Mittwoch, 16. Oktober 2019

Unter uns: Masturbierende Macht



Es war eine der ersten einschneidenden Maßnahmen der neuen Parteivorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer: Unzufrieden mit der "Lügenpresse" schaufelte die Nachfolgerin von Langzeit-Amtsinhaberin Angela Merkel schon im März diesen jahres Mittel im Parteihaushalt frei, um der Union nach dem Vorbild von Wladimir Putin, der österreichischen FPÖ, Donald Trump und der konkurrierenden AfD eine eigene Medienwelt zu bauen.

Wer die Nachrichten produziert, kontrolliert die Bilder, wer die Bilder liefert, bestimmt die Themen, so das Kalkül der neuerdings nebenbei auch als Bundeswehr-Oberbefehlshaberin fungierenden CDU-Chefin. Der Newsroom in der Parteizentrale im Konrad-Adenauer-Haus, dessen Errichtung in der "Entscheidung", dem parteieigenen Magazin der Jungen Union (JU), verkündet wurde, werde der Partei die Möglichkeit geben, "in Echtzeit auf unterschiedlichen Kanälen zu kommunizieren und eigene Nachrichten zu setzen", begründete Kramp-Karrenbauer die Entscheidung, sich von privaten Medienhäusern und den von der Partei mitkontrollierten, aber wegen ihres rot-grünen Bias ungeliebten öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten unabhängig zu machen.

Was seinerzeit Spott und Gelächter erntete, weil das von der CDU lancierte "Schwarzrotgold - Magazin der Bundesregierung" als offizielles Verlautbarungsblatt der Bundesregierung zwar kostenlos an Millionen Haushalte verteilt wird, dort aber ähnleich wie der in ähnlichem Stil berichtende "Spiegel" kaum Leser findet, hat jetzt erste praktische Konsequenzen.

In einer Pilotsendung, übertragen über die US-amerikanische Videoplattform YouTube, hat Unions-Bundestagsfraktionschef Ralph Brinkhaus durch einen glücklichen Zufall Bundeskanzlerin Angela Merkel für ein Interview stellen können, in dem die scheidende Kanzlerin in der aktuell weltpolitisch so angespannten Situation von Washington über Erbil bis Warschau kein Hehl aus ihren Erinnerungen an den friedlichen Revolutionsherbst '89 in der vormaligen DDR macht.

Ein Gespräch, das Brinkhaus, dessen Aufstieg die Kanzlerin einst hatte mit allen Tricks verhindern wollen, schlagartig in die erste Riege der deutschen TV-Stichwortgeber katapultiert. Souverän und in einem wie selbstverständlich wirkenden blinden Zusammenspiel mit seiner Kanzlerin erfüllt der Wiedenbrücker so den Traum, den Millionen DDR-Bürger 1989 träumten: Politiker, die sich gegenseitig interviewen, die Macht, ungefiltert und ungestört beim Ausbreiten ihrer Ansichten. Störende Kritik, miese, kleinliche Nachfragen und die nörgelnden Zweifel der ewigen Kritikaster, in diesem zukunftsweisenden Format der masturbierenden Macht haben sie keinen Platz.



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