Freitag, 30. April 2021

Gott will es: Katholiken gendern

Jesus hätte seine Freude an den Maßnahmen zur Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit in der katholischen Kirche.
Es führt kein Weg mehr daran vorbei, gerade dort, wo die Geschlechterapartheid tief in den Genen steckt. Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken, eine Versammlung von Laienvertretern in der Katholischen Kirche, hat jetzt ein Einsehen gehabt: Ab sofort benutzt das gottgewollte Gremium eine geschlechtergerechte Sprache inklusive dem in der deutschen Rechtschreibung nicht vorgesehenen Genderstern, um weibliche Gläubige mitzumeinen.

Für die katholische Kirche ist die Entscheidung der Vollversammlung ihrer Laienfunktionäre geradezu revolutionär, steht doch die Original-Paulus-Kirche im verdacht, Frauen, Mädchen und Diverse LBGTO bis heute nachhaltig zu benachteiligen. Ausschließlich Männer können zum Priester geweiht werden, ausschließlich Männer dürfen Bischof, Kardinal oder Papst werden. Gott habe das vor etwa 2.000 Jahren so bestimmt und bisher keine anderslautenden Hinweise gegeben, heißt es dazu in der Regel in Rom. Bis heute kennt das Italienische, die Sprache des Vatikanischen Weltimperiums, nicht einmal eine weibliche Form von "Pastore", dem Pfarrer. Eine Pfarrerin, gäbe es sie denn, wäre dasselbe, ein Pastore.

Die ZdK-Vollversammlung will das nun nicht mehr hinnehmen. In einem Akt des Widerstandes einer Kirche von unten, die sich an modischen Trends und aktuellen Windrichtungen orientiert,  sprachen sich knapp über 60 Prozent der Mitglieder für die Einführung einer Geschlechtervielfalt in Wort und Schrift aus. Sprache solle damit "an Realität angepasst werden", begründete Mitinitaorin Gudrun Lux den Beschluss, der "eine Signalwirkung nach außen und möglicherweise einen Einfluss auf andere Institutionen" haben solle. Männer, Frauen, aber auch Menschen, die sich keinem Geschlecht zuordnen lassen, seien "Teil der Schöpfung Gottes" und müssten deswegen auch sprachlich mit einbezogen werden, so Lux. 

Je symbolischer, desto besser, gerade in einer so alten und so traditionsbewussten Institution wie dem Katholizismus, der sich in Deutschland aus Kirchensteuern finanziert, die geltenden Gesetze zur beruflichen Gleichstellung aber ignoriert. Gott, der immer wieder durch seinen feinen Humor auf sich aufmerksam macht, hätte sein Wohlgefallen an diesem Witz: In den nächsten Rundschreiben wird das Zentralrätin derdiedas Katholik*innen von "Priester*innen" und "Pfarrer*innen" sprechen, um die mitzumeinen, die es in der gesamten katholischen Kirche nicht gibt.

Morgen schon im Heute: Ein Recht auf Klima

Nach dem Klimaurteil des Verfassungsgerichts kann es nun richtig losgehen mit dem Klimaschutz.

Die Zeit läuft davon, wie immer eigentlich. Das Morgen schon im Heute, ein Plan nicht nur für fünf oder zehn Jahre, wie er früher nie aufging, sondern für für längere Zeiträume, das ist es was, was das Bundesverfassungsgericht der Politik aufgegeben hat. Was bei der Schuldenbremse, dem letzten Versuch der aktuellen Politikergeneration, nicht heute zu regieren, sondern heute schon eine ferne Zeit in der Zukunft, kein ganzes halbes Jahrzehnt glückte, weil dann schon die üble Realität dazwischenkam, ist nach dem Klimaurteil der Verfassungsrichter das Muster für die kommenden Jahrzehnte.

Die bisherige Klimakatastrophenbekämpfungssimulation der Bundesregierung reiche nicht aus, den "teils noch sehr jungen Beschwerdeführenden" ihr Recht auf ein stabiles Klima zu sichern. Zu weit nach hinten verschiebe die Politik die absehbaren Kosten des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umbaus, die so von der heute jungen Generation getragen werden müssten und diese in ihren Freiheitsrechten unzulässig beschneide.

Ein Klimahammer aus Karlsruhe

Karlsruhe schwingt den Klimahammer, wenn auch nicht so recht klar wird, wohin und gegen wen. "Die Vorschriften verschieben hohe Emissionsminderungslasten unumkehrbar auf Zeiträume nach 2030", beklagen die Richter einerseits, andererseits fordern sie nicht, die Emissionsminderungslasten in die Zeit vor 2030 zu verschieben. Nur für danach müsse es eben nicht nur eine Absicht, sodnern auch einen konkreten Fahrplan geben. Wobei: Wenn das CO2-Budget schon bis zum Jahr 2030 umfangreich verbraucht werde, verschärfe dies das Risiko "schwerwiegender Freiheitseinbußen", weil die Zeitspanne  für technische und soziale Entwicklungen nach 2030 knapper werde. 

Um einen Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur wie geplant hier in Deutschland ganz konkret auf deutlich unter zwei Grad und möglichst sogar auf 1,5 Grad zu begrenzen, muss früher gehandelt werden. Aber nicht mit immer härteren und sofort wohlstandseinschränkenden Maßnahmen. Sondern mit nicht einem, nicht zwei, sondern gleich sechs Fünfjahrplänen bis 2049.

Als Helmut Kohl Facebook regulierte

Von heute an gerechnet sind das nur 28 Jahren - ein Vorhaben, als hätte Konrad Adenauer 1949 Maßnahmen zur Bewältigung der Ölkrise Mitte der 70er Jahre festlegen oder Helmut Kohl 1990 Gesetze zur Regulierung von Facebook und Google verabschieden lassen wollen. Was den beiden früheren Kanzlern als vielleicht doch ein wenig weit in ein Niemandsland der Ungewissheit regiert erschienen wäre, gilt heute gemeinhin als nachvollziehbare und vollkommen vernünftige Forderung

Nur weil Menschen seit zehntausenden von Jahren niemals und von keiner Regierung irgendeiner Verfasstheit Garantien über eine gelungene Gegenwart jenseits der Datumsgrenze auf dem aktuellen Jahreskalender erwarten durften, muss das nicht heißen, dass es dabei bleiben muss. Und nur weil das Grundgesetz bisher nicht garantiert hat, dass die Ruderpinne des jeweils gerade tagenden Bundestages auch alle kommenden Zeiten in feste Form gießen durfte und musste, kann das nicht bedeuten, dass es nicht wünschenswert wäre.

Ein Recht auf stabiles Klima

Schön wäre es ja schon, wenn eine Generation wie die eben gerade an den Hebeln sitzende für alle Zeiten vorsorgen könnte. Nie zuvor haben Menschen gelebt, die so viel wussten und das so genau, die so sehr auf die Wissenschaft vertrauen, die so viele Tageswahrheiten ihr eigen nennen und so gut wissen, dass alles, was noch kommen wird, nie so sehr Herr des eigenen Schicksals sein wird wie sie. Objekte nur sind sie schon heute, die Klimakinder, die nicht rebellieren, sondern remonstrieren wie Beamte. Ihre Freiheit ist immer die Freiheit der Älteren, die das Land aufgebaut und sogar den Sozialismus überlebt haben. 
 
Aber um welchen Preis? Der ökologische Fußabdruck eines 70-jährigen Ostdeutschen, dessen weiteste Auslandsreise nach Bulgarien geführt hat, ist fast so groß wie der einer ganz normalen 23-jährigen Klimakaktivistin, die allerdings im Gegensatz zum jedes Kilo bereut. Was aber soll sie tun? "Geworfen in eine Welt, die selbst keine Antworten bietet in der auswegslosen Situation des „In-Seins“ als solchem" (Ingeborg Bachmann) bleibt nur die Duldung dessen, was ist. Und die Hoffnung, die Erwachsenen mit deren eigenen Gesetzen zu zwingen, einem zuzugestehen, was sie selbst nie hatten: Wohlstand als Selbstverständlichkeit. Strom, der sauber ist. Regelmäßig ein neues Handy, dessen Hersteller schwören muss, das jedes Stück Chip bio, vegan und frei vom Verdacht ist, nicht nicht ökologisch sauber zu sein wie frischgefallener Schnee.

Ein gutes Gewissen durch beste Absichten

Dass die "große Koalition sich vor drei Jahren zögerlich auf ein vages Gesetz zum Klimaschutz einigte" (SZ) war seinerzeit als Zugeständnis an einen Zeitgeist gedacht, der sich ein gutes Gewissen durch beste Absichten verschaffen wollte. Wir handeln, aber eben vorausschauend irgendwann. Ihr dürft euch schon heute freuen, denn eure Kinder werden es euch danken, das war die Botschaft noch jedes "Klimaabkommens" von Kyoto bis Paris.  Die größten Schlagzeilen gibt es am Anfang. Später, wenn die ganze Sache sich langsam versendet, kräht kein Hahn mehr danach. Die Hände gründlich in Unschuld waschen, ohne selbst nass zu werden. Eine Kunst, die Bewunderung verdient und sie erhielt.

Bis die Verfassungsrichter ernst nahmen, was so nie gemeint war.

 

Donnerstag, 29. April 2021

Kulturschaffende: Comeback dank Corona

Eine gänzlich unerwartete Rückkehr: #allesdichtmachen brachte das Comeback des "Kulturschaffenden".

Auf einmal war er wieder da, der "Kulturschaffende", dieses gedankenschwere Wesen, das über tiefe Einsicht verfügt, aber auch über eine laute Stimme. Wenn der Kulturschaffende, gelegentlich auch "Kunst- und Kulturschaffender" genannt, auf der Bühne erscheint, wird es still im Saal und alles lauscht begierig, was sie und er aus dem Elfenbeinturm an Botschaften mitgebracht haben. Seine große Zeit hatte der 𝔎𝔲ltur𝔰𝔠𝔥𝔞𝔣𝔣𝔢𝔫𝔡𝔢 in den dunklen Tagen des Dritten Reiches, als ein Kollektiv aus solchen ein von Joseph Goebbels formuliertes Manifest unterzeichnete, um Hitler zum Reichskanzler zu machen.

Ein Wort der beiden Diktaturen

Als der es nicht mehr war, benutzte ihn die Nachfolgediktatur mit großer Selbstverständlichkeit und "jenseits aller krittelnden Vernünftelei" weiter. Doch nach deren Ende fiel das Wort in ein tiefes Loch (Grafik oben). Vergiftet und verdorben, verbrannt und verpönt war der "Kulturschaffende" nur noch ein Echo aus schlimmen Zeiten, in den "Arbeiter der Hand" und "Arbeiter der Stirn" vom "Geist der Volksgemeinschaft" oder aber von dem der Weltrevolution durchpulst im Namen der Sache künstlerten.

Damit hätte die Geschichte eines Wortes enden können, dessen Fehlen gar nicht weiter auffiel. Zwar tauchte es gelegentlich wieder auf wie Nessi aus dem Teich, etwa als „Kulturschaffende“ (DPA) von Günter Wallraff bis Hugo Egon Balder vor Jahren, in Zeiten flacher hoher Wellen, empört den Rücktritt von Horst Seehofers wegen irgendetwas forderten, das heute niemand mehr erinnert. 

Doch vom „Aufruf der Kulturschaffenden“ im „Völkischen Beobachter“ anno 1934 führte kein Weg zum "Tatort", in die Volksbühne, das moderne Rammstein-Konzert oder zum didaktischen Straßentheater. Kunstschaffende hatten sich, unabhängig von der Ästethik ihrer Werke, in Künstlerinnen und Künstler verwandelt, die keine Führer gelobten, sondern wie Böll und BAP, Grönemyer, Lindenberg, Degenhardt und andere einen Teil ihrer Kunst darin sahen, visionär vorauszuschauen und den Möchtigen verbal auf die Fin ger zu hauen.

Aus dem Wörterbuch des Unmenschen

Der "Kunstschaffende" fand sich nur noch in Süskinds „Wörterbuch des Unmenschen“ und im „Neuen Deutschland“, das nach der Ausbürgerung Wolf Biermanns zufrieden über eine „Überwältigende Zustimmung der Kulturschaffenden der DDR zu Politik von Partei und Regierung“ berichten konnte. Der Begriff war kontaminiert, denn er stand für eine ölige Anbiederung an Unrechtsregime.

Inhaltlich drückte er zudem ja nichts aus, was nicht ein Wort wie "Künstler" besser sagen kann. Sprachsystematisch schließlich gibt es das Wort so wenig wie den Brotschaffenden, den Häuserschaffenden oder den Bierschaffenden, deren Fehlen nie und nirgendwo Mangel auslöst, so lange Bäcker, Bauarbeiter und Brauer zur Stelle sind.

Aus der Asche der Scham

Unerwartet aber erstand nun plötzlich doch neu, aus der Asche der Scham, aus dem Vergessen, aus dem Drang einer neuen Generation von Textschaffenden, mit einem praktischen Kunstgriff um den selbstauferlegten Gender-Stern aller „Künstler*innen“ herumzulavieren, wenn „Künstlerinnen und Künstler“ nicht in die Überschrift rechts neben der Hüfte der Tagesschausprecher passt. 

Hier hilft der im Dritten Reich erschaffene Kunstschaffende im Handumdrehen: Er enthält alle denkbaren identitätspolitischen Schattierungen, ohne in sich den Zwang zu tragen, ihn auf eine weibliche Form wie "Kunstschaffendinnen" erweitern zu müssen. Die historische Belastung steht dahinter zurück, erst recht in einer Riege von Nachrichtenschaffenden, die Sprache für ein Mittel zur Belehrung mit dem Ziel der Erziehung hält.

Unterwanderte Grüne: Angriff von rechts

Zusammengezählt: Alle verlieren, Grün gewinnt - und dort finden sich nun auch immer mehr AfD-Wähler ein.

Der Höhenflug der Grünen begann nicht erst mit der Kür Annalena Baerbocks, doch seitdem hat er noch einmal an Geschwindigkeit zugelegt. Dabei profitiert die Partei der Stunde von einem Zustrom aus allen anderen Lagern, wie ein Kantar-Emnid-Umfrage zeigt: Von der Union über die SPD bis zu AfD und Linker verlieren sämtliche politischen Lager. Abgesehen von der FDP, die stagniert. Zulegen kann nur die neue Partei der Mitte, die alle sechs Prozent Verlust der anderen Parteien aufsaugt und zu einem neuen Rekord von 28 Prozent der Stimmen stürmt.

Ein Prozent braun

Ein Ergebnis, das nun allerdings auch Fragen aufwirft. Immerhin ein Prozent der neuen Stärke verdankt Bündnis90/Die Grünen, wie die Partei offiziell immer noch heißt, abtrünnigen ehemaligen Wählerinnen und Wählern der in Teilen rechtsextremen AfD. Dabei handelt es sich um Bürgerinnen und Bürger, mit denen Grüne weder gemeinsam auf die Straße gehen noch irgendwelche Werte teilen.

Ein Rückenwind, der komisch riecht. Gerade vor dem Hintergrund der Ereignisse von Thüringen, wo die FDP vor einem Jahr mit Hilfe der Rechtsaußenpartei einen Staatsstreich geplant und durchgeführt hatte, der nur durch das beherzte Eingreifen der Bundeskanzlerin rückabgewickelt werden konnte, stellt sich die Frage, ob die Grüne Partei auf ihrem Marsch zur Macht alle Prinzipien hinter sich lässt. Würde Annalena Baerbock sich auch mit den Stimmen abtrünniger AfD-Wähler*_:Innen zur Kanzlerin wählen lassen? Wäre ein Robert Habeck bereit, die Zustimmung von Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten hinzunehmen, um das große Ziel von der ersten deutschen Kanzlerin mit grünem Parteibuch zu erreichen?

Schweigen von Baerbock

Aus der Ökopartei selbst kommt dazu keine Auskunft. Bei ihrem Talkshow-Marathon ist es Annalena Baerbock bisher klug gelungen, die nicht gestellten Fragen nach der wachsenden Unterstützung von Rechtsaußen zu ignorieren. Obwohl inzwischen bereits rund 3,5 Prozent der erklärten Grünen-Wähler:_*Innen aus dem sogenannten Lager der hasserfüllten Verleumder kommen, tut sich der Vorstand der Erfolgspartei schwer, eine deutliche Position zur Unterstützung aus braunen Kreisen zu finden und klare Kante zu zeigen.

Für Annalena Baerbock, die  ihre MitbewerberInnen auch in der Kanzlerfrage weiterhin deutlich auf Abstand hält, ist es eine Gewissensfrage. Eine deutliche Absage an frühere AfD-Wählende könnte die Grünen im Rennen mit der Union den eben erst eroberten Platz als stärkste politische Kraft kosten. Eben erst ins bürgerliche Lager zurückgekehrte Sachsen, Hessen und Brandenburger und Sachsen-Anhalt würden sich womöglich abgelehnt und zurückgestoßen fühlen und auf diese Zurücksetzung mit einem Kreuzchen bei den Rechtsnationalen. Andererseits aber droht eine Unterwanderung der Grünen durch völkische Siedler, AfD-nahe Homöopathen und Grundgesetzfetischisten, für die die Wahl der Grünen nur ein neues Mittel zum alten Zweck wäre, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu destabilisieren.

Eine erste Bewährungsprobe

Eine erste Bewährungsprobe für die letzte Volkspartei, die sich vielleicht wird entscheiden müssen. Nach dem Kemmerich-Modell mit Applaus und Stimmen der Falschen eine Entscheidung über die nächste Kanzlerschaft zu eigenen Gunsten herbeiführen? Oder sauber bleiben und auf Distanz zu Menschen, die eben noch einem Bernd Höcke zujubelten, Alexander Gauland gern die Badesachen hinterhergetragen hätten und für mehr regionales Klima, gegen Europa und einen geregelten Zuzug dringend benötigter Arbeitskräfte auf die Straße gingen? Mitbedacht muss bei dieser Gewissensentscheidung, bei der es nur ein Richtig gibt, auch werden, dass die neue Liebe der Braunen zu Grün klandestiner Teil eines perfiden Planes sein könnte: Je mehr AfD-Gefolge sich unter der grünen Fahne  des Fortschritts sammelt, desto fraglicher ist, ob das ehrgeizige grüne Zukunftsprogramm wirklich sauber realisiert werden kann.

Mittwoch, 28. April 2021

Grüne Bundeshaustierbremse: Baerbock dementiert

Fieser Fake: Die CO2-Hunde dürfen bleiben.

Als das engagierte Umweltboard PPQ.li im Juni 2019 frage, ob die klimaschädlichen Hunde, die sich die Deutschen ungeachtet der drohenden Umweltkatastrophe noch immer leisten, wohl ewig leben sollen, antwortete aus der Bundespolitik ein peinliches Schweigen. Hatte nicht eben erst die weltberühme Klimakritierin Greta Thunberg, seinerzeit eine medial omnipräsente Figur, sich offensiv mit ihrem Hund gezeigt? Konnten Vorwürfe also stimmen, nach denen Greta Vierbeiner und die 500 Millionen anderen treuen Freunde, der der Mensch in Haushalten und Vierseitenhöfen hält, rein rechnerisch ganz allein am Klimawandel schuld sein? Dass allein Haushunde die Atmosphäre der Erde zusammen mit mehr CO2 belasten als ganz Deutschland auspustet, konnte doch wohl nicht wahr sein. Ein Haustierverbot, wie es Experten bei PPQ.li dringend nahelegten, fand weder auf der Bundesebene noch als Vorschlag eines Bundeslandes auf im föderalen Wettbewerb Fürsprecher. Zu mächtig schien den Verantwortlichen offenbar die Lobby der selbsternannten Tierliebhaber, zu sehr verstrickt in vielfältige Abhängigkeitsverhältnisse sind wohl auch Politiker aus Kommunen und Landkreisen, in denen Hunde- und Katzenzucht, der Handel mit Haustieren, deren Ernährung und medizinische Betreuung einen oft bedeutenden Wirtschaftsfaktor bilden.

Groß genug, um die etwa eine Milliarde Tonnen CO2, die die kleinen Klimakiller jährlich produzieren, als Kavaliersdelikt abzutun, obwohl gerade Hunde und Katzen im Gegensatz zu den als klimaschädlich häufig angeprangerten Schweinen, Rindern und Hühnern nicht einmal einen Beitrag zur Menschlichen Ernährung leisten. Dass jetzt Annalena Baerbock, die aktuellen Umfragen zufolge künftige Bundeskanzlerin, den Mut gefasst haben soll, sich zur Lektüre von PPQ.li zu bekennen und in der gebotenen Konsequent ein "Ende der Haustierhaltung" zu fordern, wäre ein Hoffnungszeichen gewesen. "Wir können alleine durch den Wegfall der Hunde in Deutschland 19 Millionen Tonnen Kolenstoffdioxid einsparen", soll die grüne Spitzenkandidatin zur Bundestagswahl sich einem sharepic im Internet zufolge auf wissenschaftliche Daten berufen haben, die PPQ zuletzt im Herbst 2020 öffentlich gemacht hatte.

Doch Annalena Baerbock, die sich übereinstimmenden Berichten aller deutschen Medien von dieser Woche beharrlich in Themen einlesen kann, übertrifft mit ihren Zahlen nicht nur die Berechnungen des Klimawatch-Institutes (CLW) aus dem mittelsächsischen Grimma, das die Notwendigkeit einer Haustierbremse in Deutschland zuerst angemahnt hatte. Sie lässt auch dementieren, sich jemals so geäußert zu haben. Forschenden war zuvor schon aufgefallen, dass Baerbocks vermeintliche Zahlen kaum stimmig waren. So rechnet das CLW bei einer generellen Haustierbremse mit einem möglichen Einsparungspotezial von rund 11,9 Millionen Tonnen Kohlendioxid (CO2). Auch Berliner Kollegenseiende addieren den Lebenseintrag eines durchschnittlichen Haushund auf circa 8,2 Tonnen CO2. Die Forscher aus Sachsen bezogen sich dabei allerdings auf ein sogenanntes fließendes Verbot, bei dem das natürliche Absterben der derzeitigen Generation an Hunden, Katzen, Mäusen, Hamstern und Sittichen abgewartet, zugleich aber jede Nachzucht verboten wird.

Nur eine umfassende Bundesshaustiernotbremse würde schneller greifen und mit mehr Wucht auch größere Klimaersparnisse bringen, wie sie die Grünen-Chefin angeblich errechnet haben sollte. Doch dass "fast soviel CO2 eingespart werden kann wie man mit einem Auto bei zehntausend Erdumrundungen freisetzen würde - fast 10% des Straßenverkehrs", wie es im gefälschten Zitat heißt, ist irrig. Hier stimmen die Dimension so wenig wie der Bezug auf die gebotene Fortschrittlichkeit des Hundehaltens. Gerade der neue, klimafreundliche US-Präsident Joe Biden hatte zuletzt mit der Ansiedlung zweier Hunde im Weißen Haus gezeigt, wie Mensch und Tier und Weltklima weitgehend friedlich zusammenleben können. Eine CO2-Steuer auf Hunde bleibt so vorerst der Traum engagierter Aktivisten und vorausschauend denkender Wissenschaffender.

Geschlechterkampf auf dem Gesindesofa: Eine Präsident ohne -in

Die EU-Kommission selbst unterwirft sich der toxisch-männlichen Sprachperspektive frauenfeindlicher Idiome vermeintlicher Partnerstaaten (hier: Irland) mit denselben Werten.

Erst war da die Diskussion um die Sitzordnung beim EU-Türkei-Treffen in Ankara, bei der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Katzentisch hatte platznehmen müssen. Und nun wird auch noch öffentlich, wie ausländische Mächte die führenden Frauen des Kontinents ausbremsen, um ihre Weiblichkeit betrügen und sie strategisch gezielt missgendern. Konsequent herablassend wird Deutschlands Bundeskanzlerin da als "Chancelor" bezeichnet, EU-Chefin Ursula von der Leyen dagegen findet sich als "President" bezeichnet, als wäre sie keine Frau, sondern - wie über Jahrzehnte üblich - ein alter weißer Mann.  

"President" und "Chancelor"

President" und Chancellor - bisher haben die beiden Betroffeninnen die herablassende Behandlung nicht nur geschluckt, sondern sich die vermeintlich international "übliche" Bezeichnungsweise sogar selbst zu eigen gemacht. So spricht die Kommission selbst auf ihrer Internetseite durchweg von von der Leyen als "President", "Presidente" oder auch auf Französisch als "Président". Die korrekte weibliche Form hingegen findet sich ausschließlich in deutschsprachigen Beiträgen. Die EU begründet das mit angeblichen sprachlichen Traditionen, nach denen es etwa auf Spanisch, Französisch oder Englisch weder üblich noch möglich sei, ein geschlechtergerechtes deutsches Wort wie "Präsidentin" oder "Kommissarin" oder auch "Kanzlerin" entsprechend gleichberechtigungsschaffend zu übertragen.

Commissioner", "Commissairio" und "Notario" existieren nach dieser altüberkommenen Auffassung ausschließlich im Deutschen als weibliche Form. Bei der Benutzung anderer Sprachen sei diese dann eigenständig geschlechtergerecht mitzudenken, heißt es in Brüssel. Eine Begründung, die für Empörung sorgt, auch wenn die EU darauf bedacht ist, für genderbegeisterte deutsche Besucher ihrer Webseite und Leser*:_Innen ihrer Pressemitteilungen stets besonders bedacht weibliche Formen zu nutzen. Nach der Zurücksetzung der höchsten europäischen Autoritäten durch den türkischen Präsidenten aber liegen nun die Nerven blank in der Gemeinschaft, die seit der bis heute unausgeräumten inneren Meinungsverschiedenheiten um Zahl und Namen der venezuelanischen Präsidenten um ihre außenpolitische Statur ringt.

Geschlechterungerecht auf dem Gesindesofa

So hatte der Skandal um den Besuch von der Leyens bei Recep Erdogan auch eine geschlechtergerechte Seite: „Die Präsidentin", hieß es danach auf Deutsch in Brüssel, sei "klar überrascht“ gewesen, dass sei an einem Beistelltisch auf einem Gesindesofa platziert worden sei. In den anderen Unionssprachen blieb es hingegen bei der männlichen Form: Als "President" beschwerte sich von der Leyen dort nun selbst darüber, nicht ihrem Amt gemäß behandelt worden zu sein, weil sie eine Frau sei.

Zugleich forderte die im Deutschen als "EU-Kommissionschefin" bezeichnete der "head of the EU commission" von der Leyen mit Nachdruck die Gleichstellung aller Frauen in sämtlichen Weltsprachen. „Ich fühlte mich verletzt und alleingelassen, als Frau und als Europäerin“, sagte von der Leyen im Europaparlament und sie spielte damit womöglich auch auf den Umstand an, dass große EU-Sprachen wie das Spanische und das Französische bis heute nicht einmal ein Wort für das schöne und stolze Wort "Europäerin" oder "EU-Bürgerin" kennen.

Kampf für Frauen als Gleiche

Dies zeigt, wie weit der Weg noch ist, bis Frauen als Gleiche behandelt werden“, klagte von der Leyen das Festhalten der Partnerstaaten an maskulinen Bezeichnungen wie "Ciudadano des la Uniòn Europea" und "Citoyen Europeen" an. Sie selbst sei privilegiert, weil sie sich wehren auf die geschlechtergerechte deutsche Sprache ausweichen könne. Millionen Frauen, die durch die Verwendung ausschließlich männlicher Bezeichnungen täglich verletzt würden, könnten dies jedoch nicht und tausende viel schlimmere Zwischenfälle würden nie bekannt.

Dienstag, 27. April 2021

Linke gegen Wessis: Ramelow auf der Abschussliste

Unzufrieden mit der Herkunft: Die Linke möchte ihren Ministerpräsidenten Ramelow am liebsten aus dem Amt werfen.


Vor einem Jahr galt er als menschgewordene Brandmauer gegen die Barbarei, ein Mann wie ein Versprechen auf bessere Zeiten, aufrecht im Ansturm rechtsradikaler Liberaler. Bodo Ramelow sprang in die Legitimationslücke, die die illegitime Wahl des FDP-Usurpators Thomas Kemmerich ins Amt des Thüringer Ministerpräsidenten gerissen hatte. Mit Hilfe der Kanzlerin und der vereinten Reste des Bürgertums wurde Kemmerich gestoppt, Ramelow führt seitdem ein stilles Übergangsregiment im hot spot Grünes Herz. Hohe Inzidenz, breite Mehrheiten von links bis fast ganz recht. Geringe Wahrnehmbarkeit bundesweit. Ausgenommen, Ramelow spielt Candy Crush.  

Erfolgsmodell auf der Kippe

Ausgerechnet dieses Erfolgsmodell aber steht nun auf der Kippe, angegriffen von der eigenen Partei. Die Linke im Nachbarland Sachsen-Anhalt will Ramelow weghaben, und nicht, weil er schlecht regiert. Nein, die Herkunft des früheren Gewerkschaftsführers aus Osterholz-Scharmbeck ist es, die die Genossen im dunkeldeutschen Nachbarland aufbringt. Ermutigt wohl von der historischen Niederlage Kampfliedermachers des Diether Dehm, den selbst im Westen niemand mehr als Bundestagskandidaten haben wollte, löckt die mittlerweile mehrfach umbenannte SED wider den Stachel.

Das Plakatmotiv "Nehmt den Wessis das Kommando" zitiert eine Liedzeile des im westdeutschen Göttingen geborenen Herbert Grönemeyer mit seinem ""Gebt den Kindern das Kommando" und bei der Linken haben die Kinder der friedlichen Revolution es inzwischen ja auch übernommen. Mutig ruft die einzige Ostpartei damit zum Widerstand etwa gegen Jan Korte, den aus Osnabrück stammenden Bundestagsspitzenkandidaten der sachsen-anhaltinischen Landespartei, den die ausgezehrte und unter schwerem Nachwuchsmangel leidende Ex-PDS dann im Herbst wie ein Mann unterstützen wird.

Ein neues Ost-Bewusstsein

Ein neues Ost-Bewusstsein, das sich auf die eigene Kraft besinnt, statt sich weiter vermeintlich erfahreneren Demokraten aus den alten Ländern anzudienen. Was haben sie dem Osten denn gebracht, die Wessis? Abgesehen von üblen Schlagzeilen über Nazis, Stasi und moralische Verkommenheit? Dazu eine neue Generation von faschistischen Unterwanderern, angefangen von den im westdeutschen Journalismus bereits als eigenes Erzähl-Topos geltenden völkischen Siedlern über eine von westdeutschen Gymnasiallehrern aufgebaute neue Nazi-Partei bis hin zu einer Bundeskanzlerin, die aus Hamburg stammt und ihren Dienstsitz vor mehr als einem Jahr zuletzt verlassen hatte, um Afrika zu besuchen, nicht Sachsen, Brandenburg oder Thüringen.

Die blühenden Landschaften jedenfalls sind es nicht geworden, dafür aber blühten die Geschäfte der Kolonisatoren und Besserwessis. Über die offenen Grenzen drangen zuletzt immer mehr auch Seuchen ein, die es so in einer von der Linken geführten DDR nicht gegeben hätte. Zwar war auch die deutsche Arbeiter- und Bauernrepublik von einer Riege aus Westdeutschen geführt worden - Erich Honecker stammte aus dem Saarland, Kurt Hager aus Bietigheim, Stoph, Mielke, Eberlein und Neumann aus West-Berlin. 

Damals aber spielten Blut, Scholle, Herkunft und vom Schicksal festgeschriebene Identität noch nicht die überragende Rolle wie heute, wo die Linke sich als Anwalt der Schwachen sieht, der umso stärker abschneidet, je mehr Schwache es gibt und je schwächer diese sind. Der Wessi, traditionell noch weniger, wenn auch aus anderen Gründen geneigt als der Sachse, sich von Parteifunktionären in ein Land der Gerechtigkeit nach den Vorstellungen von Karl Marx und Wladimir Iljitsch Lenin entführen zu lassen, steht dem Ziel im Wege, mit neuausgedachten Klassenkampfbegriffen wie "Klimagerechtigkeit", "Transformationsfonds" und "ökologisches Umsteuern" zurück an die Fleischtöpfe der Macht zu rudern. 

Der Niedergang der Linken, der die strategisch geplante Westausdehnung der Partei mittlerweile zu einem historischen Desaster hat werden lassen, wird hier schon vor den nächsten Wahlpleiten erklärt. Mit Slogans wie "Für Kindheit ohne Armut", "Gesundheit gehört in staatliche Hand" und "Klimagerechtigkeit" holt die neuformierte SED die Wähler ab, wo sie nicht sind, und sie liefert Antworten auf Fragen, die niemand stellt. Die Kinder der friedlichen Revolution, von Nahem betrachtet durchweg vom Typ strenge, ein wenig ausgezehrt wirkende Lehrerin, werden nach der Landtagswahl vermutlich nicht einmal mehr gefressen werden, weil keiner Appetit auf sie hat.

Mit dem Entsetzen Scherz: Für einen hilfreichen Humor

Es war seit alters her so: Humor soll helfen, Satire muss die Welt besser machen, Ironie und Scherz dienen einem guten Zweck, sie lassen Menschen lachen, sie trösten und versöhnen. Ein Scherz auf Kosten anderer, da bricht kollektiver Frohsinn aus: Wenn Jan Böhmermann über Ostdeutsche herzieht oder über einen Türken oder die "Heute-Show" zur Einstufung werten und unwerten Lebens schreitet, wenn das Zentrum für Politische Schönheit jüdisches Sterben verhöhnt oder sich die Bundesregierung über den Corona-Winter 2020 lustig macht - es ist hilfreicher Zynismus, Spaß im Dienst der guten Sache. Dann aber der Totalausfall. 

Ohne Prüfung des Bundeshumoramtes

Nun aber haben sich Prominente mit üblen sarkastischen Clips und ohne Vorabprüfung durch das Bundeshumoramt (BHA) gegen die Coronapolitik der Regierung gestellt. Mutmaßlich, denn beim Witz mit doppeltem Boden weiß man nie genau. Wenn es bei Feine Sahne Fischfilet heißt "Nichts ist biegsamer als meine Moral", ist das ernst gemeint oder ein Treppenwitz? Die Medienpsychologin und PPQ-Kolumnistin Svenja Prantl erklärt, aus welcher dunklen Kellerkammer der bösen deutschen Vergangenheit solcher Humor kommt, warum er nur schadet und wie es besser geht.  

Kurz vor dem Endsieg über Corona so ein Rückschlag. Wir standen wir doch schon so kurz vor dem Triumph! Es war noch eine letzte Brücke zu begehen, noch drei, vier Monate bis zum Impfziel. Wenck war in Sicht, nur noch eine letzte, kurze Offensive. Einmal Arschbacken zusammen. Einmal noch Zuhausebleiben. Zehn oder zwölfmal Anne Will und Maischberger, drei oder vier Coronakabinette, vielleicht noch eine sibirische Mutante und eine aus Kuala Lumpur. Das wäre es dann gewesen. 

Hohn und Spott in Hochglanzbildern

Stattdessen das. Ich muss gestehen, das einigermaßen fassungslos war, als ich dann diese Videos gesehen habe. Hohn und Spott, verpackt in Hochglanzbilder. Lügen, professionell geschminkt. Durchhalteparolen, die mich an die Berichte über Berichte von Hitlerjungen erinnern. Dass die Bundesregierung damals in dem, was sie selbst den "Corona-Winter 2020" nennt, etwas Gutes erreichen wollte, mag so sein. Das kann man auch tun. Das kann man auch als einzelner Mensch oder in einer konzertierten Aktion tun. 

Nur ganz konkret ist diese Aktion für mein Gefühl komplett schiefgegangen. Sie versucht es mit Jux und Satire und zum Teil auch tieferer Bedeutung. Aber als Mensch empfinde ich sie nur als zynisch. Wenn ich daran denke, dass einer ganzen Generation schon mehr als ein Jahr der Jugend verlorengegangen ist, ein Jahr, das wir zu unserer Zeit zum leben, lieben und trinken, feiern und gemeinsam sein benutzt haben, dann habe ich das Gefühl, dass dieser solidarische Gedanke mit Menschen, die nicht so privilegiert sind, wie es - um es mal deutlich zu sagen - sehr viele der Kolleginnen und Kollegen in der Berliner Blase sind, nicht gerade im Mittelpunkt steht. 

Besserwissende Schauspieler

Ja, es ist gut, wenn wenigstens einige Profis in diesen Tagen gute Filme machen dürfen. Wenn schon viele Gastronomen und der Einzelhandel auf dem Trockenen sitzen, sind hier zumindest auch einige Schauspieler beschäftigt worden. Aber hat es etwas genützt? Ging nicht nach den Corona-Winter-Filmen das große Grauen erst los? Die dritte Welle? Der Bundeslockdown im verlängerten und verschärften Wellenbrecher-Lockdown? Der zur Weihnachtsrettung ausgerufen worden war, dann aber auch Ostern nicht rettete? Sterben nicht nach wie vor viele, viele Menschen? Ringen nicht immer mehr auf den Intensivstationen um ihr Leben? 

Angesichts dieser Umstände, muss ich gestehen, kriege ich einen Hals, wenn ich in einem Video von gecasteten Darstellern Geschichten über selbsternannte Helden erzählt bekomme. Dass sich der Drehbuchschreiber vorstellte, dass zu Hause bleiben, Maske aufsetzen und die Oma wochenlang nicht sehen zur Rettung der Welt führt, mag der guten Bezahlung geschuldet sein. Aber beim Gedanken, dass diese Filmchen auch Monate später noch unreguliert im Netz stehen, selbst für Kinder zu sehen. Ich merke, wie mein Puls steigt.

Wozu eigentlich Satiregesetze?

Seien wir doch ehrlich. Ist das nicht alles ein großer Schmu, von wegen, die Leute halten sich dran? Mag sein, dass die Initiatoren diese Videos als ironisch-satirisch bezeichnen und meinen, sie unterstützten die Corona-Politik der Bundesregierung. Ich empfinde sie nur als zynisch, geschmacklos und ich sehe eine nicht einmal nur gespielte Gleichgültigkeit, mit der die Aktion über die Corona-Toten hinweghumort.Wozu haben wir denn das Bundeshumoramt? Die mehrfach überarbeiteten und nachgeschärften Satiregesetze? Das Zynismusverbot? Und die Bundessatirekammer (BSK)? Wenn am Ende doch jeder lacht, wie er will?

Vor meinem inneren Auge sehe ich beim Zuschauen unter Tränen ein anderes Video, das mir unter die Haut ging: Ein schwer kranker Mann hat den Hörer nur kurz am Ohr. Er telefoniert noch einmal mit seiner Frau. Sie sprächen das letzte Mal für einige Wochen, erklärt die Ärztin auf der Intensivstation und fügt hinzu: "Vielleicht für immer."

Der Tod, ein Meister aus Deutschland

Der 60-Jährige muss ans Beatmungsgerät, schon vier Tage später braucht er eine künstliche Lunge. Überlebenschance: gering. Es sind solche Szenen, die den kurzen Internetclips der Bundesregierung mit dem Titel "Besondere Helden" entgegenstehen. Ein Maß an Verhöhnung realer Schmerzen, realer Bedrohungen, das ich für ebenso unerträglich halte wie die als Ersatz für schnelle Impfungen geführte Debatte um schnelle Impfungen. Wie die öffentlichen Verhandlungen über die Rückgabe von Grundrechten an Geimpfte. Statt einfach zu impfen. Oder der demonstrative Gang vor Gericht, um eigene Fehler anderen zuzuschieben.

Humor muss hilfreich sein, Satire muss die Welt besser machen. Ironie und Scherz sollen immer einem guten Zweck dienen, indem sie unser Zusammenleben besser machen, uns miteinander versöhnen und gerade in schweren Zeiten niemanden über den anderen erheben. Unangebracht ist es, mit dem Entsetzen Scherz zu treiben und die Bevölkerung entlang eines Meinungskorridors zu spalten, der ohne diese Spaltung nicht da oder doch wenigstens nicht zu sehen wäre.

Montag, 26. April 2021

Selbst ist der Mann: Impfzentrum Söder

Nach vier Monaten ist die beste Impfkampagne der Welt nun schon bei fast acht Prozent der Bürgerinnen und Bürger unter der Haut angekommen, ein unleugbarer Ausweis der richtigen Strategie der Pandemiebekämpfung und des gehörigen Hochdrucks, mit dem die Bundesregierung die Lage per Lockdown unter Kontrolle hält. Ein wenig Nervosität macht sich hier und da breit, recht lange ist der letzte Impfrekord schon wieder her und ein neuer auf kurze Distanz nicht in Sicht.

Großer Frust, kleiner Fortschritt

Der Frust ist groß, der Fortschritt klein. Zuletzt rückte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn gar vom Impfversprechen seines SPD-Kabinettskollegen Olaf Scholz ab. Der hatte vor einem Monat zehn Millionen Impfdosen pro Woche ab Ende März versprochen, er selbst, so der sozialdemokratische Kanzlerkandidat, habe "dafür gesorgt". Spahn kürzte die Zusage des Finanzministers nun auf zwei Millionen Impfungen pro Woche, die irgendwann bald oder doch gegen Sommer erfolgen würden. Möglich werde dieses Impfwunder dann durch "eine eingespielten planerischem und logistischen Ablauf zwischen Bund, pharmazeutischem Großhandel, Apotheken und niedergelassenen Ärzten".

Goldene Worte, mit denen sich nur der  gescheiterte Kanzlerkandidatenkandidat der CSU nicht abfinden will. Markus Söder, von seinem vermeintlich schwächeren Konkurrenten Armin Laschet geschlagen, drängt seit seiner schmählichen Niederlage im Kanzlerkampf an der Impffront nach vorn. Dass er, der Bayern hinter Nordrhein-Westfalen auf einen beachtlichen fünften Platz der Impfhitparade geführt hat, obwohl Bayern sehr groß ist, gar nicht nach seiner Millionenvorhersage gefragt wird, wird den gebürtigen Franken wurmen. Während im Bund und in den Ländern weiterhin Zögerlichkeit regiert, hat Söder deshalb jetzt angekündigt, ab Mai alle zu impfen. 

Söder greift zur Selbsthilfe

Vor dem Impfgipfel von Bund und Ländern am Montag greift der CSU-Chef offenbar zur Selbsthilfe: Weil die vom Bundesethikrat festgelegte Impfreihenfolge im Zusammenspiel mit der EU-Kampagne gegen Astrazeneca derzeit dafür sorgt, dass die, die geimpft werden dürfen, nicht geimpft werden wollen, während die, die gern geimpft werden wollen würden, nicht für eine Impfung infragekommen, prescht Söder vor. Typisch für den bayrischen Politiker, der sich häufig als Macher inszeniert und nun mit seiner ungewöhnlichen Impfaktion versucht, für den Fall des Scheiterns von Armin Laschet im Gespräch zu bleiben.

Genaue Einzelheiten zu seiner privaten Impfkampagne verriet Söder zwar noch nicht. Allerdings ließ er erkennen, dass er auch Schüler ab 16 Jahren impfen werde - vorausgesetzt, es gebe genügend Impfstoff. "Gerade hier ist die Inzidenz am höchsten", begründete Söder seine Entscheidung. Die Altersgruppe der älteren Schülerinnen und Schüler sollte daher aus seiner Sicht "beim Impfen behandelt werden wie Erwachsene". Auch Eltern seien früher dran, Feuerwehrleute, Polizisten, Grundrechtsträger überhaupt, aber auch ganz normale Menschen, die ihr ganz normales Leben zurückhaben und bald wieder nach Mallorca wollen. Söder will alle impfen, um wieder Freiheiten verschenken zu dürfen.

Ob das Impfzentrum Söder im großen Tross oder als einsamer Spritzenstreiter durchs Land ziehen wird, welches Vakzin der Ministerpräsisdent verimpfen will und ob Termine vorangemeldet werden müssen, ist noch offen. Nähere Auskünfte dazu werden vom heutigen Impfgipfel in Berlin erwartet, der auch weitere Weichen zu stellen verspricht. Niemand rechnet damit, dass auch die anderen Ministerpräsidenten persönlich in die dritte Impfwelle eingreifen werden. Doch die Politik fordert mittlerweile immer drängender von der Politik, Menschen auch wieder ohne Einschränkungen leben zu lassen.

Kritikverbot: Ein bisschen Gras muss sein

Sollte Corona-Opfer provozieren, wurde aber weitgehend aus den Medien gehalten: Klimakinder posieren in der Elbphilharmonie.

Die Internetaktion #allesdichtmachen ist nach Ansicht des Medien- und Bedeutungsforschers Hans Achtelbuscher mit Blick auf die öffentliche Meinungsbildung problematisch, aber unerlässlich, um die Meinungsfronten zu klären. Als die Klimaaktivistin Luisa Neubauer kürzlich in der Elbphilharmonie gemodelt habe, um auf das Leid der mehr als 80.000 Corona-Opfer hinzuweisen, sei die Absicht erkennbar gewesen, zu provozieren. "Doch erst Herr Leifers und seine Mitprominenten haben jetzt wirklich hämisch Narrative bedient, die aus Sicht der Parteizentralen und der Großraumbüros Bestandteil vieler Verschwörungserzählungen sind“, sagt der Sprecher des "Forums Starker Staat".

Angewandte Enthropie

Hans Achtelbuscher forscht seit Jahren am An-Institut für Angewandte Entropie der Bundeskulturstiftung zu aktuellen Phänomenen wie dem Absterben der deutschen Rücktrittskultur, Sprachregelungsmechanismen und dem Einfluss subkutaner Wünsche auf die berichterstattete Realität. Dass vermeintlich gleichgeschaltete Medien auf eine Künstleraktion, die ihnen eine vermeintliche Gleichschaltung vorwirft, nahezu durchweg im Duktus gleichgeschalteter Medien reagieren, hält der als Erfinder der Empörungseinheit EMP bekanntgewordene studierte Enthropologe für wegweisend. "Nachts sind alle Katzen grau und getroffene bellen", folgert der Wissenschaftler aus den ersten 72 Stunden der Schlacht um #allesdichtmachen.

Aus Sicht der Medienpsychologie sei die Kampagne heute schon ein Erfolg - erst recht, nachdem der Plattformmonopolist Youtube seiner Verantwortung gerecht geworden sein und die Sichtbarkeit der staatsskeptischen und womöglich staatsfeindlichen Video eingeschränkt habe. "Da spielen natürlich auch eigene Präpositionen für Angststörungen hinein", beschreibt Achtelbuscher, "auch niemand in den Großraumredaktionen und den Gemeinsinnsendern will sich am Ende vorwerfen lassen, er habe Durchhaltekommentare verfasst, während die Regierung hunderttausende Bürgerinnen und Bürger sterben ließ, weil sie Angst vor einem Lockdown hatte."

Betretungsverbot für leere Straßen

Das höchste Maß an vorstellbarer Sicherheit etwa sichergestellt durch ein Betretungsverbot für leere Straßen nach 22 Uhr gelte natürlich auch in den Redaktionen und Kommentatorenstuben als lächerlicher Quatsch, der sich niemandem erklären lasse, der noch bei Verstand sei. Einige Redaktionen hätten aus diesem Grund auch bereits Protestnoten ans Kanzleramt verfasst und sich dringend erbeten, Maßnahmen geliefert zu bekommen, deren glaubhafte Außendarstellung nicht unmöglich sei. "Sich dem dennoch anzuschließen, ist so gesehen eine Solidaritätserklärung", sagt Hans Achtelbuscher, "man gesteht zu, ob dick, ob dünn, wir fahren im selben Boot durch die Sch..."

Die Unruhe, die vor einigen Wochen Einzug gehalten hatte, als selbst verlässlichste Leitmedien wie der Spiegel, die SZ, die Taz und die FR über eine rumpelnde Impfkampagne, ein schlechtes Krisenmanagement und sinkendes Vertrauen in die Fähigkeiten von EU, Bund und Ländern zum angemessenen und grundrechtskonformen Umgang mit der Pandemie bliesen, ist gewichen. "Man hat sich da sicherlich noch einmal tief in die Augen geschaut und gesagt, wir stehen das nun doch besser zusammen durch." Schnell seien Grenzgänger wie der CDU-Influencer Rezo, der schreibende Ruheständler Heribert Prantl und eben auch die aufmüpfige Luisa Neubauer mit ihrer provokanten Mode-Demonstration ausgegrenzt und "stillgemacht" (Achtelbuscher) worden.

Corona-Demo der Klimakinder

Als wichtige Lehre dürfe man mitnehmen, dass es gelang, die großangelegte Corona-Demo der Klimakinder nahezu komplett aus den Medien herauszuhalten. Proteste gab es nirgendwo, ähnlich wie nach der Abfolge immer hanebüchener scheinender Eindämmungsmaßnahmen der Bundesregierung. Im Ergebnis ermutige das ausschließlich innerte Echo die Fortsetzung des verfolgten Kurses. "Sobald man gemerkt hat, dass man im Grunde machen kann, was man will, macht man das eben auch."

Über den klug gesetzten Kontrareiz der Liefert-Legion war Hans Achtelbuscher denn auch eher erfreut als betrübt. Nach den derzeit geltenden Satire-Gesetzen sei zwar das Sterben an und mit Corona für humoristische Anprangerungen zugelassen, nicht aber die Benutzung von Zynismus zum Zwecke der Belustigung. "Narrative, die einen eindeutigen Fokus auf die Aufwiegelung zum Zweifel legen und selbst für den aufmerksamen Beobachter nicht als sogenannten ,Böhmermann' erkennbar sind, werten im medialen Alltagsgeschäft dramatisch ab", warnt Hans Achtelbuscher vor der Versuchung, nicht alles zu glauben.

Eindämmungsmaßnahmen gegen Zynismus

Er rechne in den kommenden Wochen zwar nicht mit einem generellen Kritikverbot an der Regierung, rechne aber doch mit Eindämmungsmaßnahmen gegen Zynismus, Zweifel und verharmlosenden Humor. "Es wundert mich nicht, dass der Applaus für die Lieferts-Filme bei Youtube größer ist als der Protest, der dem Schauspieler entgegenschlägt." So hätten mehr als 53.000 von Lieferts 1,3 Millionen Zuschauern  dessen zynischen Ausbruch positiv bewertet, nur 6.500 hingegen negativ. "Das Verhältnis ist also umgekehrt zu dem, was wir als mediales wahrnehmen könne", sagt Achtelbuscher, "und das macht uns klar, dass die Herstellung einer Einheitlichkeit auch hier dringend notwendig ist."

Es gehe darum, die übertrieben polemisch dargestellte Kritik seitens der #allesdichtmachen-Aktion, die in keinem Fall hilfreich sei, um die letzten drei, vier schweren Monate der Pandemie zu überstehen, zur Versachlichung des öffentlichen Diskurses zu nutzen. "Wer her als Nachahmer auftreten möchte, muss wissen, was ihm blüht", sagt Achtelbuscher. „Verschwörungsideologische Narrative oder Narrative, die als verschwörungsideologische Narrative verstanden oder missverstanden werden können, dürfen  durch solche Aktionen ausgemerzt werden.“

Zurückrudern im kippenden Boot

Dass die Seite allesdichtmachen.de erst offline gegangen war und dann mit einem langen Entschuldigungsschreiben versuchte, den Angriff auf die gemeinsamen Werte von Grundgesetz, EU und Ministerpräsidentenkonferenz zu einem bloßen Missverständnis zu verniedlichen, sei ermutigend. "So sieht es immer aus, wenn jemand zurückrudert, aber eigentlich schon aus dem Boot kippt." Verdeutlicht werde das durch den Umstand, dass mehrere Teilnehmer der unabgestimmten Aktion sich schon Stunden nach dem Start von ihren Beiträgen distanziert hatten und den Schulterschluss mit ihren Kritikern suchten.

Wir können daran sehen, wie viel Mut dazugehört, wie Meret Becker, Kostja Ullmann, Heike Makatsch oder Ken Duken erst in den Widerstand zu gehen und dann vor aller Augen umzukippen", erklärt Hans Achtelbuscher. Er plädiere dafür, den jungen Leuten eine zweite Chance zu geben. "Sie haben einen Fehler gemacht, aber wenn sie ihn jetzt einräumen, Selbstkritik üben und umkehren, dann sollten wir als Gesellschaft die Großherzigkeit haben, sie wieder aufzunehmen." Ein bisschen Gras müsse sein, es dürfe "ruhig über solche kleinen Affären wachsen", findet Deutschlands führender Enthropologe. "Man kann das später ja immer noch in einem Halbsatz erwähnen, um die Disziplin aufrechtzuerhalten."

Sonntag, 25. April 2021

Zitate zur Zeit: Leben ohne Lichtreiz

Drei Minuten sind vergangen. Peter stellt sich vor, wie die lichtempfindlichen Stäbchen in seiner Netzhaut fleißig Rhodopsin ansammeln, das Sehpigment, das sie zum Auslösen von Lichtreizen brauchen. 

Leider dauert die Anpassung an die Dunkelheit viel länger als der Wechsel ins Licht.

Ist das nicht irgendwie typisch für diese Welt?

Brandon Q. Morris, Die Bake

Kluge Kommunikation: Wie #allesdichtmachen die Aussperre besiegte

Sieg der Schauspieleraktion über die Ausgangssperrendiskussion.

Angela Merkel hatte bis zur letzten Minute um eine andere Begrifflichkeit gekämpft. Statt "Ausgangssperren", wie sie die als "Bevölkerungsschutzgesetz" beschlossene Neufassung des Infektionsschutzgesetzes vorsieht, möge die Kanzlerin besser stets von "Ausgangsbeschränkungen" sprechen, hatten die Experten der Bundesworthülsenfabrik (BWHF) die Regierungschefin in den Tagen vor der großen Entscheidung förmlich bekniet. Doch so entschlossen Merkel diese ihre letzte Schlacht um die Deutungshoheit auch führte: Diesmal machten die angeschlossenen Sendeanstalten nicht mit.

Pulver nicht verschossen

Das Pulver einer Regierung, die in den zurückliegenden Monaten ein Maskenversagen, einen Grenzschließungsblackout, ein Impfdesaster, den Zusammenbruch der größten Hightech-Hoffnung, einen neuen Strompreisrekord, als "Abgabe" eingeführte Steuererhöhungen und zahllose Korruptionsskandale überstanden hat, ist damit allerdings natürlich noch nicht verschossen. Schon im kurzfristigen Rückblick wird vielmehr deutlich, wie es der Kommunikationsabteilung der Großen Koalition gelang, gegen den heftigen Gegenwind aus der Opposition und sogar von Grünen und Linken zu kreuzen. Und sich binnen von nur 48 Stunden wieder zum unumschränkten Herren des Verfahrens zu werden.

Der Schlüssel für diesen überraschenden Kommunikationscoup lag ausgerechnet bei einer Aktion, die anfangs aussah wie plumpe Querdenker-Propaganda, die die Pandemiebekämpfungsleistungen der Bundesregierung schmähen sollte. Unter dem Hashtag #allenrechtmachen hatten sich fünf Handvoll Künstler, Kultruschaffende, Schauspielernde und Angehörige des Fernsehballetts von ARD und ZDF zusammengefunden, um mit verbotenem Zynismus und ungekennzeichneter Satire gegen die ja nur vorübergehende Aussetzung von Grundrechten zu sticheln. Das Echo war laut, entschlossen und einhellig. So nicht, Genossen Künstler. Schuster, bleib bei deinem Leisten. Schauspielender, lies lieber aus deinem Drehbuch vor. 

Zwei Tage im Meinungsorkan

Zwei Tage lang tobte der Meinungsorkan, zwei Tage, in denen Bundespräsident Walter Steinmeier schnell Zeit fand, das neue Bevölkerungsschutzgesetz zu unterzeichnen, das umgehend im elektronischen Bundesgesetzblatt veröffentlicht wurde und nur Stunden später in Kraft treten konnte. Den Regeln des Zweiten Grundgesetzes der Mediendynamik zufolge bekam das schon kaum noch jemand mit: In der Bühnenmitte hatten sich Liefers, Turkur und Makatsch dafür zu verantworten, dass ihr Zynismus mehr als 81.000 Corona-Tote das Leben gekostet hatte. Der Rest verschwamm.

Über Ausgangssperren oder auch nur Ausgangsbeschränkungen musste nicht mehr diskutiert werden. Drängender waren nun Verschwörungserzählungen: Wer steckt dahitler? War das ganze ein AktionMarke Storymachine, Streeck und Heinsberg? Scriptet reality? Nach nur 48 Stunden entfernte Youtube #allesdichmachen aus den Suchergebnissen, so dass interessierte Zuschauer statt der inkriminierten Kurzfilme der Aktion jetzt aufklärende Enthüllungen über die Hintergründe des Alleingangs der - inzwischen noch - 42 Zyniker finden. 

Das Ziel der Unternehmung war erreicht, der Opfergang von Jan Josef Liefers nach Canossa hatte seinen edelsten Zweck erfüllt: Die Ausgangssperre ist in Kraft, die leidigen verfassungsrechtlichen Bedenken beerdigt. Das Impfversagen spielt keine Rolle mehr, der peinliche Kandidatenstreit nicht, die historische Weichenstellung zu gemeinsamen EU-Schulden ist kein Thema und wird auch keines mehr.

Jeweils ab 22 Uhr abends kann Deutschland nun gerettet werden.

Samstag, 24. April 2021

Bundeszynismusbremse: Was Satire nun nicht mehr darf

Die Mehrheit der Kunst- und Kulturschaffenden hat sich öffentlich für die Maßnahmen der Regierung ausgesprochen.

Kunst soll sich natürlich einmischen, ja, selbstverständlich. Künstler*_Innen sollen die Finger in die Wunden legen, sensibilisieren, auch mal über das Ziel hinausschießen, laut sein und Gesicht zeigen selbst unter den Bedingungen der Maskenpflicht. Aber verantwortlich! Aber solidarisch! Aber im Einklang mit dem Teil der Hauptaufgabe, die ihnen zur Lösung übertragen worden ist! Dazu gehört ausdrücklich nicht, sich mit zynischer Ironie als Satiriker zu inszenieren. Um unter dem Schutz der Kunstfreiheit gegen die notwendigen Maßnahmen der Regierung zu hetzen und sich Beifall aus der falschen Ecke abzuholen.

Wichtige Immunreaktion des Volkskörpers

Das Beste und Wichtigste an der Aktion #allesdichtmachen, einer Kurzschlussreaktion von Deutschlands bedeutendsten Mimen auf die vorübergehende Aussetzung vor allem nächtlicher Grundrechte, war zweifellos die Immunreaktion des Volkskörpers. Obschon sich anfangs immerhin 53 Künstlerinnen, Künstler und Künstlernde zusammengefunden hatten - inzwischen wird vermutet, dass geheime Mächte und Befehle dahinterstecken - reagierte der Rest der Staatskunstszene entschlossen, unerbittlich und wie ein Schauspielernder. Jan Böhmermann, Christian Ulmen, auch der Chef der deutschen Filmakademie als Bundesschauspielleiter und der SPD-Politiker und WDR-Rundfunkrat Garrelt Duin - auf die mehr oder weniger gelungenen Videos der Aktion „allesdichtmachen“ folgte ein gänzlich unironischer Konter. Umkehren müssen die Mitmacher. Bereuen. Widerrufen. Oder man müsse sie rausschmeißen. Und bannen. 

Reihenweise kippten die selbsternannten Satiriker, Systemkritiker und Kulturrebellen nun um. Niemand möchte in diesen finalen Tagen des Pandemiekampfes, nur noch drei, vier schwere Monate entfernt vom anderen Ufer der Vollimmunisierung,  "im Lager der hasserfüllten Verleumder" (ND) stehen und über notwendige Einschränkungen beckmessern. Gegen die verbleibenden Widerständler um Tatort-Professor Boerne laufen Strafmaßnahmen an: Gehaltskürzungen, Quarantäne, Berufsverbot, über das Strafmaß ist noch nicht abschließend entschieden.

Bundeszynismusbremse

Über die Strafgründe hingegen herrscht Einigkeit. "Zynismus", bisher eine anerkannte Haltung, mit der große Dichter und Denker wie Ambrose Bierce, David Foster Wallace und Christoph Maria Herbst oder Harald Schmidt Gesellschaftskritik durch beißenden Spott äußerten, muss sich heute vorwerfen lassen, er diene nicht der gemeinsamen Sache wie es etwa die wacker weiterspielende Fußball-Bundesliga tut, der Trostsender WDR, der heute Abend mit "Das Glück kommt unverhofft" ein Lichtlein in viele traurige Wohnzimmer bringen wird, oder die Kanzlerin, die sich in ihrer letzten öffentlichen Ansprache einverstanden mit den notwendigen harten Schnitten als Schritte zur Herdenimmunität gezeigt hatte. 

Gute Satire, wie sie von "heute show", "Die Anstalt", Jan Böhmermann und Danger Dan produziert wird, darf selbstverständlich alles, denn sie baut auf ein gemeinschaftliches Lachen über hässliche alte weiße Männer, boshafte Parteien und personenstandslose Strukturen, die eines Tages besiegt sein werden. Zynismus dagegen schadet, er ist ein Volksfeind, ein Spalter, der keinen Spaß versteht, sondern Menschen verwirrt, sie zum Zweifeln bringt und in der Endkonsequenz dafür sorgt, dass die Menschen draußen im Land den Respekt vor der Bundesnotbremse und den Glauben an gerade erst erreichte Impfrekorde verlieren. 

Von Künstlernden, die der Staat ernährt, darf er erwarten, dass sie staatstragend sind, nicht spalten und niemanden auf falsche Gedanken bringen. Ist bei Hofe etwas vorzubringen, gibt das moderne Staatswesen ausreichend Wege vor: Warum konnten Liefers und Co. nicht eine ganz normale Petition ans Kanzleramt richten? Und um Gnade bitten? 

Schäbige Wohlstandsverwahrlosung

Da heißt es mutig Gegenhalten, da heißt es, alle Kräfte anspannen, um denen, die sich da außerhalb unserer Gemeinschaft gestellt haben, die Konsequenzen ihres Handeln zu verdeutlichen.  Mit "schäbig!" und "Wohlstandsverwahrlosung!" trifft der „Tagesspiegel“ den richtigen Ton, auch "spätrömische Dekadenz",  "Feinde unserer Ordnung" und "Polemik statt konstruktiver Kritik" zielen in die richtige Richtung. So lange Schauspieler, Sänger und Possenreißer keine eigenen Ideen für eine bessere Gesundheitsversorgung, zur finanziellen Ausstattung von Krankenhäusern oder der Bezahlung von Pflegerinnen haben, mögen sie doch bitte den Mund halten. 

Mit dem klaren Schuldspruch, es handele sich hier um eine "Verhöhnung der Corona-Toten!" geht das in Berlin gern "Reichsnachrichtendienst" genannte  Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) noch einen tiefen Schluck aus der Verleumdungspulle weiter. Ja, wer sich an #allesdichtmachen beteiligt hat, muss sich fragen lassen, von wem er wohl in die Irre geführt wurde, um unsere Menschen "auf einen Weg in ein ungewisses Schicksal zu treiben." 

Ob man solchen Leuten künftig noch Platz im Gemeinsinnfunk zur Verfügung wird stellen dürfen, ist eine offene Frage. Richtig aber wäre, all denen, die da durch ihre Videos Verantwortung für inzwischen  mehr als 80.000 Corona-Toten auf ihre Schultern geladen haben, klipp und klar zu sagen: "Sie alle haben durch ihr Verhalten die moralischen Werte mit Füßen getreten und sich selbst aus unserer Gesellschaft ausgegrenzt."

Olaf Scholz: Das Private ist politisch

Gleich geht es weiter mit der Ostoffensive der SPD. Hieß es im Februar 2019.

Es war der dunkle Februar im Jahr 2019, als die deutsche Sozialdemokratie gen Osten ritt. Es lief nicht gut, damals, obgleich die SPD so viel Gutes getan hatte für alle, die der Hilfe und Handreichung von Parteichefin Andrea Nahles, ihrem Mitstreiter Martin Schulz und Olaf Scholz, dem ewigen Anker der Partei bedürftig waren. 

Mit einem Zehn-Punkte-Plan ging die Chefetage der seinerzeit in Umfragen noch mit nahe 18 Prozent notierten ältesten deutschen Partei in den Wahlkampf zur sogenannten Europa-Wahl. Optimistisch wie stets: "Jetzt ist unsere Zeit: Aufarbeitung, Anerkennung und Aufbruch" nannte der Parteivorstand ein Papier, das seinen Titel von Barack Obama gestohlen hatte und allen alles versprach, vor allem in den unbekannten Landen drüben jenseits der Elblinie, wo nach der wackeren Nahkampfgestalt Sigmar Gabriel nie mehr ein Sozialdemokrat gekommen war.

Europa im Osten retten

Den Osten erobern, um Europa zu retten, das war der Plan, der zumindest in den Medien mehrere Momente lang hervorragend ankam. In Bautzen, Saalfeld und im ganzen Vogtland war man, soweit dort "Spiegel", "Vorwärts", SZ und Taz gelesen werden, zumindest mit Recht stolz darauf, dass die SPD nun befunden hatte, man dürfe dort in den tiefen Wäldern, in den kleinen Dörfern und verfallenen Städten an der Straße der Gewalt, "stolz" darauf sein, "eine große Leistung vollbracht" zu haben, damals, zu Wendezeiten, wie es Egon Krenz nennt.

Eine rasante Fahrt auf dem Propagandakarussell, die "Ungerechtigkeiten zwischen Ost und West" vorbeiflirren ließ wie ein Daumenkino. Zwölf Spiegelstriche für die Eroberung der DDR aber reichten nicht: Wenig später schleuderte es Andreas Nahles auf einen Verwaltungsposten bei der Bundesanstalt für Post und Telekommunikation (BAnstPT). Katarina Barley schaffte es nach Brüssel, Martin Schulz zündete in einer Hinterbank eine Kerze. Führung der Restpartei ging an zwei Genossinnen, die bis heute weitgehend unbekannt blieben. Nur Olaf Scholz, der Finanzminister, hielt seine Stellung - für sich, für alle, für den Osten.

Hauptstadtnah verwurzelt

Dort ist der Hamburger heute ebenso fest verwurzelt wie Annalena Baerbock, seine grüne Kanzlerkandidatinnenkonkurrentin, die wie der gebürtige Osnabrücker beschlossen hat, im schönen Brandenburg zur Wahl anzutreten. Im selben Wahlkreis wie Scholz, der die hauptstadtnahe Lage in pendlerfreundlicher Entfernung zur Herzkammer der deutschen Demokratie ebenso zu schätzen weiß wie die grüne Reformatorin. Dass die beiden Westdeutschen in den Osten gegangen sind, um dort als Vertreter der Ostdeutschen Politik zu machen, ist eine deutliche Willkommensgeste: Etwa jeder vierte der Bundestagsabgeordneten der ehemals fünf neuen Länder ist in den alten Ländern geboren, sich hier anzusiedeln, "unter Leuten" (Juli Zeh), deren demokratischer Grundausbildung noch kaum zu trauen ist, ist eine demokratisierende Tat, die weit ins Private der Pioniere ausstrahlt.

Das Private ist politisch

Doch gerade Olaf Scholz ist einer, der im Beruflichen kaum zwischen Profession und Privatleben trennt. Als der Finanzminister jetzt vor dem Wirecard-Untersuchungsausschuss aussagte, offenbarte der SPD-Wahlkämpfer auf die Frage nach seiner Kommunikation in Sachen deutsches Enron, er lösche seine "privaten Emails und SMS regelmäßig". Kein großes Ding, schon gar nicht so groß wie damals bei Hillary Clinton,  eher noch kleiner als bei Ursula von der Leyen, die vor ihren alten Handys nach Brüssel hatte flüchten müssen.  Regeln, die festlegen, wann deutsche Regierungsmitglieder ihre dienstlichen Mailaccounts nutzen müssen und wann es erlaubt ist, über private Anbieter zu kommunizieren, kenne er gar nicht, hat Scholz auf Nachfrage eingeräumt.

Ein Bruch mit allen Anti-Stress-Verordnungsforderungen des DGB, der die dienstliche Verfügbarkeit rund um die Uhr selbst für Ostdeutsche ablehnt. Doch bei Olaf Scholz ist das Private so politisch wie das Programmatische historisch. Seit Jahren schon hat kein Mensch, aber auch kein SPD-Mitglied je wieder von "Jetzt ist unsere Zeit" und den großen Plänen der zweitgrößten deutschen Partei für die Demokratisierung der dunkeldeutschen Bundesgebiete gehört, alle Bemühungen, "mit Missverständnissen zwischen Westdeutschen und Ostdeutschen aufzuräumen" und "Gespräche über die vielen Brüche, die Familien in den 90er Jahren erlebt haben, ehrlich und einander zugewandt" zu führen, "um den Osten Deutschlands zur Innovationsschmiede zu machen", sind erst eingeschlafen und schließlich einen stillen Tod gestorben.

"Jetzt ist unsere Zeit"

Olaf Scholz, der Letzte aus der alten SPD-Führung, die vor zwei Jahren gen Osten hatte reiten wollen, erinnert sich an das Ostprogramm so wenig wie an Wirecard. Doch es ist ein strategisches Vergessen, das der Finanzminister pflegt: Was niemand mehr weiß, man keinen mehr heiß. 

Selbst das "Ost-West-Kulturzentrum in einer mittelgroßen Stadt in Ostdeutschland", das der SPD-Vorstand bis zum Jahrestag der Deutschen Einheit im Oktober 2019 hatte errichten wollen, um "ein Zeichen zu setzen für einen gesamtgesellschaftlichen Dialog", ist bis heute vom politischen Phantom zum unsichtbaren Gespenst geworden, von dem selbst die Mitglieder des aktuellen SPD-Vorstandes nicht würden sagen können, wie jener "neue Leuchtturm des Dialogs" (SPD) , genau als "offener Ort der ständigen Begegnung, der Erinnerung, des Nachdenkens und der Debatte zu allen Fragen der zukünftigen Entwicklung Ostdeutschlands innerhalb der Bundesrepublik und im Kontext Europas, vor allem auch Osteuropas" hatte funktionieren sollen.