Dienstag, 8. Dezember 2020

Staatsfunk: Darf man das noch sagen?


E
s sollte demokratisch sein, in der Praxis aber reicht es meistens doch, wenn es demokratisch aussieht. Im Streit um die 86 Cent Erhöhung der Rundfunkgebühr, die sich in den kommenden Jahren auf immerhin 1,5 Milliarden Euro summieren werden, kreist die zentrale Diskussion um die Diskussion nicht etwa um die Frage, weshalb die Linkspartei in Sachsen-Anhalt noch vor einigen Wochen gegen eine Erhöhung war. Ehe sie dann klassisch umkippte und die CDU in die strategisch unhaltbare Situation brachte, nun allein gemeinsam mit der AfD gegen die Erhöhung zu sein.  

Sondern darum, wie erlaubt oder verboten es in Deutschland sein sollte, überhaupt Staatsfunk zu sagen zu einem Rundfunksystem, dem der Staat über eine spezielle verfassungsrechtliche und organisatorische Funktion zur Finanzierung und über ein öffentlich kaum bekanntes System der Ämterpatronage zum äußerlichen Anschein von Unabhängigkeit verhilft.

System der Ämterpratronage

Eine Unabhängigkeit, die das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahre 1993 anzweifelte, als es die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der öffentlich-rechtlichen Sender „ein Hilfsinstrument der Ministerpräsidentenkonferenz“ nannte. Danach wurde natürlich reformiert. Das Verfahren seitdem funktioniert so: Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten melden ihren Finanzbedarf bei der KEF, die Kommission prüft. Und die Landesparlamente stimmen zu.

Stimmen zu? Nun, mehr als das bleibt ihnen nicht, denn eine inhaltliche Prüfung der Notwendigkeit der von der KEF vorgeschlagenen Erhöhung findet nicht statt. Nur die Sozialverträglichkeit der Gebühr dürften die gewählten Abgeordneten als Ablehnungsgrund heranziehen. Für lustige Runden als money quote: Nein, haben sie noch nie getan.

Ein Rundfunk-Cent oder 60.000 Neuwagen

Es ist also eigentlich allein die KEF, die über die Milliarden entscheidet, im aktuellen Fall Milliarden, die zwischen Totalitarismus, Barbarei und Erhalt der Zivilisation stehen, wie der frühere CDU-Politiker Ruprecht Polenz glaubt. Die aber eben oder auch Milliarden sind, die Gebührenzahler in den kommenden Jahren daran hindern werden, 60.000 neue Mittelklassewagen zu kaufen, fünf Millionen Spiegel- oder FAZ-Abos abzuschließen, sich 30 Millionen Konzertkarten zu kaufen oder 150 Millionen Pizzen zu ordern. Das Geld ist ja weg, ausgegeben, damit nicht "noch mehr Menschen auf Lüge und Unwahrheit gestützter Propaganda" (Polenz) hereinfallen.

Zum Beispiel auf die, die da sagt, eigentlich seien ARD und ZDF mit ihren 73 Radio- und 21 Fernsehsendern überhaupt kein "Staatsfunk". Wer dergleichen behaupte, sei ein Hetzer, Feind der "zukunftssicheren Finanzierung" eines unabhängigen Rundfunksystems" (Polenz) und Ablehner von "journalistisch-unabhängige Filtern, damit wir den Fake News in der Informationsflut des Internet nicht auf den Leim gehen" (Polenz). 

Nun legen vergangene Ereignisse den Verdacht nahe, dass  Polenz nicht weiß, wovon er spricht. Bei der Bestzung von Spitzenposten in den Anstalten rutschen alle Bewerber über einen politische Besetzungscouch, Wahlen "ohne Auswahl" (Übermedien) sind hier eher Regel als Ausnahme. Doch das Finanzierungssystem sei doch unabhängig, heißt es dann, denn es seien eben nicht Politiker, die den Gemeinsinnsendern Geld zuteilen, sondern diese unabhängige "Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten" (KEF). Was soll das für ein Staatsfunk sein, der von unabhängigen Prüfern abhängt, nicht von interessegeleiteten Politikern?

Ein System der Umgehung


Ein Argument, das gut klingt, so lange die Einzelheiten und pikanten Details außen vor bleiben. Denn wie bei der Besetzung der Richterposten in den beiden Kammern des Bundesverfassungsgerichtes haben sich Deutschlands demokratische Parteien etwas einfallen lassen, um durchregieren, zugleich aber jeden Anschein eines Systems der Selbstpatronage als üble Nachrede denunzieren zu können. Eine ähnliche Alibiveranstaltung ist die schattenhaft wirkende KEF: Ihre 16 Mitglieder werden nicht öffentlich nominiert, sie werden nicht gewählt oder auf sonst irgendeine Weise mit einem unabhängigen Mandat ausgestattet. Sie alle werden, so heißt es in den systemischen Vorgaben, von den "Ländern entsandt".

Das heißt von den jeweiligen Ministerpräsidenten beauftragt.

Für wenigstens fünf Jahre - faktisch aber oft für Jahrzehnte - sitzen die Männer - unter den 16 derzeitigen KEF-Mitgliedern befindet sich nur eine einzige Frau - dann in Mainz und vertreten die Interessen. Ja, wessen Interessen? Die des Landes, das sie entsandt hat? Die der Gebührenzahler? Die des Ministerpräsidenten, der sie ausgewählt hat? Oder die von dessen Partei?

Ein Blick auf die Biografien der derzeit Berufenen gibt Aufschluss.  Heinz Fischer-Heidlberger, Mitglied der KEF seit zehn Jahren, Vorsitzender seit acht, weist seine Staatsferne durch eine beeindruckende Biografie nach. Der 68-Jährige war einst persönlicher Referent des Bayerischen Ministerpräsidenten. Dann Büroleiter des Leiters der Staatskanzlei in München. Dann nacheinander Leiter der Abteilungen Richtlinien der Politik- und Wirtschafts-, Wissenschafts-, Verkehrs- und Umweltpolitik. Ehe er Amtschef des Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz und Leiter des Bayrischen Rechnungshofes wurde. Wer Fischer-Heidlberger einen Staatsdiener nenen würde, täte ihm nicht unrecht.

Nepotismus und Stallgeruch


Sein Stellvertreter Ulrich Reimers, Mitglied bereits seit 1994, als er erstmals durch Niedersachsen berufen wurde, wirkt da auf den ersten Blick wie ein staatenloser Hippie. Auf den zweiten allerdings entpuppt sich auch der Vize-Präsident der TU Braunschweig als Mann mit strengem Stallgeruch: Bis kurz vor seiner ersten Amtszeit in der KEF hielt er als Technischer Direktor des Norddeutschen Rundfunks noch auf der Zahlungsempfängerseite die Hand auf. Dann, just nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 1993, wechselte er die Seiten, um den Auftrag der Verfassungsrichter umzusetzen, das verlangt hatte, nicht mehr die Politik selbst dürfe die Gebühren für ARD und ZDF festsetzen, das müsste unabhängig geschehen.

 

Nun, Reimers ist dafür sicher der richtige Mann, denn als ehemaliger NDR-Führungskader weiß er genau, was die Sender brauchen, was sie wünschen und wovon sie träumen. Damit entspricht er genau dem Anspruchsprofil für die Postenbesetzung in einem System ausgedacht, die Festsetzung der Höhe der Gemeinsinnspende formal an ein theoretisch unabhängiges Gremium auslagert. Dieses Gremium aber still und leise - und ohne dass jemals irgendein Leitmedium nachfragt - unmittelbar durch Einzelentscheidungen von Politikern, die sich jeder demokratischen Kontrolle entziehen, besetzt wird.

Die 14 Mitglieder, die derzeit so tun, als seien sie bereit, irgendetwas vorzuschlagen, das nicht mit den entsendenden Staatskanzleien abgesprochen ist, stehen mit ihren Namen und ihren Erwerbsbiografien dafür. Kay Barthel, vom swing state Sachsen-Anhalt bestellt, war von 2007 bis 2010 persönlicher Referent des sachsen-anhaltinischen Landesverkehrsministers und später Leiter des Ministerbüros im Ministerium für Landesentwicklung und Verkehr. Dann übernahm er den Posten als Chef des Landesrechnungshofes. 

 
Sein KEF-Kollege Hubert Schulte sammelte Meriten als Chef der Senatskanzlei in Hamburg und Bremen, er war Staatssekretär in der Senatsverwaltung für Finanzen in Berlin und Referent bei der Bundestagsfraktion der SPD. Klaus P. Behnke, im Auftrag von Rheinland-Pfalz bei der KEF, ist der Leiter der Zentralabteilung im Ministerium der Finanzen und frühere Oberfinanzpräsident der Oberfinanzdirektion Koblenz.

Marion-Claßen Beblo, die einzige Frau im Team, kommt aus der Berliner Senatsverwaltung für Justiz, sie war früher Leiterin des Referats für Haushaltswesen und ist heute Präsidentin des Rechnungshofs von Berlin.Werner Jann war früher Ministerialrat und Leiter der "Denkfabrik" in der Staatskanzlei Kiel, Christian Möller ist Prüfer der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) sowie Gutachter der Medienanstalt Berlin-Brandenburg, Jürgen Schwarz diente als Berater im Aufbaustab des Sächsischen Wirtschaftsministeriums und Regierungspräsidium Düsseldorf und Tilmann Schweisfurth kam aus dem Bundesministerium der Finanzen und war auch schon mal Leiter der Haushaltsabteilung im Sächsischen Staatsministerium der Finanzen .

Parade der Staatsdiener


Eine Parade der Staatsdiener, denen ihre Mission voranweht wie eine Alkoholfahne. Hier der Beamte aus dem Staatsministerium für Finanzen. Dort der frühere Mitarbeiter der Hartz-4-Kommission. Ein "Consultant" des Europarates und "Gutachter" der Medienanstalt Berlin-Brandenburg ist dabei. Und ein ehemaliger WDR-Volontär. Unabhängig geben sie vor, was die Landesparlamente nur noch absegnen können. Wenn nicht  ein direktes Eingreifen zugunsten der Sender erfordert, weil die KEF versagt hat: Als die Kommission zuletzt zum Schluss kam, der Rundfunkbeitrag müsse gesenkt werden, grätschten die Ministerpräsidenten direkt in das sich anbahnende Chaos. 

Und verhinderten, dass ihr Staatsfunk auf die Diät gesetzt wurde.

 


6 Kommentare:

Die Anmerkung hat gesagt…

Die Kommission besteht aus 16 unabhängigen Sachverständigen
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Welchen Sachverstandes haben die sich schuldig gemacht?

Anonym hat gesagt…

https://www.spiegel.de/kultur/tv/mdr-wuerde-klagen-wenn-rundfunkbeitrag-nicht-erhoeht-wird-a-f894e129-6ad7-40b2-802f-41e9bdda1b25

Die Sender haben ein Grundrecht auf Erhöhung, und wenn's nicht im GG steht, ist das a) egal und b) wird's eben dazugeschmiert.

Funkenmariechen hat gesagt…

Eigentlich ist es doch komplett wurscht, ob die regierungsfreundlichen Massenmedien nun wie unter Göbbels aus dem allgemeinen Steuersäckl oder wie unter Merkel mittels separater Gebühr finanziert werden, denn das Ergebnis ist dasselbe: Eine einseitige Hirnwäsche der schlichten Massengemüter.

Außerdem wäre es diskriminierend, wenn die unproduktiven Hartzer an 01.01.21 mehr bekommen, unsere fleißigen Medienschaffenden jedoch weiterhin am Hungertuch nagen müssten. Nachher fangen die auch noch an, an der weltrettenden Mission ihrer Staatspropaganda zu zweifeln.

Anonym hat gesagt…

Goebbels. So viel Zeit muß sein.

Funkenmariechen hat gesagt…

@ Anonym 2

Immerhin hast du Erbsenzähler auch so kapiert, wer gemeint war. Spar dir also deine Oberlehrerpsychose für wichtigere Themen als korrekte Rechtschreibung im Linksstaat.

Anonym hat gesagt…

Ach, es gäbe es wichtigere Themen als Rechtschreibdefizite bei Klugschietern?
Beispiele?