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Noch lebt die Schweiz von ihren offenen Grenzen, bald könnte es damit aber vorüber sein.
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Sieben Jahre ist es her, dass die EU-Kommission die Schweiz streng ermahnen musste: Wer eine Volksabstimmung zur Masseneinwanderung abhält und sich dann auch noch bereit erklärt, das zweifelhafte Ergebnis zur Grundlage seiner umstrittenen Politik zu machen, der muss Konsequenzen befürchten. Direkt nach dem falschen Schweizer Votum zur Begrenzung der Zuwanderung setzte die
EU-Kommission alle Gespräche über einen
grenzüberschreitenden Stromhandel mit der Eidgenossenschaft aus, um ein Zeichen zu setzen.
Die Schweiz habe sich mit dem rechtspopulistischen, antieuropäischen und desintegrativen Votum gegen eine Masseneinwanderung außerhalb der Partei- und Wertegemeinschaft der Union gestellt.
"Das weitere Vorgehen muss im größeren Kontext der bilateralen
Beziehungen analysiert werden". Fakt sei aber bereits, dass die EU auch ohne die Schweiz leben könne. Ob die Schweiz aber ohne die EU könne, werde sich erst noch zeigen.
Sieben Jahre wurde anschließend versucht, die unüberbrückbaren Meinungsverschiedenheiten auf die lange Bank geschoben. Eine echte europäische Lösung also, mit der klug die offensichtliche Unmöglichkeit umschifft wurde, zwischen zwei unvereinbaren Positionen einen Kompromiss zu finden. Hier die EU, die vom Nicht-Mitglied Schweiz eine Einhaltung des Freizügigkeitsabkommen von
1999 fordert, dass die Schweizer ihrer Regierung eben ausdrücklich aufgetragen hatten zu kündigen.
Sieben Jahre retteten sich beide Seiten vor dem Eingeständnis der offenkundigen Unmöglichkeit einer Vereinbarung, indem sie immer weiter und weiter verhandelten. Jetzt aber ließ die Schweiz das Rahmenabkommen platzen: Die EU war ihr keinen Schritt entgegengekommen, um keinen Präzendenzfall für "Rosinenpickerei" zu schaffen, wie es der frühere Europa-Politiker Martin Schulz in seinen großen Tagen warnend genannt hatte. Die Schweiz wiederum war an die Ergebnisse der Volksabstimmung von 2014 gebunden.
Nach den Briten, die aus der EU austraten, um so etwas wie die Schweiz zu werden, stehen nun auch die Beziehungen der EU zur Schweiz vor dem Aus. Vom Anspruch, nicht nur für sich selbst und seine Mitgliedsstaaten Recht zu setzen, sondern die eigene, vor allem wirtschaftliche Macht als Absatzmarkt auch zu nutzen, Staaten ringsum mitzuregieren, kann die EU nicht abrücken - plant sie doch gerade mit den großen Klimagesetzen eine Ausweitung dieser Praxis: Wer künftig in die EU liefert, soll daheim in Afrika, in Asien und Lateinamerika EU-Vorschriften beachten, EU-CO2-Ziele erreichen helfen und nur Lieferketten betreiben dürfen, die EU-Standards erfüllen.
Wer nicht mitmacht, ist draußen, ihm bleibt der EU-Markt verschlossen - wie jetzt bald schon der Schweiz. Die sei selbst schuld, denn die umstrittene Volksabstimmung zur Masseneinwanderung hätte nie stattfinden dürfen, sagt Franz Zachmann. Der Exil-Schweizer, der als Kunstschaffender in Mecklenburg lebt, hat den Populismus der angeblichen Meinungsfreiheit in der Schweiz von Anfang an kritisiert. Volksbegehren, die sich gegen
Einwanderung wenden, könnten fast überall in Europa von vornherein mit
einer hohen Zustimmungsquote rechnen, war er früh überzeugt. Wird tatsächlich abgestimmt, sei daher der Weg bis zum Erreichen einer
Mehrheit kurz. Dann stehe man da mit "unschönen Ergebnissen".
Franz Zachmann, 59 und selbst bekennender Demokrat, hält es für einen "fatalen Grundfehler", die Volksabstimmung zur Masseneinwanderung überhaupt zugelassen zu haben. Zum Glück sei so etwas in der EU ausgeschlossen", sagt er. Das rühre wohl auch von den Beobachtungen her, die der große Zentralstaat nebenan bei dieser typisch schweizerischen Art der
Mitbestimmung immer wieder gemacht habe. Nach dem Scheitern der Verhandlungen helfe nun nur noch eine harte Linie gegen die Schweizer Abnabelung.
PPQ: Volksabstimmung gegen Masseneinwanderung - darüber waren von Anfang an viele empört, denn das ist doch schon von der Bezeichnung her ein Fall für den Verfassungsschutz. Wie kann es sein, dass so etwas in ihrer Heimat möglich wurde?
Zachmann: Viele fortschrittlich und demokratisch denkende Schweizer, die sich als Europäer sehen, haben das auch gedacht. Und doch ist es so gekommen. Für mich ist meine Heimat erstmal gestorben. Ich werde nicht mehr nach Luzern oder Bern fahren. Und im
Fernsehen schaue ich mir Filme oder Shows aus der Schweiz auch nicht an.
Höchstens Nachrichten. Mich interessiert, wie es dort nun abwärts gehen wird - die EU hat ja schon seit geraumer Zeit ein Handelsverbot für Schweizer Aktien verhängt, anfangs eine Sanktion, die erzieherische Funktion haben sollte. Nun wird das sicher ausgeweitet. Ich bin gespannt.
PPQ: Fürchten Sie als Schweizer persönliche Konsequenzen? Ausländerfeindlichkeit, vielleicht eine Ausweisung?
Zachmann: Ich bin inzwischen sicherheitshalber mit einer Deutschen verheiratet, da sehe ich im Moment also keine große Gefahr. Aber fest steht, dass die schweizerische Demokratie missbraucht worden ist und die
Abstimmung als PR-Instrument für eine andere Schweiz genutzt wurde, die
unserem europäischen Verständnis von Freiheit und Freizügigkeit
widerspricht.
PPQ: Was stört Sie besonders?
Zachmann: Die Naivität der Schweizer Regierung
schauen. Ein so wichtiges Ereignis hätte niemals von einem völlig
unbekannten Bürgerwillen abhängig gemacht werden dürfen - in einem Land,
wo ohnehin jeder denkt, er könne mitbestimmen und sich dabei sogar dem
rechtsstaatlichen Prinzip verweigert, dass es Verträge mit anderen
Staaten gibt. Haben Sie hier in Deutschland jemals eine Volksabstimmung gemacht, als
mit der europäischen Einigung ernst wurde? Nein, und das war gut so. Sonst wären Sie doch heute nicht dort, wo Sie sind.
PPQ: Zuletzt stand vor allem die Diskriminierung von Einwanderern aus Europa zwischen den beiden Verhandlungspartnern. Die Schweiz fürchtet die Einwanderung in ihr Sozialsystem und eine Bedrohung der nationalen Identität, weil die Entwicklung des Ausländeranteils von 14,1 Prozent im Jahre 1980
auf 23,2 Prozent im Jahre 2013 irrationale Ängste vor einer
ausländischen Bevölkerungsmehrheit für das Jahr 2062 geweckt hatte. Wie realistisch ist das?
Zachmann: Das ist purer Populismus. Niemand kann heute schon wissen, was 2030, 2045, 2050 oder 2062 sein wird. Probleme, die es dann gibt, können wir nicht heute lösen! Die Schweizer Medien haben hier einfach nicht genug
gewarnt, die deutschen haben mehr gehofft als aufgeklärt und sie werden in der Schweiz auch leider wenig gelesen.
PPQ: Der Abbruch der Verhandlungen hat nun nicht etwa zu einem großen Aufschrei geführt, jedenfalls kein so großer, wie damals der gegen das
antieuropäische Abstimmungsergebnis. Hat Europa die Schweiz aufgegeben?
Zachmann: Ich fürchte es fast. Schon diese Börsensanktionen, eine Maßnahme, die im Normalfall gegen oder durch diktatorische Regime verhängt wird, die USA machen zum Beispiel so was mit China, fand ja öffentlich keinerlei Aufmerksamkeit. In der Schweiz sagen sich die Leute natürlich, wir haben die Hitlerzeit auf eigene Faust durchgestanden, den Kalten Krieg, all das, jetzt fangen wir nicht an, uns der EU zu unterwerfen. Aber dass sie in Brüssel für Mitbestimmung sind, aber gegen solche Ergebnisse, die Europa weit zurückwerfen, ist doch auch klar. Ein so großer Kontinent, der nicht mal eine Sprache spricht, keine gemeinsame Öffentlichkeit hat und abgesehen vom Geld auch kaum gemeinsame Interessen, der muss von oben regiert werden, im Grunde nach russischem Vorbild. Die Erwartung, dass durch
solche populistischen Mitbestimmungsaktionen ein Gemeinschaftsgefühl aufkommt, ist naiv. Kein Land ist durch
so eine Veranstaltung je freier geworden. Das ist eine Illusion, die uns
die Feinde unserer Ordnung verkaufen wollen.
PPQ: Bundespräsident Joachim Gauck hat damals nach dem falschen Abstimmungsergebnis einen Besuch in der die Schweiz abgesagt und
stattdessen ist er demonstrativ nach Indien gefahren, in die größte
Demokratie der Welt, in der die Grundrechte aller Menschen noch
uneingeschränkt respektiert werden. Im Rückblick gesehen eine starke Geste, die aber erfolglos geblieben ist. Sollten andere Politiker seinem
Beispiel jetzt folgen?
Zachmann: Mit Namen und Hausnummer: Ja, konkret muss Europa darauf dringen, dass Joe Biden und Wladimir Putin die Eigensinnigkeit der Eidgenossenschaft mit ihrem geplanten Treffen in Genf nicht noch aufwerten. Das fände ich fände gut. Es ist wahrscheinlich für keinen Politiker eine
gute Idee, jetzt in die Schweiz zu fahren. Alle, die es doch tun,
sollten aufpassen, nicht zur Staffage für ein Regime zu werden, das die unbedingte Mitbestimmung durch direkte
Demokratie höher wichtet als einen Konsens unter Demokraten, wie er in EU-Europa zum Glück die Regel ist.