Donnerstag, 16. Januar 2020
Spiegel-Neustart: Bento für Besserverdiener
Es war einmal ein Nachrichtenmagazin, das in schwere Waser geriet. Die Obrigkeit war einem so nahe geworden, dass es unmöglich schien, sie zu kritisieren wie früher. Man wollte doch Dasselbe, Gute, eine Welt voller Frieden und Glück. Was nicht passte, wurde deshalb passend gemacht, mit einer neuen Strategie zur Restleserbindung veräußerlichte ein gewitzter Chefredakteur die Regierungskritik und mit einem Supplement für Hyper-Hasser begann das einstige Wochenmagazin, die frohe Botschaft jeden Tag zu verbreiten: Trump wird stürzen, Trump ist schon beinahe gestürzt, wer nicht schnell genug liest, verpasst es.
Das Anschreiben gegen die Wirklichkeit hatte dennoch ein Verfallsdatum. Der Chefredakteur wechselte in die Journalistenaubilding, seinen Posten als Juror beim Relotius-Preis behielt er. Sein Nachfolger aber krempelte den früheren "Spiegel" erstmal so richtig um: Kein Stein blieb auf dem anderen und nun, dass zeigen die ersten Tage nach der Neuerfindung, passt zwischen den Kinderablegen "Bento" und das Mutterschiff des ehemals zumindest stets ernstgemeinten "Spiegel"-Journalismus kein Blatt mehr.
"Das ist der neue digitale Spiegel", stellen die Macher der Reform sich selbst vor. Nun, nicht ganz, denn die in leichter Sprache angebotene Infografik zeigt eine Welt, die nicht nur aufgeräumt, umgebaut und mit lauter neuen Fantasienamenressorts vollgestellt wurde. Sondern auch eine, in der der alte Spiegel-Redakteur - traditionell ein alter, weißer Mann bemerkenswerten Einkommens - keinen Platz mehr hat.
An seiner Stelle dienen bunte Malmännchen als Testimonials für den Konsum der Nachrichten, die in Hamburg für die weltbewegenden gefunden wurden. Trump ist da, selbstverständlich, ohne den Mann, der in drei Vierteln einer Amtszeit mehr "Spiegel"-Titelbilder füllte als alle anderen US-Präsidenten zusammen, ist weder der alte Brinkbäumer-Spiegel noch der neue Klusmann-Spiegel zu denken. Der "US-Verteidigungsminister relativiert Trumps Aussage" zeigt, dass es auch sonst dabei bleibt: Trump hat Unrecht, er macht alles falsch und wird vermutlich schon morgen sein Amt verlieren. Auch, weil es einen "langjährigen US-Regierungsberater" (Spiegel) gibt, der vor dem Iran-Konflikt warnt: "Das endet im Desaster".
Ein Fest für alle, die es schon immer wussten. "Irans Rache für Soleimani" ist denn auch Titelgeschichte. "Auge um Auge" heißt die und sie beschwört den Eintritt des Iran-USA-Konflikts in "eine neue, gefährliche Phase". Beide Seiten kämpften im Verborgenen mit allen Mitteln gegeneinander, raunt die Spiegel-Titelstory. Angesichts der Fakten klingt Kampf im Verborgenen zwar nach Deeskalation. Aber so funktioniert der Spiegel eben nicht.
Er braucht Aufregung, Katastrophe, Untergang. Das neue Spaniens neue Minister bekommen die Überschrift "Alarmstufe Rot", denn ein Kommunist wird Minister für Konsum. In Thüringen flirten CDU und Linke miteinander. Ha, fordert der Spiegel da: "Die Mauer muss weg". Der Rest ist Hauptprogramm, also Klimawandel. Königshaus und Lebenshilfe auf Vorschulniveau. "Das Klima hat uns fest im Griff", schreibt ein Henrik Müller und eine Maren Keller bekennt, warum Urlaub außerhalb der eigenen vier Wände für sie nicht infragekommt. Verziert ist das mit noch mehr Tod, Krebs und Krupp, Fahrradverbot für Grundschüler, Trost für Helikoptereltern und schwuler Erotik für junge Frauen.
Ein Gruselkabinett, durch das spukt, was immer auch bei bei "Der Westen", Express und merkur.de die höheren Weihen des Clickbaiting zu bestehen verspricht."Fossil aus der Wüste: Ältestes Gedärm der Welt entdeckt", "Todesfall bei Rallye Dakar: Motorrad-Pilot Goncalves stirbt nach Unfall" und "A8 in Bayern: Betrunkener will auf Autobahn nach Polen laufen" stehen neben "Hochstapler betrog reihenweise Frauen", zwischen "Zwischen Sadosex und Zuckerschock" und eine Rapperin namens "Schwesta Ewa tritt ihre Haft an - ohne Baby". Dazu das Überraschungsbekenntnis eines Vegetariers, der freimütig ankündigt, zu tun, was alle Vegetarier fortwährend tun: Fleischesser missionieren. Denn "Jetzt ist die Zeit der Höflichkeit vorbei." Und ein Ratgeber, der hilft, Freunden mitzuteilen, "dass ihr Geschenk nicht passt?"
Was will irgendwer mehr? Kein Spiegel-LeserIn (m/w/d), denn deren Interessenhitparade verrät, dass hier zusammenzuwachsen verspricht, was zusammen an Relevanz verliert. Meistgelesener Text im Premium-Angebot des neuen Bento für Bessere ist ein Artikel, in dem die Floristin Ines Senft den "Zucker-Trick" erklärt.
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4 Kommentare:
https://paulfehm.wordpress.com/page/1/
Dem Spiegel beim Verwesen zuzusehen hat mehr Unterhaltungswert als alles, was da in 20 Jahren geschrieben wurde.
Dem Spiegel beim Verwesen ...
Abwarten. Die David Frankfurter Rundschau ist ja auch noch zugange - vom bloßen Anblick wächst einem eine Budjonnymütze.
der "Spiegel" ist eine richtige Verkackerzeitung
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