Ein Führungstreffer wie aus dem Nichts: Boyd macht das 1:0 nach einer Nietfeld-Ecke. |
Immer nur ein Punkt oder aber nicht mal einer wie zuletzt im Auswärtsspiel gegen Meppen - ein Jahr nach der Übernahme des Traineramtes durch Florian Schnorrenberg war der Hallesche FC zum Start in den zweiten Corona-Winter wieder in die Situation gerutscht, die den Klub von der Saale um den Jahreswechsel 2019/2020 in akute Abstiegsgefahr gebracht hatte. Die Stürmer trafen nicht mehr oder doch jedenfalls nur noch selten. Und die Abwehr ließ immer wieder einfache Gegentore zu. Der einzige Unterschied zu den letzten Tagen der Ära Ziegner war die Stimmung: Statt Weltuntergang vorauszuahnen, ließen die endlose Serie von Unentschieden weiterhin die Möglichkeit der Vermutung zu, nach einem Befreiungsschlag könne sich alles zum Besseren wenden.
Wann aber, wenn nicht im Heimspiel gegen den VfB Lübeck, einen Verein, gegen den die Rotweißen schon unter Sven Köhler in der Regionalliga gespielt hatten, damals noch mit Spielen wie Pavel David, Markus Müller, Thomas Neubert, Adli Lachleb und Ronny Hebestreit. Leichter als damals aber ist es heute auch nicht, zumindest nachdem die ersten fünf Minuten überstanden sind. Die hatten die Gastgeber noch im Griff gehabt, danach aber kehrt das spielerische Elend der letzten Wochen mit Macht zurück und hebt sein hässliches Haupt. Das anfangs konsequente Pressing verwandelt sich in ein symbolisches Anlaufen, das bruchstückhafte Kombinationsspiel versandet ganz.
Entscheidungsspiel gegen den Tabellenletzten
Es spielt der Gast, herzlich eingeladen von einem passiven HFC, der diesmal mit Menig in der Abwehr und dafür mit Landgraf im Mittelfeld versucht, nicht wieder in eine Konterfalle zu laufen. Das gelingt, denn wer nicht selbst spielt, kann im Vorwärtsgang keinen Ball verlieren. Weil aber auch Lübeck, angereist als Tabellenletzter mit einer Erfolgsstatistik, die nicht mit der Lupe, sondern mit dem Mikroskop gesucht werden muss, im Grunde genommen nichts Brauchbares zustandebekommt, erinnert das Geschehen auf dem ackerähnlichen Rasen des früheren Kurt-Wabbel-Stadions eher an eine wilde Schlacht im Freizeitfußball als an Dritte Liga.
Fehler, Missverständnisse und gute Ideen, die die Mitspieler unangenehm überraschen, prägen das Bild. Ein weiteres Remis deutet sich an - bis Jonas Nietfeld in der 43. Minute zur ersten Ecke des HFC stiefelt. Normalerweise bedeutet das keine Gefahr für die Torleute gegnerischer Mannschaften, denn die kurze Phase in der Vorsaison, als es gerade Ecken und Freistöße waren, die dem HFC die Ligazugehörigkeit retteten, ist schon seit Monaten vorüber. Dem Kapitän aber, vom Stürmer umgeschult zum defensiven Mittelfeldmann, gelingt das Erstaunliche: Nietfeld bananenflankt den Ball zielgenau auf den Kopf von Terrence Boyd. Und der lenkt ihn ins lange Eck, ohne hinzuschauen.
Nicht verdient, aber glücklich
Nicht verdient, aber glücklich, diese Halbzeitführung. Die Schnorrenbergs Männern überdies Mut zu machen scheint. Mit Beginn der zweiten Hälfte schnüren sie Lübeck wieder ein, mehrfach liegt das 2:0 in der Luft, ohne letztlich zu fallen. Dazu muss erst wieder Nietfeld ran: In der 51. Minute tritt der 27-Jährige seine zweite Ecke, wieder von links, wieder genau auf den Kopf eines Mitspielers. Stipe Vucur verlängert. Und am langen Pfosten steht Julian Derstroff, der das Leder ins Tor lenkt.
2:0, nun doch verdient, denn Lübeck zwingt HFC-Torwart Kai Eisele kaum einmal zum eingreifen. Wer aber glaubt, dass der HFC die in der letzten halben Stunde überaus anfälligen Grünschwarzen nun an die Wand spielen wird, um das fürchterliche eigene Torverhältnis aufzuhübschen, irrt. Selbst mit dem sicheren Vorsprung im Rücken klappt kaum etwas. Die Bälle verspringen, die Mitspieler sind nicht dort, wo der Passgeber sie wähnt, ein organisiertes Offensivspiel gelingt allenfalls über zwei, drei Stationen. Danach gurkt dort unten wieder eine Hobbyelf.
Geschenk für die Gäste
Die auch noch großzügige Geschenke verteilt. Es ist Nietfelds vierte Ecke, die die bis dahin ratlos einer klaren Auswärtsniederlage entgegensehenden Lübecker wieder ins Spiel bringt. Wieder gut getreten, diesmal aber ohne krönenden Abschluss, fliegt der abgewehrte Ball weit nach linksaußen, wo Vucur mit hochgerecktem Bein beim Versuch scheitert, den Konter frühzeitig zu unterbinden. Vor Eislele ist alles noch in Offensivformation, der Keeper selbst versucht, sein Tor zugleich links, Mitte und rechts abzudecken. Ramaj findet die Lücke und schießt von Eisele aus gesehen ins kurze Eck.
Es ist die 71. Minute und mit Blick auf die Uhr erheben sich die Gespenster all der Spiele, die zuletzt nicht gewonnen werden konnten. Schnorrenberg wechselt nun, was er wechseln kann, aber der kurze flow von vor dem 2:0 will nicht wiederkehren. Der HFC hat spürbar Angst vor dem nächsten Remis, die Gäste dagegen spielen wie im Pokal Alles oder Nichts. Das Zuschauen tut weh, je länger es dauert, desto mehr. Harte Fußballarbeit ist das, Überlebenskampf ohne Bewerbung um einen Schönheitspreis. Bis zum Ende der vierten Nachspielminute rumpelt und schleift das Geschehen im leeren Stadion dem erlösenden Schlusspfiff entgegen, eine Fahrt auf der Felge, die ihre Spannung allein aus dem Umstand bezieht, dass beide Mannschaften jederzeit in der Lage sind, den Fehler zu machen, der die Entscheidung bringt.
Er passiert nicht, und so liegen sich schließlich die Rotweißen in den Armen, überglücklich, nach einem langen Monat endlich wieder einmal drei Punkte geholt zu haben. Drei Punkte gegen den Abstieg, denn wer in Halle derzeit wirklich noch das Wort von der 2. Liga in den Mund nimmt, der kann die aktuelle Mannschaft nicht spielen gesehen haben.
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