geimpftwollenwerdende" schnell aus den Medien verschwunden. "Es gab einfach nichts, was geeignet schien, den problematischen Begriff zu ersetzen", klagt Schawidow, "das ist schade." Sprachbilder prägten das menschliche Denken und darüber die gesamte gefühlte Wirklichkeit. "Das ist seit Jahrzehnten Konsens in der Wissenschaft." Gebe es nun für eine wachsende Bevölkerungsgruppe wie die Impfbereiten lediglich einen negativen Begriffe in seiner maskulinen Form, schlage das unmittelbar auf die Wahrnehmung dieser Gruppe und dessen, was sie tue durch. "Sie wird dann auch mehrheitlich nur negativ wahrgenommen werden."
Eindämmungsverordnung für den Impfling
Rainald Schawidow sieht das Kind in der aktuellen Situation in den Brunnen gefallen, ohne Chance auf eine schnelle Rettung. "Der Impfling geht mit dem Impfdesaster Hand in Hand", zeigt er sich betrübt, "das kann man im Augenblick nur beklagen, aber man muss es wohl akzeptieren." Der "Impfling" habe es in die Medien, in die Politik und in die Alltagsgespräche geschafft, das werde sich auch mit politischem Druck und einem Verbot etwa durch eine eigene Eindämmungsverordnung kaum noch ändern lassen. "Auch die große Piks-Kampagne heilt diesen Schaden nicht."
Dazu ist die Bereitschaft, bei allem mitzumachen, schon zu sehr erodiert." Umso wichtiger sei es, im nächsten Anlauf besser aufzupassen und dort nachzufragen, "wo Sprachbildung zum Tagesgeschäft gehört". Es sei nicht so, dass die BWHF im Moment wenig zu tun habe. "Aber ich empfehle trotzdem, vor dem Start einer nächsten großen Medienkampagne bei uns anzufragen, ob wir da nicht etwas passendes schneidern können."
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen