Montag, 18. Mai 2020

Querfront: Die Allianz der Lockerer


In Deutschland versucht im Moment eine Querfront, in der sich unter anderen Rechtsradikale, krude Impfzweifler, Linksautonome, Kapitalismuskritiker, Raucher, Kinderpornosammler, Hasshetzer, ehemalige Stasileute, Biertrinker, Maskenverweigerer, Tierquäler und Esoteriker zusammenfinden, absurde Umsturzphantasien in die Gesellschaft zu tragen und den demokratischen Diskurs durch provokativen Widerspruch und Regierungskritik zu unterminieren.

Ihr potenzielles politisches Reservoir ist groß, die Gefahr, die von ihren Aktivitäten ausgeht, bedroht das gesamte Gemeinwesen. In Thüringen zum Beispiel gelang es der Querfront aus Linken, Rechten und Extremisten der Mitte unter dem Druck der Straße bereits, das Versammlungsverbot zu kippen. Damit sind wieder Demonstrationen ohne Beschränkungen der Teilnehmerzahl möglich - im privaten Bereich bleibt es bei einer Höchstzahl von fünf Personen, die sich treffen dürfen.

Auffällig, dass es ausgerechnet Thüringen ist, das die ersten Schritte zur Anerkennung der Corona-Leugnung  vornimmt. Hier hatte der frühere Ministerpräsident mit den Abweichlern aus gierigen Mittelständlern, verwirrten Solo-Selbständigen und Leuten demonstriert, die der DDR und den Zeiten immer noch nachtrauern, als beinahe jede Woche Fußball im Erfurter Steigerwald-Stadion gespielt wurde und simples Händewaschen die beste Medizin gegen eine Virusinfektion war.

Menetekel Fleischindustrie


Die Alarmzeichen sind derweil unübersehbar: Die Zahl der Corona-Fälle in der Fleischindustrie steigt, zumindest in den USA und dort speziell im Weißen Haus könnte jeder zweite Corona-Test ein falsches Ergebnis liefern und die Corona-Leugner in der Unionsfraktion drängen auf weitergehende Erleichterungen für Geschäftemacher und geldgierige Multis. Zu ihrem Instrument machen sich Medienberichten zufolge immer mehr Menschen, die zum Teil bereits über terroristische Akte gegen das Virus nachdächten, wie Matthias Quent, Rechtsextremismusforscher und Direktor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) in Jena, im Milieu der Leugner, Hasser, Hetzer und Zweifler ermittelt hat.

Die alte Frage ist nun wieder aktuell, wie extremistisch, radikal und demonstrativ gegen die - derzeit suspendierten - Grundrechte jemand handelt, der sich an der Seite von Menschen, die er so wenig kennt wie ihre Motive, auf die Straße begibt, um seinen laienhaften oder gar kruden Ansichten zu Seuchenschutz, Pandemiebekämpfung und Rechtsstaatlichkeit von Eindämmungsverordnungen Ausdruck zu verleihen. Zum Demonstrationsrecht, so steht es im Grundgesetz, gehört auch die Verantwortung, darüber nachzudenken, bei wem man sich einreiht und wofür man mitläuft - entsprechend alarmiert waren die deutschen Medien über die querfrontlerische und "verschwörungstheoretische Mischpoke" (Henriette Reker), die Innenstädte in Beschlag nimmt, um Bürgerseiende zu verunsichern.

Die düsteren Absichten der Initiatoren



Das Medienecho zu den Coronaleugner-Demonstrationen des Jahres 2020 erinnert nicht nur an das Medienecho, das die ersten Demonstrationen in der DDR des Jahres 1989 ernteten - es ist, abgesehen von Nuancen, die den geänderten ideologischen Zeitumständen geschuldet sind, nahezu identisch: Den "Initiatoren" werden düstere Absichten unterstellt. Dem Volk hingegen, das ihnen zuläuft, wird der eigene Wille abgesprochen. Sie sind Verführte, vom Internet Falschinformierte ohne Kenntnis von dem, was sie tun, naive Opfer von Hasspredigern, Verschwörungstheoretiker und verwirrten hessischen Soulsängern.

Deren Ziel sei Provokation, das Stiften von Unruhe, die aggressive Stimmungsmache gegen den demokratischen Rechtsstaat. Innenminister aller Parteien warnen inzwischen vor einer Teilnahme an den Veranstaltungen - das folgt einem Muster, das älteren Ostdeutschen gut im Gedächtnis ist. Bring sie in Verruf, unterstelle ihnen das Schlimmste, rücke sie in die Nähe noch Schlimmerer, nenne sie Nazi, nenne sie missbraucht. Diesmal hat die Seuche des Unglaubens an die durchgehende Richtigkeit und Angemessenheit aller Maßnahmen, die Bundes- und Landesregierungen in den zurückliegenden drei Monaten getroffen haben, vor allem den Westen Deutschlands gepackt, der zuvor auch stärker vom Virus betroffen war.

Zum warnenden Nachdruck empfohlen


Zum warnenden Nachdruck in den Regionalzeitungen dieser Gebiete, die bisher als regelrecht durchdemokratisiert, wohlhabend und immun gegen rechte, linke und mittige Rattenfänger galten, bietet sich eine heute längst legendäre Analyse einer unerwünschten "Zusammenrottung feindlich-negativer Elemente an, mit der die "Leipziger Volkszeitung" (LVZ), damals noch in SED und nicht in SPD-Besitz, die Blaupause für alle lieferte, die sich mit der Feder in der Hand und ohne direkt bei einer womöglich staatsfeindlichen Demonstration mit Teilnehmern zu sprechen agitatorisch dem entgegenstellen wollen, was das friedliche Zusammenleben aller Bürgerseienden bedroht.

"Was trieb Frau A.K. ins Stadtzentrum?", fragte die LVZ im Sommer 1989 Blatt. PPQ dokumentiert nachfolgend das unbearbeitete Original von "Was trieb Frau A. K. ins Stadtzentrum?", eine Kostbarkeit aus der Feder von Rudolf Otto, erschienen in der Leipziger Volkszeitung vom 24./25.06.1989:


Es wären eine ganze Menge ehrenwerter Gründe denkbar, warum Frau A. K. aus Wurzen am vergangenen Montagabend in der Leipziger Innenstadt anzutreffen war.

Sie ist jung und hat dementsprechende Einkaufswünsche oder will sich einen neuen Film ansehen oder in der Eisbar den Feierabend genießen. Zeit hat sie, denn sie nutzt nach der Geburt ihres zweiten Kindes das hierzulande mögliche “Babyjahr”.

Aber nicht solche ehrenwerten Gründe bestimmten den Weg der Frau, sondern ein höchst verurteilenswerter.

Sie fuhr in eindeutig provokatorischer Absicht nach Leipzig, um gemeinsam mit Vertretern bestimmter Gruppierungen – darunter solche aus Halle, Dessau und Dresden – im Zentrum der Bezirksstadt die öffentliche Ordnung zu stören, die Ruhe und Sicherheit der Bürger anmaßend zu beeinträchtigen und auf Konfrontation mit unserem Staat DDR und mit unserer Gesellschaft zu gehen.

Das hatten Gruppen solcher Personen in den vergangenen Monaten schon einige Male versucht und hatten dazu im Januar schamlos auch das Gedenken an Karl Liebknecht/Rosa Luxemburg oder im März die Frühjahrsmesse mißbrauchen wollen.

Jetzt also war zu diesem Zweck auch Frau A. K. angereist.

Alle Vorzüge genießen, aber unsere Gesellschaft negieren


Welche Unverfrorenheit gehört dazu, zu Hause alle Vorzüge zu genießen, die unsere Gesellschaft den Bürgern und insbesondere den Familien zukommen läßt und dann auf der Straße entgegen allen gesellschaftlichen Normen die Leistungen und Errungenschaften dieser sozialistischen Gesellschaft in den Straßenstaub treten zu wollen.

Frau A. K. konnte sich in einer dreijährigen Lehrzeit auf den gewünschten Beruf vorbereiten, Sie bekam einen Arbeitsplatz als Facharbeiter in einem Betrieb. Sie erhielt bei der Geburt des zweiten Kindes eine bezahlte Freistellung von einem Jahr. Sie bekam bei Erkrankung der Kin- der Unterstützung zu deren Pflege.

Bestimmt wird der Frau gleichermaßen bekannt sein, daß sie im anderen deutschen Staat, den sie für lebenswerter hält, ein solches Umsorgtsein, eine solche Fürsorglichkeit, eine solche soziale Geborgenheit für sich und ihre Kinder nie erwarten kann. Aber sie gesellte sich dennoch zu denen, die ihr Heimatland DDR auf Leipzigs Straßen verketzern und beleidigen wollen und dar- über hinaus die öffentliche Ruhe und Ordnung stören.

Diese Unruhestifter setzen sich mit ihrem Treiben in voller Absicht über die bei uns gültigen Normen des Zusammenlebens und über Rechtsnormen hinweg. Sie haben – das gilt auch für Frau A. K. – die Folgen ihrer provokatorischen Handlungen selbst zu verantworten.

Diese Leute werden zu willkommenen Handlangern jener Kräfte in der BRD, die unsere sozialistische DDR von innen her- aus so langanhaltend und tief- greifend “reformieren” wollen, bis die Agonie eintritt und vom Sozialismus nichts mehr übriggeblieben ist.

Genau das ist ihr Ziel. Seitdem es die DDR gibt und seitdem dieses Land ein neues Kapitel deutscher Geschichte schreibt.

Natürlich sagen das die Gralshüter des kapitalistischen Systems nicht immer so offen und so unverblümt, wie sie es 1949 oder im Juni 1953 oder vor dem 13. August 1961 gesagt und geschrieben haben. Aber ihre er- klärte Absicht ist es geblieben, sich im Gegensatz zu allen internationalen Verträgen und Verbindlichkeiten in die inneren Angelegenheiten der DDR ein- mischen zu wollen. Das ist Ausdruck Ihres anmaßenden AIleinvertretungsanspruchs, der längst in die Mottenkiste der Geschichte gehört, von Bonner Politikern aber entgegen den Realitäten immer wieder rausgezerrt wird.

Und dazu bedienen sie sich auch solcher Gruppen wie in Leipzig, denen sie empfehlen, sich “stärker in die inneren Angelegenheiten des Staates einzumischen”.

Die so reden und so handeln, scheinen übersehen zu haben, in welcher Vielfalt und mit welchem Tiefgang das Volk der DDR als Träger und Gestalter umfassender sozialistischer Demokratie sich einmischt, damit unsere gute, solide, stabile Entwicklung weiter voranschreitet. Mir ist nicht bekannt, daß es in der Bundesrepublik auch nur im entferntesten solche Möglichkeiten des Mitplanens, des Mitregierens, des Mitverwirklichens für die Werktätigen gibt.

An insgesamt acht Wahlveranstaltungen nahm ich vor dem 7. Mai teil, – von Zusammenkünften im kleinen Kreis der Etagenbewohner bis zur öffentlichen Wahlkreisberatung im überfüllten großen Saal. Dort hätten jene Leute, die sich auf eine den BRD-Ratgebern genehme Art mit ihren Provokationen in Leipzigs Zentrum in die inneren Angelegenheiten des Staates einmischen wollen, eine Lehrstunde produktiver, verantwortungsbewußter Einmischung kostenlos erleben und studieren können.

Leipziger Bürger fordern Ordnung, Ruhe und Sicherheit



Aber der A. K. und ihresgleichen geht es ja nicht um solcherart staatsbewußtes Verhalten. Sie suchen nicht die Kooperation mit den gesellschaftlichen Kräften, sondern die Konfrontation mit einer Gesellschaft, in der sie ohne Zukunftsangst aufwachsen konnten und in der sie in Friedensgewißheit und in sozialer Sicherheit leben können.

Darauf legen sie es an, Begriffe, die sie auf der Zunge tragen – mehr Meinungspluralismus, mehr Offenheit, mehr Erneuerung, mehr Reisen – können darüber nicht hinwegtäuschen und machen aus Provokateuren keine Unschuldsengel.

Von Unverständnis bis zur hellen Empörung über die Unruhestifter sind folgerichtig Briefe bestimmt, die Leipziger Bürger an staatliche Organe geschrieben haben und mit denen sie fordern, solche Umtriebe nicht zuzulassen. Einige Auszüge aus diesen Briefen:

Frau Ferber schreibt: “Wir älteren Bürger sind beunruhigt über die Ansammlungen vor der Nikolaikirche. Man fühlt sich belästigt und muß die Abendstunden meiden, durch die Innenstadt zu bummeln.”

Der Wohnbezirksausschuß 112 in Leipzig- Mitte fordert, “dem Treiben einiger Menschen Einhalt zu gebieten, die Ordnung und Sicherheit in unserem Wohngebiet stören. Unsere Bürger empfinden das als Belästigung und Gefährdung der öffentlichen Ruhe und Sicherheit im Zentrum unserer Stadt.”

Herr Urban fordert im Auftrag der Bürger seines Wohnbezirkes:

“Stadtordnung und Straßenverkehrsordnung müssen komplexer und ohne Ansehen der Person durchgesetzt werden… Veranstalter müssen sichern, daß der Mißbrauch ihrer Veranstaltung verhindert wird.”

Weil ihm letzteres ausdrücklich am Herzen liegt, schickte Herr Urban einen Durchschlag seines Briefes zugleich an Herrn Superintendent Magirius mit dem Hinweis, “daß der Ruf der Stadtkirche St. Nikolai in letzter Zeit mehrfach durch Menschen belastet wurde, die die Kirche für persönliche und teils provokatorische Handlungen nutzen”.

Wir haben volles Verständnis für das Bedürfnis der Leipziger Bürger und ihrer Gäste, ungestört und in harmonischer Ruhe auch in den Abendstunden unser schönes Stadtzentrum genießen zu wollen, Einkäufe zu erledigen oder auf Freisitzen der gastronomischen Einrichtungen Entspannung zu suchen. Der jetzt beginnende “Leipziger Sommer” mit seinen vielen Veranstaltungen weckt solche Bedürfnisse erst recht. Sie wollen dabei von Frau A. K. und ihresgleichen nicht gestört und nicht belästigt werden.

7 Kommentare:

Jodel hat gesagt…

Möchten Sie diesen Artikel nicht als Handreichung an unsere aktuellen Medienschaffenden weiterleiten. Viele können durch die Gnade der späten Geburt noch gar nichts von diesem zeitlosen Machwerk wissen. Alle Gnadenbeweise der Regierung in den höchsten Tönen loben und gleichzeitig alle Kritiker in dieser eloquenten Weise miesmachen, das will gelernt sein. Solche Könner werden doch immer gebraucht. Aktuell mehr denn je.

Die Anmerkung hat gesagt…

Der Autor hieß Rudolf Otto, aber das war ein Pseudonym. Tatsächlich hatte Rudi Röhrer geschrieben, Mitglied der Bezirksleitung der SED - und Chefredakteur der "Leipziger Volkszeitung".

Steffen Winter

ppq hat gesagt…

geschrieben hat jedenfalls ein großer meister, für mich der brahms des propagandamarsches, der beethoven der verächtlichmachung. sowas wird heute gar nicht mehr hergestellt, in dieser superklarheit, mit diesem vernichtungsanspruch bei gleichzeitiger liebevoller zusprache. rudi röhrer habe ich nie gehört, aber falls er noch irgendwo da draußen mitliest, genosse, deine feder ins waffenverzeichnis!

Die Anmerkung hat gesagt…

Ich hab das doch auch beim Relotius abgeschreiben.

https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-67682711.html

Bei der Gelegenheit offenbarte sich, daß PPQ das Stück alle Jubeljahre als Zeugnis der Anklage auf Seite 1 hebt.

https://www.politplatschquatsch.com/2014/12/pegida-was-trieb-frau-ak-ins.html

Bei der Gelegenheit der Recherche fiel mir auch dieser Post mit der langen Führernacht auffällig auf.

https://www.politplatschquatsch.com/2010/03/ein-abend-mit-adolf-die-lange.html

In aller Bescheidenheit möchte ich ganz leise auf die aktuellen Fernseheabende beim deutschen Führersender verweisen. Gestern war die SS dran. Vorgestern der Führer. Heute gab es die heldenhaften Panmzergenerale, die für ihre Leistungen im Ostfeldzug mit Ländereien und Herrenhäusern bedacht wurden.

Man muß sich nicht schämen, wenn man sich in Zeiten der Schutzhaft stundenlang den Führer und sein Erfolge reinzieht. Der Staatsfunk und die Verblödungssteuer machen's möglich.

ppq hat gesagt…

ostseezeitung? eine typische relotiusade. die hatten doch niemals zeitungen dort oben. der andere text hat es einfach verdient, wieder und wieder gewillischwabt zu werden.

hitler hatte jetzt auch lange bühnenpause, klar, dass es den wieder rauszieht, wo doch die erste lockerungsphase am geburtstag begann

Anonym hat gesagt…

Aus Wurzen, junge Frau und "Einkaufswünsche" - da haben wir es doch, was damals in der deutschen demokratischen und heute in der bundesdingseuropäischen Republik schief läuft! Semper idem!

Anonym hat gesagt…

Dieser Rudi Röhrer hat sich ofenkundig schon 2012 nach Nastrand begeben, so wie Noel Ignatiev es 11/19 getan hat.
Merbitz und sein Nachfolger Schultze krauchen noch herum. Sollen sie. Zehntausend Jahre Reinkarnation als Anneliden / Angelköder sind ihnen gewiß. Ja doch, Wunschdenken.