Montag, 2. November 2020

Im Schatten der Seuche: Grünes Licht für den Staatstrojaner


Im Jahr 2006 schwitzte ganz Deutschland im Fußballfieber. Die WM im eigenen Land war ein Sommermärchen, schwarz-rot-goldene Fähnchen bestimmen überall das Straßenbild und alles, was nicht passte, wurde beschwiegen. Mit dem Titelgewinn klappt es nicht, aber Helden der Herzen, das waren nicht nur die Spieler, sondern auch ihre Fahnenschwenker. 

Während das Sommermärchen die einst so kriegerische Nation verzauberte, schaffte es die Bundespolitik tatsächlich, fast völlig unbemerkt ein neues Meldegesetz zu beschließen. Zudem ließ der Bundesrat ein Gesetz zur Legalisierung der Datensammlung durch das Bundeskriminalamt passieren, wurde der Umbau der Zwangsgebühren für den Gemeinsinnfunk zur Sondersteuer beschlossen und eine Gesundheitsreform verabschiedet, die in anderen Zeiten Beitragserhöhung genannt worden wäre. Fertig, WM vorbei.

Ein schöner Brauch

Seitdem ist es zu einem schönen Brauch geworden, problematische Gesetzesänderungen durchzuziehen, wenn die Öffentlichkeit gerade woanders hinschaut. Immer, wenn wenn Fußball war, lief die Gesetzesmaschine geradezu heiß. 2018 gelang es, die Finanzierung der Parteien neu aufzustellen. Das dauerte alles in allen nur 38 Minuten.

Nun ist derzeit Mangel an Fußball, doch dafür bietet sich Corona an. Die Gelegenheit ist günstig, die alte Diskussion um den Staatstrojaner endlich zu beenden und den Weg frei zu machen für eine neue und umfassende Überwachung der Kommunikation der Bürger. CDU und CSU kämpften seit Jahren um erweiterte Befugnisse für Strafverfolger und Geheimdienste, die SPD allerdings hatte sich festgelegt: Kein Staatstrojaner für Fahnder. Wenn uns im Gegenzug, wie der Bayrische Rundfunk vermutet, nicht etwas anderes angeboten wird.

Gutes Geschäft für alle

Während die Union also ihren Widerstand  gegen die Studie zu rechtsextremen Einstellungen in der Polizei aufgab, knickte die deutsche Sozialdemokratie bei der Abhörgesetzgebung ein. Aus Saskia Eskens Bedenken, der mit einem Staatstrojaner einhergehende Eingriff in die Bürgerrechte sei "absolut unverhältnismäßig" und gefährde zudem die "allgemeine IT-Sicherheit durch die Offenhaltung und Ausnutzung von Schwachstellen", ist ein gemeinsamer Kabinettsbeschluss des großen und des kleinen Koalitionspartners geworden. Die Bundesregierung erlaubt es den deutschen Geheimdiensten damit, auch Kommunikation über verschlüsselte Messengerdienste wie WhatsApp und Facebook mitzulesen.

Alle 19 Geheimdienste von Bund und Ländern dürfen damit demnächst heimlich Geräte hacken. Um das Ganze hübscher aussehen zu lassen, wird die Zahl der Mitglieder der für ihre Genehmigung zuständigen G-10-Kommission des Bundestages erhöht und den Abgeordneten ein "technischer Berater" an die Seite gestellt, damit wenigstens einer weiß, worum es im Einzelnen geht. werden.

Grundrechtsaussetzung als "Reform"

Der als "Reform" bezeichnete radikale Eingriff in Grundrechte muss noch vom Bundestag gebilligt werden, das aber gilt als Formsache, obwohl das Ausmaß der künftig möglichen Überwachung augenscheinlich allem widerspricht, was das Bundesverfassungsgericht im April 2006  als Vorgaben an ein verfassungsmäßiges Überwachungsrecht formuliert hatte. Danach wären entsprechende Tiefenprüfungen im digitalen Leben von Grundrechtsträgern nur bei Gefährdungen von Menschenleben, ihrer Gesundheit und elementarsten Lebensgrundlagen der Gesellschaft erlaubt. Laut Kabinettsbeschluss zählen darunter nun aber auch Sportwettbetrug, Subventionsbetrug, die "Verleitung zur missbräuchlichen Asylantragstellung" und Straftaten gegen die öffentliche Ordnung. 

Internet- und Kommunikationsanbieter wären nach neuer Rechtslage verpflichtet, den Geheimdiensten Hintertüren anzubieten, über die Spionageprogramme eingeschleust werden können.

Das finnische IT-Unternehmen F Secure hat zwar bereits angekündigt, dass auch seiner Sicht auch ein Staatstrojaner Schadsoftware sei, die bekämpft werde. „Wir sind da nicht zur Kooperation mit dem Staat verpflichtet und werden das daher auch nicht tun“, kündigte F-Secure-Manager Rüdiger Trostim "Handelsblatt" an. Als Kollaborateur von Staatsfeinden und Kriminellen aber wird die Firma keine große Zukunft in Deutschland haben. Das klarzumachen, wird eines Tages ein Anruf reichen.


Keine Kommentare: