Montag, 12. Oktober 2020

HFC: Lieber nie wieder


Es gibt eine Minute in diesem Spiel des Halleschen FC gegen den alten Oberliga-Rivalen aus Zwickau, in der der gesamte Verlauf erschütternden Abends wie im Schnelldurchlauf zu besichtigen ist. Antonios Papadopoulos verliert einen Zweikampf an der Seitenauslinie. Nietfeld erobert den Einwurf, irgendwie geht es gemächlich nach vorn, es entspringt schließlich eine Ecke aus einer unübersichtlichen Situation, die von reinem Zufall geschaffen wurde. 

Der HFC ist, und das ist etwas ganz besonderes in dieser 93. Partie der beiden Traditionsvereine, in der Nähe, ja, er ist sogar im Strafraum der Gäste aus Sachsen. Julian Guttau, einer der Besten in einem HFC-Team, das nach zehn ordentlichen Anfangsminuten in seine Saarbrücken-Gestalt zurückgefallen ist, tritt an. Zum ersten Mal fliegt eine der Ecken des 21-Jährigen auch nicht nur auf Kniehöhe zum ersten Zwickauer Verteidiger am kurzen Pfosten.

Dafür aber segelt sie über Freund und Feind hinweg in einer wunderbaren Kurve ins Toraus hinter dem Kasten von Zwickaus Keeper Johannes Brinkies.

Erschütternde Bilder

Es sind vor allem solche erschütternden Bilder, die die Mannschaft von Florian Schnorrenberg an diesem nieselregnerischen Montagabend produziert. An Spieltag vier einer Saison, die mit einem fast schon eleganten Auswärtssieg beim Dauerfeind aus der Börde vielversprechend begann, enden schon nach 39. Minuten alle Illusionen davon, in diesem Spieljahr vielleicht nicht wie im letzten bis ganz zum Schluss um den Klassenerhalt bangen zu müssen. 

Der HFC, bis dahin insgesamt besser als die Gäste, zeigt sich einmal mehr mit dem bekannten Pech im Bunde: Vielversprechend zieht Julian Destroff in der Mitte aufs Zwickauer Tor, als Davy Frick ihn unsanft mit einem Ellenbogencheck ins Gesicht stoppt. Schiedsrichter Bokop lässt laufen, Felix Drinkuth, gerade erst ohne Brimborium aus Halle verabschiedet, schießt an die Latte. Maximilian Wolfram staubt mit dem Kopf ab.

Es wird eng, schon kurz vor der Pause. Und das ist kein Zufall, sondern Ausdruck einer Spielanlage, die sich schon in den Spielen gegen Ingolstadt und in Saarbrücken als Absicht herausgestellt hat. Der HFC spielt lange Bälle aus einer häufig wackligen Abwehr. Terrence Boyd soll sie dann wohl ganz vorn halten und auf die außen verteilen, um anschließend direkt im gegnerischen Strafraum aufzutauchen und die von Derstroff und Guttau hereinsegelnden Flanken zu verwerten.

Reine Verzweiflung

Was gegen Ingolstadt noch wie ein guter Plan wirkte und gegen Saarbrücken aussah wie weiterhin übungsbedürfig, wirkt gegen den FSV spätestens nach dem Rückstand wie reine Verzweiflung. Der HFC spielt nicht Fußball, aber nicht etwa, weil der Versuch, das zu tun, ihm angeblich das desaströse 0:3 im Saarland beschert hatte. Nein, der HFC spielt nach vorn, weil es ja irgendwohin spielen muss, nachdem die komplette Abwehr - mit Papadopoulos   für den verletzten Lukas Boeder - den Ball zwei- oder dreimal quergeschoben hat.

Verlegenheit ohne Plan, die meist nicht einmal in die Nähe des Strafraums der Gäste führt. Die sind verblüffenderweise immer schneller, immer dazwischen und sie kennen körperlich keine Gnade mit dem kleinen Laurenz Dehl, dem flinken, aber körperlich auch eher fliegengewichtigen Guttau und dem stets auf sich allein gestellten Boyd.

Eklig, wie das Zwickau spielt, eklig, und höchst konsequent. Die Westsachsen leben seit Jahren von ihrer Körperlichkeit, dem Kampfgeist und verlässlichen Standards - drei Stärken, die der HFC zur Zeit einfach nicht hat. Was an Freistößen und Ecken von den Hausherren kommt, die wegen des Jahrestages des Anschlages von Halle schwarze Trikots tragen, sieht aus wie Schülertheater. Zu weit, zu kurz, zu hoch, zu tief, zu zu. Nichts kommt dabei heraus und selbst das ist noch zu viel behauptet. 

"Nie wieder" steht auf den HFC-Trikots. Es klingt jetzt schon wie ein Gebet, die letzte Saison möge sich bloß nicht wiederholen. Nun ist ein schlechter Saisonstart eigentlich Tradition in Halle. Nach vier Spieltagen stand Chemie in der Vergangenheit nur selten besser als auf Platz 15, die Regel war eher Platz 18 oder 19. Doch beunruhigend ist diesmal, wie wehrlos sich Schnorrenbergs Truppe allenfalls mittelmäßigen Gegnern wie den Saarbrückern oder den Zwickauern zu ergeben bereit ist. Titsch-Rivero, als Anführer geholt, lässt schon einer halben Stunde die Schultern hängen. Jonas Nietfeld, der neue Kapitän, gewinnt mal einen Ball, verliert aber den nächsten. Überhaupt der Ball: Er springt auch an diesem Abend immer weg von den schwarzen Figuren und direkt zu denen im weißen Gedächtnisdress, auf dem auch "Nie wieder" steht. Nie wieder verlieren in Halle, wie es die vergangenen 20 Jahre immer geschah.

So gelingt es in der zweiten Hälfte in keinem Augenblick, eine Art Druck aufs Zwickauer Tor zu entwickeln. Routiniert lassen die Gäste den HFC anrennen, hier und da stecken sie eine  Fuß dazwischen, ziehen sie ein Foul oder hauen einen Ball kompromisslos auf die Tribünen, auf denen knapp über 3.000 zusehends stiller werdenden HFC-Fans das Debakel immer stiller mitanschauen. Keine Bindung, kein Plan, keine Torgefahr vorn und keine Sicherheit hinten. 

In der 57. Minute holt sich Torschütze Wolfram dann noch einen Statistikpunkt: Einen Freistoß aus dem Halbfeld schießt er als Aufsetzer zwischen Elfmeterlinie und Fünfmeterraum. Ronny König, der große alte Mann des schnörkellosen Kopfballspiels, hat zwar den nur fünf Zentimeter kleineren Papadopoulos als Gegenspieler. Aber der läuft einen Meter hinter ihm, als König seinen Kopfball zum 0:2 ansetzt.

Mitten in einer kleinen Serie

Es ist vorbei, schon wieder. Und es bleibt vorbei. Eine quälende halbe Stunde lang müht sich der HFC noch um Struktur, doch nicht einmal eine Torchance springt mehr heraus. Am vierten Spieltag steckt der Club damit schon in einer kleinen Serie, wie sie vergangene Saison am Jahresende begann. Drei Spiele hineinander glatt verloren, drei Spiele ohne eigenes Tor, dafür acht Gegentore und selbst nach Anrechnung der zwei Treffer gegen den - inzwischen Tabellenletzten - Magdeburg die schlechteste Tordifferenz der Liga. 

Dass sich Selim Gündüz, eine Viertelstunde vor Schluss für Derstroff eingewechselt, in seinem ersten Einsatz für den HFC in der letzten Minute der Nachspielzeit bei einem Zweikampf an der eigenen Eckfahne mit einem Meckeranfall noch eine Gelbe und anschließend auch noch die gelbrote Karte von Bokop holt, passt ins Bild. 17 Minuten gespielt. Wenigstens müssen die kunstvoll gelegten Knotenlöckchen nach diesem Einsatz nicht von einem Fachbarbier nachbetreut werden.

Für den Rest der Mannschaft steht als nächstes die Auswärtsfahrt nach Duisburg an, die vielleicht coronabedingt ausfällt. Aber selbst eine Atempause von ein paar Tagen mehr bis zum nächsten Spiel wird diesem HFC nur wenig helfen. 

Es wird ein hartes Jahr werden, härter noch als das letzte.


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