Sonntag, 6. September 2020
Doku Deutschland: Der Tag, an dem die AfD verschwand
Der Tag, an dem die AfD verschwand, begann wie ein ganz normaler Tag. Die Sonne ging auf und sorgte für einen gewissen Optimismus, was die Stromversorgung anbelangte. Menschen machten sich auf den Weg zur Tafel, zu einem der Ämter, die Ausreiseanträge bearbeiteten oder in eine der unzähligen Redaktionsstuben, die noch ein einigermaßen gesichertes Auskommen boten.
Dort fand sich an diesem Morgen bei der Sichtung der neuesten Agenturmeldungen erstmalig keine einzige Nachricht über, oder auch von der Alternative für Deutschland. Auch von Reichsbürgern und Ostdeutschen war kaum noch Nennenswertes zu berichten. Dies war umso erstaunlicher, als dass die vergangene Nacht - wie jede vorherige auch - ein paar Dutzend Mord- und Vergewaltigungsopfer gezeitigt hatte. Darüber hinaus standen Steuererhöhungen an. Strompreise und Rundfunkbeiträge hatten sich seit Jahresanfang nahezu verdoppelt. Der Bitcoin stand vor der Zwanzigtausend-Euro-Schwelle und Katharina Fegebank in den Umfragen für die Kanzlerschaft auf Platz Eins. Vorgänge also, deren etwaige Instrumentalisierung durch Populisten und Neurechte es in den eigens eingerichteten Kolumnen und Sondersendungen einzuordnen galt. Aber so sehr man auch die News durchsuchte, es wollte kein rechtes Lüftchen aufkommen.
Vollends verunsichernd wirkte die Tatsache, dass auch telefonisch niemand von der AfD zu erreichen war. Sämtliche Anrufversuche endeten mit der Information, dass die Nummer entweder nicht vergeben, oder der Teilnehmer nicht erreichbar sei. Gleiches galt für den Mailverkehr. Schließlich landeten selbst Bemühungen, Statements oder Kontaktadressen der AfD in den sozialen Netzwerken zu finden, in schlichter Ratlosigkeit. Die einschlägigen kritischen Webseiten und Blogs, sonst verlässliche Lieferanten für die Berichterstattung, zeigten eine einzige Zahl: 404. Die AfD war nicht nur vom Erdboden verschluckt sondern gleichzeitig von den Bildflächen verschwunden.
Einer kurzen Phase des Triumphes unter den Medienvertretern folgte eine gewisse Unruhe, die alsbald in regelrechtes Entsetzen mündete, als die ersten Volontäre, die man mit dem Auftrag losgeschickt hatte, AfD-Mitglieder zu Hause aufzusuchen, am Handy vermeldeten, dass die angegebenen Adressen scheinbar nie existiert hatten. Befragte Nachbarn, zumeist linke Wohngemeinschaften, Angehörige der LBGTQ-Gemeinde oder Familien mit Migrationshintergrund gaben durch Laute und Handzeichen zu verstehen, niemanden mit dem erwähnten Namen zu kennen und von einer AfD nie etwas gehört zu haben. Hielt man dies anfangs noch für einen unglücklichen Zufall, so verdichteten sich doch die Anzeichen, dass irgendetwas da draußen passiert sein musste, das sich der rationalen Wahrnehmung der Medienschaffenden entzog.
Was immer man in den folgenden Tagen versuchte, es gelang weder ein Kontakt zu jemandem von der Parteiführung noch zu irgendeiner sonstigen lokalen Größe oder einem, der gern interviewten alten weißen Wutbürger von der Straße. Auch die Versuche, die bekannten AfD-Verbündeten im Ausland zu erreichen scheiterten kläglich. Eilends wurden Redaktionskonferenzen einberufen, in denen man sich gegenseitig vergewisserte, noch bei Verstand zu sein. Es war ein kurzer, ein schwacher Trost, der aus dem Zusammensein in den Funkhäusern und Schreibstuben erwuchs, aber bald war das Gefühl übermächtig, den Boden unter den Füßen zu verlieren.
Einige Tage noch wurden die für Meldungen aus dem antidemokratischen Sektor freigehaltenen Spalten, Sendeplätze, Sonderausgaben und Dokumentationen noch mit Betrachtungen darüber gefüllt, was das Aussterben der Menschheit nun anstelle der Verschwundenen bewirken würde - der nächste Dürresommer oder aber eine ultimativ multiresistente Virenmutation, aber schließlich brachen, was die Umsätze, Einschaltquoten und Leser anging, alle Dämme. Dürren und Krankheiten ohne Bildhaftes von den letzten Endes dafür verantwortlichen Rechtspopulisten erwiesen sich als kaum verkäuflich. Politologen, Demoskopen, Parteien- und Extremismusforscher, ja sogar Redakteure wurden auf Kurzarbeit gesetzt und schließlich entlassen, als den meisten klar wurde, dass die AfD entweder nicht mehr auftauchen würde oder schlimmer noch - nie existiert hatte.
Den obsolet gewordenen medialen Spezialisten folgte (die Rundfunkgebühren sicherten nur noch einen Bruchteil des erforderlichen Budgets) schon bald weiteres Fußvolk. Moderatoren, Korrespondenten, Feuilletonisten, Kolumnisten, Talkmaster, Kameraleute, Tontechniker, Beleuchter, Mitarbeiter von Maske und Kantinen. Die Meteorologen hielten sich noch eine Weile, aber als auch die Temperaturen immer weniger mit den vulkanrot eingefärbten Wolkenbildern korrespondierten, gerieten auch sie unabänderlich ins Schlingern. Als schließlich bekannt wurde, dass einige Gletscher begonnen hatten zu wachsen, war ihr Schicksal besiegelt.
In der Folgezeit diffundierten hunderttausende Geschichtenerzähler gemeinsam in eine, ihnen bis dato völlig unbekannte Realität. Sie fanden sich in den Vorstädten wieder, in denen unbefristet geltende Ausgangssperren durch streng überwachte Freigangszeiten in gesicherten Korridoren unterbrochen wurden. Urbanisationen, von denen aus sich einige Wenige gelegentlich durch die Landschaften mit verrostenden Windparks hindurchwagten, in denen lokale Aktivisten immer wieder Straßensperren errichteten.
Wer durchkam, hatte gute Chancen, gegen einen freilich satten Betrag in einer der wiederum streng bewachten Kommunen hinter meterhohen Stahlbetonwänden einige Tage in friedlicher Atmosphäre aufzutanken. Allerdings wurden diese wenigen Ausbrüche seit geraumer Zeit von den IT-Zentralen der bundesdeutschen sozialistischen Einheitspartei als unsolidarische Dekadenz angeprangert. Wer als sogenannter Altjournalist jeglichen Geschlechts beim Nutzen von derartigen Privilegien entdeckt wurde, lief Gefahr, im Scoring Tableau in den sogenannten Stay-Status zu rutschen. Eine Art Lockdown-Ranking, von dem bekannt war, dass man nur schwer wieder herausfand.
Abends, wenn der Strom ein zweites Mal zugeschaltet wurde und die Joints kreisten wie in alten Zeiten, stritten die ehemals Deutungsbefähigten in ihren kathartischen Wohngemeinschaften noch lange darüber, ob es die AfD nun gegeben hatte oder nicht.
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3 Kommentare:
Ist wohl ein Düsseldorfer Karnevalswagen von dem Typen, der genau weiß, was man von ihm erwartet. Zum Schreien komisch! Und so subtil! Das sind so Augenblicke, wo man sich schämt, Deutscher zu sein. Das gibt es also tatsächlich.
Ein staatsloyaler politischer Witz ist so ergötzlich wie ein Hakenkreuz aus Pessachmatzen. Aber ich wiederhole mich, so sagte ich schon zum ehemaligen Satiremagazin "Eulenspiegel".
Da ist man ja fast schon froh, das Dank Corona, der Staats-Karneval mit seinen gar pfiffigen Nazi-Vergleichen und messerscharfen Analysen warum die AfD und Trump an allem Schuld sind, im nächsten Jahr leider leider entfallen muss. So wird die Welt wenigstens ein kleines Stückchen besser.
Wenn jetzt noch bei "Mainz, wie es singt und lacht" der Ökostrom ausfallen würde, hätte ich einen inneren Reichsparteitag. Oder ein Synonym dafür, falls das man nicht mehr sagen darf.
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