Ganz zum Schluss, als alle Messen gesungen waren, traute sich Ursula von der Leyen aus dem hermetisch abgeriegelten EU-Hauptquartier in Brüssel heraus. Die Kommissionspräsidentin, seit Ausbruch der großen Corona-Krise mehr denn je zurückgestutzt auf den Status eines Frühstücksdirektors, verkündete im Nachtrab zu dem, was die nationalen Regierungen ohnehin nach langem Würgen und viel deutschen Widerstand beschlossen hatten, dass sie vorschlage, ganz Europa abzuriegeln. Keine mehr rein, keiner mehr raus. Die EU schottet sich knallhart ab - handstreichartig und ohne Vorwarnzeit, nach Wochen der Tatenlosigkeit Tatkraft zu beweisen.
Der Friedensnobelpreiskontinent EU, der sich wie selbstverständlich stets gleichgesetzt hatte mit dem Ko0ntinent Europa, der viel größer ist als er, rückt ab von seiner immer auch als "Signal" (Angela Merkel) an andere Staaten und den eher linken Teil seiner Staatsvölker gedachten Politik der open borders. Und begegnet der ersten wahren Krise Zeit seiner Existenz mit einem
Kein Meter zusätzlich geschlossen
Offiziell erreicht die EU-Kommission damit zwar keinen einzigen zusätzlichen geschlossenen Meter Grenze, denn das, was geschlossen ist, hatten die Nationalstaaten bis zu von der Leyens Vorschlag längst auf eigene Kappe, im Widerspruch zu den europäischen Verträgen und trotz aller Mahnungen aus Berlin geschlossen. Doch immerhin gelang es der EU-Kommission so für einen kleinen Moment, wieder auf der Bühne aufzutauchen, wenn auch nur in der Rolle des vorgesetzten Offiziers, der eine sich offensichtlich dienstvorschriftswidrig benehmende Mannschaftsunterkunft betritt und angesichts der Vergeblichkeit jedes anderen Befehl ein kerniges "Weitermachen" in den Raum wirft.
Auch das ist ein Signal, allerdings weniger für die Entschlossenheit der EU, an den laufenden Prozessen zum Umbau der Staaten in virusresistente Gemeinwesen teilzunehmen, als für die bekannte Steigerungsform von flüssig: Überflüssig. Eine obere Ebene, die in Zeiten, die schnelle Entscheidungen erfordern, nicht zu diesen schnellen Entscheidungen beitragen kann, weil ihre Existenz nicht die Geschwindigkeit erhöht, sondern die Komplexität der Entscheidungsfindungsprozesse, hat ihr Lebensrecht eigentlich verwirkt.
Kaum besteht kein Bedarf mehr an "Richtlinien" und "Verordnungen", mit denen der Radieschendurchmesser, der Feinstaubbedarf und die künftige Regenwahrscheinlichkeit in den Mitgliedsstaaten vereinheitlicht angeordnet werden, entpuppen sich die Gemeinschaftseinrichtungen als Handlungshinderungsinstitutionen, die selbst das beste Beispiel für die vernichtende Kraft des Exponentiellen liefert: 27 Mitgliedstaaten mit mehr als 200 anerkannten Regionen, in denen etwa ebenso viele unterschiedliche Parteien regieren oder mitregieren, erfordern so fein abgewogene Kompromisse, dass jede Verhandlung über Grundsätzliches der Versucht gleicht, einen allseits genehmen Frieden im Nahen Osten herzustellen.
Handeln auf eigene Faust
Die Konsequenz ist, dass die Nationalstaaten nicht mehr fragen, sondern auf eigene Faust handeln, gern auch gegeneinander, gern auch unabgesprochen. Die EU müsste nun, immerhin sind die europäischen Verträge weiterhin in Kraft, in jedem einzelnen Fall Vertragsverletzungsverfahren in Gang setzen, die sofortige Beendigung des rechtswidrigen Zustandes fordern und Strafen androhen. Sich selbst ihrer Ohnmacht bewusst seit dem Moment, in dem das schöne Wetter, in dem allein sie überleben kann, von einer Menschheitskatastrophe abgelöst wurde, entschied sich Ursula von der Leyen, alles, was gestern richtig war, als falsch anzusehen. Missbilligte sie gerade noch Donald Trumps Grenzschließungen, ruft sie nun dazu auf, selbst alle Grenzen zu schließen.
Es geht ums Überleben. Nicht nur der Menschen in Europa, nicht nur der gewohnten abendländischen Zivilisation. Sondern auch, und das ist Ursula von der Leyen wichtig genug, nicht einmal vor dem Bruch aller angeblichen Prinzipien zurückzuschrecken, um das des überstaatlichen Gemeinschaftskonstruktes, dessen ganzer Daseinssinn sich in der Katastrophe zeigt: Neben, unter und über dem Selbstzweck, da zu sein, gibt es keinen.
1 Kommentar:
Das interpretiert ihr falsch. Das ist doch nur ein Zeichen, dass es in der EU zuwenig klare Regelungen und keine Behörden mit klaren Zuständigkeiten für solche Situationen gibt. Sobald das ausgestanden ist, werden sich sofort ein Dutzend Ausschüsse mit dem Thema befassen und bis 2030 eine einheitliche europäische Lösung erarbeiten.
Kommentar veröffentlichen