Gebannt schaut die Welt in diesen Tagen nach Berlin: Was wird später in den Geschichtsbüchern stehen? |
Manches versteht auch Angela Merkel noch immer nicht. Man war so gut, viel besser als alle anderen in der Bewältigung der Pandemie. Man hatte Schlagzeilen, die einem das bestätigten, Schlagzeilen sogar, die die Gründe dafür wussten und und haarklein analysierten, warum das so sein muss. Man hatte auch vollkommen richtig entscheiden, dass die Schuklen offen bleiben und die Grenzen offenbleiben und leiber ein paar Menschen mehr sterben sollten als dass beim Impfen nationalistische Hektik ausbrechen würde. Und nun soll das alles nicht mehr richtig gewesen sein? Nur, weil pandemiemüde gewordene treue Beifallsklatscher wie Theo Kroll, Anne Will oder Dunja Hayali die Geduld verlieren und in wagemutige Volten von einer "entglittenen Situation", einem "Impfdesaster" und einem Staatsversagen sprechen?
Historische Wunschwahrheiten
"Die
europäische Zusammenarbeit hat sich gerade, und auch der europäische
Zusammenhalt hat sich gerade in den letzten Monaten und gerade in der Pandemie
als so wichtig erwiesen", hatte Angela Merkel ihren Regierungssprecher Steffen
Seibert eben noch die historische Wahrheit verkünden lassen, wie sie nach den Wünschen der Kanzlerin eines Tages in den Geschichtsbüchern stehen wird. Bisher standen die Chancen darauf gut, denn Deutschland im Jahr der Pandemie, das war ein Land ohne Widerspruch. Was im informellen Corona-Kabinett beschlossen wurde, mochte in den Ländern jeweils unterschiedlich oder gar nicht umgesetzt worden sein. Doch wer am Sinn des Gesamtzusammenhangs der jeweils zu trockenen Sträußen gebundenen Maßnahmen zweifelte, landete potzblitz auf der Strafbank für Staatsfeinde, Superspreader, Trumpisten und Volksgefährder.
Fast zwölf Monate klafften Anspruch und Wirklichkeit, Behauptung und Bewältigung der Krise so auseinander wie die Rockschöße von Kanzleramtsminister Helge Braun. Niemand kümmerte sich um Nichts, die Kanzlerin lenkte das Land aus der sicheren Distanz ihres Youtube-Kanals, der Finanzminister tröstete mit immer neuen Hilfspaketversprechungen und Fragen wurden umgehend mit dem Hinweis auf die schlimme, schlimme Lage in anderen Staaten beerdigt. Bergamo! Spanien! USA! Brasilien!
Die Sehnsucht nach Trost
Menschen in einer solchen Situation wollen glauben, denn sie sehnen sich nach Trost. Sie verlangen nach jemandem, der ihnen Dinge zuruft wie "Wir haben die Lage im Griff" (Armin Laschet) oder "Deutschland ist gut vorbereitet" (Jens Spahn) oder auch "Kein Arbeitsplatz wird wegen Corona verlorengehen" (Peter Altmaier). Auf den Flügeln der von außen angeregten Fantasie entfleucht der Bürger folgsam den Fesseln des Ausnahmezustandes. Es wird Weihnachten besser werden, darauf vertraut er sicher. Oder dann im neuen Jahr. Oder doch zu Ostern. Spätestens, wenn alle geimpft sind. Also am Ende des Sommers. Der Bürger, im Gemeinsinnfunk nun oft "Bürger*in genannt, schweigt, glaubt und hofft, dass das alles stimmen möge, was dort erzählt wird, wo, wie er doch annimmt, mehr gewusst wird als bei ihm daheim.
Aber das muss nicht sein. Spätestens als Deutschland die alte Walter-Ulbricht-Parole vom "Überholen ohne Einzuholen" umsetzte und die nach allgemeinem Bekunden aller deutschen Medien von Donald Trump so planlos und selbstmörderisch durch die Seuche geführten USA bei den Todeszahlen hinter sich ließ, tauchte selbst bei den treuesten Vermittlern der grundguten Pandemiestrategie der größten Koalition aller Zeiten ein erster Hauch von Zweifel auf. Und als sich die allergrößte Impfkampagne aller Zeiten als eher theoretisches Vorhaben entpuppte, das nicht einmal mit empörten "Haltet-den-Dieb"-Rufen wegzutarnen war, kippte der Tenor, der nahezu ein Jahr lang für konsensualen Gleichklang von "Spiegel" über SZ, Taz, Stern, FAZ bis zur Münsteraner "Glocke" und dem Schwäbischen Tageblatt gewesen war.
Im Spagat geplatzte Adduktoren
Im Spagat zwischen Realität und Berichterstattung waren da aber schon Adduktoren geplatzt und Muskelbündel gesprengt worden, dass nur noch wahre Gläubige wie der "Zeit"-Autor Mark Schieritz ("Die
Stunde der Europäer") und die Stuttgarter Zeitung ("Der Erfolg von Angela Merkel") es wagten, zu zeigen, wie weit Satire wirklich gehen darf.
Lachen konnte nun aber schon niemand mehr, nach den vielen Monaten des "Männer haltet aus, der Führer haut euch raus!" "Ich glaube fest daran, dass wir diese Aufgabe bestehen"ist nur noch wenig Glaube übrig und viel Misstrauen. Selbst der ARD-Deutschlandtrend, eigentlich ein verlässlicher Indikator für gewünschte Stimmungen, zeigt eine Unzufriedenheitsquote von 54
Prozent - und das am Anfang eines Superwahljahres.
Selbst Angela Merkel, die nach früheren Analysen all das vom Ende her gedacht haben wird, verliert angesichts solcher Umfragen die Nerven. "Wenn ich mal auspacke, was wir schon für Fehler gemacht haben", soll die gesagt haben, andeutend, dass alles noch viel viel schlimmer hätte kommen können. Und „warum können wir die Reisen nicht verbieten?“, soll sie gefragt haben, sie, die Grenzen immer für unkontrollierbar gehalten hat. Elf Monate Seuche reichten nun aber, auch die Bundeskanzlerin eine Pandemie-Binse zu lehren: Wer die Ausbreitung eines Virus in seiner Herde kontrollieren will, braucht zuallererst einen Zaun, über den ständig neue Schafe hinzuspringen.
Brandneue Erkenntnisse aus der Schafzucht
Dort, wo wieder und wieder über das Schicksal von 83 Millionen Menschen entschieden wird, ist diese Erkenntnis offenbar brandneu und eilig wird nun nach Möglichkeiten gesucht, die Lehren daraus zu ziehen. Könnte man nicht „den Flugverkehr so ausdünnen, dass man nirgendwo mehr hinkommt?“ Oder vielleicht doch besser ein "Impfstoffbeschleunigungsliefergesetz" oder sogar eine EU-Impfstofflieferungsbeschleunigungsverordnung (ISLBVO) auf den Weg bringen? Kann der Kampf gegen rechts noch einmal entscheidend helfen? Oder besser gleich widerborstige Pharmafirmen enteignen? Sollte man vielleicht noch einmal ein Hilfspaket für alle schnüren, dass jede Kritik am Krisenmanagement unter Giga-Tonnen von bedingungslosen Pandemieeinkommen für alle erstickt?
Was, so fragt sich das politische Berlin in diesen Tagen mitten in der Mitte der "größten Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg" besorgt, vermag die schlimmste Seuchenfolge zu lindern: Die, dass einem niemand mehr über den Weg traut, weil nun jeder mitbekommen hat, dass es beim Regieren ist wie beim Führen jedes Schiffes: Den guten Kapitän erkennt man nur bei schlechtem Wetter.
2 Kommentare:
Solle Madame wider Erwarten im Herbst ihren Posten als größte Kanzlerin aller Zeiten aufgeben, wird sie sicherlich einen lukrativen Beratervertrag bei Amazon oder einem anderen Internethändler erhalten.
Bei der Vorleistung, die sie für die Förderung dieses Geschäftsmodell geleistet hat, wird der Vertrag sicherlich nicht mit einer unnötig hohen Stundenzahl belastet werden.
>Solle Madame wider Erwarten im Herbst ihren Posten als größte Kanzlerin aller Zeiten
>aufgeben, wird sie sicherlich einen lukrativen Beratervertrag bei Amazon oder einem anderen
>Internethändler erhalten.
Dafür müsste sie strategisch denken können. Sie hat keine (eigene) Strategie. Die FDJ-Plunze ist für diese Art Korruption schlicht zu dumm.
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