Donnerstag, 31. Dezember 2020

Danke, 2020: Die Hitparade des Übelsten

Das Lied zur Zeit: Mancher schüttelt schon seit Jahren nur noch mit dem Kopf.

PPQ.li als desasterbegleitendes Leseangebot bedankt sich bei allen Leserinnen, Lesern und den neu dazugestoßenen Lesenden für die Treue im zurückliegenden Jahr, für unzählige Kommentare, für Hass und Zuspruch, Pöbelei und Lob, Beschimpfungen und Jobangebote.

Wir wissen heute mehr über das Virus als noch vor einem Jahr, zum Beispiel, dass es von ganz normal bis Ausgangssperre wirklich nur nicht einmal 100 Tage dauert und von Merkels Weigerung, eine Symbolmaske zu tragen, bis zu den ersten Maskenbildern auch nur knapp länger.

Eingeteilt wird auch diese Krise später von Historikern in die drei klassischen Phasen, die von früheren Weltuntergängen bekannt sind. Anfangs ist da immer Leugnung, es wird nicht so schlimm kommen, wie es, jeder ahnt das, wohl kommen wird. Angefangen bei den Spitzen der Politik, die aus naheliegenden Gründen nun fast täglich und oft mehrfach im Fernsehen auftauchen und ein gelassenes Gesicht vorzeigen, wird in aller Gemütsruhe und mit großer Entschlossenheit dementiert, dass es irgendeine größere Herausforderung geben könnte.

Ruhe ist in dieser ersten Phase der Entwicklung erste Bürgerpflicht. Wer auf die große dunkle Wand verweist, die sich nähert, und nach Regenschirmen für alle ruft, ist ebenso verdächtig wie  der Typ des Bevorraters, der sich denkt, dass es besser ist, man hat als man hätte. Wölfe am Gemeinwesen, deren Tun das Vorhaben unterminiert, das kommende Übel abzureiten, ohne den Teufel jemals beim Namen zu nennen.

Es folgt natürlich die kurze Zeit der Gewissheit, dass man nichts Genaues weiß, aber irgendetwas machen muss, von dem man annehmen kann, dass es auch nichts mehr bringt. Aber Macher müssen tun und also machen sie, je weniger es nützt, desto größer wird die Entschlossenheit. Ein Wettlauf beginnt zwischen der drohenden Enttarnung aller Maßnahmen als homöopathischer Hokuspokus und dem Ruf, es sei nur noch nicht genug von der unwirksamen Medizin verabreicht worden.

Es gewinnt wie immer die Unvernunft, es kommt zum "Nun-ist-es-auch-egal"-Moment einerseits und zum Ruf nach der Armee Wenck auf der anderen Seite, eine bunter Truppe von Impfstoffherstellern diesmal, die liefern könnten, aber nicht sollen, aber müssen, jedoch nicht dürfen, so lange Afrika nicht auch. Durchhalten bis zum Entsatz durch die mobilen Impfstrupps, Zähne zusammenbeißen und bloß nicht Böllern oder Alkohol.

Wir freuen uns auf die kommenden zwölf Monate, denn schlechte Zeiten sind gute Zeiten für einen Journalismus, der sich mit niemandem gemein macht.

Hier noch die am wenigsten gelesenen PPQ-Artikel des Jahrgangs 2020. Sie haben Besseres verdient, wie so viele.

  1. Ein Rest Regierungsvertrauen: Der Tiefkühltruhenindikator 
  2. Corona Dignidad: Die Gesundbeter 
  3. Doku Deutschland: Tagebuch meines Verschwindens 
  4. Merkel-Medien: Die Fankurve trägt Trauer 
  5. Fünf Jahre Zustrom: Wie wir Syrien geschafft haben 
  6. Goldgrube Desinformation: Fake News gegen Fakten 
  7. Nachrichtenagentur DPA: Die Heldenfabrik 
  8. Magie der großen Zahl: Tausende Milliarden 
  9. Sieg des Nahlismus: Auf dem Postenkarussell 
  10.  Omerta Islamico: Die Krokodilstränen des Kevin Kühnert


2020: Das Jahr mit dem großen C

Das Jahr im Rückblick: Nie zuvor hat die Realität so deutlich gezeigt, dass Satire auch zu weit gehen kann.

Wieder ein Jahr rum, wieder alles noch verrückter. Dass die Welt aus den Fugen ist, steht nun nicht mehr nur hier bei PPQ, wo bereits seit Jahren vor diesem Phänomen gewarnt wird. Sondern überall und flächendeckend. Für Satire ein Herrenwitz, denn sie geht unterdessen täglich so weit, dass es oft kaum noch geraten scheint, Standardwerkzeuge wie Übertreibung, Zuspitzung und gallebittere Verschärfung einzusetzen. Niemand hat die Absicht, über irgendetwas zu lachen, denn alles ist auch so schon ernst genug.  

Am Anfang war das Ende

Dafür sprechen schon die Themen des Jahres, angeführt vom Coronavirus, gefolgt von der Corona-Krise. Direkt dahinter lag Covid-19, dann gab es noch kurz die US-Wahl, das war es auch schon. "as angefangen hatte mit einer von der Kanzlerin persönlich aus dem fernen Afrika verfügten Rückabwicklung einer regionalen Wahl, entwickelte sich wenig später zu einem ganzheitlichen Debakel für die Demokratie, die Wirtschaft, die Kultur, die Hoffnung mancher auf das Erstehen einer neuen Diktatur, aber darauf, dass Europa helfen oder aber dass es an der Herausforderung zerbrechen möge. 

Die neu angesetzte Abstimmung in Erfurt markierte das Ende der Demokratie in ihrer traditionellen Form und den Übergang zur Kommandowirtschaft im Krisenmodus. Hatten Thrillerautoren und Hollywood-Drehbuchschreiber bis etwa Mitte März immer imaginiert, dass eine altgediente und vielfach bewährte Parlamentsdemokratie nur die schuftigen Schweinereien eingeschworener Feinde der  verfassungsmäßigen Ordnung unterminiert werden könne, zeigte sich plötzlich, dass das auch auf dem Verordnungswege möglich ist. 

Die Bahnsteigkarte zur Corona-Ordnung

Kaum war die Pandemie ausgerufen, verfiel das größte demokratische Parlament der Welt in ein Monate andauerndes Schweigen, es regierte ein "Corona-Kabinett", das von keinem der Verfassungsväter und auch von keiner Verfassungsmutter auch nur erwähnt worden war. Der Deutsche hatte für seine Revolution diesmal keine Bahnsteigkarte erworben, sondern eine Einwegmaske, deren Wirksamkeit sich der vierten oder sechsten Eindämmungsverordnung verdankte: Die hatte beschlossen, dass es nun so sei und die, die zuvor Zweifel geäußert hatten, auf immer zu schweigen hätten.

Umsturz, Aufstand, kritischer Rückblick, Fehlerdiskussion, besser machen. Nichts davon geschah. Das Katastrophenjahr 2020 entpuppte sich als kleines Karo. Die Koalition in Berlin hielt nicht nur, sie wurde endgültig zu einer ganz, ganz großen, an der alle Parteien teilnahmen, soweit sie nicht nach Urteil der Konkurrenz verfassungsfeindlich sind. Die Schicksalsfrage Klima, bis zum Eintreffen der ersten Virenträger bei einem Autozulieferer in Bayern die bedeutsamste Herausforderung seit der Entscheidung der Kreter zur Entwaldung Kretas zum Zwecke des Schiffbaus, wurde diskussionslos beiseitegelegt. Die Pleite von Wirecard, Deutschlands nahezu einzigem Beitrag zur Internetwelt, nahm man ebenso achselzuckend zur Kenntnis. wie die Mitteilung aus Berlin, dass ein neuer Öko-Soli namens CO2-Abgabe den bisherigen Soli ablösen werde. 

Keinen Millimeter dem Impfstoffnationalismus

Es ist nun eben so. Nun sind sie halt da. Hätte noch viel schlimmer kommen können. So lange man noch raus darf. Schulen sind keine hot spots. Der Nahverkehr ist kein Ansteckungsschwerpunkt.Wir schaffen das. Grenzen kann man nicht schließen. Dann ist das nicht mehr mein Deutschland. Zwei Grad sind das Ziel, besser noch einsfünfzig, man weiß ja nie. Kein Millimeter dem Impfstoffnationalismus!

Nach 2020 ist alles vorstellbar. Angela Merkel könnte weitermachen, einfach, weil sie es kann. Sie könnte auch quer werden oder Bäuerin oder Kosmonautin. Oder sich im Fernsehen impfen lassen, als letztes Opfer für das Volk, dem sie so viele Jahre wie sonst fast keiner gedient hat. Nichts würde niemanden mehr wundern. Jens Spahn wiederum könnte Verteidigungsminister im Kabinett Laschet werden und Ursula von der Leyen den Friedensnobelpreis bekommen, weil sie für Europa so sparsam Impfstoff bestellt hat, dass andere Länder nicht gegen die EU in den Krieg ziehen müssen, um die Vorräte der Wertegemeinschaft an Comirnaty zu erobern. In ihrer Dankesrede würde sich die Niedersächsin dann ausdrücklich bei unseren Menschen bedanken, deren Geduld, lieber ein wenig länger zu sterben als ein schlechtes Bild abzugeben, gar nicht hoch genug wertgeschätzt werden könne.

Die Wiederkehr des Ewiggleichen

Die Wiederkehr des Ewiggleichen in immer neuen Kostümen und Verwandlungen hatte Pause anno 2020. Diesmal kam das Immergleiche immergleich daher: Die Kunst-und Kulturschaffenden wurden auf Kurzarbeit Null gesetzt wie einst die kernigen Industriearbeiter der übernommenen DDR. Der Gemeinsinnfunk zeterte, weil man ihm seine hochverdiente Gebührenerhöhung verweigert hatte, so dass er künftig kaum noch in der Lage sein wird, alle privaten Konkurrenten beim Erwerb von Sportrechten für Bundesliga und Biathlon zu überbieten. Wer die Gefahr von Corona im März leugnete, war beim ZDF oder der ARD. Wer sie im August leugnete, ein staatsgefährdenden Querdenker. 

Alles nicht schlimm, alles das Übliche, nur überdreht ins Absurde und im schnellen Vorlauf alter Kassettenrekorder abgespielt. Ein Mann wie Karl Lauterbach sprach sogar im richtigen Talkshow-Leben mit einer gepitchten Stimme: Immer Diskant, immer Kopfstimme. Der Soundtrack zum Untergang war ein mongolischer Obertongesang, der nach Zahnschmerzen klang.

Das Jahr Lauterbach

Wäre das Jahr ein Foto, würde es diesen ausgezehrten Genossen zeigen, zerfressen vom biblischen Ehrgeiz, es doch noch ganz nach oben zu schaffen. Wäre das Jahr ein Buchstabe, wäre es das C, ein Vorderzungenvokal mit einer im Deutschen durchschnittlichen Häufigkeit von 3,06 Prozent, das entspricht einer Seuchenhäufigkeit von drei Jahren auf hundert, passt also genau.  Als Gamma bezeichnet das C in der Hochenergiephysik die Zerfallsbreite. Gamma 100, Minimum.


Wäre C in Baum, den sie damals in Kreta nicht gefällt haben, trüge er Tollkirschen als Frucht. Wäre es ein Tier, dann ein Frosch mit der Maske, der zur Computermaus wird, würfe ihn die Prinzessin gegen die Wand der Intensivstation. Und wäre es eine Fernsehsendung, dann "Monitor" mit Georg Restle, einem Eiferer vor dem Herrn, dessen ganzes Schaffen sich der Fähigkeit verdankt, die eigenen Sendungen schneller zu vergessen als sie ausgestrahlt worden sind. Das "C" in "Monitor" steht für unparteiisch und objektiv. Die Gnade der öffentlich-rechtlichen Demenz: Jeder Tag ist neu, jeder Tag bringt neue, peinigende Fragen nach Moral, Ethik und wer das alles bezahlen soll. Aber mit der Antwort, es müsse mehr Geld in den Kampf gegen Rechts, gegen fake news und für Erneuerbare fließen, liegst du nie falsch. 

Keine Frage ist auch eine Antwort, die immer passt. Eigentlich wäre die Diskussion damit beendet. Deutschland vor, noch ein Tor. Aber sie treffen ja nicht mehr, nicht mal sie. Man würde gern glauben, kann es aber nicht, weil immer, wenn man es getan hat, passierte anschließend etwas, dass einen eines viel Besseren belehrte. Gebranntes Kind, verbrannte Erde. Im Januar ist es kälter als im August und nachts kälter als draußen, aber die Wissenschaft, von der zuletzt mehr die Rede denn jemals zuvor, wird entgegnen, dass die Absolutheit dieser Aussage keineswegs richtig ist. Da gab es zum Beispiel mal diesen Tag im Januar 1973, da waren es auf manchen Terassen 15 Grad, und erst im letzten Jahr im August sehr kühl.

Niemand kann wissen, was er nicht weiß und das P in Pandemie steht für Verwirrung und Versagen vom Rahmen bis zur Tür. Viele sind gerade in den harten tagen des lockdown viel zu gut gewesen, um wahr zu sein, nicht zu sich selbst, aber auch nicht zu anderen. Wohneigentum mit Rheinblick gibt Einblicke, das Kanzleramt hat einen fantastischen Ausblick. Auf ein Land, das in der Einbildung lebt, alle anderen würden zu ihm aufschauen, es bewundern und seinem Vorbild nacheifern. Dabei weiß in Ohio kaum jemand, wo Schwerin liegt, in China ist wenig bekannt über das Leben in Wiesbaden und wer in Rio nach den Strom- und Brotpreisen von Bayreuth fragt, bekommt meist keine Auskunft, sondern die Gegenfrage "Wo?" gestellt.

Kleiner als gedacht

Deutschland ist kleiner als es selbst glaubt, nicht zuletzt diese Erkenntnis hat die Seuche zutage gefördert. Je länger sie andauerte, desto deutlicher wurde, dass die Herzkammer der europäischen Idee Rhythmusstörungen hat, Hitzewallen und Schüttelfrost überfielen das Gemeinwesen in schönem Wechsel. Die Fußballligen haben weitgehend weitergespielt und damit bewiesen, dass es keine Zuschauer braucht, so lange es Fernsehsender gibt. Die Fernsehsender haben weitergesendet, selbst die, die noch nie Zuschauer hatten. Und bewiesen, dass sie keine brauchen, so lange es Werbekunden gibt. Die Werbekunden wiederum warben für Dinge, die es nicht zu kaufen gab, weil die Geschäfte geschlossen hatten. Zieladresse Langzeitgedächtnis. Die Hoffnung stirbt zuletzt, aber sie stirbt einen leisen Tod.

Die Realität selbst ist im Begriff, zynischer zu übertreiben als es jeder Apokalyptiker vermag. Sie war 2020 schwärzer, grüner und roter zugleich. Sie brachte eine Pandemie, die die Zahl der Sterbefälle in Deutschland kaum beeinflusste, dafür aber Kliniken in die Zahlungsunfähigkeit zu treiben drohte, sie ließ den Fußball fast durchweg rollen, mit Rücksicht auf das Ansteckungsrisiko aber nicht den Tennis- oder Golfball. Es war wahrlich nicht alles schlecht. Manches an diesem 2020 war auch richtig schlimm.

Die Hoffnung stirbt zuerst

Es gibt wenig Hoffnung, dass es besser werden wird. Vor der Tür stehen wie immer Wahlen, die gewonnen werden wollen. Dazu wird jedes Mittel recht sein, jede Lüge, jeder Verrat, jedes populistische Umlenken auf offener Bühne. Es wird viel von Angst die Rede sein, damit niemand auf die Idee kommt, es könne sich um Furcht handeln. Es wird zum Kampf geblasen werden, aus allen Rohren schießend werden die Demagogen aufmarschieren und sich freisprechen von jeder Verantwortung.

Das Schöne daran ist, dass für Unterhaltung gesorgt sein wird, wie sie sich kein Drehbuchschreiber ausdenken kann. 

Mittwoch, 30. Dezember 2020

Vogel des Jahres: Zwei Himmelhunde für die Seuchenhölle

Der Bundesmahnbeauftragte hebt den Zeigefinger, der Bundesberuhigungsminister kann schon Entwarnung geben: Karl Lauterbach und Pater Altmaier spielten das Seuchenjahr als Zwei-Mann-Stück durch.

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ass es denkbar knapp werden würde im Zieleinlauf, das war vorher klar. Kaum jemals zuvor hatte sich ein Medienphänomen so dynamisch entwickelt wie das des Corona-Warners Karl Lauterbach, nie zuvor aber war auch ein Posten wie der des Bundesberuhigungsministers so überzeugend besetzt gewesen wie im Pandemiejahr 2020 mit Peter Altmaier, einem schwergewichtigen Saarländer, der in jeder Situation die richtigen Worte fand, ohne sie gesucht zu haben.  

Illustre Kandidaten ohne Chance

Bei der Wahl zum "Vogel des Jahres", wegen der  Pandemiebedingungen von PPQ.li und dem An-Institut für angewandte Entropie des Bundesunkulturstiftung in Brandenburg erstmals als reiner Online-Wettbewerb ausgetragen, hatten andere, durchaus illustre Kandidaten denn auch keine Chance. Weder der Redaktionsfavorit Ralf Stegner noch die als bunte Medienhunde geltenden Attila Hildmann, Xavier Naidoo, Norbert Röttgen und Der Wendler konnten in der Beliebtheit beim Publikum mit Lauterbach und Altmeier mithalten.

Insgesamt je 14 Mal sind Peter Altmaier und Karl Lauterbach 2020 in den Polit- und Gesellschafts-Talks von ARD und ZDF zu Gast gewesen - das ist Weltrekord für Gemeinsinnsendungen, denn thematisch ging es in 66 der 106 Ausstrahlungen von "Anne Will", "Maischberger", "Plasbeck" und Co. um Corona, nur in acht um die US-Wahlen. Lauterbach und Altmaier bestritten allein ein Viertel aller Produktionen. Angemessen kostengünstig, obwohl "Anne Will" mit 3.000 Euro pro Minute eine der teuersten Sendungen im Gebührenfunk ist.

Sancho Panza im Fleischkleid

Doch in der Krise, in der die Kanzlerin nach wenigen Tagen im off verschwand, aus dem sie sich nur noch mit regelmäßigen Videobotschaften auf einem amerikanischen Digitalportal meldete, gab es eben so viel zu mahnen und zu warnen (Lauterbach) wie beruhigend auf die Bevölkerung einzuwirken (Altmaier). Im Zuschauen war zu sehen, wie die beiden so ungleichen Männer ihre Rollen entdeckten und nach und nach entwickelten. Hier der dicke Sancho Panza in einem verschwenderisch geschnittenen Fleischkleid. Dort der ausgezehrte Ritter von der traurigen Gestalt, habichtartig nervös und sichtlich von ganz eigenen Dämonen in die Öffentlichkeit getrieben. So klein und traurig der eine wirkte, so heftig provozierte der andere bei seinen für Einspielfilme gewagten kurzen Fahrradfahrten den Wunsch, er möge doch besser eauf in titanenes Doppelgestänge vertrauen. 

Beide Männer, der eine Christdemokrat, der andere aus der CDU zur Sozialdemokratie konvertiert, startete ihren Aufstieg von der belächelten Politikerkarikatur  mit großen Sätzen. "Kein Arbeitsplatz wird wegen Corona verlorengehen", versicherte Altmaier schon im März, lange bevor die Trillionenrettungspakete auf ihren langen, langen Weg durch die europäischen Institutionen gingen. Lauterbach dagegen, als anerkanntes Mitglied der bundesdeutschen Vielfliegergemeinde, konzentrierte sich von Anbeginn an auf Warnungen vor dem Weltuntergang. Wo er Platz nahm, rief er näselnd und nörgelnd "Bringt Eure Toten 'raus!", jede Mutation, jede steile Statistik und jedes rote Fleckchen auf der Ansteckungskarte waren ihm Vorlage für die Forderung nach strengeren  Maßnahmen, Strafen und mehr Eindämmung.

Stars in der Virus-Manege

Dass die beiden Stars in der Virus-Manege der eigenen Magie erlegen waren, konnte nicht bezweifeln, wer sie sah. An gefühlten Schalthebeln der Macht hantierend wie der Baggerführer Willibald an den Steuerknüppeln seiner Maschine, verkörperten Karl Lauterbach und Peter Altmaier das Deutschland der Pandemie als Kleinstgruppe unter Ausschluss der Bevölkerungsteile, der keine Plattform zu geben aus Gründen des Seuchenschutzes Verfassungsrang erhalten hatte. Beide waren Mahner, Warner, Aufrüttler, Alarmsirene, Stachel im Seuchenfleisch, Vordenker und Alltagsexperte (Lauterbach) oder aber Tröster, Auskenner, Vorausberechner, Antizipierer, menschliches Rettungspaket, Beschwichtiger und Beruhiger.

Viele Rollen, zwei Darsteller

Genau, was es braucht, wenn alles vor die Hunde zu gehen scheint. Mit "Sie kennen mich" hatte Angela Merkel vor der letzten Bundestagswahl ihr Wahlprogramm beschrieben, mit "die kennen Sie" besetzten die Gemeinsinnsender in ihrem Überlebenskampf ihre Talkshow-Couch wie altgediente Kanzler ihre Kabinette: Die Kreise werden immer enger, die stichwortgebenden Fragen reine Routine, die antwortsimulierenden Sätze stereotyper.

Kann alles, weiß alles und das noch besser als vorher, nach diesem Drehbuch spielten die beiden Himmelhunde in der Seuchenhölle der Erziehungsmedien ihre Rollen. Mit beispiellosem Erfolg: Längst sieht sich Lauterbach zu Höherem berufen, der  ewige Hinterbänkler mit der exaltierten Fliege könnte jetzt Gesundheitsminisiter werden oder WHO-Chef, aber auch Kanzler, Kaiser oder Königin. Peter Altmaier dagegen, einer der letzten treuen Prätorianer der scheidenden Kanzlerin aus der Anfangszeit ihrer immer wieder so schwierigen, aber immer wieder so erfolgreichen Regierungszeit, wird dem Nachfolger seiner derzeitigen Dienstherren zweifellos in irgendeiner Funktion bescheiden dienen wie bisher. Sich dabei aber nicht nehmen lassen, auch als Fernsehliebling weiterzumachen.

Das Jahr im Rückspiegel: Hohn der Angst

Mit fake news versuchten Gemeinsinnmedien wie das ZDF anfangs, die Seuche zu verharmlosen.

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uro zerbricht", "Zerfall Europas" und "Blutbad im Bundestag" behaupteten die Schlagzeilen im Deutschland noch vor zehn Jahren, als die Nation sicher war, dem Ende der Welt noch beiwohnen zu dürfen. Die Schweinepest wütete, der Rinderwahnsinn ging um, eine Gurkenpest drohte, Millionen zu ermorden, von denen die besten Journalisten des Landes schon wussten: "Die meisten EHEC-Toten werden nicht mehr ganz gesund."

Es waren die Jahre des Irak-Krieges, der drohte, "den gesamten Nahen Osten in Brand zu setzen", wie der seinerzeit noch recht bekannte SPD-Außenexperte Gernot Erler wusste. Im Rückblick ist zwar nichts von alldem geschehen. Doch im Rückblick ist der Weltuntergang schon immer ein Ereignis gewesen, das ausschließlich in den Sendeanstalten und Redaktionszentralen der großen Meinungsfabriken stattfand. "Draußen vor der Tür" (Wolfgang Borchert) ging es noch immer weiter, im selben Takt sogar und ohne Erinnerung daran, was eben noch überstanden worden war.

Auf dem Weg zur Weltherrschaft

Das Pandemie-Jahr 2020, viel beklagt und voller Opfer, forderte so auch eines, das öffentlich kaum betrauert, ja, überhaupt nicht wahrgenommen wurde. Die Jugendbewegung "Handys for Future", in den Monaten kurz vor dem Ausbruch von Corona auf dem Weg zur Weltherrschaft zumindest auf dem deutschen Meinungsmarkt, sah sich mit der Übernahme der "Tagesschau" durch Virologen und Mediziner um den Lohn der Angst betrogen, die über Monate im Dienst des bedrohten Weltklimas aufgebaut worden war. Was gerade noch gewirkt hatte, als müsste es gleich, weil sonst sofort alles zu Ende ist, verschwand nach wissenschaftlichen Regeln: Weil nach dem ersten Gesetz der Mediendynamik die ganze Welt tagtäglich in eine "Tagesschau" passen muss, war plötzlich kein Platz mehr für Greta Thunberg, das kippende Klima und Luisa Neubauers letzte Fernreisemeinung.

Vielgescholten, stellte sich 2020 in diesen kleinen Momenten der Entschleunigung der Panik als ein Jahr mit heilsamer Wirkung heraus. Ja, die Pandemie, sie prägte alle Debatten, aber die Behauptung der Klimaretter, Gott strafe die Menschheit mit dem Virus für ihren CO2-Ausstoß, war letztlich doch nicht mehrheitsfähig. "Handys for Future", Eigenbezeichnung "Fridays for Future", verschwand fast noch schneller als der Kinderkreuzzug in die Stadt gezogen gekommen war. Die akute Realität hatte über die gespenstischen Angstvorstellungen der Jugendlichen gesiegt. Die Politik, dazu verflucht, immer nur mit einem Ball jonglieren zu können, wandte sich ab, um in neue Schlachten zu ziehen.

Neue Schwarzmaler, alte Angst

Gernot Erler, in seinen guten Tagen ein ebenso vielbeschäftigter Schwarzmaler wie heute Karl Lauterbach, ist vielleicht auch deshalb ein bisschen abgetaucht. Seine Themen sind nicht mehr gefragt, die Agenda hat sich geändert. Und heute ist natürlich alles viel schlimmer, weil im Heute beständig etwas neues passiert, während im Damals naturgemäß schon alles vorüber ist. Kennste, weeßte, wie der Berliner sagt. 

Dass die zivilisationsverschlingende Seuche, in tausenden Büchern und Filmen vorab durchgespielt, sich nach und nach als Bedrohung herausstellte, die keinesfalls gekommen war, um alle ihre potenziellen Wirte mit einem Schlag umzubringen, half bei ihrer Weiterverbreitung, nicht aber dabei, Einsicht in die Notwendigkeit von Abstand, Maske und sturem Vertrauen in die jeweils aktuellen staatlichen Verbote zu stärken. Wie noch stets war der Mensch gezwungen, an dem zu leiden, was er hatte: Eben noch das Weltklima, das Artensterben, die FDP und die Angst vor Trump. Auf einmal schon Türklinken, öffentlicher Nahverkehr, das Ende der Schulschließung oder deren nächster Anfang.

Nie wieder wie zuvor

Nie mehr wird es sein wie bisher, zumindest, bis es wieder genauso ist. Der schlimmste Weltuntergang  ist immer der, der gerade in der "Tagesschau" Berücksichtigung findet, denn im Satz "früher war alles besser" steckt ein Stück Wahrheit, über das sich nicht diskutieren lässt: So lange früher vorbei, morgen aber noch unerledigt ist, liegt wahre Sicherheit nur im Vergangenen. Was war, macht keine Angst, was kommt dagegen verspricht immer wieder frische Furcht, frisches Gruseln, frischen Untergang. Bis es dann vorüber ist.

Dienstag, 29. Dezember 2020

Sieger über Corona: Die mit dem Nagel einen Hammer in die Wand schlagen

Mit seiner entschiedenen Corona-Strategie bewirbt sich Armin Laschet um den Platz im Kanzleramt.


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an tut ja in Berlin seit Monaten, was man kann. Weiß aber leider nie, was es bringt. Vom ersten Tag der Corona-Krise an lag das Hauptaugenmerk aller Schutzmaßnahmen in Deutschland darauf, eine Eindämmung der Virusverbreitung durch Verordnungen zu erreichen, die sichtlich nicht die höchste Wirksamkeit versprachen, sondern bei höchstmöglicher Durchsetzbarkeit den größten Aufmerksamkeitseffekt in Aussicht stellten. Dabei blieb es immer, selbst als sich zum wiederholten Mal herausgestellt hat, dass es nahezu unmöglich ist, mit einem Nagel einen Hammer in die Wand zu schlagen.  

Klare Schwerpunkte

Irritiert hat das jeweils nur kurzzeitig, immer gerade, bevor der nächste Nagel als Hammer dienen musste. Bereits im Frühjahr 2020 hatte eine Studie aus China ein mögliches Geheimnis der erfolgreichen Corona-Bekämpfung verraten: 20.000 Infizierte unter 60 liefern Intensivstationen und Beatmungsbetten genau so viele Patienten wie 540 Infizierte über 80. Die Bundesregierung überlegte nur kurz. Und beschloss dann, sich darauf zu konzentrieren, die 20.000 Infektionen zu verhindern, erst mit einem lockdown light, dann mit einem lockdown hard. Immer aber ohne Erfolg.

Auch eine knappe Woche nach dem einheitlichen europäischen Impfstart, der dann in etwa so einheitlich ausfiel wie alles in dieser Notgemeinschaft, ist es dabei geblieben. Die Briten lassen den zweiten Impfstoff zu, die USA haben die ersten Millionen Menschen geimpft, die Briten beinahe, die Israelis kommen auf tausende Impfungen pro Tag. Deutschland dagegen arbeitet an einem neuen Kapitel seines in den Medien immer noch als Erfolg gefeierten Corona-Desasters: So wie Anfang des vergangenen Jahren gelogen und betrogen wurde, um die endemischen Versäumnisse von Bund und Ländern bei der Krisenvorsorge vor der Öffentlichkeit zu verbergen, wird jetzt abgelenkt, weggeschwiegen und bemäntelt, dass die EU-Strategie der gemeinsamen Pandemiebekämpfung unter Federführung der EU-Kommission jetzt schon krachend gescheitert ist.

Langsamer Start

Europa impftstartet so langsam, dass es Jahre brauchen könnte, um die als Voraussetzung zur Rückkehr in die alte Normalität betrachtete Herdenimmunität zu erreichen. Deutschland liegt b bisher sogar noch dahinter: Bei den bisher erreichten Impfraten wären sechs bis sieben Jahre nötig, eine ausreichend große Anzahl von Bürgerinnen und Bürgern zu impfen.  Aber immerhin sind die Nachrichten voll von Einzelfällen, in denen Hochbetagte ihren Piks bereits erhalten haben.

Oder gibt es ihn etwa doch? Abseits der Fernsehzahlen und der erschütternden Nachrichten über verzögerte Impfstarts, aggressivere Corona-Varianten und eine mit einem Mal möglich unumgänglich erscheinende Schließung der deutschen Grenzen, nachdem EU-Partner wie die Niederlande ihre bereits geschlossen haben, wirft der sogenannte CoDAG-Bericht Nr. 4 vom 11.12.2020 zumindest für Bayern eine Einordnung der ersten zehn Corona-Monate zu. 

Europa siegt zusammen, oder es geht gemeinsam unter - diese erfolgverheißende Devise galt auch bei der Impfstoffbestellung. Alle für einen und eine Ampulle für all in jeder Stadt - verschwenderische Mengen der neuen Heilsbringer aus der Spritze hatte die EU-Kommission für die Bürgerinnen und Bürger bestellt. Nur eben auch bei Herstellern, die noch nichts herstellen, weil ihr Impfstoff noch lange nicht fertig ist. Aber wenn das eines Tages soweit ist, sagt Ursula von der Leyen stolz, "haben wir mehr als zwei Milliarden Dosen". Für 440 Millionen EUropäer. Im ersten enttäuschenden Moment allerdings, nörgelt selbst die Jubelpresse, sei "nur eine Palette mit zwei Kisten" vom guten Stoff angekommen. Für ganz NRW.

Experiment aus dem Ruder

Das Corona-Experiment läuft, aber es läuft eben zunehmend aus dem Ruder. Dabei muss die Wirtschaft diesmal weiterlaufen, auch der Schulbetrieb und die Kindertagesstätten. Nachweislich ist nachgewiesen, so hat Bundesfamilienministerin Franziska Giffey eben erst nachweisen lassen, dass Kindergärten und Krippen keine Ansteckungsschwerpunkte sind. Auch Kneipen, Supermärkte, der öffentliche Nahverkehr, die Fußball-Bundesliga, Büros und Werkhallen, Arztpraxen und Freiluftveranstaltungen stehen außer Verdacht.  Seit dem Wellenbrecher-Lockdown hat sich die Lage unentwegt nur verschärft, es sind Mutanten gekommen und gegangen, Notverordnungen und Krisenrunden, Weihnachten ist nicht ausgefallen, aber allein unterm Baum verbracht worden. 

Und die gute alte Wissenschaft kann auch nicht helfen. Löst Alkohol nun Covid-19 aus? Spätes Zubettgehen? Eine Geburt in der alten Bundesrepublik? Rauchen? Schlemmen? Die Hemmschwelle für strengere Maßnahmen sinkt aber vor allem, wo sicher geglaubte Wahlchancen sich unversehens absentieren. in deutschen Corona-Hochburgen zu senken. Statt bei 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern greifen Ausgehverbot, Gaststättenschließung und Hamsterpflicht nun schon bei 35  binnen sieben Tagen. Schlägt die Vorwarngröße an, wird die Maskenpflicht ausgeweitet, wegen Ostern oder Pfingsten oder dem Sommerurlaub. Wer trotz der insgesamt traurigen Situation feiern will, muss das mit weniger  Gästen tun und spontane Zusammenrottungen auf öffentlichen Plätzen können von den Behörden von amtswegen aufgelöst werden. 

Fallzahlen bei Hochbetagten

Adjustiert auf die Einwohnerzahl zeige sich keine ausgeprägte Übersterblichkeit, aber eine "problematische Entwicklung der Fallzahlen bei den Hochbetagten", heißt es da. Dort verfehlten "die bisherigen Corona-Maßnahmen den notwendigen Schutz". Auch der jüngst verschärfte lockdown habe keinen deutlichen Rückgang bewirkt. Immerhin aber gebe es, anders als die Dauersirene in den Medien vermuten lasse, "seit der 3. Oktoberwoche insgesamt einen stabilen Verlauf."

Jede Maßnahme war optisch weniger erfolgreich als die zuvor. Ein Jahr wie ein Strudel in dem schon mal Streit darüber ausbrechen kann, dass hier Baumärkte weiter geöffnet haben, dort aber selbst Dönerbuden schließen müssen. Ein Land wendet schwedische Methoden an, ein anderes setzt auf Südkorea. Da das Grundgesetz noch keine ausreichende Handhabe bietet, die inländische Freizügigkeit im Bundesgebiet unter Verweis auf den Pandemieschutz aufzuheben, fordern Bund und Länder unter Hinweis auf die Gefahr der Verschleppung des Virus aus einem Hochrisikogebiet ins andere, innerdeutsche Reisen zu vermeiden.  

 

Fakt bleiben muss, dass jede Maßnahme erfolgreicher ist als ihr Vorgänger. Inzidenz, Föderalismus, Gemeinsamkeit, Verhältnismäßigkeit, Bundestag und Hygienepflicht - Bund und Länder haben sich in den zurückliegenden 200 Tagen immer wieder und immer zu spät darauf geeinigt, die Corona-Pandemie mit Hilfe entschlossener Maßnahmen in den Griff zu bekommen. Zuletzt galt eine Maskenpflicht bundesweit beim Betreten von Gaststätten und beim Einkaufen  - anschließend schossen die Zahlen explosionsartig in die Höhe. Es musste nachgeschärft werden, aber auch das nützte nichts. Wenn das Wetter nun mal nicht mitspielt und die schulen geöffnet bleiben. Was soll man machen?

Hohe Zahlen, großer Erfolg

Die Zahlen bleiben hoch, die Stimmung ist im Keller. Doch der steile Anstieg ist gestoppt. Und dank des Impfstoffes, dessen Verabreichung medientechnisch in jedem einzelnen Fall von wenigstens einem Tagesschau-Team begleitet wird, wächst Hoffnung auf ein Ende des Dramas: Wäre jetzt genug da vom Vakzin, dann wäre alles schnell überstanden. 

So aber ist bloß nicht mitrechnen erste Bürgerpflicht. "Bereits 18.454 Menschen gegen Covid geimpft" bejubelte die sozialdemokratische Beteiligung Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) nach dem ersten Angriff an der Impffront. Wenn das kein Grund zur Freude ist, wären doch bei gleichbleibendem Verlauf schon in einem Jahr beinahe sieben Millionen Deutsche immunisiert, zumindest zur Hälfte. Da zwei Spritzen notwendig sind, wären es aber wohl eher drei bis vier Millionen. Zum Vergleich: Die erste Million hatten die beiden Corona-Versagerstaaten  USA und Großbritannien binnen vier Wochen geschafft gehabt.

Langsam, aber gerecht

Nun, in Deutschland wie in der EU, Regionen, auf die die Welt in diesen Tagen wie gebannt schaut, geht es nicht um Geschwindigkeit, sondern um Gerechtigkeit. So lange alle nichts haben, ist alles in Ordnung, zumindest solange bei allen Impfstoffentwicklern gleichermaßen Bestellungen aufgegeben wurden, ganz egal, ob sie ein Corona-Mittel im Angebot haben. Das dient dem Frieden in der Gemeinschaft, die die Nachwehen der Maskenkriege vom Frühjahr noch längst nicht verwunden hat. Damals kämpften Partner miteinander um chinesische Mundlappen und Symbolmasken aus Bangladesh und fast schien es, als seien alle früheren Treueschwüre, alle Liebeserklärungen und heiligen Verträge damit hinfällig.

Der Impfstoff, eingekauft auch bei der französischen Firma Sanofi, die keinen hat, ebenso aber auch bei der deutschen Firma Curevac, die noch emsig forscht, brachte den Frieden zurück. Am Hintereingang der Unternehmen, die wirklich liefern können, bestellte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn  Nachschlag, schließlich steht die Bundestagswahl vor der Tür und trotz aller Impfgegner und Impfverweigerer leben genug Leute im Land, die eines nicht allzu fernen Tages vermutlich fragen werden, ob sie denn nun zum Impfen privat nach Polen oder in die Türkei fahren müssen.

Im Meinungsmixer

Im Moment geht es noch, gerade so. Das Publikum ist gut beschäftigt mit Debatten über die von der Bundesworthülsenfabrik (BWHF) punktgenau in den Meinungsmixer geworfenen Begriffe "Priorisierung" und "Lizensierung", über bundesbehördliche Produktionsbeschleunigungen und die Einführung einer  warp speed-ähnlichen Kriegswirtschaft in der Impfstoffherstellung. Enteignen, zentral planen und dabei auch gar kein bisschen mehr europäisch denken, das ist etwa die Idee von ganz links bis zu den früheren Liberalen, den Schattengewächsen des Ausnahmezustandes.

Der wird, weil es eben doch nicht so schnell geht mit dem "Durchimpfen" (Tagesspiegel), im Januar noch mal verlängert und ein bisschen verschärft werden müssen, ehe dann im Februar kurz vor Karneval ein finaler "Super-Lockdown" ausgerufen wird, der schon mit Blick auf Ostern in Familie und die EM im Sommer auf bundesweite Lebensmittellieferungen durch die Bundeswehr, Maskenzwang in Wohnzimmern und home office auch für Bauarbeiter, Ordnungsamtskontrolleure und Landwirte setzt.

Brexit: EUrra, wir haben verloren

Schafft es das EU-Parlament noch, dem Vertrag zuzustimmen, ist das Thema Brexit endlich vom Tisch.

Sieger überall, vor allem in der Europäischen Union, die nach vier Jahren harter Kämpfe zur Verhinderung eines Austritts Großbritanniens aus der Friedensnobelpreisgemeinschaft doch noch kapitulieren musste. Ungeachtet der Jubelschreie in Kontinentaleuropa, wie stets im Chor angestimmt und  von keinem kritischen Misston gestört, haben die Briten bekommen, was sie von Anfang an wollten. Die EU aber, die von der Überzeugung regiert wird, dass es außerhalb ihrer Grenzen kein menschliches Leben geben kann, steht wie ein begossener Pudel da: Der in vorletzte Sekunde geschlossene Austrittsvertrag gibt den Briten die Souveränität über ihre Angelegenheiten zurück. Die nach eigener Einschätzung "stärkere" Partei bekommt ein paar Heringe und Sprotten dafür.

Große Entschlossenheit, kleine Erfolge

Dabei war die Entschlossenheit der Kontinentalgemeinschaft auch diesmal wieder so groß gewesen. Wie damals, als man Russland mit Sanktionen in die Knie hatte zwingen wollen, und wie damals, als Trump aus dem Amt ignoriert werden sollte, signalisierte EUropa vom Tag der Abstimmung in Großbritannien an, dass das Ergebnis nicht akzeptieren könne. Da müsse noch mal abgestimmt werden, denn viele hätten gar. Oder nicht gewusst. Oder es sich anders überlegt. Eine Sechsjährige wurde instrumentiert. Boris Johnson zum Gottseibeiuns erklärt. Und im "Spiegel" wurde mitgezählt, wie schnell sich das Königreich entvölkerte.

Großzügig wäre die EU bereit gewesen, alles zu vergessen, hätten die Briten nur Abbitte geleistet. Öffentlich eingestehen, dass man allein nicht wird überleben können. Zusagen, dass die Zahlungen nach Brüssel weiter fließen werden. Und schon hätte alles weitergehen können wie bisher, mit dem großen Vorteil, dass alle gelegentlich Austrittswilligen gesehen hätten, in welches Elend es das eigene Volk führt, verlässt man Familie und Freunde.

Probleme eines Großreiches

Dann aber doch die "historische Einigung auf einen Handelspakt zwischen der EU und Großbritannien" (Tagesschau) mit einem Ergebnis, das selbst noch in demokratischen Abwicklung zeigt, was das Problem des Brüsseler Großreiches ist: Die Briten werden den Vertrag am 30. Dezember noch kurz vor Inkrafttreten im Parlament beschließen. Die EU schafft das nicht, denn ihre gewaltige Volksvertretung kann so schnell, nicht und sowieso. So kommt es zu einer vorläufiger Anwendung des Abkommens ohne demokratische Legitimation.

Das macht aber auch nichts mehr, denn nicht nur beim ausgerufenen gemeinsamen Kampf gegen Corona zeigt die EU zunehmende Auflösungserscheinungen. Auch beim Brexit sind die früheren Drohungen nach und nach verstummt. Aus "Kein Nachgeben, keine Verlängerung von Fristen, harter Hand und Kompromisslosigkeit" (Elmar Brok) wurde das Schachern um ein paar Tonnen Fisch. Das "Niemals" in der Nordirlandfrage verstummte, nachdem das britische Parlament auf eigene Faust eine Regelung getroffen hatte.

Verlorener Traum der Bürokraten

Selbst der Traum der Bürokraten, der Brexit möge sich, wenn er sich schon nicht verhindern lasse, wenigstens in ein abschreckendes Beispiel verwandeln, droht zu platzen,  so dass nur ein einziger Schaden zurückbleibt: Der EU fehlt künftig der zweitgrößte Nettozahler, denn die Briten waren eine der wenigen Natioen, die stets mehr Geld an die Gemeinschaft überwiesen, als von dort zurückfloss. Dass künftig auch auch ein Empfängerland nicht mehr die Hand aufhält, ist nach EU-Maßstäben belanglos. Die Nach-Brexit-EU mit 440 Millionen Einwohnern wird sechs Prozent teurer als die EU der 500 Millionen zuvor sein. Glücklicherweise hat sich für die Mehrkosten ein großzügiger Spender gefunden: Deutschland nimmt die Summe auf seinen Deckel. 

Das Lachen aus London ist bis über den Kanal zu hören. Von wegen, ein Austritt ist unmöglich. Von wegen, der Kleinere gibt nach. Von wegen, wer austritt muss unweigerlich sterben. 

Die Erfolg der EU nach dem jahrelangen beinharten Pokern sind mikroskopisch., die Verluste hingegen tiefgreifend. Man gibt den Briten gegen die eu-übliche Bürokratie freien Marktzugang, gleichzeitig aber auch den Status zurück, als unabhängige Handelsnation auftreten können. Man erlegt den Ex-Partnern Zollkontrollen auf, um symbolisch zu zeigen, was es kostet, die Familie zu verlassen, öffnet aber ein Türchen für die Möglichkeit, diese nur "stichprobenartig" durchzuführen. Man droht zudem bei Verletzungen "Deals" mit Schlichtungsverfahren, stimmt aber zu, dass dafür nicht der EuGH zuständig sein soll. Und man zurrt fest, dass derjenige Partner, der Subventionen an seine Industrie zahlt, die die andere Seite unzulässig benachteiligen, Strafzölle zu gewärtigen hat.

Die Tinte unter dem Brexit-Vertrag war noch nicht trocken, da ließen Deutschland und Frankreich  an, unter den neuen Regelungen leidende Fischfang-Industrie mit neuen Hilfspaketen und Ausgleichszahlungen für die "schmerzhaften Einschnitte" durch den Brexid entschädgen zu wollen. 

Montag, 28. Dezember 2020

Seehofer und die Seuche: Horst mit der Handbremse

Deutsche Aufholjagd: Eine Kurve zeigt Trumps Versagen, die andere die Erfolge der Eindämmungsbemühungen in Deutschland.


Kein Schutzkonzept für Schulen, der zweite lockdown zu spät, die georderte Menge an Impfstoffen viel zu niedrig. Mit einer harten Abrechnung zur bisherigen Pandemie-Politik hat Bundesinnennminister Horst Seehofer Verantwortung für die Entwicklung Deutschlands zum europäischen hot spot der Corona-Verbreitung übernommen. Zwar machte der CSU-Politiker vordergründig die Ministerpäsidenten für die Corona-Toten verantwortlich. „Sie haben den Ernst der Lage bei den entscheidenden Konferenzen einfach unterschätzt“, sagte Seehofer. Doch wer zwischen den Zeilen liest, erkennt ein gerüttelt Maß an Selbstkritik: Die ergriffenen Maßnahmen seien unzureichend gewesen, im Corona-Kabinett sei der "Ernst der Lage unterschätzt" worden.

Die Mär von der Lage

Ein Tabubruch, mit dem der scheidende Innenminister den Mythos von der "guten Vorbereitung" (Jens Spahn) Deutschlands auf die Pandemie ebenso dekonstruiert wie die Mär von der Lage, die "im Griff" (Armin Laschet) sei. Wohl in Erinnerung an seinen letzten Streit mit Angela Merkel nahm Seehofer die Bundeskanzlerin ausdrücklich  von seiner Kritik aus, obwohl es der Regierungschefin über neun Monate nicht gelungen war, dem Land in eine einheitliche Krisenstrategie zu verordnen.  Stattdessen schaffte es Deutschland, den durch Donald Trumps "Totalversagen" in der Corona-Krise entstandenen Rückstand zu den USA durch eine Vielzahl durchweg erfolgreicher Eindämmungsmaßnahmen aufzuholen.

Dass ein Schutzkonzept für Schulen und öffentliche Verkehrsmittel auch nach einer so langen Zeit weiterhin ebenso fehle wie ein halbwegs stringentes Meldewesen der Gesundheitsämter, liegt nach Angaben des früheren bayrischen Ministerpräsidenten an geheimen Mächten, die er vorsichtig mit dem Personalpronomen "Sie" umschreibt. "Sie bekommen die Ausbreitung eines hochinfektiösen und potenziell tödlichen Virus nur mit rigorosen Gegenmaßnahmen in den Griff und nicht mit angezogener Handbremse." Und wenn "Sie" das nicht können, kann es auch die Bundesregierung nicht, das ist klar.

300 Tage Nachdenken

Immer noch gebe es deshalb „keine zufriedenstellenden Lösungen“, analysierte Horst Seehofer messerscharf.  Wenigstens für den grenzüberschreitenden Reiseverkehr, der zuletzt in Sachsen zu einem weiteren Kontrollverlust geführt hatte, kündigte Seehofer nach 300 Tagen intensiven Nachdenkens bereits für die kommenden Wochen Lösungen an. Schärfere Kontrollen sollen es richten, denn die in Deutschland geltenden Schutzmaßnahmen dürften "nicht durch unvernünftige Reisen unterlaufen werden", verwies der Innenminister auf Beiträge etwa beim Kontrollverlustboard PPQ.li

Seehofer will nun nicht nur wie bisher eine zehntägige symbolische Quarantänepflicht mit Eigenkontrolle und  Testungen für Reisende, die aus Risikogebieten im Ausland zurückkehren, sondern eine "konsequente Überwachung" der betroffenen Personen. Ein Corona-Neustart quasi: Für die Bundespolizei solle die Überwachung von Einreisenden in den ersten Wochen des neuen Jahres „höchste Priorität“ haben - ein Vorzugsrang in der Bundespolitik, den zuletzt unter anderem Klimapolitik, die Bekämpfung von Fluchtursachen, die Digitalisierung und die Aufrüstung der Bundeswehr genießen durften. 

Das macht Hoffnung, denn Horst Seehofer sprach sich zudem dafür aus, die derzeitige Atempause im hektischen Alltagsleben über den 10. Januar hinaus zu verlängern. "Wenn der Lockdown wirkt und die Zahlen nach unten gehen, dann dürfen wir mit schnellen Lockerungen nicht alles riskieren, was wir erreicht haben", sagte der Innenminister. Sollte aber auch der sogenannte harte lockdown keine Wirkung entfalten, müssten die Maßnahmen verschärft werden, verlangte Seehofer. Eine dritte Welle müsse „unter allen Umständen“ verhindert werden, weil eine dritte Welle zweifellos einen dritten lockdown erfordern würde.

Corona-Krise: Die letzten 460 Tage

Klammheimliche Freude oder abschreckendes Entsetzen.

Strafe muss sein. Niemand wird in lautes Lachen ausbrechen, nur weil die Corona-Leugner in Sachsen jetzt leichensäckeweise von der Medizin zu kosten bekommen, die sie monatelang ignoriert haben. Aber ein bisschen schadenfroh kann man schon sein von Hamburg aus, dass seinen einstigen Vorsprung bei den Infektionszahlen und Todesraten längst verloren hat. Nur Deutschland insgesamt ist hot spot, mit einem Mal und das nach Monaten, in denen die Welt neidisch auf den deutschen Weg zur Corona-Bekämpfung schaute, während die Deutschen neidisch nach Sachsen starrten: Was machen die nur richtiger, dort im Osten? Wieso stecken die sich nicht an?

Willkommenskultur für Virenträger

Taten sie dann doch, pünktlich kurz nach dem tschechischen lockdown, den die krisengestählte Landesregierung in Dresden mit ihrer eigenen Art Willkommenskultur feierte: Als im Nachbarland alle Kneipen und Geschäfte geschlossen waren, lud Sachsen wie der östlichste Rand Bayern zu Shoppingtouren für Corona-Verbreiter. Sein Bundesland, so glaubte der sächsische Regierungschef Michael Kretschmer, hatte das Virus schließlich schon besiegt. Was sollte also passieren? Es dauerte vier Wochen und die Zonenrandgebiete erblühten im eigens neueingeführten RKI-Violett. Wie Südsachsen färbte sich auch Ostbayern im höchsten Warnton.

Aber man hatte die Grenzen nun mal nicht schon wieder schließen können. Ganz Europa war nach dem verkorksten Abschottungsfrühjahr von der EU-Kommission eingeschworen worden, die nächste Welle gemeinsam abzureiten. Alle oder keiner! Solidarität oder Tod! Richtig geklappt hat das nicht, aber wenigstens der Form nach blieb es dabei. Gelegentlich schotteten sich Mitgliedsstaaten ab. Aber darüber wurde wenig berichtet. Und überhaupt nicht mehr so aufgeregt wie noch vor Monaten.

Europa siegt gemeinsam

Europa siegt zusammen, oder es geht gemeinsam unter - diese erfolgverheißende Devise galt auch bei der Impfstoffbestellung. Alle für einen und eine Ampulle für all in jeder Stadt - verschwenderische Mengen der neuen Heilsbringer aus der Spritze hatte die EU-Kommission für die Bürgerinnen und Bürger bestellt. Nur eben auch bei Herstellern, die noch nichts herstellen, weil ihr Impfstoff noch lange nicht fertig ist. Aber wenn das eines Tages soweit ist, sagt Ursula von der Leyen stolz, "haben wir mehr als zwei Milliarden Dosen". Für 440 Millionen EUropäer. Im ersten enttäuschenden Moment allerdings, nörgelt selbst die Jubelpresse, sei "nur eine Palette mit zwei Kisten" vom guten Stoff angekommen. Für ganz NRW.

Ging nicht anders, denn schließlich ist die Bundesregierung bei CureVac Anteilseigner. Wem, wenn nicht dieser Firma kann man vertrauen und muss man abkaufen, was sie entwickelt hat? Die Ware kommt zwar frühestens in zwei, drei, vier Monaten. Doch bis dahin muss es eben so gehen: Bei 83 Millionen Einwohnern in Deutschland und einer Impfquote von etwa 67 Prozent bräuchte es bei zwei notwendigen Impfungen pro Person 111 Millionen Dosen für §die größte Impfkampagne aller Zeiten" (Tagesschau). Für das erste  Quartal stehen dank der größten Bestellaktion aller Zeiten zwölf Millionen zur Verfügung. Zur Ablenkung empfiehlt es sich da tatsächlich, laut zu schimpfen und geheime Mächte für die Situation verantwortlich zu machen.

Mehr als eine Million Amerikaner sind mittlerweile geimpft, fast eine Million Briten. Und in Deutschland eine 101-Jährige, die illegalerweise 24 Stunden vor dem symbolischen europaweiten Impfstart "Tagesschau"-gerecht vor die Spritze geschoben und animmunisiert wurde. Auch Ungarn wartete nicht auf den von Brüssel festgelegten Startzeitpunkt, aber die Ungarn kennt man nicht anders.

Schnell, aber nicht zu schnell.
Egoismus überall. Als klar wurde, dass der von Brüssel für alle bestellte Impfstoff nicht reichen würde, preschte das reiche Deutschland auf eigene Faust vor und bestellte nach, nur für sich. Als klar würde, dass das für den Moment nichts ändern, schimpfte sich Gesundheitsminister Jens Spahn selbst dafür, dass nun wohl weitere Tausende sinnlos sterben müssen, weil erst im Sommer genügend Impfstoff vorhanden sein wird. 

Zuwenig muss für alle reichen

Nicht, weil es ihn nicht gibt. Sondern weil keiner ihn bestellt hat. Die Europäische Kommission wollte alle bei Laune halten und ihre Einkäufe breit streuen, deshalb bestellte sie bei vielen Herstellern und überall ein bisschen. Zusammengerechnet hätten die Auslieferungen mehrfach für alle EU-Bürger gereicht, wenn denn alle Unternehmen schon etwas zu liefern hätten. Hat aber im Moment nur Biontech-Pfizer, deren Angebot, mehr zu liefern, Ursula von der Leyen ablehnte, denn womöglich hätte man sonst irgendwann auf zu vielen Impfstoffdosen gesessen.

So sitzt man auf  Mengen, die Fahrradboten ausliefern können. Hat aber die weltweit allergünstigsten Preise ausgehandelt. Und darauf kommt schließlich an, in der größten Krise seit Menschengedenken. Wo in den USA Trucks herumfahren,  kommt in Deutschland ein Taxi: 9.000 Dosen für ein ganzes Bundesland, 900 für eine Stadt mit 250.000 Einwohnern. Das reicht nicht einmal für die Altenheime, schon gar nicht für die Pfleger dort, die dann doch wieder nur ein Handvoll Applaus bekommen. 

Nur noch 460 Tage

Gähnend leer die "Impfzentren", eigens überall aufgebaut, um den Eindruck zu erwecken, jetzt werde aber wirklich was getan. Nicht einmal angeschaltet die Anmeldeseiten für die Terminvergabe, die, deutsche Tradition, zweifellos zum Start ohnehin zusammenbrechen werden. Die offiziellen Impfungen haben gestern begonnen, allein in Nordrhein-Westfalen flossen 9.750 Impfstoffdosen binnen Stunden in die Adern der knapp 18 Millionen Landeskinder. Kann dieses Tempo beibehalten werden, ist NRW in viereinhalb Jahren komplett durchgeimpft. Ganz Deutschland, das mit Bayern und Sachsen aus Bundesländer hat, die noch schneller spritzen als Laschet-Land, könnte sogar innerhalb der nächsten 460 Tage immunisiert werden.

Sonntag, 27. Dezember 2020

Zitate zur Zeit: Die Kunst der politischen Seefahrt

Bei günstigem Wind gibt es keinen schlechten Steuermann. 

Der syrische Emigrant und römische Dichter Publilius Syrus Cheyenne sinniert über die Kunst der politischen Seefahrt

Doku Deutschland: Letzte Mahnung aus dem Schloss

Pünktlich zum Heiligen Abend zündete Walter Steinmeier in seinem Schloss auch in diesem Jahr eine Christbaumkugel an.


Es hätte das übliche leere Ritual sein sollen, das sich irgendwann nach Erfindung des Fernsehens eingebürgert hat, ohne dass heute noch jemand sagen könnte, weshalb um weswegen der erste Mann im Lande sich am Ende eines verkorksten Jahres aufschwingen sollte, Mut und Optimismus zu verbreiten, wo doch der Beginn der Impfsaison schon recht sicher verspricht, den Beweis zu führen, dass das Maskendesaster vom Frühjahr kein Zufall war. 

Doch dann geschah, was nicht abzusehen war: Walter Steinmeier,  vor Jahren nach einer komplizierten Ämterrochade in der SPD zum Bundespräsidenten befördert, wagte am Ende des Corona-Jahres den Tabubruch: Die Menschen draußen im Lande haben guten Grund, der Spitzenpolitik zu vertrauen, denn es gibt keine andere.

Nein, sagte der neue Bundespräsident, zuversichtlich.  Von den Vätern des Grundgesetzes si das alles genau so vorgesehen worden. "Ich versichere Ihnen: Der Staat handelt nach den Regeln, die unsere Verfassung für eine Situation wie diese ausdrücklich vorsieht", sagte Steinmeier, der im politischen Berlin gelegentlich auch als "Bundesmahner" bespöttelt wird. Nicht ohne Grund, denn die fundamentale Rede, über die das das PPQ vorliegende Manuskript mit der Überschrift "Letzte Mahnung aus dem Schloss" Auskunft gibt, hat es in der Tat in sich.

Auffallend vor allem, was nicht direkt gesagt wurde, sondern aus dem Subtext hervorging. PPQ ist es gelungen, die mit unsichtbarer Tinte geschriebenen Passagen der Weihnachtsansprache des diesjährigen Bundespräsidenten lesbar zu machen - und wirklich: Selten zuvor hat ein Präsident derart schonungslos die Karten offengelegt, dem Virus und dem politischen Gegner gleichermaßen die Faust gezeigt und dazu aufgerufen,  angesichts der boomenden Wirtschaft und des wachsenden Wohlstandes zuversichtlich zu bleiben. "Wir können Vertrauen haben", sagte Steinmeier.

PPQ.li dokumentiert den Wortlaut nachfolgend:

Das Leid, das uns heimsucht, das unsere Welt zerstört und viele von uns in die ewige Verdammnis geführt hat - es ist ein altes Leid. Seit Adam und Eva vom Baum der Erkenntnis aßen, seit Prometheus den Menschen das Feuer brachte, sind wir zum Untergang verurteilt. Seit diesem Augenblick sind wir alle verdammt, denn unsere Vorfahren haben der Natur einen Tort angetan, immer wieder. Und wir haben sie ausgenutzt, ausgebeutet und  missachtet. Wir müssen dafür nun büßen.

Doch diese Tage des Krieges und des Todes, die wir, die letzten Kinder der Sünde, durchleben, sind die Tage der Läuterung, die Zeit der Katharsis. Es sind drei mal zehn Jahre bis 2050, die uns noch bleiben, um die Natur mit dem Leben des Menschen zu versöhnen. Drei mal zehn Jahre, um die Fehler unendlich vieler Generationen menschlichen Lebens wieder gut zu machen. Raus aus der Braunkohle. Das Virus besiegen. Atomkraft abschalten. Flächenversiegelung beenden. Die Waldbrände in Australien löschen. Und die menschenverachtende Konsumgesellschaft einhegen.

Ein jeder von uns muss danach streben, seine Unschuld wiederzuerlangen. CO2-neutral zu leben. Seine Ansprüche in Verzichtswünsche zu verwandeln. Ein jeder von uns muss danach streben, seine Reinheit vor den Augen des Planeten zu beweisen. Wir, die letzten, die auf Erden wandeln, müssen zurückgehen in der Zeit, weit zurück, zurück vor die Zeit der Industrialisierung, gab um uns zu prüfen, und noch weiter zurück. Zurück vor den Sündenfall. Zurück ins Paradies. 

Als wir aßen, was wuchs, und schließen, wo Gras war. Als wir barfuß gingen, statt in den Schuhladen. Als kein Virus uns  im Restaurant anfallen konnte, weil wir daheim kochten.

Es war unsere Hybris, die wir "Erkenntnis" nannten, die zu unserer Verdammnis geführt hat. Es war unsere eigensinnige Vorstellung, "Wissenschaft" zu besitzen, die uns die Welt erklärt, die uns verführte, die Welt zu ändern. Es war unser Wunsch, die Welt zu formen, die Bakterien und Viren in den Krieg gegen uns ziehen ließ.

Unser Wunsch, Großes zu erschaffen. Unser Wunsch, es der Schöpfung gleich zu tun und Schöpfer zu werden. Unsere Einbildung, unser eigenes Sein erkennen und beeinflussen zu können. Der Drang, mehr sein zu wollen als die anderen Kinder der Natur. Das alles hat zu dieser Zeit des Todes und der Verdammnis geführt, die wir im Augenblick erleben - in Deutschland weniger als anderswo, denn dank der klugen Führung in unserem Lande konnte das Schlimmste vermieden werden.

Klar werden aber muss uns: Wir, die Kinder der Natur, sind nicht dafür geschaffen mehr zu erträumen als Nahrung und Fortpflanzung, mehr als unschuldige Lust und selige Gedankenlosigkeit. Wir müssen umsteuern, anders leben lernen, bescheiden sein und voller Zutrauen in das Vermögen unserer Führer*innen, den richtigen Weg zu finden.  

Die AHA-Regeln zur Bewältigung der Corona-Krise zeigen uns beispielhaft, wie mächtig Disziplin sein kann, wird sie von allen befolgt. So haben wir uns nun entschlossen, mit neuen Gebote und neuen Verboten aufzubrechen in eine neue Zeit voller Licht und Zuversicht.

Es sei verflucht das Wissen - denn es nimmt die Demut. 

Es sei verflucht das Streben - denn es zerstört die Natur. 

Es sei verflucht die Moral - denn besser sind zwei. 

Es sei verflucht der Konsum - denn er entspringt der Gier. 

Es sei verflucht das Gesetz - es muss der Verordnung gehorchen. 

Es sei verflucht die Sprache - es sei denn, sie formt den Menschen. 

Es sei verflucht die Technik - denn sie schadet der Welt.

Es sei verflucht der Fortschritt - denn er ist wider die Natur. 

Es sei gelobt, wer kein Gewissen hat - denn die Unschuld ist ihm Eigen. 

Es sei gelobt der Tumbe - denn er weiß nicht, was er tut.

Es sei gelobt, wer nach Vergessen strebt - denn Unschuld ist sein Ziel. 

Es sei gelobt, wer vergessen hat - er ist angekommen.


Samstag, 26. Dezember 2020

Zitate zur Zeit: Mit Selbstzerstörungsmechanismus

Wenn Gott etwas zerstören möchte, verlässt er sich darauf, dass es sich selbst zerstört. Jede schlechte Institution dieser Welt endet mit Suizid.

Victor Hugo

SZ: Merkels Schwäche zeigt sich immer stärker

Auch das als "Merkel-Kurve" berühmt gewordene Schreckensszenario von Angela Merkel (orange) hat sich als verharmlosende Schönwetter-Projektion herausgestellt.

Es kommt ganz, ganz selten vor und wenn dann eigentlich nur, wenn alle mitmachen.  Deutsche Leitmeiden, im Normalfall nicht nur in Krisensituationen, in diesen aber ganz besonders, eingeschworen auf die immer bessere Vermittlung und Erklärung von Regierungsentscheidungen hinunter ins Volk, scheren allenfalls in Ausnahmefällen aus einer inzwischen zur schönen Tradition gewordenen Einheitsfront aus,  für die ein Ende der Kanzlerschaft von Angela Merkel gleichbedeutend mit dem Ende der Welt ist. Dennoch geschieht es, "nach ihr die Finsternis" analysiert das größte Nachrichtenmagazin dann. Und bei den Treuesten der Treuen fließen heiße Tränen der Trauer.  

Feuerwehrwagen in der Mitternachtsmette

Wie ein grober Etikettenverstoß kommt da ein Text daher, mit dem die eigentlich stets zuverlässige "Süddeutsche Zeitung ("Merkel - Ein Licht am Ende des Tunnels""Kniebeugen: Merkels wärmender Vorschlag", "Merkel und die Kunst des Machbaren") mitten in die Weihnachtszeit platzte wie ein Feuerwehrwagen in die Mitternachtsmette. "Die Pandemie außer Kontrolle, bei den Brexit-Gesprächen in der Defensive", fasst Autor Alexander Mühlauer die Situation in seiner umfassenden Analyse zusammen. Über Deutschland braue sich ein Sturm zusammen - und mittendrin stehe "eine orientierungslose Kanzlerin". 

Harter Stoff, schwere Geschütze, denn der streng mit dem Regierungshandeln der letzten Monate ins Gericht gehende Text lässt kaum Interpretationsspielraum. "Angela Merkel ist einfach unverbesserlich", heißt es da. Seit Ausbruch der Corona-Pandemie mache die Kanzlerin Versprechen, die sie nicht halten könne. "Im Sommer behauptete sie, das Weihnachtsfest könne wie gewohnt stattfinden. Nun, nachdem sie Familien im ganzen Land verboten hat, sich an Heiligabend zu treffen, tut sie so, als ob schon zu Ostern wieder alles gut sein werde."

Eine lange uneinsichtige Optimistin

Man könne Merkel eine uneinsichtige Optimistin nennen; man könne aber auch sagen, dass sie mit ihrem Drang, die Lage immer schöner darzustellen, als sie ist, ihre Landsleute in einem Ausmaß verunsichert, dass der Vertrauensverlust in die Regierung gewaltig sei. Kein "Wir schaffen das" diesmal, stattdessen Unkenrufe, die sich als zu leise herausstellten (Grafik oben). Und ein Wettkampf mit den um die Kanzlernachfolge zur Unzeit schaulaufenden Ministerpräsidenten, der nie entschieden wurde. 

Die Methode Merkel, die Dinge laufen zu lassen, bis sie sich von selbst entscheiden, scheiterte in der Corona-Krise krachend: Angela Merkel war die letzte Politikerin weltweit, die öffentlich eine Symbolmaske aufsetzte um zu signalisieren, dass auch sie die Seuche nun für schlimm halte. Sie ließ den überforderten Gesundheitsminister Jens Spahn wochenlang fake news über eine angeblich gar nicht so große Bedrohung, eine gute Vorbereitung und unnötige Schutzmaßnahme verbreiten. Und als die EU sich die Zulassung des Impfstoffes auf den Tisch zog, machte sie trotz dadurch drohender Verzögerungen, die bei den aktuellen Sterberaten wenigstens 100.000 Europäer das Leben kosten werden, gute Miene zum mählichen Gemeinschaftsspiel.

Nur ja nicht keine Gemeinsamkeit demonstrieren

Nein, Angela Merkel kann nichts dafür, dass eine neue Corona-Mutation in Großbritannien aufgetaucht ist. Aber sie ist ist verantwortlich dafür, dass in den USA und Großbritannien, aber auch in anderen Staaten rund um die Welt bereits mehr als eine Million Menschen geimpft worden waren, noch ehe die erste Impfstoffdosis in Deutschland überhaupt ausgeliefert wurde. Von Berlin aus gesehen schien der Ärger größer, wenn  wie im Frühjahr wieder jeder EU-Mitgliedsstaat seine nationale Strategie verfolgte - und so begab sich das politische Berlin freiwillig in die Hände Brüssels. 

Hände, die Impfstoff nicht in ausreichender Menge dort bestellten, wo er zu haben war. Sondern aus Rücksicht auf die deutsche Firma Curevac, an der sich der Bund gerade erst als Anteilseigner beteiligt hatte, und mit Blick nach Paris und die französische Firma Sanofi auch dort, wo noch nicht einmal Massentests zur Wirksamkeit begonnen hatten. Da man nach früheren Ankündigungen, man wolle auch für den armen Rest der Welt genug Impfstoff übriglassen, nur doppelt und nicht dreifach bestellt hat, reicht es nun hinten und vorn nicht.

Dabei, so schreibt die Süddeutsche Zeitung, wäre "neben den Impfungen das Gebot der Stunde, Treffen an Weihnachten im gesamten Land zu untersagen". Doch obwohl sich die Lage nach der Asurufung des "harten Lockdown" weiter verschärft hat, zögert Berlin. Immer noch sind Treffen von fünf Personen einer Blutlinie gestattet. Näheres sollen regionale Behörden regeln.

Botschaften aus dem Kanzlerbunker

Direkt einzugreifen, davor scheue sich Angela Merkel, müsste sie doch eine weitere Kehrtwende vollziehen, die einmal mehr ihr Unvermögen offenbaren, besonnen und ernsthaft zu agieren. Hatte die Rekordkanzlerin zu Beginn der Krise noch regelmäßig versucht, mit Fernsehansprachen auf die Bürgerinnen und Bürger einzugehen, verzichtete sie schon wenig später darauf. Botschaften, die sie für notwendig hält, verteilt sie über ihren Youtube-Kanal an die angeschlossenen Medien. Da Merkel im Unterschied etwa zu Macron, Putin, Trump oder Johnson nie versucht hatte, sich selbst vor Ort auf Intensivstationen, in Altenheimen oder Schulen ein Bild von der Lage zu machen, fiel zumindest nicht auf, dass sie das auch später nicht tat.

Nach zehn Monaten Corona steckt Deutschland mitten in einem Albtraum-Szenario - und ist auf sich allein gestellt. Die übrigen EU-Partner sind mit sich selbst beschäftigt, von dort wird keine Hilfe kommen. Daheim aber scheren sich die Leute zunehmend weniger um die zunehmend absurderen Vorschriften, weil die Regierung dies oft auch nicht tut. An Merkels Aufforderung, zu Hause zu bleiben, halten sich viele schlichtweg nicht - auch deshalb nicht, weil Politiker immer wieder beweisen haben, dass sie es selbst nicht so ernst nehmen. Man erinnere sich nur an vielverbreitete Bilder aus der Bundestagskantine, auf denen drei Parlamentarier die Köpfe zusammenstecken.

Kein Einfluss auf Paris

Auch auf die Entscheidung von Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron, den Verkehr über den Ärmelkanal wegen der neuen Virusmutation weitgehend zu stoppen, hatte Angela Merkel keinen Einfluss.  Nachdem die Niederlande als erste eigenständig entschieden hatten, ihre Grenzen zu Großbritannien zuzumachen, blieb Deutschland nur noch der Nachtrab: Die Kanzlerin, die früher selbstbewusst behauptet hatte, es sei vollkommen unmöglich, die deutschen Grenzen zu schließen, veranlasste genau das.

Ein Zeichen der Schwäche. Besonders deutlich wird das jetzt, wenige Tage vor dem Brexit. In den Verhandlungen mit London findet Deutschland überhaupt nicht statt, Angela Merkel hat alle Entscheidungen nach Brüssel delegiert, obwohl sie weiß, dass es Europa immer nur gut ging, wenn Deutschland und Großbritannien ein gutes Verhältnis hatten. Doch Merkel befindet sich in einer äußerst schlechten Position: Seit Beginn der Gespräche saß die EU qua ihrer Wirtschaftskraft am längeren Hebel. Doch jetzt, in den letzten Zügen, zeigt sich, dass nicht der längere Hebel entscheidet, sondern vielleicht allein der Wille, Schmerzen zu ertragen.

Es kommt jetzt darauf an, nicht die Nerven zu verlieren, sondern das Beste draus zu machen. Angela Merkel mag in diesen Weihnachtstagen hoffen, dass das Schlimmste schon in zwei, drei Wochen hinter ihr liegt. Ändert sich die Richtung der Ansteckungsstatistiken und kommt irgendwann auch die Impfwelle in Gang, wäre noch genug Zeit, bis zur Bundestagswahl im Herbst das eigene Erbe zu ordnen. So zumindest steht es in einem Best-Case-Szenario der Beraterkreises, wie im politischen Berlin kolportiert wird. Ab März oder April könnte dann wieder vom besten Deutschland aller Zeiten die Rede sein, die Wirtschaftsdaten gingen zwangsläufig nach oben und die Novemberhilfen würden rasch ausgezahlt. 

Alles andere wäre, wie die Süddeutsche Zeitung zitiert, "ein Scheitern von Staatskunst."

Freitag, 25. Dezember 2020

Überwachung: Comeback des Bürgers aus Glas

In Kürze wird wieder alles aufgezeichnet und archiviert.

Das war verdammt knapp! Fast wäre es irgendwo gemeldet worden, sogar das "Tagesschau" war dran. Nur als dann die Nachricht kam, dass es erstmal keine Haushaltsabgabenerhöhung um 400 Millionen Euro im Jahr geben würde, musste irgendwo gespart werden. Eine gute Gelegenheit war dann der Beschluss des Bundeskabinetts zur Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung. Das Urteil, dass die unter gewissen Umständen doch erlaubt sein könnte,  hatte man noch öffentlich mitgeteilt. Aber nun.

Dass die Bundesregierung die Gelegenheit nutzte, sofort vollendete Tatsachen zu schaffen, blieb verborgen. Alle sprachen von Corona, von der zweiten Welle, der dritten welle, vom Aussterben der Sachsen und der Strafe für die AfD. Nicht nur in der ARD-Hauptnachrichtensendung fand sich aus diesem Grund kein kleinstes Häppchen Platz, über die Anstehende Wiederbelebung einer der bekanntesten Politleichen der Republik zu berichten.

Nur regionales Ereignis

Aus Sicht der ARD handelt es sich um ein regionales Ereignis, denn die sogenannte "Novelle des Telekommunikationsgesetzes", die die Möglichkeit schafft, Messenger- und E-Mail-Dienste anlasslos und vorsorglich zu überwachen, wurde in Berlin beschlossen. Und es war ja auch eine unvermutete Wiederauferstehung, nachdem das Bundesverfassungsgericht und der EuGH die Vorratsdatenspeicherung als Grundrechtsverstoß verboten hatten.

Nun war die Verfassung noch nie etwas, auf das Regierungen furchtsam geschaut haben - sie beschlossen, was sie zu beschließen hatten, und ließen sich am Ende vom höchsten Gericht sagen, dass sie es nicht hätten beschließen dürfen. Na, und? Immerhin schafften es Politiker so, der Beruftsstand im Land zu werden, in dem die höchste Rate an verurteilten Verfassungsbrechern beschäftigt ist. Der weiteren Karriere haben Verfassungsbrüche auch nie geschafft, ein gerichtsnotorischer Verächter der Grundwerte dient heute sogar als Bundespräsident. 

Alles über alle speichern

Wenn nun auch noch alle auf Weihnachten starren, die RKI-Zahlen anschauen als klopfe der Tod schon an die Tür und das Impfstoffkarrusell die ersten schmalen Lieferungen unter Auserwählten verlost, erkennt jeder Fachmann die Gelegenheit. Wie üblicherweise ein Fußball-Weltmeisterschaft kann auch der Ausnahmezustand als Ablenkung dienen, die Weichen neu zu stellen: Sobald der Bundestag nach einer kritischen ersten Lesung und einer zu Protokoll gegebenen zweiten seine als Formsache zu betrachtende Zustimmung gegeben hat,  müssen Internetprovider in Deutschland wieder alle Informationen darüber speichern, von welchem Anschluss aus wie lange mit welchem anderen kommuniziert wurde. Die Verbindungs- und Standortdaten müssen für mehrere Wochen archiviert werden, um womöglich eingehende Anfragen von Sicherheitsbehörden beantworten zu könne.

Nun ist der Telekommunikationskunde, dessen Daten aufbewahrt und dessen Kommunikationsverhalten archiviert wird, im Moment der Speicherung vollkommen unbescholten. Es liegen keine Verdachtsmomente vor, Angaben aus seinen privatesten Lebensbereich in Datenbanken festzuhalten. Deshalb hatte der EuGH-Urteil ursprünglich auch untersagt, Daten auf Vorrat zu speichern, um sie im Nachhinein bei Bedarf herauszugeben. Ohne Grund, so Europas höchste Richter, dürfen Nutzername, Telefonnummer, Adresse oder andere IDs nicht gespeichert werden. Ausnahme sei die Archivierung beim "Verdacht auf geplante Terroranschläge" und im "Kampf gegen Kinderpornografie".

Ein Hintertürchen, aus dem die Bundesregierung im Eilzugtempo ein riesiges Tor gemacht hat. Nach Jahren ohne Speicherung, weil die in Deutschland ursprünglich eingeführte umfassende Vorratsdatenspeicherung "unionsrechtswidrig" eingestuft worden war,ist die erstbeste Gelegenheit gut genug, es noch mal zu versuchen. Alles wird gespeichert, Zeitraum unbekannt, Zugriff auf die Daten haben nun noch mehr Behörden.