Ein klärendes Gespräch brachte keine Einigung. (Symbolbild) |
Seitdem unser Autor herausgefunden hat, dass sein Sohn beim Berliner "Tagesspiegel" arbeitet, steckt seine Familie in der Krise. Ein Erfahrungsbericht.
Von Ralf Thomas Grabowski
Am Anfang war alles noch harmlos. Als ich nach der Bundestagswahl im September 2017 das erste Mal mit meinem Sohn telefonierte, war ich gerade auf der Autobahn. Nach seinem neuen Job fragte ich ihn nicht, wollte aber wissen, ob er für oder gegen die Schließung des Berliner Flughafens Tegel gestimmt hatte. Von seiner Antwort, er fände, Tegel sollte geschlossen werden, war ich enttäuscht.
Wenige Tage später schickte mir mein Sohn aber eine E-Mail mit einigen Texten und der Bitte, sie sorgfältig zu lesen. „Besonders den von Jakob Augstein, der mir aus dem Herzen spricht“. Der Text des Trägers des Max-Zimmering-Preis für politische Dichtung, der es dank eines üppigen Erbes zu einer eigenen Wochenzeitung gebracht hat, stieß mich ab. "Trumps Sprache, seine Frisur, seine Gesten, der ganze Mann - eine lächerliche Figur" stand da. Augstein, das war der, der mit einem zähnefletschenden Hassstück namens "Die FAZ, Sarrazin und Lügen zu Weihnachten" einst das Zeitalter des Wutbürgers eingeläutet hatte.
Mit einem Mal überkam mich ein Verdacht: Arbeitete mein Sohn etwa beim "Tagesspiegel"? Mein Sohn? Ehemaliger Punkmusiker und selbsterklärter Anti-Globalist? Mein Heavy-Metal-Fan und Star-Wars-Liebhaber? Das passte nicht zusammen.
Unser zweites Telefonat dauerte nur wenige Sekunden, die Sachlage hatten wir schnell geklärt. Ja, er war eingestellt worden. Er hatte sich gemeinsam mit seiner Freundin, die er beim Studium kennengelernt hatte, beworben. Bei einer Zeitung, die für mich, meine Geschwister und meinen gesamten Freundeskreis den völligen Gegenentwurf zu dem darstellt, was wir uns politisch und gesellschaftlich von der Zukunft wünschen. In einer Generation, die das Honecker-Regime, die Stasi und den Mauerfall noch selbst erlebt hat, verfangen Agitation und Propaganda nicht mehr so effektiv.
Eine Whatsapp-Diskussion lief aus dem Ruder
Meine Neuigkeit löste eine Familienkrise aus, die an keinem in der Verwandtschaft spurlos vorüber gegangen ist. Einen ersten großen Fehler beging ich, als ich nach zwei Wochen des Schweigens einen wenig besänftigenden ersten Klärungsversuch unternahm. Ich ließ mich dazu hinreißen, eine Diskussion über WhatsApp zu beginnen. Zum Abschluss schrieb ich: „Wer Panik schürt, betreibt das Geschäft der Populisten. Und wer Zweifel am richtigen Weg weckt, der ist selber mindestens ein Mit-Populist.“ Mein Sohn war aufgebracht und seine Mutter musste zum ersten Mal beschwichtigend eingreifen.
Ein klärendes Gespräch brachte ebenfalls keinen Erfolg, aber zumindest konnte ich nun erahnen, wo dieser politische Sinneswandel herkam. Bereits als mein Sohn ein Teenager gewesen war, hatten wir schwere Auseinandersetzungen über Thilo Sarrazin. Die Abneigung meines Sohnes gegenüber jeder Kritik am Islam, an der Bundeskanzlerin, der Energiewende oder der Allmacht der Parteien schimmerte schon damals gelegentlich durch. Doch diese latente Ablehnung hatte sich offensichtlich in den wenigen Jahren, nachdem er daheim ausgezogen war, in eine Haltung gewandelt, die der Dichter Goethe so treffend als "Parteilichkeit" bezeichnet.
„No politics“-Gebot für alle weitere Konversationen
Mein Sohn sagte gebildet klingende Sätze, die in ihrer Bedeutung aber Wahlplakatsprüchen in nichts nachstehen: Europa drohe keine Islamisierung, es seien ja schon viel weniger Geflüchtete und Geflüchtetinnen unterwegs. Deutschland brauche die Zuwanderung und die Aufnahme von über einer Millionen überwiegend junger, muslimischer Männer sei nur zufällig in eine Zeit gefallen, in der mehr Messerangriffe notiert würden, was aber gar nicht stimme. Die Kriminalität sei gesunken und stelle keine Gefahr für die deutsche Bevölkerung dar. Der Islam sei von seinem Bestreben her immer friedlich und dementsprechend supergut mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland vereinbar.
Wir saßen am Küchentisch, tranken Kaffee, der an diesem Tag besonders schnell kalt wurde, und waren beide traurig. Mein Sohn, da er vermutlich gehofft hatte, ich würde doch ein Abo abschließen. Und ich, weil ich das Gefühl hatte, den jungen Mann, der mir gegenüber saß, überhaupt nicht zu kennen. Diese ganzen platten Sprüche, die ich in den letzten beiden Jahren medial aus Berlin und Köln und Mainz mitbekommen hatte, wiederholte nun mein eigener Sohn. Da war uns viel schiefgegangen in der Erziehung. Doch um des Friedens willen kaschierten wir die gegenseitige Enttäuschung mit einem „No politics“-Gebot für alle weitere Konversationen und einigten uns darauf, uns nicht einig zu sein.
Hoffnung auf ein besseres Leben
Heute glaube ich, man muss auch die Geschichte meines Sohnes kennen, um ihn zu verstehen. Im März 1991, als er geboren wurde, war die Deutsche Teilung schon beendet. Junge Leute marschierten gegen den Irakkrieg der Amerikaner, sie hatten Angst vor dem Waldsterben und später vor Radioaktivität im Trinkwasser, sie hörten im Radio, dass die Polkappen schmelzen - oder der Reaktorkern. Immer war Apokalypse und auf dem Markt der Gefühle stand das Ende der Welt bevor - als absolutes Erlebnis. Die Jugend hatte Glaubenshelden dagegen, die Ölplattformen besetzten und mit der "Rainbow Warrior" gegen finstere Atommächte in See stachen, Greenpeace - das waren ihre Kreuzritter einer zu heilenden Welt.
Jahrelange Abhängigkeit von der Angst
In den darauf folgenden 27 Jahren ist viel passiert. Mein Sohn wurde größer, er trug amerikanische Basketballschuhe und Jeans aus Bangladesh, er trank Kakao aus Südamerika und aß Palmölchreme. Das Internet wurde erfunden, er hatte eine erste Freundin und fand bald eine neue, als die sich verabschiedete. Die Grünen wurden groß, als Fukushima vom "Tagesspiegel" zur größten Katastrophe der Menschheit erklärt wurde. Gerhard Schröder wurde Kanzler und er machte Reformen, die mein Sohn mit seinen 19 Jahren nicht verstand, aber auch nicht gut fand. Er ging zu den Montagsdemos und war begeistert von den vielen Leuten mit gleicher Meinung. Der Traum vom Leben als freiberuflicher Videospieler platzte dann, weil er wohl doch nicht genug geübt hatte. Mein Sohn studierte was mit Medien, wir scherzten, er müsse deshalb aber ja kein schlechter Mensch werden.
Der Bruder will so schnell wie möglich ausziehen
Seit seiner Anstellung beim Hauptstadtblatt, einem Ableger der Hamburger "Zeit", vor nun schon über einem Jahr hat sich mein Sohn verändert. Er liest nur noch die eigene Zeitung, die Taz, die "Zeit" und den "Spiegel", dazu die "Süddeutsche" und gelegentlich den "Stern", eine Publikation, die mit Sexismus Quote macht. Außerdem fand ich beim Blumengießen in seiner Wohnung ein Buch von Heiko Maas in seinem Schrank und eines über Angela Merkel.
Nachdem ich den jüngeren Bruder meines Sohnes, der gelegentlich bei unserem Großen übernachtet, zur Rede gestellt hatte, wetterte er beim Abendessen über den Gender-Wahn seines Bruders, dessen Fixierung auf die Antifa und seinen Hass auf alles, was rechts von der Kanzlerin steht. Er ertrage das alles bei seinen Besuchen nur mit stoischer Ruhe und der geballten Faust in der Tasche. „Ich glaube aber, ich schaffe es nicht mehr lange“, meinte er letztens zu mir. Ich nickte und verstand ihn gut.
Wäre es nicht mein Sohn, der solchen Stuss von sich gibt - ich würde ihm einfach aus dem Weg gehen. Die Enttäuschung darüber, dass so ein gebildeter, guterzogener Junge unkritisch in dasselbe Horn stößt wie die hochbezahlten Pressesprecher der Parteien, die Fraktionsführungen, die "Tagesschau", das "Heute"-Magazin und die Kommentatoren aller Leitblätter, schmerzt.
Doch auch wenn ich es mehrmals in Erwägung zog: den Kontakt abbrechen will und kann ich nicht. Einige Freunde meines Sohnes haben das getan. Zurück blieben entweder unpolitische Kumpel vom Sportstudio, Arbeitskollegen oder Leute, die er vom Studium kennt, wo sie alle denselben Blick auf die Welt gelernt haben. Seitdem bewegt sich mein Sohn in einer Blase, in der seine politische Meinung unwidersprochen bleibt. In seiner Sucht nach Bestätigung gräbt er sich tiefer und tiefer ein in seine vorgefertigten Meinungen. Er wettert gegen Hetzer, Abweichler und russische Trolle, die er für eine lebensbedrohliche Gefahr hält, aber auch gegen Ostdeutsche, wobei er vergisst, dass er früher selber Ostdeutscher war.
Zu groß ist die Angst, dass sich die Kluft noch vergrößert
Unsere Familie ist jetzt gespalten. Auf der einen Seite stehen ich und meine Frau, die überwachte Grenzübergänge noch selbst erlebt haben, nicht gut Englisch sprechen, aber sich immer freuen, in fremde Länder zu kommen und fremde Kulturen kennenzulernen. Auf der anderen Seite steht er, augenscheinlich verbittert, darüber, dass andere veganen Kaffee und Veggisteaks nicht mögen, sich einen Tesla nicht leisten können und Windkrafträder an manchen Orten nicht schön finden. Er versteht die Welt um sich herum nicht mehr und die Welt versteht ihn auch nicht. Sagt sein Bruder.
Die Geschichte meiner Familie ist nur eine von vielen, wie sie sich zurzeit in Deutschland zutragen. Während die ältere Generation sich Sorgen macht, dass der Kampf gegen rechts alle gesellschaftliche Dynamik aufsaugt und #unteilbar-Parolen die Spaltung nur immer weiter vertiefen, sitzen die Auskenner, Englischsprecher und Großkommentäter in ihren Großraumbüros und hoffen, dass die Grünen endlich den Kanzler stellen und mal richtig aufräumen. Am 11. September 2001 war mein Sohn einer der ersten, der mich fragte, ob es nun Krieg geben wird. Heute sagt er, offene Grenzen ohne Obergrenze seien auch langfristig kein Grund, um Freiheit und Rechtsstaatlichkeit fürchten zu müssen.
Nach seiner politischen Meinung frage ich ihn nicht mehr, obwohl ich sie früher immer geschätzt habe. Zu groß ist die Angst, dass seine Antwort die Kluft zwischen uns noch weiter vergrößert. Das nächste Weihnachtsfest jedenfalls verbringen wir getrennt voneinander.
Der Autor ist 64 Jahre alt und ehemaliger Straßenbahnschaffner. Er heißt in Wirklichkeit anders und wollte, um seinen Sohn nicht bloßzustellen, anonym bleiben. Der echte Name ist der Redaktion bekannt.
11 Kommentare:
Irgendwie erinnert das heutige Merkelandistan an die turbulenten 20-30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, als diverse inkompatible Kräfte um die Vorherrschaft in diesem unseren Lande kämpften.
Wenn demnächst also noch eine bereits in den Startlöchern lauernde Wirtschafts-Rezession mit Heerscharen von bereits länger hier lebenden und just importierten Arbeitslosen dazu kommt, werden viele solcher "Söhne" und "Töchter" garantiert wieder nach dem starken Führer rufen, der ihnen ihre ideologischen Idiotien brachial erfüllen soll. Wir wissen ja, wie krebsartig die Stasi in die Familien einwucherte und Zwietracht und Hass säte. Noch werden diesbezügliche politische Weichenstellungen heimtückisch vertuscht, und der Michel tapst erneut völlig unbedarft in sein als Endsieg propagiertes Ende. Mediale Schönmalerei und Gesundbeterei wird wieder Erfolg haben, denn der Michel träumt so verdammt gerne seinen Bessermenschentraum. Er war ist und bleibt ein Trottel, der seiner Obrigkeit blauäugig blind gehorcht. Kadavergehorsam wie aus dem Bilderbuch des psychotischen Unmenschen.
Man soll in Schland also keine Wunder der kollektiven Spontanerleuchtung erhoffen. Die würde - wenn überhaupt - sowieso nur auf Befehl von oben stattfinden.
Eine neues Jahrtausend ... die alten Dummköpfe.
Sollte es nicht heißen »Bereits als ER ein Teenager war, hatten wir schwere Auseinandersetzungen über Thilo Sarrazin.«?
@ stefanolix
Auch mir fiel auf, dass "ich" und "er" einige Male vertauscht wurden, was die logischen Familienverhältnisse zwischen Vater und Söhnen massiv durcheinander bringt.
Gilt hier im literarischen Sonderrefugium aber wohl als künstlerische Freiheit oder Satirestilmittel. Vielleicht ist aber auch der Lektor unpässlich.
Klein ppq schreibt nach eigenem Bekunden schließlich exklusiv für eine eher elitäre Leserschaft, die solche Brüche im Handlungsstrang locker zu überlesen imstande ist. Da kann kein Normalo mithalten und bleibt oft verwirrt zurück, wenn die Hochbeknackten-Karawahne weiter zieht.
Diese Meinungsverschiedenheit zwischen Eltern und Kinder über die Politik erlebe ich selbst, wenn auch in viel milderer Form und ist in meinem Freundeskreis ziemlich alltäglich.Diskutieren ist ziemlich sinnlos, denn die Fronten bewegen sich nicht. Ich ziehe mich auf dem Standpunkt zurück, dass es ihr Leben ist und sie mit den Folgen ihrer Wahlentscheidung für sich und ihr Kinder ( meine Enkel...) leben müssen. Aber Weihnachten, Ostern, den gemeinsamen Urlaub, Geburtstagsfeier usw lassen wir uns dadurch nicht verderben!
danke. ich schaue mir das an. wir wollen ja inklusiv bleiben
ihr hattet recht. da war dem autor der furor durchgegangen und er hatte sich mit seinem sohn verwechselt. ich habe mit ihm gesprochen und das begradigt
"Der echte Name ist der Redaktion bekannt"
Ich habe jetzt Reduktion statt Redaktion gelesen. Soweit ist das mit der Hysterie schon gekommen.
Passt andererseits aber auch: die Reduktion des SPIEGELS oder die Reduktion DER ZEIT.
Anonym Keilschrift hat gesagt...
Irgendwie erinnert das heutige Merkelandistan an die turbulenten 20-30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, als diverse inkompatible Kräfte um die Vorherrschaft in diesem unseren Lande kämpften.
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Da hast Du aber ein beneidenswertes Alter erreicht! Daß Du dich daran noch erinnern kannst ...
Eigentlich muss man nur den Originalartikel zitieren:
Der Sohn (wirklich und offensichtlich unironisch beim Tagesspiegel):
''In einer Generation, die mit Work&Travel sowie unzähligen Erasmus-Semestern gesegnet ist, verfangen Abschottung und Fremdenfeindlichkeit nicht mehr so effektiv.''
Ebenda, ebender:
''Der Autor ist 24 Jahre alt und studiert Sozialwissenschaften.''
Das ihm Work und Travel in einem Park voller migrantischer Drogendealer und bei einem akuten Messeranfall nichts nützen wird, wird man ihm bei seinem angeblichen 'Studium' und den Erasmus-Semestern sicher nicht erzählen.
Wenn das Geld alle ist, was sich schon ankündigt, wird sein Abschluss vielleicht reichen, um beim lokalen Warlord das Schaißhaus zu putzen.
@ Anonym 2 re Keilschrift
Ich vermute, du wurdest mutterseelenallein in einer Labor-Retorte gezüchtet, denn bei mir gab es Eltern und Großeltern, die mir aus jenen Tagen IHRE Erfahrungen mitteilen konnten. Man muss also nicht überall dabei gewesen sein, um einen Eindruck davon zu gewinnen.
Aber das kapiert eben nicht jeder vermeintliche Schlaumeier und Besserwisser.
Eltern und Großeltern ...
Trotz nicht auf Väter Ehre, die eig'ne nur ist dein. Spann ich nicht selbst den Bogen, ist er nicht mein.
Begrab'ner Väter Ehre ist tote Ehre - mit eig'nen Wogen dringt der Strom zum Meere ...
Jesaias Tegnér
Berichte über Wunder* sind nicht Wunder. War das Denis Diderot?
*Gilt auch für Greueltaten.
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