Mittwoch, 26. Mai 2021

Blutmond, Supermond: Märchen vom Mond

Unsichtbar für das menschliche Augen, Lebenselixier für deutsche Medien: Der Super-, Supervoll- oder auch Blutmond.

Vor 20 Jahren gab es ihn noch nicht, vor zehn Jahren wurde er erfunden, mitten in den der Finanzkrise, eine kosmische Innovation aus dem englischsprachigen Ausland, die bis heute keine Spuren in der deutschen Fachliteratur hinterlassen hat. Doch aus den Medien ist das vermeintliche Naturphänomen des "Blutmondes", zuweilen auch einfach und schlicht "Supermond" oder "Supervollmond" genannt, einfach nicht mehr wegzudenken. Alle Tage wieder macht der Erdbegleiter Schlagzeilen, denn alle Tage wieder komme er "der Erde so nahe wie nur sehr selten", wie es in einem Standarderklärstück heißt, das in immer kürzeren Abständen erläutert, wie unfassbar selten und einmalig das Blutmond-Phänomen wirklich ist.  

Immer für lange Zeit das letzte Mal

Immer ist es für lange Zeit das letzte Mal, immer kommt der Mond der Erde so nahe, dass er Beobachtern "fast 30 Prozent heller" und "nahezu 20 Prozent größer" (DPA) erscheint. Und immer liegt die Ursache schlicht im Umstand, dass der Erdsatellit durch seinen niedrigen Stand am Himmel hinter Häusern oder Bäume hervorschimmert und deshalb vom menschlichen Gehirn für näher gehalten wird als er wirklich ist. Der Effekt ist simpel und bei jeder Fotografie mit Teleobjektiv zu beobachten: Die lange Brennweite zieht Objekte, die sich hintereinander und zugleich weit voneinander entfernt befinden, optisch zusammen, der Abstand zwischen vorn und hinten schrumpft, zumindest scheint er zu schrumpfen.

Dass der Mond der Erde bei seinem vielbeachteten Auftritten als "Supermond" oder "Blutmond" gelegentlich "20 Kilometer näher als im Jahr zuvor" (dpa) kommt, spielt dabei keinerlei Rolle: Bei einer durchschnittlichen Entfernung zwischen beiden Himmelskörpern von 384.400 Kilometern entsprechen 20 Kilometer gerade einmal 0.005 Prozent mehr Nähe. 

Das menschliche Auge sieht gar nichts

Für das unbewaffnete menschliche Auge ist der Unterschied so genau zu erkennen wie ein Corona-Virus auf dem Führungsgriff eines Einkaufswagens. Doch medial ist der "Supervollmond" eben ein Supererfolg. Seit seiner Ersterwähnung im Jahr 2011, damals noch bescheiden "Supermond" genannt, gilt der inzwischen konsequent als "Supervollmond" und "Blutmond" geführte Gelegenheitsmond abwechselnd als "alles überstrahlender Pfannkuchen" oder Ursache für ein "Strahlen um die ganze Welt" (FAZ), als "Himmelsspektakel" oder als Auslöser für "Deutschland sucht den Supermond" (Spiegel).

Das zündet auch schräge Fantasien an und es motiviert nicht nur die allgegenwärtigen Klickbait-Kompanien der Prekärpresse zu hochfrequenten Berichten selbst über die optischen Reize von Mondfinsternissen, die "hierzulande nicht sichtbar" (News.de) sind. Verschwörungstheoretiker verbinden mit der gelegentlichen Annäherung des Mondes an sein Perigäum, also den Punkt der größten Erdnähe, sogar komplexe Mondmärchen eigener Art. Danach bedrohen die "Wettläufe" (RND) von Russland, China und den USA zum Trabanten die verbliebenen Reste der freien Welt. Denn wenn erst die Diktaturen eine Mondstation hätten, könnte "der Blick zum Mond erstmals in der Menschheits­geschichte etwas Bedrückendes und Einschüchterndes bekommen: Er brächte den Erdenbürgern eine allabendliche Erinnerung an Macht und Möglichkeiten der dort schaltenden und waltenden unfreien Systeme."

Schrumpfende Supervollmonde

Was aber macht Europa? Nach dem immerhin ein Mond benannt ist, wenn auch nur einer, der den Jupiter umkreist? Europa produziert wahre Schlagzeilenlawinen zum Thema. Das klickt immer wieder gut, ganz egal, wie oft  die Nummer gezogen wird. Vom "Minimond" hingegen, den es wie den "Riesenmond" ebenfalls einmal aller dreizehn Monate gibt, wenn der Mond sich in seinem Apogäum am weitesten von der Erde entfernt hat, liest man nie. Sonst wäre inzwischen wohl jedermann bekannt, dass die Tage des Supervollmondes gezählt sind, weil er sich nach und nach in einen Minimond verwandeln wird: Seit Jahrmillionen schon entfernt sich der Mond ganz allmählich von der Erde - um durchschnittlich 3,8 Zentimeter pro Jahr. Jeder "Supervollmond" von heute ist damit  größer als der Supervollmond in 100 oder 1.000 oder 10.000 Jahren.


8 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Als vor Jahren ein Supervollmond mit großem Medienwirbel angekündigt ward, zückten Kollegen zur Spätschicht ungelogen das Handy, um den epochalen Minifleck auf dem Handydisplay festzuhalten. Mein Einwand, dass die Größe des Mondbildes auf dem Fotochip vor allem von der Brennweite der Linse abhängt, wurde mit einem 'naja' kommentiert.

Der Mond durchläuft jeden Monat das Perigäum (wenn man die Apsiden als Bezug nimmt), man könnte also jeden Monat einen Supermond melden, eine Supersichel etwa oder einen abnehmenden Super-43%-Mond.

Minimalist hat gesagt…

Forscher haben heraus gefunden, gingen dann jedoch wieder rein und verkündeten, dass unser treuer kosmischer Begleiter sich ebenfalls grenzenloser Sehnsucht hingibt und sich ohne unsere Erlaubnis frech davon schleicht

Diese kleiner werdende Realität muss propagandistisch darum vergrößert werden wie viele andere Schrumpfungen im Piefke-Universum.

Zudem klingt Blutmond doch so schön gruselig im täglichen öden Allerlei von Klimaschutz- und Weltrettungsstatistiken. Das regt archaische Stammes-Ritual-Visionen an, wie wir sie aus Fantasyfilmen kennen. Das transportiert barbarisches Schlachtfeldgrauen in unsere Wohnzimmer, bleibt aber weit genug weg, um uns persönlich nicht zu verletzen.

Mann im Mond? Kanäle auf dem Mars? Gestalten in Wolken? Menschen sehen oft Dinge, die nur in ihrer Vorstellung existieren, was sie nicht hindert, damit fortzufahren, den sie wollen durch beschreiben kontrollieren. Was ein Etikett trägt, gilt als bekannt und ängstigt dann weniger.

Anonym hat gesagt…

Genau richtig für den Michel, der mehr als drei Wochen nicht in seinem Hirn abspeichern kann!

Anonym hat gesagt…

Büschen OT, so sehr aber nicht:
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uli12us 26. Mai 2021 at 14:33

ghazawat 26. Mai 2021 at 13:44; Diese Klimaspinner wissen doch nicht mal. wie hoch der Anteil des CO2 an der Atemluft ist. Wenn man einen Stapel Papier von ein Meter Höhe hat, also 10.000 Blatt übereinander.
dann ist das CO2 lediglich 4 Blatt davon. Der menschliche Anteil daran ist lediglich ein kleiner Streifen mit
ca 5cm der Schmalseite. Der Anteil Deutschlands daran macht davon 1mm aus.
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Auch bei den Pipis sind Lichtblicke festzustellen. Auch, wenn es ihnen dann an weiterreichenden Schlußfolgerungen gebricht. Als da ist: Schon F.D.Rosenfeld sagte sinngemäß, daß es in der Politik keine Zufälle gäbe - was abgeht, war auch so geplant.

Der lachende Mann hat gesagt…

Ob es denn auch geplant war, daß der New Deal scheiße war, verglichen mit den Anstrengungen und Erfolgen anderswo?

Wir belassen es mal bei "anderswo".

Anonym hat gesagt…

verglichen mit den Anstrengungen und Erfolgen anderswo ...

Ich wüßte nicht, daß wir damit signifikant* auseinanderliegen sollten.


*Habe keine Affinität zu Xenologismen, aber ein désir, unseren Geiferer ein wenig zu locken ... Er ist so berechenbar, und auf seine Art doch ergötzlich.

Anonym hat gesagt…

Er hat noch nicht angebissen. Nebbich. Schabbes beginnt erst morgen Abend.

Der lachende Mann hat gesagt…

"Auf seine Art ergötzlich". Damit haben Sie recht. Ich finde ihn nachgerade possierlich. Und er wird schon noch kommen.

Im übrigen: ahoi!