Steuern sind etwas Gutes, betont auch die Süddeutsche Zeitung. Dennoch fallen Steuerberater*innen bei der Corona-Impfung offenbar hinten runter. |
Sie fühlen sich zurückgesetzt, vergessen, nicht wertgeschätzt von einer Politik, die demonstrativ auf Applaus für Krankenschwestern, Pfleger und Ärzte setzt, Lehrer und Lehrerinnen immerhin noch eng coacht, indem sie ihnen Kniebeugen empfiehlt, und bei der Festlegung der Rang- und Reihenfolge der Durchimpfung klar erkennen lässt, dass die Gründergeneration der Bundesrepublik ebenso wie die letzten noch lebenden Täter*innen aus der dunklen Zeit des Dritten Reiches den Vorzug genießen sollen, zuerst dranzukommen.
Die einen zuerst heißt aber immer, die anderen danach. Entgegen früheren Versprechungen, mit "Zillionen von Dosen" (Ursula von der Leyen) alle Menschen weltweit gleichzeitig zu impfen, drohen nun erste Engpässe schon zum Start. Auch aus ethischen Gründen hat sich die Bundesregierung deshalb abweichend von früheren Plänen auf eine klare Rang- und Reihenfolge für die erste Testimpfungen geeinigt: Ausprobiert werden soll das Vakzin zuerst an Menschen ab 80 Jahren sowie diejenigen, die in stationären Einrichtungen zur Behandlung oder Pflege älterer oder pflegebedürftiger Menschen betreut werden oder tätig sind.
Risiko und Wahrscheinlichkeit
Danach folgen alle ab 70 Jahren sowie Menschen mit einem sehr hohen Risiko oder einer ärztlich bescheinigten hohen Wahrscheinlichkeit für einen schweren Krankheitsverlauf gemeinsam mit Bürger*innen, die in Asyl- oder Obdachlosenunterkünften leben müssen oder als Polizei- und Ordnungskräfte zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung gebraucht werden. Die sogenannte "Dritte Gruppe" bilden über 60-Jährige, Übergewichtige mit einem Body-Mass-Index von mehr als 30, Menschen mit chronischer Nieren- oder Lebererkrankung, Patientinnen und Patienten mit Immundefizienz und HIV-Infizierte sowie Menschen mit Diabetes, Herzerkrankungen oder Bluthochdruck. Auch Personen, die im Lebensmitteleinzelhandel tätig sind, sowie Erzieherinnen und Erzieher oder Lehrerinnen und Lehrer gehören dazu.
Alle anderen Werktätigen sind später dran, nach früheren Angaben der Bundesforschungsministerin sogar sehr viel später. Das sorgt nun für Unmut bei denen, die, wie sie selbst sagen, "den ganzen Laden hier am Laufen halten". Jens Spahns Verordnung mit der Einteilung der Rettungswürdigkeit der Bürgerinnen und Bürger, so heißt es in einem "Offenen Brief an die liebe Frau Bundeskanzlerin Angela Merkel" (Originalüberschrift), den eine Gruppe von ostsächsischen und südpommerschen Steuerberatung*innen im Netz veröffentlicht hat, nenne in den vorgesehenen drei Klassen von Impfpriorisiert*innen nur halb so viele Impfstoffempfänger*innen wie die Bundesimpfkommission Stiko vorgeschlagen hatte.
Wo bleiben die Leistungsträger
Dadurch fehlten sowohl sämtliche Steuerzahler*innen aus Bereichen wie Bauwirtschaft, Solarstromaufbau, Autohausverkäufer oder Kranfahrerei, sondern auch der komplette Bereich der Finanzwirtschaft inklusive der Steuerberater.
Die Enttäuschung darüber, ein weiteres Mal nicht berücksichtigt zu werden, ist dem Schreiben anzumerken. "Vom ersten Tag des ersten lockdowns an haben wir durchgearbeitet", schreiben die Unterzeichner*nnen, nie habe man sich beklagt oder nach dem Applaus verlangt, der anderen Gewerken immer wieder angeboten worden sei. "Wir waren weder auf der Straße noch haben wir staatliche Hilfszahlungen für uns reklamiert." Stattdessen habe die Branche, "ohne die in ganz Deutschland kein Rad gedreht werden könnte", still und beharrlich daran gearbeitet, "den ganzen Laden am laufen zu halten".
Der Mittelstand musste auf später erfolgende Hilfszahlungen vertröstet werden, das Ausbleiben der Novemberhilfen auch im Dezember war der Mandantschaft zu erklären und mehr als einmal habe man Unternehmer im zweiten lockdown im Herbst überreden müssen, jetzt noch nicht Insolvenz anzumelden.
Lohn der Mühe
Der Lohn der Mühe aber war Ignoranz. "Frau Bundeskanzlerin Angela Merkel", heißt es in dem Schreiben ans Kanzleramt, "mit großem Erstaunen und große Freude haben wir gelesen, dass die Impfung mit dem neuen Grippeimpfstoff jetzt schon beginnen soll." Entsetzen und auch ein Stückchen Verzweiflung habe sich dann aber breitgemacht, als Steuerberaterinnen, Steuerberater und Steuerberatende überall im Lande feststellen mussten, dass "unser unerlässlicher Beitrag zur Aufrechterhaltung der kritischen Infrastruktur in Deutschland in Pandemiezeiten rundheraus geleugnet wird."
Obwohl eines der Merkmale des Staates seit alters her die Fähigkeit der jeweiligen Staatsmacht sei, Steuern zu erheben, werde gerade vom Finanzminister so getan, als erledige sich diese schwierige Aufgabe von allein. "Herr Scholz tritt ausschließlich als Geldverteiler auf", klagen die Absender, "woher die Billionen kommen und wer sie für ihn auftreibt, scheint ihn gar nicht zu interessieren." Weder habe sich der Finanzminister in den vergangenen Monaten einmal vor Ort in einer Steuerkanzlei oder in einem der gleichfalls betroffenen Finanzämter sehen lassen, um sich ein Bild von der Lage zu machen. "Noch gab es ein einziges Wort der Wertschätzung für unsere Arbeit, die durch Maskenpflicht und Abstandshaltung nicht einfacher geworden ist."
Menschliche Dramen, nur mühsam verborgen hinter emotional spürbar zurückgenommenen Sätzen. Wie verletzt und zurückgesetzt sich die gesamte Branche fühlt, verrät ein Absatz, in dem Frau Merkel und Herr Scholz in Erinnerung gerufen wird, was Deutschland seinen steuereintreibenden Berufen zu verdanken hat. "Ohne uns wäre es Ihnen nicht möglich, heute schon die staatlichen Steuereinnahmen des Jahres 2074 als Sicherheit für neue Schulden zu verpfänden."
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