Samstag, 16. Januar 2021

Villariba und Villabajo: Einer schneller als der andere

Während Villariba auf Eile setzte, gelang es in Villabajo, viel mehr Köche an der Arbeit zu beteiligen.

Nicht jedes Jahr, aber immer mal wieder feiern die beiden Dörfer Villarriba und Villabajo ihre Auferstehung. Dann kommen alle Einwohner auf die Straßen, es spielt fröhliche Musik, Karl Lauterbach und Peter Altmeier sitzen bei "Maybrit Illner", die zur Feier des Tages einen stechend rosa Lippenstift ausgelegt hat. Nebenan im Studio wird Anne Will von Angela Merkel empfangen, es ist mal wieder hohe Zeit, die alte Freundin zu sehen. Und eine Tür weiter sagt Jens Spahn gerade zu Markus Lanz: "Ist denn der Söder schon da?"  

Die Menschen draußen lachen jedenfalls, sie tanzen auf der Straße zwischen Kanzleramt, Parlament und Hauptstadtstudio, ein paar ganz Verrückte springen nackt in die Spree, es ist ja Spätsommer und schön warm. Sie feiern den ganzen Tag lang, weil es so schlecht ja nun auch nicht aussieht. Mag auch Villariba beinahe durchgeimpft haben. Aber Villabajo kommt auch auf zehn Prozent! Von allen! In nicht einmal zehn Monaten!

Es wird entschlossener gestorben in Villabajo

Es ist Zeit, stolz zu sein und stolz zurückzuschauen, was alles gelungen ist in wie langer kurzer Zeit. Jens Spahn erfand den Biontech-Impfstoff, Karl Lauterbach half Moderna, die richtige Mischung für ein "hochwirksames" (DPA) Vakzin zu finden. In Villariba melden die Behörden 290 000 Infektionen am Tag und mehr als 4.000 Corona-Tote täglich. Villabajo dagegen hat nur knapp 25.000 neue Ansteckungen, hier aber wird viel bereitwilliger gestorben: 1.200 jeden Tag zeigen, dass gute Seuchenpolitik zehnmal weniger Infektionen in nur viermal weniger Opfer verwandeln kann. 

Der krönende Abschluss jeder großen Krise aber ist natürlich die Siegesparade mit der Fernsehrede des Krisenbürgermeisters. Ja, es war vollkommen richtig, alles herunterzufahren, wird er sagen, denn Not kennt kein Gebot. Warum Villariba es so eilig hatte, einen Impfstoff zuzulassen, der noch gar nicht die in Villabajo vorgeschriebenen acht Wochen ausgiebig geprüft worden war, sondern nur vier, das sei doch sehr fragwürdig. Aber warum die Impfhotline  in Villabajo - im Volksmund "Corona-Leine" genannt - immer zusammenbrach und keine Termine hatte, obwohl in Villariba sogar nachts geimpft wurde, müssten später Historiker erkunden, das Problem sei ja nun behoben. "Fakt ist", sagt der Gesundheitsamtschef von Villabajo, "dass es auch nicht mehr Impfstoff gegeben hätte, wenn wir rechtzeitig mehr bestellt hätten, er wäre dann zwar an uns geliefert worden, aber dafür hätten andere Dörfer nichts bekommen."

Viel zu teuer für Villabajo

In Villariba ließ der Trottel von Bürgermeister alle in Entwicklung befindlichen Impfstoffe per Option sichern und vorproduzieren lassen. Viel zu teuer für Villabajo. Für jeden eine Dosis, hieß es hier, und immer mitbedenken, dass sich etwa 30 Prozent der Hochrisikopatienten nicht impfen lassen wollen, weil sie der Meinung sind, das Risiko sollten mal schön die Pfleger und Krankenschwestern tragen. Für die muss dann auch nicht bestellt werden. Villabajo spielte dafür seine Stärken in der Rhetorik aus: Hier war der wenige Impfstoff, der ankam, günstig eingekauft, er reichte gerechterweise für alle nicht und das kam letztenendes auch nicht sehr viel teurer als die Strategie in Villariba. Muss man sich leisten können! Und wir können es uns leisten!, rief es dazu aus dem Rathausfenster.

Teuer, aber ineffizient. Es war der gewohnte bürokratische Weg, den Villabajo ging. Faxen, Mailen, Neues ausprobieren, das noch nie gewagt worden war.  Wo Villariba im Internet lernte, schaltete Villabajo ab. Wo Villariba lernte, mit dem Virus umzugehen, arbeitete sich Villabajo zielgerichtet in eine Psychose. Mutationen! Infektionsketten! Inzidenzen! Replikation! Die Angst, einer der ältesten Einwohner von Villabajo, sorgte auch diesmal für die Beibehaltung der alten Traditionen: Wie immer machte man in Villabajo lieber einen guten Eindruck als überhastet alte Zöpfe abzuschneiden. Die Leute in Villarriba, so hieß es auf den Rathausfluren, würden schon noch sehen, was sie davon haben.

Villariba feiert, Villabajo stirbt

Während Villarriba schon wieder feiert, wird in Villabajo noch emsig gestorben und tapfer gehofft. Ein Prozent Geimpfte nach der Gerechtigkeitsformel in vier Wochen ergeben zehn Prozent Geimpfte nach 40 Wochen. Das ist nicht einmal ein ganzes Jahr und mit weiterer Beschleunigung wird im Rathaus gerechnet. Wenn erst alle anderen Staaten durchgeimpft sind, wird es eines Tages so viel Vakzin geben, dass sich jeder mit allen bis dahin zugelassenen 70 Impfstoffen "piksen" (Bundeszentralamt für Impfaufklärung, BZI) lassen können wird, wenn er die entsprechende Impfbereitschaft mitbringt. 

Das wird die Zeit sein, in der Villabajos Seuchenstrategie schon als ausgesprochen erfolgreich gelten wird. Umfragen zufolge werden sich 91 Prozent der heute noch Eingesperrten mit Wohlwollen und einem Gefühl der Dankbarkeit an die Tage im lockdown erinnern, als man am Abend beim Wein mit alten Freunden zusammensaß, die wenigstens zwei- oder dreimal die Woche vorbeischauten, um zu alarmieren, zu trösten und den neuesten Klatsch aus Villarriba zu erzählen. 63 Prozent der Überlebenden werden Villabajo dann als eindeutigen Sieger im Duell sehen und knapp über 50 Prozent werden sogar schwören, dass das eigene Dorf im Überlebensrennen von Anfang an ganz an der Spitze gelegen habe.


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