Längst ist
der Medienaktivist Heribert Prantl im Ruhestand, ruhig aber ist der journalistische Urvater von
Pinkelpreis und Wasserpest deshalb keineswegs. Prantl, gelernter Staatsanwalt und ein Leben lang mehr weltverbesserndes Schnellgericht als einfacher Berichterstatter, ist noch immer unterwegs dorthin, wo es wehtut. Galt sein Interesse früher
dem Kampf gegen ihm unliebe Parteien und der gehässigen
Europakritik, findet der jüngst verrentete Alphajournalist seine Feinde jetzt im virtuellen Raum. "Gift, Galle, Hass beherrschen nach wie vor das Netz", hat Heribert Prantl in nächtelangen Patrouillen durch die düsteren Abgründe dessen festgestellt, was den meisten normalen Nutzern als Ort zum Bestellen von Waren, dem Teilen von Katzenbildern und der Unterhaltung über Hobbies, Heimatstadt und Lieblingsverein gilt.
Prantls Fantasienetz aus purem Hass
Prantl hat ein anderes Netz. Nachdem der
fleißige Rentner die 16 Millionen deutschen Domains analysiert, geprüft und ausgewertet hatte, stand sein Urteil fest: Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das eigentlich dafür sorgen sollte, dass das Internet "keine Pöbelhölle" (Prantl) mehr ist, habe versagt.
Gift, Galle, Hass und Hetze nämlich finden dort nicht nur immer noch ihre digitalen Spiel- und Vernichtungswiese. Nein, sie "beherrschen nach wie vor das Netz".
Nach der Definition des
Duden bedeutet das nichts anderes als dass die Hassredner und Hetzer, die verbalen Mörder und Übernachreder das Internet, jene erdumspannende Datenwelt mit 349 Millionen Domains und 90 Millionen Facebook-Seiten, mit 131,89 Milliarden Subdomains und 500 Millionen Twittertweets täglich, mit 95 Millionen Instagram-Posts und 4,2 Milliarden Likes pro Tag, "in der Gewalt, unter Kontrolle, im Griff" (Duden) haben, dort also wenigstens knapp mehr als die Hälfte aller Inhalte prägen. Oder wie Prantl in seiner totalitären Fantasie schreibt: "Die Beleidigung, die Bedrohung, die Verleumdung, die üble Nachrede, die Volksverhetzung, die Gewaltverherrlichung und die Ankündigung von Straftaten" breite sich im Netz "völlig ungehindert und ungestraft aus".
Kein Platz für Amazon
Hat sie es schon ganz, nur halb oder beinahe fast? Der um keinen Fakt und keine Zahl bekümmerte Spesenritter der nationalen Großkrisen, die außerhalb der Redaktionsstuben so intensiv verfolgt werden wie der Speiseplan der SZ-Kantine, erfindet sich eine Wirklichkeit aus reiner, purer Imagination. Beim alten weißen Mann Prantl ist das
Internet so voller Hass, dass theoretisch gar kein Platz mehr bleibt für Amazon, Twitch, Pornoseiten, Parship oder Onlinekochkurse und den ganzen restlichen Kram. "Es ist Zeit für spezielle Internet-Gerichte", dröhnt es dann auf der ausgedachten Basis der völlig irrigen Vision eines bis zum Rand mit Hass gefüllten Netzes aus München, nach mehr als 80 Jahren wieder Hauptstadt einer Bewegung gegen Demokratie, Meinungsfreiheit und Rechtsstaat.
Das Internet soll kein vom Recht geschützter Raum mehr sein, sondern ein Ort, an dem sich vorsehen muss, wer seine Meinung sagen will. Prantls
reisende Schnellgerichte werden, gibt es sie erst, alles im Auge haben, was missverständlich ausgedrückt oder unzureichend klar regierungsfreundlich formuliert ist. Geht es nach Prantl, soll geltendes Recht dann Nutzer nicht mehr schützen, sollen Onlinekonzerne künftig ohne Richtervorbehalt und Rechtshilfeersuchen alle Daten mit Strafverfolgern teilen, weil eine allgemeine Auskunftspflicht zu den Bestandsdaten es so vorschreibt.
Allgemeine Verunsicherung
Auf der Grundlage der damit zweifellos einsetzenden allgemeinen Verunsicherung darüber, was noch sagbar und was unter Verdacht geraten könnte, wünscht sich der Kolumnist,
der der "Süddeutschen" im Alleingang den Ehrennnamen "Prantl-Prawda" verdiente, dann "abschreckende Urteile". Dass die allerdings vom Schuldprinzip als Ausdruck der
Menschenwürde verboten sind, weil Täter nicht mit schuldunangemessenen Strafen belegt werden können, nur um besonders schöne Abschreckungseffekte bei der Bevölkerung zu erzielen, stört Heribert Prantl nicht.
Seine schöne neue saubere Welt ist die
in der schon das Ermittlungsverfahren generalpräventiv Abschreckungswirkung entfaltet und Strafverfolgung auch dem - am Ende Unschuldigen - eine Mahnung ist, besser aufzupassen, was und wo er es sagt.
Meinungsfreiheit besteht am Ende allein noch in ihrem Schutz. Auch diejenigen, die sich im nicht strafbaren Graubereich bewegen, wie es einer der ersten deutschen Sonderstrafverfolger für Hassmails und Hetzkommentare nennt, sollen "ganz klar das Signal" empfangen: "Ihr lauft Gefahr, euch einem Ermittlungsverfahren ausgesetzt zu sehen".