Als sich herausstellte, dass Masken allen Unkenrufen zum Trotz vielleicht doch etwas nützen könnten im Kampf gegen das Corona-Virus, stellte sich der deutschen Kernmacht EU-Europas eine fast unlösbare Aufgabe. Man durfte nicht "Schutzmaske" zu dem sagen, was wie eine Schutzmaske aussah und auch wie eine wirken sollte, denn das Bundesamt für die Amtsbezeichnung Richtiger Medizinischerhilfsmittel (BfARM) hatte hier ein klare Meinung. Da Schutzmasken ohne amtlich bestätigen Schutzfaktor nachweislich nicht schützen, macht sich jeder strafbar, der ein nicht-schützende Maske unter der Bezeichnung "Schutzmaske" in den Verkehr bringt.
Ausgebremste Wachstumsindustrie
Das konnte niemand wollen. Das ganze Land nähte zu jener Zeit schon Masken in einem Maße, dass die kleine, feine Hinterhofindustrie binnen weniger Tagen um mehrere tausend Prozent wuchs. Nur ein Name für die Baumwolllappen musste her, ein Name, der auch dünne Vliestücher mit Riemchen, aus T-Shirt-Stoff gearbeitete Designerstücke und selbst hergestellte Community- oder DIY-Masken“ (BfARM) einschloss. Und medizinische Gesichtsmasken sowie partikelfiltrierenden Halbmasken nicht aus.
Die Bundesworthülsenfabrik in Berlin (BWHF) empfahl anfangs den Begriff "Symbolmasken", der nach Ansicht der Worthülsendreher ausreichend sein sollte, das bedrohliche Bezeichnungsdefizit zu beheben, ohne die Bevölkerung zu verunsichern oder das Deutsche Patent- und Markenamt auf den Plan zu rufen. Doch die Bundeskanzlerin, die sich über Monate hinweg geweigert hatte, Bilder von sich mit Maske an die Medien durchzustecken, entschied anders. Die bis dahin geltenden Normen für Schutzmasken wurden aufgehoben. Eine neue Fachbezeichnung trat in Kraft.
"Mund-Nase-Schutz" sollte die neue Produktkategorie heißen, der Wunderwirkungen zugeschrieben werden. Im neuen Namen sei der für die Menschen im Land wichtige beruhigende Begriff "Schutz" enthalten, der den Bürgerinnen und Bürgern Sicherheit vor Corona vorgaukele. Dennoch könne das BfARM nicht remonstrieren, weil der Fantasiebegriff "Mund-Nase-Schutz" selbst nicht geschützt sei, hieß es im politischen Berlin.
Eigenleben und Stille-Post-Evolution
Eine kluge Entscheidung, wie sich seitdem gezeigt hat. In den vergangenen Monaten wurde der eigentlich sinnfreie Begriff "Mund-Nasen-Schutz" zum Goldstandard der Corona-Bekämpfungsberichterstattung. In den Medien und der Bevölkerung wurde das neue Kunstwort gern und begeistert angenommen. Nach und nach entwickelte es sogar ein beeindruckendes Eigenleben, das zu einer Verwandlung führte, die wie sinnbildlich für Deutschland im Corona-Jahr 2020 steht: Aus dem anfangs bundesweit empfohlenen "Mund-Nase-Schutz" wurde durch Abschleifung, spontane Buchstabenaddition und Stille-Post-Evolution das heute fast durchweg gebrauchte "Mund-Nasen-Schutz" (Grafik oben).
Dessen Bedeutungstiefe reicht weit über die hinaus, die der Begriff allein aus sich heraus und als Name für einen Corona-Ausrüstungsgegenstand hätte erlangen können, auch wenn der nach Angaben des bayrischen Ministerpräsidenten Markus Söder "das Einzige" ist, was "wir gegen Corona haben".
Nein, "Mund-Nasen-Schutz" steht in seiner fantasievollen Inhaltsleere als Beispiel für die Gefolgstreue, die deutsche Disziplin bis heute hervorzubringen in der Lage ist: Mag auch vom Verstand nicht greifbar sei, wie eine Maske den "Mund" des Trägers im Singular, seine "Nasen" aber im Plural schützen könnte, so ist der Begriff "nun mal da", wie Angela Merkel vielleicht formulieren würde.
Und dann muss er eben auch benutzt werden, ohne immer zu hinterfragen. Ist doch gut, wenn eine Maske, die nach Angaben der BfARM keinerlei nachgewiesene Schutzwirkung hat, dem Namen nach verspricht, nicht nur den einen Mund des Trägers, sondern darüberhinaus auch noch Nasen in kleineren oder sogar größeren Mengen zu schützen.
Einer Erklärung bedarf das rätselhafte Phänomen nicht, es gilt als ebenso große Selbstverständlichkeit wie die Meldung, dass vier von zehn auf dem Höhepunkt der Maskenpanik im März von der Bundesregierung in China bestellten Schutzmasken "mangelhaft" (Spiegel) sind und keine oder nur eine eingeschränkte Schutzwirkung haben.
Ersteres war bei der Bestellung eingepreist, wusste der Gesundheitsminister doch schon im Januar, dass "Masken keinen zusätzlichen Schutz" bieten. Letzteres dagegen wäre vor diesem Hintergrund ein riesiges Wunder von Technik und Wissenschaft: Masken mit einer wenigstens eingeschränkten Schutzwirkung, obwohl doch die Experten des Robert-Koch-Institutes von Anfang der Seuche an "keine hinreichende Evidenz dafür" hatten finden können, "dass das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes das Risiko einer Ansteckung für eine gesunde Person, die ihn trägt, signifikant verringert".
2 Kommentare:
Ein Schutz für eine Nase ist ein Nasenschutz, aber ein Schutz für die Hände ist kein Händeschutz. Linguisten anwesend?
Apotheke, Konsum, Bäcker, S-Bahn usw, verwenden alle in ihren wegweisenden Hinweisen das Wort Maske. Jeder weiß, was damit gemeint ist.
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