Donnerstag, 11. März 2021

Personenkennzahl: Bürgernummer gegen Grundrechte

Die Digitalisierung als Einfallstor für den Abbau von Grundrechten - dank der Pandemie funktioniert das bisher hervorragend.

Für die einen ist es ein Comeback nach 30 Jahren, für die anderen wird es ein völlig neues Gefühl sein, ein Leben unter der Lupe zu führen, von staatlichen Organen bei jeder Bewegung im Blick behalten, unbesorgt sein müssen, dass es eines Tages wie im Kinofilm kommt und man ohne Alibi dasteht, eine Überweisung nicht nachweisen kann oder die rechtzeitige Abgabe eines Formulars. Hatte die größte große Koalition aller Zeiten im Jahr 2008 bei der Einführung der sogenannten Steuer-ID noch hoch und heilig versprochen, die Individualzahl für jedes einzelne Bürger*in nur im Rahmen des Besteuerungsverfahrens einzusetzen, ist zwölf Jahre und unendlich ausdauernde Bemühungen später endlich der Durchbruch gelungen. Im Schatten der Corona-Seuche haben CDU, CSU und SPD die "Steuer-ID" in eine Personenkennzahl verwandelt, mit der jeder Einwohner künftig von den staatlichen Behörden durch sein gesamtes Leben verfolgt werden kann.

Versprechen brechen

Die Gelegenheit, das Versprechen von 2008 zu brechen und auch dem Bundesverfassungsgericht mal wieder deutlich zu machen, was Primat der Politik eigentlich meint. "Mit der Menschenwürde wäre es nicht zu vereinbaren, wenn der Staat für sich in Anspruch nehmen könnte, den Menschen zwangsweise in seiner ganzen Persönlichkeit zu registrieren und ihn damit wie eine Sache zu behandeln", hatten die Verfassungsrichter im Sommer 1969 über den Versuch geurteilt (BVerfGE 27,1,S.6), die Bürgerinnen und Bürger zu zählen und zu erfassen, im möglichst immer alles über sie zu wissen.  An Versuchen ließen es die Parteien auch danach nie fehlen. Nirgendwo ist der Respekt vor den Verfassungswerten so wenig ausgeprägt wie in der Bundespolitik, deren Aktive traditionell die Mehrzahl der gerichtsnotorischen Verfassungsbrecher stellen.
 
Erst Corona aber ließ die Seehofers und Schäubles, die wissbegierigen Sozialdemokraten und die von umfassender Überwachung träumenden Sicherheitsbehörden mit der "Bürger-Identifikationsnummer" (ehemaliger Arbeitstitel) zur Tat schreiten. Auf Vorschlag der Bundesworthülsenfabrik (BWHF) nunmehr als "Bürgernummer" verkleidet,  wird die aus DDR-Zeiten bekannte Personenkennzahl künftig genutzt, wo immer ein Leben Daten erzeugt: Mehr als 50 Behörden bekommen Zugriff auf eine zentrale Datenbank, in der erfasst wird, was an Datenspuren entsteht, wenn ein Mensch lebt. 
 

Behördliche Spurenspeicherung

 
Von der Wohnungsanmeldung bis zu Fahrzeugzulassung, von der Steuererklärung bis zum Arbeitsamt, von der Krankenkasse über die Rentenversicherung bis zu Polizei, Geheimdiensten, dem Zoll und den kommunalen Verwaltungen werden 83 Millionen Menschen zu einer zentral gespeicherten Zahl, hinter der sich ein unverwechselbares persönliches Profil aus Name, Geschlecht, Geburtsdatum, Geburtsort, Doktorgrad, Staatsangehörigkeiten und die Anschrift verbirgt. Genau diese Zuordnung und Nutzung eines solchen "einheitlichen Personenkennzeichen" als umfassendes Identifikationsmerkmal hatte das Bundesverfassungsgericht zuletzt im Volkszählungsurteil von 1983 für unzulässig erklärt.
 
Nun aber spare das Ganze ja "dem Staat Geld und den Menschen Zeit", wie der Bayerische Rundfunk in einer Mitteilung der Bundesregierung an die Bürgerinnen und Bürger hat wissen lassen. Grundrecht und "immer gleichen Daten in Formulare eintragen müssen"? Oder kein Grundrecht? , dafür aber das beruhigende Wissen, dass der Staat alles weiß und jederzeit helfend zur Seite springen kann?
 

"Bürgernummer" wird nicht gegendert

 
Für den Gemeinsinnfunk ist die Sache klar. Obwohl die "Bürgernummer" (BN) nach Angaben der "Tagesschau" vorerst wohl nicht gegendert werden soll, -ist die Begeisterung umfassend. Von der FAZ bis zum ehemals staatsdatenskeptischen "Spiegel" wird die neue Personenkennzahl (PKZ) als Durchbruch zur Digitalisierung des Staates gefeiert. 
 
Dazu unterscheidet sich die BN zumindest in der mathematischen Struktur ihres Aufbau grundsätzlich von der in der zweiten deutschen Diktatur  amtlich festgelegten Kennzahl für jeden Bürger der DDR. War diese PKZ noch zwölfstellig, wobei die ersten sechs Stellen Auskunft über das Geburtsdatum, die 7. Stelle über das Geburtsjahrhundert und das Geschlecht gaben, kommt die neue Bürgernummer datensparend mit elf Ziffern aus. Unter den ersten zehn befindet sich dabei immer eine Zahl, die doppelt beziehungsweise dreifach vorkommt; die restlichen Ziffern sind unterschiedlich, um Nachahmungen und Fälschungen zu erschweren. Die erste Ziffer ist zudem nie die Null, die elfte Zahl dient nur als Prüfziffer.
 

Vorbereitung auf Klarnamenspflicht

 
Ein Triumph deutschen Forschergeistes, zumal in Zeiten, in denen Staaten wie die USA oder Großbritannien immer noch nicht über simpelste Instrumente wie den Personalausweis verfügen. Und mutiger Sprung in ein digitales Deutschland, das nun vorbereitet ist auf die kommende Klarnamenspflicht, die Notwendigkeit der Personalausweisvorlage beim Anmelden einer E-Mail-Adresse und umfassende Mitwirkungspflichten bei der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes für Service- und Überwachungsleistungen von Bund und Ländern. Das von Bundestag und Bundesrat bereits verabschieden Registermodernisierungsgesetz muss nur noch vom Bundespräsidenten unterzeichnet werden, damit es vom Bundesverfassungsgericht in zwei, drei oder fünf Jahren wieder kassiert wird.

2 Kommentare:

Gerry hat gesagt…

Dass die Gerichte den letzten Anker darstellen, bevor das Gesellschaftsschiff in Richtung Dystopie abtreibt... Begriffe wie Demokratie, Freiheit, Eigenbestimmung; einst Eckpfeiler von großartigen Ideen, werden heutzutage nur noch höhnisch von debilen Politverbrechern im Mund geführt.

Volker hat gesagt…

"Begriffe wie Demokratie, Freiheit, Eigenbestimmung"

Ein Sammelsurium rechter Kampfbegriffe!
Fehlt nur noch Meinungsfreiheit, dann ist das Schreckensszenario komplett.