Hauptsache spielen: Der Deutsche Fußballbund zeigt auch in der Krise sein profitorientiertes Gesicht. |
Der Fußball und seine Bundesligen standen zu Beginn dessen, was nach amtlicher Maßgabe inzwischen "Corona-Krise" heißen soll, im Epizentrum der Seuche. Geisterspielen, Absagen, Insolvenzen, was wird aus der Champions League? Abgesehen vom DFB-Pokal, der seine volkswirtschaftliche Bedeutung dadurch unter Beweis stellte, dass niemand auch nur ein Wort über den Wettbewerb verlor, war einige wirklich schöne Wochen lang nichts wichtiger bei der Bewältigung der Pandemie als die Frage, was aus Borussia Dortmund, dem FC Köln und Mönchengladbach werden würde, wenn es zum Schlimmsten käme.
Milliarden stehen auf dem Spiel
Millionen standen auf dem Spiel, europäisch gesehen Milliarden! Während in Italien Tausende starben und eine ganze Volkswirtschaft zusammenbrach, diskutierte Deutschland über "Geisterspiele". Einzig durch die plötzlich aufkommende Frage, ob man Schulen und Kindergärten wohl besser irgendwann auch schließen sollte, wurde die Löw-Nation vor Wochen und Monaten gerettet, in denen jedermann und jede Frau pflichtschuldigst mit den als "Verein" verkleideten Kapitalgesellschaften der Operettenligen hätten bangen müssen. Tor oder Tod? Sterben? Oder weiterspielen?
Die Sache ist nun endlich entschieden. Nur acht Wochen nach dem ohne Zuschauer ausgetragenen Bundesligaspiel zwischen Gladbach und Köln steht die Fortsetzung der Saison an - die Corona-Unterbrechung war damit sogar ein bisschen kürzer als eine ganz normale Sommerpause.
Die Stimmung ist dennoch angespannt: Geht es nicht weiter, geht alles unter. Auf einmal sollen die Ligen, die erste bis zur dritten, nicht nur sich selbst retten, sondern auch die Stimmung im Land des Lockdown, indem Millionen junger Mann seit Wochen beschäftigungslos daheim sitzen. Kein Bier in der Kneipe, kein Grillen mit Freunden, keine Disko, kein Stadion. "Die Stimmung kippt", warnt die Berliner Zeitung im typischen Diskant des Rechtspopulismus, der Furcht in ähnlicher Weise mit klammheimlicher Vorfreude kombiniert wie der linkspopulistische Seeretter.
Kippen statt kicken? Das darf nicht geschehen, das muss verhindert werden. In der Wirtschaft und im zivilen Leben verbieten sich nach Maßgabe der Kanzlerin noch immer jegliche "Öffnungsdiskussionsorgien". Aber im Fußball, da kann schon mal etwas gewagt werden.
Warum also nicht die blutjungen, risikobereiten und kerngesunden Fußballarbeiter vorschicken und schauen, was passiert? Der DFB will das, denn es hängt viel Geld am Spiel. Die Politik will es, denn nur so kann das Land "langsam wieder hochfahren" (Laschet), ohne dass es zu langsam geht. Und die Spielfiguren auf dem Platz, die wollen es auch. Es ist ja schließlich ihr Beruf. Oder sind die Spieler etwa feiger als ein paar Krankenschwestern?
Eine verkürzte Sommerpause
Dabei: Am Geld hängt es letztlich nicht. Neun Milliarden wird der Bund demnächst mindestens spendieren, um die Lufthansa zu retten. Das ist etwa 20 mal so viel wie die Bundesliga benötigen würde, um bis zum Start der nächsten Spielzeit ohne die Fernsehmillionen und die Ticketeinnahmen über die Runden zu kommen. Doch der DFB und die Großklubs, seit den Stillhalteabkommen vor der WM 2006 gemeinsam mit der Bundesregierung eine Zugmannschaft am gleichen Seilende, haben nicht gefragt. Sondern sich auf die bizarre Hoffnung verlegt, Geisterspiele könnten den Betrieb am Laufen halten.
Geisterspiele, das Äquivalent zu Elektropferderennen in Online-Casinos. Nur mit Mundschutz und Kurven voller Pappkameraden.
In der dritten Liga zumindest ahnen manche, welchen Schaden der Sport nicht nur kurzfristig, sondern langfristig nehmen würde. Vor allem im Osten rechnen die Vereine mit roten Zahlen - abgesehen von denen, die von schillernden Investoren gesteuert oder ohnehin schon von einem Insolvenzverwalter gelenkt werden. Doch der DFB, der den größten Skandal seiner skandalreichen Geschichte eben erst glücklich entkommen ist, weil das Lügenmärchen um das Sommermärchen nach der Verjährung der Vorwürfe in der Schweiz nun zu Erleichterung aller für immer unaufgeklärt bleiben wird, möchte seine höchste Spielklasse gern einbringen in den heldenhaften Kampf für die "neue Normalität" (Olaf Scholz) eines Landes im Ausnahmezustand, das so tut, als sei nichts weiter passiert.
Spielfiguren als Stimmungsaufheller
Man muss schließlich etwas zurückgeben an die, die irgendwie dafür gesorgt haben, dass die führendsten Fußballfunktionäre aller Zeiten trotz ihrer undurchsichtigen Millionengeschäfte in Deutschland niemals einer Strafverfolgung ausgesetzt waren. So dass sie den Schweizer Richtern einfach durch stures Nichterscheinen bis zur Verjährung aus dem Weg gehen konnte. Gut für das Land, gut für die Menschen. Unsere WM bleibt die einzige in diesem Jahrtausend, die sauber und ohne Schmierereien über die Bühne ging. Alles andere war gekauft.
Ein Sumpf, mühsam übergrünt, so dass im dröhenden Schweigen nur noch die eine Frage eine Rolle spielt: Wann geht es weiter? Mit wie vielen Auswechselspielern? Müssen alle Spielfiguren auf dem großen Brett der Coronameisterschaft auch in der Halbzeitpause nochmal getestet werden? Wenn jemand sich infiziert, muss er dann ins Tor? Und spielen Abwehr und Angriff, Links- und Rechtsaußen wie Zehntklässler erstmal in Schichten?
Man könnte das dann für die Fernsehübertragungen, um die es im schönsten Unterhaltungsgeschäft der Welt überhaupt nur geht, hübsch zusammenschneiden. Dramatik. Schweiß. Und fetzige Musik dazu. Jetzt wo Netflix, Amazon und die ARD-Mediathek weitgehend leergeguckt sind, braucht es den Fußball dringender denn je, um die immer unruhiger trampelnden Lockerungsprediger zu befrieden.
Schon rufen die klügsten Köpfe, die Denker und Theaterlenker, Moralisten und Gauckler, eine vertikale Querfront aus Leugner, Hassern und Bedenkenträger, Grundrechtsfetischisten und Verächtlichmachern zum "republikanischen Widerstand gegen die Pandemie-Maßnahmen" (Frank Castorf). Die Freiheit ist immer auch die Freiheit des Fußballspielenden, wie Anne Will sagen würde. Und die Sorge um die Gesundheit zumeist ausländischer Unterhaltungskünstler tritt ganz schnell zurück, wo Furcht vor einem Unterhaltungsengpass aufkommt.
Zu glauben, man würde in ein paar Tagen spielen können, um abzulenken, Verträge zu er- und die Kassen aufzufüllen, ist das eine. Das andere ist, als was sich der Spitzenfußball damit entpuppen wird: Eine traurige Operetteninszenierung, innen hohl und außen so langweilig, dass die Sender Stadiongeräusche aus der Konserve werden einspielen müssen, um die Stadtliga-Tristesse der Milliardenkickerei zu tarnen.
6 Kommentare:
Diese ich-will-doch-nur-spielen-Typen werden sehr schnell feststellen, daß das in dieser Absolutheit so gar nicht gemeint war, denn es fehlen ja die Zuschauer, Pöbler, Ultras, die Choreo, der Krawall, die Fernsehintervies usw. usf.
Man kann am Zustand des Kolosseums gut erkennen, wohin Gladiatorenspiele ohne Zuschauer führen.
Es wäre für Merkels Digitalkabinett doch ein leichtes, das Publikum im Homeoffice per Webschalte zu einem nationalen Audio-Überstadion zusammenzumischen.
@anmerkung: genau so. ich stelle es mir vor wie eine leere bahnhofshalle, durch die der ptuzwagen fährt. oder eben wie oben beschrieben genauso wie die computergenerierten pferderennen bei den onlinecasinos. packend!
Kein Fußball ist auch keine Lösung. ALDI-Kassiererinnen gegen die von REWE im Olympiastadion, das wäre mal was. Und die Profis natürlich hinter die Kasse.
Beim ersten Überfliegen der Feed-Liste blieb
Maradonna bietet "Hand Gottes" für Corona-Ende,
also für den Sieg, bei mir hängen. Es war dann alles anders. Er betete. Aber auch das hilft. Ich bin felsenfest überzeugt, daß Corona irgendwann vorbei ist.
>> Ich bin felsenfest überzeugt, daß Corona irgendwann vorbei ist. <<
Ich nicht so sehr. Es steht eher zu befürchten, daß es wie die Zanke zwischen je zwei von Eurasien, Ozeanien und Ostasien gegen den Dritten davon immer lustig weitergeht.
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