Mittwoch, 23. Dezember 2020

Klabauterbach: Das Comeback des Fliegenmannes

Karl Lauterbach in seiner größten Rolle als Mahner: Der ZDF-Amtskomiker Jan Böhmermann hat den früheren CDU-Mann in diese Szene aus Stephen Kings Pandemie-Fantasie "The Stand" montiert.

Selbst als er die Fliege ablegte, auf die er jahrelang so große Hoffnungen gesetzt hatte, tat sich nichts. Der Bundestagsparlamentarier Karl Lauterbach wurde wieder enttäuscht. Hatte es mit der großen Karriere schon nicht geklappt, als er noch Christdemokrat gewesen war, tat sich auch nach dem Wechsel der politischen Farbe und einem Neustart als Sozialdemokrat kaum etwas. Lauterbach war laut, er tauchte öfter in den Medien auf als andere Hinterbänkler. Aber das Establishment seiner Partei belächelte den Mann mit der schrillen Stimme und den zumeist panisch aufgerissenen Augen. Allenfalls ein paar Bundestagsreden vor leeren Rängen ließ man Karl Lauterbach halten.  

"Wortbildmarke der SPD"

Was er sagen würde, wusste er meist selbst so wenig wie er danach hätte sagen können, was er gesagt hatte. Prof. Dr. Karl Lauterbach, nach eigenem Bekunden eine "Wortbildmarke der SPD-Bundestagsfraktion", sprach zu Europarecht und Verbraucherschutz und Finanzen, Hauptsache aber, er durfte reden. Die hohe Belastung für Bundestagsparlamentarier, die er schon in Friedenszeiten beklagte, galt für ihn nie: Lauterbach, eine ausgezehrte Figur, die es vermag, nur mit der oberen Kauleiste zu lächeln, begab sich nach Dienst schon immer in eine zweite Schicht als Öffentlichkeitsarbeiter in eigener Sache. Er twittert noch  selbst, wie er betont, er setzt sich in jede Talk Show zu jedem Thema, er schreibt Gastbeiträge und hat die eigene Rolle als Mahner, Warner und  schlechtes Gewissen für alle Fälle bis auf Zellebene verinnerlicht.

Als Corona kam, war das für den direkt gewählten Abgeordneten des Wahlkreises 101 Leverkusen und Köln Mülheim  wie ein Gottesgeschenk. All das jahrelange Leiden in den Randbereichen der politischen Realität, das Geschnittenwerden durch das Parteiestablishment und die öfter spöttischen als ehrerbietigen Reaktionen der Öffentlichkeit, sie waren mit einem Schlag vergessen. Karl Lauterbach verwandelte sich in den Nationalmahner, den monster shouter, den Kareem Abdul-Jabbar in Stephen Kings "The Stand" gespielt hatte, indem er rief "Bringt Eure Toten raus!"

"Bringt eure Toten raus!"

Eine Rolle, dem gebürtigen Dürener wie auf den Leib geschrieben. Lauterbach, dem eine zeitlang vorgeworfen war, nur eine Rolle zu sein, die der bekannte Charakterdarsteller Heiner Lauterbach in Vorbereitung auf eine hochemotionale Charlotte-Link-Verfilmung als method acting betreibe, blühte im ersten lockdown auf. Im zweiten erreichte er dann die Vorstufe zum sechsten Talkshow-Dan: Im Minutentakt kamen nun Vorschläge, Hinweise und Kritiken des Klabauterbachs auf den Markt, er war hier, er war da, er war überall.

Gemeinsam mit seinem Kollegen Peter Altmeier bestritt Karl Lauterbach nach Angaben unabhängiger Forschungsinstitute nahezu ein Drittel aller Corona-Talkrunden.  Von Platz 33 an die Spitze, von insgesamt drei Auftritten in Talkshows im Jahr 2019 zu 14 im Jahr 2020 - Karl Lauterbach sei, lobte  "Der Spiegel" zum "politischen Gesicht der Coronakrise" geworden. 312 Mal zog ihn allein das frühere Nachrichtenmagazin aus Hamburg zu Rate, besser waren nur noch Donald Trump und Angela Merkel. Und im Gegensatz zum CDU-Mann Altmeier, der für Versprechungen wie "Kein Arbeitsplatz wird wegen Corona verlorengehen" zuständig war, machte sich Lauterbach mit schrillen Aufrufen, tief orgelnden Untergangsbeschreibungen und aufgefrischten Fachbegriffen aus seinem Medizinstudium Anfang der 90er um die Volksgesundheit verdient.

Zwei wie Pech und Schwefelgeruch. "Klabauterbach", wie ihn mutmaßlich rechtsextremistische Gebührenverweigerer im Netz hämisch nennen, träumt keineswegs davon, Deutschlands erster Gesundheitsdiktator zu werden. Auch, so sagen Vertraute im politischen Berlin, schiele er nicht auf einen Sieg bei der Wahl zum "Vogel des Jahres". Der 58-Jährige will nur aufrütteln, Unheil verhindern, und die britische Mutation draußen halten. Es reiche Karl Lauterbach, wenn um seine Ernennung zum Gesundheitsminister kein Weg herumführe, sobald im nächsten Herbst Schwarz und Rot und Grün die erste Kenia-Koalition zur Abwehr des Rechtsrucks und zum Wiederaufbau in Berlin bilden, sagen Menschen, die ihn besser kennen. 
 
Und das passt wirklich ganz zur stillen Bescheidenheit des  Sozialdemokraten, wie sie Millionen Fernsehzuschauer in den vergangenen Seuchen-Monaten kennenlernen durften.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Ich finde, die Selbsteinschätzung als 'Wortbildmarke der SPD' ist so wahnhaft wie es korrekt ist und das stimmigste, was dieser Mensch je von sich gab.