Der Pokal kennt nur ein Gesetz, hieß es hier bereits vor Jahren: Es spielen zwei Mannschaften. Und der HFC verliert. Obwohl es Ausnahmen gab, sehr wenige und sehr schöne, wurde es niemals Liebe zwischen dem Klub aus der Saalestadt und dem zweiten Leistungswettbewerb. Der allerdings fristet in Sachsen-Anhalt seit Jahrzehnten ein Schicksal als ungeliebtes Kind, der Landesverband mag ihn nicht, es fürchtet ihr geradezu, zumindest in den Jahren, in denen die einzigen beiden Profimannschaften drohen, am Ende im Halbfinale oder im Finale aufeinanderzutreffen.
Endlich ohne Zuschauer
So ist es nun wieder passiert, diesmal aufgrund einer Corona-Notverordnung, die dem von Misswirtschaft und Managementfehlern geplagten Fußballverband immerhin Gelegenheit gab, das Pokalendspiel in ein Qualifikationspiel um die Teilnahme am bundesweiten Pokalwettbewerb austragen zu lassen. Und das wie seit Jahren erträumt endlich ohne Zuschauer spielen zu können.
In Halberstadt im Vorharz findet es statt, das letzte Spiel einer HFC-Saison, die Charles Dickens in der "Geschichte aus zwei Städten" schon im Jahre 1859 unübertroffen korrekt beschrieben hat. "Es war die Saison des Lichts, es war die Saison der Dunkelheit, es war der Frühling der Hoffnung, es war der Winter der Verzweiflung" und nun, vor leeren Rängen auf einem Dorfsportplatz, soll dem drittbesten Abschneiden in Liga 3 noch die 12. DFB-Pokal-Qualifikation folgen. Das Wetter stimmt. Die letzten Wochen der regulären Spielzeit, die zwischen schlecht, ganz schlecht, mies, herrlich und sensationell hin- und herflackerte, waren eher vom positiven Teil. Man steht in der Abschlusstabelle sogar doch noch knapp vor dem ewigen Rivalen.
Magdeburg spielt ein Finale
Aber als es dann losgeht, ist es doch wie immer. Magdeburg spielt ein Pokalfinale. Der HFC, ohne Antonius Papadopoulos, aber mit dem gerade um zwei Jahre verlängerten Trainerteam Schnorrenberg/Ziebig auf der Bank, ist im Märzmodus. Im Halberstädter Stadion, das schon denkwürdige Pokalschlachten gesehen hat und seitdem keinen Tag jünger geworden ist, spielt nur der ansetzungstechnisch als Gast geführte Verein aus der Börde. Von HFC kommt nichts, bis aus einen Sturmlauf von Julian Derstroff, der im Strafraum gefällt wird. Ein klarer Elfmeter, ein Pfiff. Doch statt des Strafstoßes gibt es nur Freistoß.
Die erste Fehlentscheidung und auch schon die schlimmste für die die Weiß spielenden Hallenser, die ihren Gegenspielern weiterhin hinterherlaufen. Ein Jahr wie im Zeitraffer, ein letztes Spiel wie das Spiegelbild einer ganzen Saison: Von den guten Ansätzen der letzten paar Spiele ist nichts mehr zu sehen. Zwar ist es nicht so schlimm, wie es auch schon war. Aber die Richtung, die das alles nimmt, ist nicht zu übersehen.
Sekundentod im ersten Anlauf
Kurz vor der Pause dann die Quittung. Atik, bis dahin bester Mann auf dem Platz, flankt, Brünker schießt, Müller im HFC-Tor ist chancenlos, denn der Ball trifft erst einen Pfosten, dann den anderen. Und dann liegt er hinter der Linie. Der HFC hat noch kaum angestoßen, das klingelt es schon zum zweiten Mal. Diesmal folgt auf einen Fehlpass aus der HFC-Abwehr ein Atik-Pass auf Kath und ein fröhlicher Heber über Müller.
So ist das also wieder. 45 Minuten und schon vorbei. Keine Wiederholung der legendären acht Minuten von Magdeburg im Jahr 2008. Keine Hoffnung auf ein paar zusätzliche Euro und ein bisschen Extra-Euphorie aus einer möglicherweise doch irgendwann einmal erfolgreiche DFB-Pokalsaison.
Allerdings ist noch nicht aller Tage Abend in Halberstadt. Und Magdeburg im Grunde keine bessere Mannschaft als der HFC. Dem zuzusprechen, er würde nach der Pause aufdrehen, wäre des Guten zu viel. Aber wenigstens ist das bestreben zu erkennen, nicht wieder geschlachtet zu werden - und nicht gleich zum Neustart mit dem alten Trainer den Eindruck zu vermitteln, es gehe nun noch mal 24 Monate so weiter.
Derstroff bringt Hoffnung
Der HFC, jetzt mit Jan Sherbakowski für Anthony Syhre offensiver aufgestellt, müht sich. Und Magdeburg wackelt. Große Torchancen haben beide nicht, aber Chancen auf Chancen sind da. Und in der 69. Minute belohnt sich der HFC für einen nun endlich endspieltauglichen Auftritt: Jonas Nietfeld zirkelt einen Freistoß von rechts zentral vor das Tor. FCM-Keeper Morten Behrens ist irgendwo, alle Abwehrspieler ebenso. Julian Derstroff steigt unbedrängt hoch und köpft zum Anschluss.
Alles wieder offen, und wie. Jetzt drückt der HFC, jetzt spielt er so, wie sich das die Fans draußen vor dem Stadion von Anfang an gewünscht hätten. Das ist heute kein Feuerwerk der Fußballkunst, aber auch nicht so schlimm wie vieles andere in den vergangenen Monaten. Eberwein hat den Ausgleich auf dem Fuß, Sherbakowski ebenso, Derstoff auch und Boyd vergibt zweimal unglücklich. Im Gegenzug hat Halle Glück bei Magdeburger Kontern - und noch mehr, als eine Nietfeld-Ecke von den in Schwarz spielenden Blauweißen geklärt wird, der Ball aber bei Sherbakowski landet. Und der auf 20 Metern einen Strahl ins Tor schickt.
Happy end ohne Happy end
Ausgleich. Happy End. Das Momentum ist jetzt bei Halle, das Bangen auf Magdeburger Seite. Aber, wir sind hier beim Halleschen FC, nur ein paar Sekunden lang. Denn kaum hat die steinzeitliche Anzeigetafel in Halberstadt das 2:2 aufgerufen, rollt über rechts das alte HFC-Pokalgesetz heran. Atik läuft rechts außen unbedrängt in die HFC-Hälfte und spielt dann einen eher verzweifelten als genialen Pass Richtung Fünfmeterraum. Sven Müller im HFC-Tor bekommt den Ball nicht gegriffen. Abwehrchef Stipe Vucur hinter ihm bekommt seine Füße nicht mehr weg. Es ist die 86. Minute und das Eigentor bringt Magdeburg mit 3:2 wieder in Front. Der HFC stürmt jetzt mit Mann und Maus und Torwart Müller. Vergeblich.
Am Ende ist es dann also doch wie immer. Ein bisschen traurig. Ein bisschen wie gewohnt. Ein bisschen wie ein Ende. Ein bisschen wie Dickens "schlimmste aller Zeiten", ein bisschen wie diese Saison der Dunkelheit und dieser Winter der Verzweiflung. Hängende Köpfe, fassungslose Gesichter. Enttäuschung. Leere. Ein bisschen wie ein Schlussstrich. Ein bisschen wie ein Neuanfang. "Wir hatten alles vor uns, wir hatten nichts vor uns", heißt bei Charles Dickens.
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