Dienstag, 17. September 2019

Fake News: Die Wahrheit hinter der Wahrheit

Auf der Honne-Ebene sieht diese junge Frau aus wie ein Klickluder, das gegen Geld die Brüste in die Kamera reckt. Tatemae aber sieht ein schweres Schicksal, das durch Geld nicht leichter wird.

Zeiten der Verwirrung, Zeiten der Versuche, intellektuell mit einem Phänomen klarzukommen, das so alt ist wie die Menschheit selbst, mit einem Mal aber staatlicher Regulierung zu bedürfen scheint. Fake News und politische Propaganda, in jeder Wahlschlacht die Torten, mit denen sich die Kontrahenten bewerfen, sollen weg, verboten werden, zensiert, ausgemerzt, wie Franz Müntefering sagen würde, der das Wörterbuch des Unmenschen noch auswendig kannte.


Eigentlich aber beruhen "Fake News" auf einer jahrhundertealten japanischen Philosophie. Derzufolge besteht jede Wahrheit aus zwei Teilen, nein, besser noch: Jede Wahrheit hat zwei Teile, zwei Gesichter, zwei Schichten. Eine heißt "Honne" und bezeichnet die echte Wahrheit, die andere wird "Tatemae" genannt und sie verkörpert die Fassade der Wahrheit, ihre Maske, ihre Hülle und Oberfläche.

Honne und Tatemae


Der Eindruck, den Politiker zu vermittteln versuchen, ist nun, dass es ihre Aufgabe sei, die Honne, die echte Wahrheit zu bewahren. Dabei ist Tatemae, die Fassade der Wahrheit, viel wichtiger. Genau wie jede Gesellschaft ihr Establishment hat, ihre Elite, ihre Prominenten, ihre Grundüberzeugungen von sich selbst, hat sie auch ihr Tatemae. Eine gemeinsame Wahrheit, auf die sich alle geeinigt haben: Deutschland ist ein moralisches Regime, Deutschland stellt seine Interessen zurück, ja, es hat gar keine nationalen Interessen wie andere Staaten. Deutschland führt nicht Krieg, es foltert nicht, es nimmt Flüchtlinge in unbegrenzter Zahl auf, es schafft Wohlstand, indem es Wohlstand teilt.

Das Tatemae der USA ist anders, aber ähnlich fantastisch. Das außergesetzliche Lager Guantanamo etwa ist nach gängiger Lesart einfach ein Ort, an dem die Regierung fürchterliche Terroristen, gefährliche Männer voller Hass unterbringen konnte. Aber das ist nur die Honne-Antwort, ein akzeptabel klingender Quatsch.

Tatemae erzählt eine andere Geschichte: Der eigentliche Zweck von Guantanamo war, dass die Öffentlichkeit sich sicher fühlen durfte. Ob es tatsächlich die Sicherheit von irgendwelchen Menschen erhöhte, war völlig zweitrangig. Die Tatemae-Wahrheit über Gunatanamo ist, dass die US-Behörden nicht einmal genau wusste, wen sie in Guantanamo weggesperrt hatten.

Symbole sind am wichtigsten


Aber das war nicht schlimm, jedenfalls nicht für die Regierung. Die brauchte nach dem 11. September einfach eine große Zahl von Gefangenen, um der Öffentlichkeit zu demonstrieren, dass zumindest 800 der übelsten der Üblen kaltgestellt waren.

Das ließ das Volk besser schlafen in dem Bewusstsein, dass seine Regierung so viele der Feinde Amerikas so entschlossen aus dem Spiel genommen hatte. Die Regierung wusste, dass die meisten von ihnen unschuldig waren. Doch das spielte keine Rolle, denn sie waren nicht als Schuldige oder Unschuldige vonnöten, sondern als Symbol der Tatemae-Wahrheit.

Die Öffentlichkeit muss an etwas glauben können. Etwa an Flughafensicherheit. So blödsinnige Dinge wie die Schuhe ausziehen und den Gürtel und die Zahnpastattube zu Hause lassen zu müssen. Sie helfen kein Stück. Auf einer Honne-Ebene ist diese Art von Sicherheit lachhaft. Doch auf der Tatemae-Ebene, die viel, viel bedeutsamer ist, überzeugen sie die Leute davon, dass das Fliegen sicher ist.

Man kann das an sich selbst schon ausprobieren: Wenn Sie Teil der Oligarchie wären, der Elite, der Regierung: Was wäre Ihnen wichtiger? Dass ihre Wähler sicher sind? Oder dass sie sich sicher fühlen? Was wäre Ihnen mehr wert: Dass ein tatsächlich Schuldiger verurteilt wird? Oder dass Sie die Gesellschaft glauben machen können, dass ein Schuldiger verurteilt worden ist?

Honne und Tatemae


Honne und Tatemae, Sie verstehen es jetzt. Ein einzelner schuldiger Mann, der ungestraft bleibt, spielt überhaupt keine Rolle, für Sie nicht, für die Wähler nicht, für niemanden. So lange die Öffentlichkeit das Gefühl hat, die Schuldigen würden bestraft, ist die Gesellschaft sicher. Nur wenn sie dieses Gefühl verliert, dann greift Anarchie Raum.

Politik muss folglich, wenn sie gut gemacht ist, auf der Tatemae-Ebene agieren: es geht um Eindrücke, um Gefühle, um Symbole und um Placebos. Nie um Wahrheit im Sinne von Wirklichkeit auf der Honne-Ebene.

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Kann es sein, daß Ihr beide Begriffe innerhalb des Artikels selbst - zumindest partiell - verwechselt habt?

Jodel hat gesagt…

Solch einen Artikel würde ich gerne öfters in einer Zeitung lesen oder im Fernsehen erleben.
Und wenn schon nicht öfters, dann wenigsten ein einziges Mal. Da muss es doch auch noch irgendwo einen Journalisten geben, der noch mitdenkt und nicht von den anderen abschreibt. Relotius konnte seine Artikel doch angeblich auch an allen Aufpassern vorbei schmuggeln. Vielleicht würde dann wenigstens einer Hand voll Leuten die Augen geöffnet und diese zum Nachdenken angeregt werden. Vielleicht leben wir ja gar nicht im besten Schland aller Zeiten.

Dann wäre schon viel gewonnen. Die große Horde würde zwar weiter stur Richtung moralisches Paradies auf den Abgrund zumarschieren, aber in unserer Stänkerecke wäre es nach einer Weile vielleicht nicht mehr ganz so einsam. Von einer Wende zum besseren wage ich schon nicht mehr zu träumen. Mal ein wenig Sand im Getriebe der Anderen und nicht immer ausschließlich in meinem wäre mir schon ein seelisches Fußbad.

ppq hat gesagt…

verwechselt? bestimmt