Früher traf man sich in aller Öffentlichkeit, heute im Bus. |
Sie schleichen sich bei Anbruch der Dämmerung aus dem Haus, harmlos lächelnd. Doch statt nur eine Runde zu gehen, Mama, ich brauche mal frische Luft, ist die neue Corona-Jugend im zweiten lockdown ihres noch so kurzen Lebens auf den Bus gekommen: Treffpunkt der herumstreifenden Mädchen und Jungen ist der öffentliche Nahverkehr, eine der letzten Oasen, in denen man unkontrolliert und behelligt Freunde treffen kann.
"Negermusik" im Jazzkeller
Frühere Generationen hatten es leicht. Im Dritten Reich fand man sich im Jazz-Keller zum Schwof zusammen, "Negermusik" (Gießener Allgemeine) erklang und das Tanzbein wurde geschwungen. Später in der DDR traten erst verschwiegene Hinterhöfe und Marktplatzecken an die Stelle der illegalen Treffpunkte, an denen sich womöglich Mutter und Vater kennengelernt hatten.
Dann, mit dem Aufkommen der ersten Kofferradios und der Hottentottenmusik des "Yeah, yeah, yeah" (Walter Ulbricht) und wie das alle hieß, traten die Langhaarigen selbstbewusst in die Öffentlichkeit. Auf Parkbänken saßen sie, am liebsten auf der Lehne. Sie lungerten auf Grünflächen und machten Spielplätze zu ihren Jugendklubs, die für viel jüngere Kinder gedacht waren. Kippen im Sand, himter der Hecke. Undenkbar das alles, heute, wo jedermann und jedes Kind nur einen anderen Menschen treffen darf. Und das möglichst nacheinander, mit Maske und Abstand bei lüftendem Fenster.
Das Küssen der süßen Sarah
Für eine Alterskohorte, die eben noch lernen durfte, dass sie selbst in der Schule absolut sicher sei, so lange sie beim Betreten und Verlassen des Schulgebäudes jeweils unterschiedliche Treppenhäuser nutze, ständig die Hände wasche und während der großen Hofpause nicht zum Rauchen mit den Mädchen der Nachbarklasse zum Dönermann nebenan verschwinde, ist das schwer zu verstehen. Wieso wird mich Julian anstecken, wenn wir uns abends treffen? Wenn er mich doch nicht angesteckt hat, als wir sechs Stunden lang nebeneinander saßen? Wieso darf ich die süße Sarah im Treppenhaus küssen, aber nicht mehr, wenn die Klingel unser letztes Stündchen abgeläutet hat?
Aus Unverständnis, weil die Corona-Politik der Bundes- und Landesregierungen auch nach neun Monaten noch nicht ausreichend und überall erklärt worden ist, erwachsen Widerstand und Verweigerung gerade dort, wo die Demokratie noch nicht so lange daheim ist, dass sie tiefe Wurzeln schlagen konnte. Im deutschen Nordosten, einer weiten und weitgehend unzivilisierten Fläche, geschieht das wie beiläufig: the kids are alrigth, keiner hustete, keiner niest. Und also wird der Bus zum Treffpunkt, nun, wo jede Gruppenbildung an der gewohnten Bushaltestelle von Corona-Detektiven, Ordnungsamts-IMs und besorgten Bürger*innen sofort beim "Bürger*innenbürgermeister*in" (Renate Künast) angezeigt werden würde.
Corona-Blues in der Straßenbahn
Gäbe es hier Städte, spielte der Corona-Blues in der Straßenbahn, auch Sonnenstudios kämen infrage. Arglos in seiner Unschuld unterlaufen die Kinder der Risikogruppen die strengen Kontaktbeschränkungen, ohne einen Schritt vor den anderen zu setzen. „Von unseren Mitarbeitern wurde festgestellt, dass besonders jüngere Personen Busfahrten nutzen, um sich in unseren Fahrzeugen mit Freunden zu treffen", klagt die Sprecherin eines Nahverkehrsunternehmens über die Unterwanderung des ÖPNV durch Gruppen von Eindämmungsordnungsleugner*innen.
Ziel ist es offenbar, auf diesem Weg die vorgeschriebenen Kontaktbeschränkungen zu umgehen, in dem eine vom Gesetzgeber eingerichtete Grauzone genutzt wird: Zwar dürfen Busse "lediglich zu Beförderungszwecken genutzt werden", doch nach aktuellem Stand gibt es keine klare Definition des Gesetzgebers, wie "Beförderungszwecke" unter Corona-Bedingungen konkret definieren: Liegt ein legitimier Fall von Beförderung bereits vor, wenn eine Person sich befördern lässt? Oder benötigt sie dazu einen von den Behörden zuvor zugewiesenen Beförderungszweck, der sich etwa aus einer amtlichen Liste von möglichen triftigen Mobilitätsanlässen ableiten ließe?
So lange diese Liste fehlt, ist der juvenilen Willkür Tür und Tor geöffnet und ausgerechnet der staatliche ÖPNV wird zum Ersatztreffpunkt für Zusammenkünfte größerer Gruppen heimat- und obdachloser Jugendgruppen. Welchen Einfluss diese eigensüchtige Unterminierung des eigentlichen Zwecks des ähnlich wie die Schulen grundsätzlich als sicher geltenden Nahverkehrs auf das Nutzungsverhalten der Hochrisikogruppen hat, muss in den kommenden Monaten und Jahren noch weiter untersucht werden. Derzeit können die betroffenen Unternehmen nur appellieren, den Missbrauch der Verkehrsinfrastruktur zum Zwecke von Treffen in der Grauzone zu unterlassen.
1 Kommentar:
OT:
>> Irminsul 20. Dezember 2020 at 20:12
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Du hast zwar Recht, aber ich muss deine Erwartungen dämpfen. Die Schlafschafe sind sehr leidensfähig. Vor 75 Jahren, nach endlosen Bombenterrornächten im Luftschutzkeller, dann bei direktem Beschuss, Toten vor der Haustür und jede Menge Zerstörung … der Glaube an den Führer und seine Wunderwaffen waren unerschütterlich. Nicht ganz so schlimm ist es heute was die Zerstörung anbetrifft, aber die Coronagläubigen sind genauso fanatisch. Der Druck aus der Politik & Medien gleicht einer mittelalterlichen Inquisition mit Hexenverfolgung. Wer nicht an Corona glaubt, brennt gesellschaftlich! Es gibt nur einen Pabst, Drosten, … und der hat einen Großinquisitor .... <<
Die spanische Inquisition hat in ihrem Einzugsgebiet den Hexenwahn im ersten Entstehen abgewürgt - Wer mit diesem Scheiß kommt, landet selbst auf dem Gril1 -- und siehe, es war Ruhe im Karton! Nein, ich bin nicht katholisch.
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