Stroh-Engel hilft dem HFC auf die Strümpfe und macht das 1:2 höchstselbst. |
Eine ganze Minute und 48 Sekunden lebt die Hoffnung in Torsten Ziegner, dieses Endspiel um seinen Job könnte gut ausgehen. So gut, dass das Projekt HFC ist, das der an der Saale so beliebte Trainer anderthalb Jahre gestaltet und bis vor zwölf Wochen erfolgreich betrieben hat, überleben und noch einmal neu starten kann. Dann ist es ein langer Diagonalball, der nach rechts außen fliegt und nur auf Kosten einer Ecke geklärt werden kann. Die fliegt in den Strafraum, der wird zum Flipperautomaten. Letzter Mann am Ball ist Dominik Stroh-Engel, ein Riese von Gestalt, der gelenkig genug ist, das Leder aus 70 Zentimetern ins Tor zu drücken.
Das war's dann eigentlich schon mit dem HFC-Vorhaben, nach den Desasterwochen seit Oktober wieder so zu spielen wie in der guten alten Zeit davor, als die Sorge um möglichst originelle Jubelchoreografien die größte der Hallenser war. Tabellenführer, Aufstiegskandidat, verschworene Truppe, beste Abwehr, gefährlichster Sturm, all das hat sich schon vor Weihnachten irgendwo verloren, als der Trainer seiner Mannschaft unmissverständlich signalisierte, dass er sie nicht für gut genug hält, bis zum Frühjahr oben dran zu bleiben. Ziegner hatte gute Gründe für diese Annahme, denn die Heimbilanz seines Teams war da schon eher mitleid- als furchterregend, der HFC schoss kaum Tore nach Standards und wenn er auf einen entschlossenen Gegner traf, verhalf ihm nicht überlegene Spielanlage, sondern individuelles Glück und der Glaube daran, unbesiegbar zu sein, zum Sieg.
Nichts ist derzeit einfacher als die HFC-Abwehr zu düpieren. |
Schon das allein ein Wahnsinn, den selbst eine gefestigte, sich ihrer Mittel sichere Mannschaft nicht stehend überleben würde. Der HFC, einmal mehr komplett umformiert und diesmal mit Tom Müller im Tor, Toni Lindenhahn als Rechtsaußen, Dennis Mast auf der Sechs und Neuzugang Hilßner auf Linksaußen, versucht es natürlich. Zwei- , dreimal nähern sich die Roten dem Tor der Weißen, ehe wie aus dem Kopierer das 0:2 fällt: Lange Flanke von Müller von rechts, ein Segelball, der vier Stunden Richtung Fünfmeterraum schwebt. Stroh-Engel, flankiert von zwei Abwehrspielern, nickt ihn an Müller vorbei ins Netz.
Torsten Ziegner könnte einem leid tun, wäre es nicht die von ihm trainierte Abwehr, die gerade das 14. oder 15. Kontertor im sechsten Spiel gefangen hat. Der Trainer, auf seinem Sitz draußen wie immer in der grauen Hose, die seit den Tagen der letzten Siege immer grauer zu werden scheint, hat diese Mannschaft eingestellt, es ist sein Werk, das dort Willen zeigt, aber deutlich macht, dass spielerisch kaum etwas geht außer dem immer gleiche lange Ball von Mai Richtung Boyd. Und nur verzweifelter Kampf verhindert, dass ein Ballverlust im Mittelfeld zum nächsten Gegentreffer führt. Dennis Mast, der zum Sechser umgeschulte Außen, kratzt in der 20. Minute einen Schuss von der Linie, der zweifellos schon alles entschieden hätte.
So aber lebt der HFC noch ein bisschen weiter, er lebt sogar richtiggehend auf, als ausgerechnet Stroh-Engel nach einer HFC-Ecke Maß nimmt und den Ball ins eigene Tor köpft. Der erste HFC-Erfolg nach einem Standard seit Monaten, aber selbst der geht nicht auf die eigene Kappe.
Hilft aber wirtschaften. Denn nach den Vorgaben der Vereinsführung würde ein Remis Ziegners Job wohl noch eine weitere Woche retten - und die Mannschaft hat erklärt, dass sie auf den Thüringer vertraut. Vor allem Bentley Baxter-Bahn, Ziegner Ziehsohn aus Zwickauer Zeiten, läuft auch, als wolle er das Spiel allein drehen. Auch Lindenhahn, Mast, Landgraf, Vollert und Hilßner versuchen, was sie können.
Aber es ist immer ein Seiltanz über dem Abgrund. Obwohl Haching bei Balleroberung im Mittelfeld allenfalls mit drei, höchstens mit vier Leuten offensiv wird, schwimmt der HFC jedes Mal wie eine Schülermannschaft. Einmal kann Müller bravourös klären, einmal führt die bayrischer Kombination den Zielspieler ins Abseits. Aber immer ist zu sehen, wie dünn die Eisdecke ist, unter der das endgültige Ende aller Hoffnungen und der offizielle Einstieg in den Abstiegskampf wartet.
Ziegners Zeit läuft ab. |
Ziegner steht draußen und schreibt sich das erstmal auf. Zehn Minuten später wechselt er Lindenhahn und Sohm aus und Nietfeld und Hansch ein, letzterer versucht sogar mal so etwas wie Flankenläufe. Vorm Tor hat der HFC seine Chancen, immer noch, und den Willen, hier nicht so zu gehen, den zeigen sie auch fast alle. Aber es will nicht, es geht nicht, es klappt nicht. Sie passen aneinander vorbei, zielen zu hoch, zu tief und flanken immer in Kniehöhe. 6100 Zuschauer wittern trotzdem ein Fußballwunder, als Mathias Fetsch und Boyd nach einem Gewimmel im Hachinger Fünfmeterraum verhindern, dass die Gäste den Ball weit aus dem Strafraum schlagen. Stattdessen landet er bei Baxter-Bahn, der ihn aus acht Metern mit Schmackes in die Maschen haut.
2:3 und immer noch alles drin, zumindest ein paar Minuten lang. Der HFC drückt jetzt, als wäre das hier ein Pokalspiel und egal, ob man mit 2:3 oder 4:10 ausscheidet. Und tatsächlich, Unterhaching scheint zu wackeln, das Remis, das heute wie ein Sieg gefeiert werden würde, greifbar. Bis zur 82. Minute zumindest. Dann dackelt wieder ein Gästespieler einsam auf die HFC-Abwehr zu, Pass nach innen, für den ausgewechselten Stroh-Engel steht dort Hain, aber auch der macht ihn rein.
Eine normale Fußballmannschaft im Profibetrieb kassiert diese Art Tore einmal im Monat, in schlechten Phasen vielleicht einmal die Woche. Denn niemand springt gern in ein offenes Messer, schon gar nicht immer wieder. Außer der HFC, der der Kette seiner Kontertore die Nummer 16 hinzugefügt hat. Seit Weihnachten, wohlgemerkt. Und die Vorstellung ist noch nicht beendet.
Denn in Ziegners Team pocht noch Leidenschaft, da ist noch Moral und Glaube an das Unmögliche, so unmöglich das klingt. Denn auch nach den 2:4 rennen die Hallenser weiter an, brachial und zornig, verzweifelt und glücklos bis auf die 87. Minute, als Jonas Nietfeld aus zehn Metern abzieht und, oh Wunder, zum 3:4 trifft.
Nur noch eins, nur noch ausgleichen! Fünf Minuten auf der Uhr, das Momentum wieder auf der eigenen Seite. Und Nietfeld legt nach, in der 90. verfehlt sein straffer Schuss das rechte Toreck nur um Zentimeter.
Im Gegenzug dann aber der Enthauptungsschlag. Wie gehabt ein schneller Konter, wie gehabt ein temperierter Pass nach innen, wie gehabt Hain schiebt rein.
Es ist ganz still im Stadion, Ziegner schüttelt den Kopf, Baxter-Bahn stützt die Hände auf die Knie, Müller trinkt einen Schluck. Von neun Schüssen auf sein Tor hat er zwei gehalten, zwei waren abseits und fünf drin.
Dann ist es endlich vorüber, ein Spektakel von ganz eigenem Zuschnitt selbst für HFC-Verhältnisse. Nach dem Schlusspfiff ruft nicht einmal mehr jemand "Ziegner raus".
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