Dienstag, 2. März 2021

Europa und seine zwei Präsidenten: Spaltung als gemeinsame Haltung

Venezuela war kurze Zeit ein Herzensthema des Bundesaußenministers. Mittlerweile äußert er sich nicht mehr dazu.

W
arum auch nicht? Europa, soweit es die EU betrifft, hat zwei Maßstäbe für die "Verimpfung" (Karl Lauterbach) des AstraZeneca-Impfstoffes, drei für das Konzept offene Grenze, vier, was die Rechtsstaatlichkeit betrifft, fünf oder sechs zur Vorstellung, wie der von der Türkei annektierte Teil des EU-Bruderstaates Zypern eines Tages befreit werde soll, und vielleicht sogar mehr als 27, was die Frage  der in den europäischen Verträgen vorgesehenen Einführung des Euro in allen Mitgliedsstaaten betrifft. Dass es zur Frage, wer der rechtmäßige Präsidenten der südamerikanischen Kommunismus-Idylle Venezuela nur zwei oder drei Ansichten gab, ist schon fast verwunderlich. So einig ist die EU selten.

Zwei Jahre tiefe Spaltung

Aber es hilft ja nichts. Ziemlich genau zwei Jahre nach der großen Solidaritätserklärung der Wertegemeinschaft, bei der immerhin sieben der 27 EU-Staaten den selbsternannten neuen Präsidenten Juan Guaidó anerkannten, droht der fast vollzogene Machtwechsel nun still und schmachvoll zu scheitern. Ein Gutachten zu Venezuela, erstellt vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages, sieht die damals von Deutschland, Frankreich, Spanien, Österreich, Schweden, Dänemark und dem inzwischen ausgeschiedenen Großbritannien verkündete Anerkennung jedenfalls als fragwürdig an. Schon im Februar 2018 hatten das Italien, Griechenland und die anderen 19 EU-Länder ebenso gesehen und sich der gemeinsamen Anerkennung der vermeintlichen Gegenregierung verweigert.

Damals, lange vor der großen Krise mit der Pandemie, galt deutschen Medien diese tiefe Spaltung als gemeinsame Haltung der EU. Deren kleiner, rebellentreuer Teil war sich ausnahmsweise sogar mit US-Präsident Trump einig: Der Enteignungskommunist Maduro müsse gehen, Juan Guaidó übernehmen. 

Maas' kurzer Atem

Maduro tat allerdings nicht dergleichen. Und Heiko Maas war bald danach auch schon wieder mit der Regelung anderer Weltangelegenheiten beschäftigt. Die für den EU-Kandidaten neben ihm streitende EU-Außenministerin Federica Mogherini schied aus dem Amt, ein Mann namens Josep Borrell übernahm, der jedoch als erste Amtshandlung von Wladimir Putin zum Frühstück gegessen wurde. 

Venezuela jedenfalls geriet gänzlich in Vergessen, wie noch jeder Konflikt, den die EU nicht mit Hilfe von Appellen, Pakten und Vertagung wenigstens für zwei Minuten Tagesschau hatte lösen können. Erst recht, nachdem Guaidós Schutzpatron Trump das Weiße Haus hatte verlassen müssen - Nachfolger Joe Biden ließ erkennen, dass er auch mit einem Präsidenten Maduro leben könne, der seinen Gegenspieler stets eine US-Marionette genannt hatte.

Deutschland auf verlorenem Posten. 24 Monate ließ sich die Fata Morgana aufrechterhalten, von Berlin, Madrid und Paris aus ließe sich ein regime change auf der anderen Seite des Atlantik bewerkstelligen, indem man die Arme verschränkt und die Augen zukneift. Nun aber kommen die Juristen des Wissenschaftlichen Dienstes im Bundestag zum Schluss, dass der angebliche "Übergangspräsident" Guaidó, keinen Anspruch mehr auf die Regierungsführung hat. Einerseits liege die faktische Regierungsgewalt bei Maduro, andererseits habe die Opposition bei den Wahlen im Herbst mit der Nationalversammlung ihre letzte Machtinstitution verloren - und Guaidó damit sein Amt als Parlamentspräsident.

Europas Befreiungsversuch scheitert

Für die Bemühungen eines kleinen Teils der EU-Staaten, Venezuela zu befreien, ein harscher Rückschlag. Eben noch schien die Union kurz davor zu stehen, mit einer diplomatischen Offensive Venezuela, aber auch Weißrussland zu demokratisieren. Nun aber bleibt es im ersten Fall beim Versuch und im zweiten bei einer Umbenennung durch Übersetzung des Namens. Kaum gelindert wird der Schmerz durch ein spätes Eingeständnis des Auswärtigen Amtes, das auf eine Anfrage der Internetseite Telepolis zugeben musste, den von der aus deutscher Sicht illegitimen Maduro-Regierung entsandten venezuelanischen Botschafter in den vergangenen zwei Jahren durchgehend als offiziellen Vertreter des Landes anerkannt zu haben. 

Heiko Maas, deutscher Revolutionsführer im Kampf für ein neues Venezuela unabhängig von der völkerrechtlichen Lage, hat aus dem Scheitern seiner Umgestaltungspläne die Konsequenzen gezogen: Seit Monaten schon hat sich der Sozialdemokrat nicht mehr zu seinem Präsidenten geäußert, nicht einmal Venezuela kommt mehr in seinen aufrüttelnden Reden und wegweisenden Initiativen vor.


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