Am besten gar keine Rechte mehr für Rechte, dann wäre die Welt ein besserer Ort. |
Wenn der 78 Jahre alte Joe Biden heute als neuer amerikanischer Präsident vereidigt wird, übernimmt ein Konglomerat von Firmen die Führung des immer noch mächtigsten Landes der Welt, die zumeist nicht einmal älter als ein Vierteljahrhundert sind. Dank Google, Facebook, Twitter, Snapchat und der Rest des Silicon Valley sind die USA dort angekommen, wo Skeptiker der Digitalisierung die Gesellschaften des Westens irgendwann in einer dystopischen Zukunft anlangen sahen: Das Recht auf Meinungsfreiheit hat sich am Land des freedom of speech verwandelt in das Recht einiger Multimilliardenkonzerne, zu entscheiden, was genau unter dieses Recht fällt. Und wessen Recht darauf wegfallen kann und muss.
Die letzten Tage
Vor allem die letzten Tage der Präsidentschaft Trump haben Amerika und - dieselben Konzerne sind überall die Türsteher zur Wahrheit - die ganze Welt mehr verändert als die vier Jahren zuvor. Entscheidungen, die Trump da traf - Grenzschließung, Truppenabzug, Russlandkonfrontation und das Kräftemessen mit China - könnte Biden "ganz einfach rückgängig machen". Was die großen Tech-Konzerne aber getan haben, entzieht sich seinem Einfluss und es wird deshalb bleibende Spuren hinterlassen – nicht nur in den USA selber, sondern global.
Denn es war eine Machtdemonstration. Hatten die größten player im Internet zeit der Amtsperiode des "Hasspredigers" (Steinmeier) zähneknirschend zugeschaut, wie Trump seine Werte und Überzeugungen ungefiltert durch reguläre Medien, aber unter gewitzter Ausnutzung von deren Sensationsreflexen an Millionen vermittelte, fasste das Kartell der Giganten ganz zum Schluss den Mut, zuzuschlagen.
Zwar waren schon im Wahlkampf Nachrichten unterdrückt und auch seriöse Absender zeitweise breitbandig blockiert worden. Dass aber eine ganze Branche es wagt, nach offenkundig hinter den Kulissen getroffenen Absprachen einen amtierenden Regierungs- und Staatschef aus dem Internet zu werfen, ist einmalig, nicht nur wegen des Verlust von 51 Milliarden Dollar an Kursverlusten, die die Giganten dafür hinzunehmen bereit waren.
Wo ist das Kartellamt?
Ein Fall für das Kartellamt, unter gewöhnlichen Umständen. Aber natürlich eigentlich auch eins für Menschenrechtler, die überaus besorgt sein müssten über einen Zustand, in den namenlose Managerrunden darüber befinden, was hate speech ist, welcher Satz zu Gewalt aufruft und welcher Bürger vorbeugend keinen Anspruch mehr darauf haben soll, sich in sozialen Netzwerken zu äußern. Weil alles, was er schreiben könnte, Gefahr bedeutet.
Aber es ist still geblieben in der schönen neuen Welt des "Überwachungskapitalismus" (NZZ), der seine Souveränität aus dem Umstand bezieht, dass big tech jetzt direkt in der Regierung sitzt. Nein, Joe Biden ist kein Internetfreak, kein Nerd und Techie. Doch so sehr Trump für das Amerika der Stahlkocher, Eisenbahnnostalgiker und Bergleute stehen wollte, so sehr steht Biden für die neue digitale Weltmacht. Kaum war er gewählt, drehten die Kurse der virtuellen Weltmächte nach oben. Trump hatte sich stets mit den Googles, Facebooks und Apples angelegt, wenn auch nie richtig. Der Nachfolger, so spekulierten die Anleger, werde nicht durch sie gegen sie, sondern mit ihnen regieren.
Zum Wohl der Welt
Zum Wohl der Welt, in der nur Abweichler den Tabubruch kritisierten. Für alle anderen sprach Annalena Baerbock, die Grünen-Chefin, die sich auf der richtigen Seite wähnt und im Moment keine Sperrung nirgendwo zu befürchten hat. Donald Trump "das Rederecht in den sozialen Medien zu entziehen", urteilte sie, sei richtig gewesen. Und falsch ebenso: "Das hätte schon vor vier Jahren geschehen müssen."
Womöglich meint sie fünf, denn ohne Twitter wäre Trump vielleicht gar nicht Präsident geworden. So beugt die Sperre zumindest einer Wiederholung vor, sollte der "Irre" (FR) in vier Jahren noch einmal antreten, um der Nachfolger seines Nachfolgers zu werden.
Trumpismus für immer abgewählt
Gelingen wird das nicht, gelingen wird es vielleicht nie wieder, nicht nur Trump nicht sondern allen von seiner Façon, dem ganzen "Trumpismus" (NZZ) also. Die künftige amerikanische Regierung aus Politprofis und die digitalen Technokraten stehen von nun an gemeinsam an der Tür zu jeder Debatte. Sie entscheiden, wer teilnehmen darf und wer ausgesperrt bleibt, wo die Grenzen des Sagbaren liegen und wo Geschriebenes zu Gewalt wird, ohne selbst Gewalt zu sein. Wie unglaublich weit ihr Arm reicht, zeigt die Verbannung von Diensten, auf die Menschen ausweichen wollten. Parler verschwand kurzerhand - wie zuvor schon Gab.com - aus den App-Stores wie der "Spiegel" zu DDR-Zeiten aus dem Westpaket.
Dass es ausgerechnet die in der EU beständig als kleine Diktaturen geschmähten Mitgliedsländer im Osten sind, die die neue Situation nicht wahrhaben wollen, ist ein besonders pikantes Detail. Polen plant ein Gesetz, dass die Zensur sozialer Medien durch Unternehmen illegal machen soll. Medienriesen dürften nicht entscheiden, welche Ansichten richtig oder falsch sind, erklärte der polnische Ministerpräsident, der die große Säuberungsaktionen in den sozialen Netzwerken mit der Praxis in der Zeit im Sozialismus vergleicht.
Annalena Baerbock ist im Grunde derselben Meinung, nur dass ihr vorschwebt, dass der Staat einfach Gesetze macht, "die Hetze im Internet regulieren".
Die EU ist dran, sie hat die Zensur der freien Rede, bekannt aus totalitären und autoritären Regimen, längst zu einer Hauptaufgabe der kommenden Monate erklärt. Im Zusammenspiel mit den Möglichkeiten der Tech-Konzerne, ihre Werbemaschinen zu nutzen, um abweichende Ansichten vorbeugend auszuschließen, könnte das ein perfektes Paket werden, von dem spätere Generationen noch lange sprechen, wo sie noch können.
3 Kommentare:
„Uns steht ein sehr, sehr finsteres Zeitalter bevor.“
H. Danisch, 20. Jan. 2021
Ein Angst, die im Moment stärker ausgeprägt ist als die Angst vor Corona, ist die Angst (in der digitalen Welt) etwas verpassen zu können. Das ist ein einfacher und ordinärer Steuermechanismus hinter dem social networking, dem sich kaum einer entziehen kann (vor allem nicht die Politiker*innen). Das hat dazu geführt, dass jeder Pubs (vor allem von die Politiker*innen), der über die sozialen Netzwerke heraustrompetet (bzw. herausgezwitschert) wird, in seiner Bedeutung überhöht wird (ganze Journalistenscharen leben davon, die Pubse aus den Sozialen Netzwerken zu kommentieren, also sozusagen nachzupubsen oder mitzupubsen).
Allein das Nachpubsen ist inzwischen so bedeutungsvoll geworden, dass gem. den Gesetzmäßigkeiten des Trendsettings die "Social Network Abstinence" der nächste Megatrend werden wird. Soll heissen, dass zukünftige Generationen von Eliten danach bewertet werden, wie weit sie sich aus dem Sumpf der Sozialen Netzwerke heraushalten. Die Distinktion wird wieder zum Maßstab erhoben werden.
Soll heissen, dass zukünftige Generationen von Eliten danach bewertet werden, wie weit sie sich aus dem Sumpf der Sozialen Netzwerke heraushalten.
Kommt darauf an, wie man Heraushalten definiert. Die Sumpf ist zu groß und das Menschenmaterial dort zu wertvoll, um sich rauszuhalten. Spätestens seit H. Clintons Pleite 2016 haben wir das Problem, dass sich die Eliten eben nicht mehr heraushalten, weil es sie einen wichtigen Sieg gekostet hat.
Die Herrscher des Sumpfes werden sich natürlich nur soweit am törichten Geblöke seiner Bewohner beteiligen, wie es zur Lenkung der Bewohner geboten ist.
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