Montag, 18. Februar 2019

Framing-Manual: Worthülsen für den Staatsfunk


Volltreffer! Jahrelang hatte sich die ARD ungeschützt dem Treiben rechtspopulistischer Hetzer aussetzen müssen, die gegen die Beitragspflicht, gegen führende Moderatoren und die vom Grundgesetz garantierte Grundversorgung (sic!) wetterten. Dann aber entstand im unabhängigen und überparteilichen Rundfunkrat der Anstalt ein ungewöhnlicher Rettungsplan: Was wäre, so fragten die dort versammelten Vertreter bürgerschaftlicher Belange, wenn die im bundespolitischen Sprachbereich seit Jahren so segensreich wirkende Bundesworthülsenfabrik (BWF) um Hilfe gebeten würde? Und die Formulierungsakrobaten des ehemaligen Volkseigenen Betriebs Geschwätz der Demokratiebewahranstalt formulierungstechnisch auf die Sprünge hülfen?

Ein kleiner Schritt für die BWHF, ein großer für die demokratische Medienlandschaft. Binnen weniger Wochen war ein fast 90 Seiten starkes „Framing-Manual“ (Download hier) erstellt, das über das BWHF-An-Institut „Berkeley International Framing Institute“ abgerechnet wurde. Das Geschrei der Feinde der freien Medien und der fälschungserfahrenen Kommerzmagazine zeigte gleichermaßen, dass dem unabhängigen Regierungssender und der Belegschaft der Bundesworthülsenfabrik hier nach Einzelbegriffen wie "Rettungsschirm", "Energiewende", "Schulden-" und "Mietpreisbremse", "Stromautobahnen" oder "Wachstumspakt" zum ersten Mal ein Gesamtkunstwerk denklenkenden Formulierens gelungen war.

PPQ hat mit Rainald Schawidow gesprochen, der als Chef der Bundesworthülsenfabrik (BWHF) genau weiß, wo Goebbels den Most holt, wie viel Framing aus falschempfundener Wirklichkeit eine glaubhaft wahrnehmbare Realität machen kann und wie moralische Vorurteile sich verbal auf eine Weise transportieren lassen, dass der Empfänger seine Aufmerksamkeit auf Nebensächlichkeiten lenkt und dennoch zur Überzeugung gelangt, er werde umfassend und neutral informiert.

PPQ: Herr Schawidow, aus ihrem Hause stammt das Geheimpapier, das ARD-Führungskräften vorgibt, wie sie öffentlich über den öffentlich-rechtliche Rundfunk sprechen sollen. Wozu ist denn eine solche Vorgabe nötig?

Schawidow: Nötig ist das überhaupt nicht, wenn wir davon ausgehen, dass der Meinungsstreit fair und auf Augenhöhe abläuft. Aber als der Hilferuf von der ARD bei unserer Tochter Berkeley International Framing Institute einging, war ja schon klar, dass rechte Hetzer, Zweifler und Kritikaster eben diese Waffengleichheit nicht mehr akzeptieren.

Sehen Sie, früher war es so: Eine ARD-Sendung, nehmen Sie "Monitor", verkündete eine neu gefundene Wahrheit, der Zuschauer daheim nahm die Erkenntnis mit ins Bett und schlief im Gefühl ein, dass nun alles gesagt sei. Das waren gute Zeiten für Journalismus, denn jeder erledigte, was seine Aufgabe war. Heute dagegen stehen auch Medienhäuser wie die ARD unter permanentem Rechtfertigungdruck: Sie senden, aber statt danach schlafen zu gehen, wollen die Leute das letzte Wort haben. Sie nörgeln, suchen nach Fehlern, beklagen Voreingenommenheit. Irgendetwas ist immer, nie ist Schluss und am Ende geht es ums Geld. Gerade wir bei der BWHF verstehen den Wunsch, irgendwo mal einen Punkt zu machen, verbal, die Diskussion wieder geradezuziehen und die Kritiker über kluge Formulierungen einzubinden.

PPQ: Und die kann die BWHF natürlich liefern...

Schawidow: Zumindest, wenn wir direkt mit dem Wichtigsten beginnen wollen, der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe der Verteidigung des staatlich finanzierten Rundfunks. Wenn Sie Ihre Mitbürger dazu bringen wollen, den Mehrwert der ARD zu begreifen und sich hinter die Idee eines gemeinsamen, freien Rundfunks ARD zu stellen, über den wirklich nur verlässliche Verwaltungsräte wachen,  auch und gerade in Zeiten, in denen Gegner der ARD deren Relevanz in Frage stellen und orchestrierte Kampagnen fahren, die die ARD in starken Bildern und Narrativen abwerten, dann muss unsere Kommunikation immer in Form von moralischen Argumenten stattfinden: Wir sind gut, wir sind richtig, wir sind weiß, wir sind super.

Das bedeutet, dass die Worte, Slogans und Narrative, die wir verwenden, das primäre Ziel haben, bei der Diskussion von Fakten rund um die ARD und Themen wie „Beitragszahlungen“ oder „Strukturreform“ immer weg von den Tatsachen zu argumentieren und eine quasi bibelnahe moralische Perspektive an die Stelle von Millionen, schlechtem Journalismus oder Klüngelwirtschaft zu setzen.

PPQ: Das Manual soll also eine Art Handreichung sein, um das Produkt öffentlich-rechtlicher Rundfunk vor unziemlichen Nachstellungen zu schützen?

Schawidow: Es soll zeigen, was Sprache bewirken kann. Wir leben in einer Zeit, in der mit Begrifflichkeiten gekämpft wird, etwa mit Begriffen wie "Rettungsschirm", "Energiewende", "Schulden-" und "Mietpreisbremse", "Stromautobahnen" oder "Wachstumspakt", die unser Haus in den letzten Jahren allesamt für die Verwendung in der politischen Debatte designt hat. Medien waren dafür stets dankbar. Eigentlich nonexistente Substantive wie "Rettungsschirm" oder "Stromautobahnen" werden dort verwendet, als hätten sie irgendeinen Inhalt oder einen Sinn. Dieses sogenannte "Framing" wollten wir nun auch als Lenkungsleitplanke für ARD-Mitarbeitende verwenden, die verunsichert sind, wie sie nach außen vertreten sollen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk das meiste Geld für Sportübertragungen ausgeben und unter Grundversorgung nicht nur neutrale Berichterstattung versteht, sondern schon zum Zwecke der Selbsterhaltung stets expansiv neue Felder erobern muss.

PPQ: Aus fachlicher Sicht handelt es sich aber, sagen Kritiker, um den Versuch, die Deutunghoheit über die Kritik von außen zu gewinnen.


Schawidow: Was wir vorgelegt haben, diese Handlungsanweisung, die wir seit einer akuten Nacharbeit bei uns im Labor am Wochenende jetzt lieber eine "Arbeitsunterlage" genannt sehen wollen, macht unter anderem darauf aufmerksam, dass es sinnvoll ist, sprachliche Formulierungen so zu wählen, dass angeblich dahinterstehende Werte angepriesen werden.

Die bisher gebräuchliche Formulierung „öffentlich-rechtlicher Rundfunk“ enthielt ja beispielsweise keinerlei inhaltliche Aussage, wie toll dieser Rundfunk ist, sondern nur einen Hinweis auf die Rechtsform. „Unser gemeinsamer freier Rundfunk“, wie wir das jetzt nennen, weist hingegen auf das hervorragende und wertvolle Programm der ARD für die gesamte Gesellschaft hin. Als nächstes, das haben wir dem Kanzleramt schon empfohlen, sollte die freiheitlich-demokratische Grundordnung FDGO, auf die wir uns immer beziehen, neu geframt werden. Da geht es ja auch nicht nur um eine Rechtsform, so dass "glücklichmachende Gerechtigkeitsgesellschaft" oder kurz GGG, so unser Vorschlag, sicher angemessener wäre.

PPQ: Eine Gebrauchsanweisung für den Meinungskampf, in den die BWHF im Grunde genommen mehr als 22.000 ARD-Mitarbeiter*innen schickt,  die gebeten worden sind, die empfohlenen Formulierungen auswendig zu lernen.

Schawidow: Das war keine Empfehlung, sondern ein verbindlicher Vorschlag, nur aus sprachwissenschaftlicher Sicht. Wie die Kollegen bei der ARD damit arbeiten, ist ihre Sache, so lange alle mitziehen. Wir als BWHF haben gar nicht das Recht, Mitarbeiteranweisungen für die ARD zu erlassen. Was wir getan haben, liefert den kommunikationstheoretischen Ansatz, Phänomene der Selektion, Perspektivierung und Priorisierung gesellschaftlicher Angriffslagen auf die Anstalt und deren unzweifelhafte Verdienste aus den Second-Level-Agenda-Settings herauszubrechen.

Sehen Sie, gerade, als ich "Verdienste" sagte, dachten Sie automatisch an die 275.000 Euro, die die Intendantin des nun wahrlich in keiner reichen Gegend sendenden MDR jährlich erhält. Deshalb, sagen wir, ist es zu vermeiden, überhaupt "Verdienst" zu sagen! Dann haben wir viele gute Argumente für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk! Wenn Menschen sich für oder gegen eine Sache einsetzen, dann tun sie das ja nicht aufgrund von einzelnen Faktenargumenten. Geben wir Menschen doch einfach das Gefühl, es solle ihnen ihr "Tatort" weggenommen werden! Dann werden sie das Gefühl haben, dass es ums Prinzip geht. Sie werden selbst wollen, dass dieses Unrecht korrigiert wird, indem sie sich eingeladen fühlen, die Freiheit zu haben, mit ihren Beiträgen ein Rundfunkangebot zu finanzieren, das von moralischen Prinzipien getragen ist.

PPQ: Sie versuchen, positives Argumentieren gegen die grassierenden  Begriffe „Lügenpresse“ und „Staatsfunk“ zu setzen, die der Kreml in Umlauf gebracht hat. Bleibt ein solches Unterfangen aber nicht notgedrungen an der Oberfläche?

Schawidow: Wir haben den Kolleginnen und Kollegen bei der ARD gesagt, glaubt nicht, dass sich dieser Krieg in Wochen oder Monaten gewinnen lässt.  Putin hat mit „Lügenpresse“ und „Staatsfunk“ ganz starke Meme gesetzt, die wir nicht so einfach wieder ausgespült bekommen, das ist klar. Wichtig war deshalb auch die Funktion des  konativen Priming mitzudenken: Statt dass die ARD sich verteidigt, soll sie lieber die private Konkurrenz angreifen!

Das funktioniert, weil die gesellschaftliche Stimmung gegen Profite und Konzerne und für die Biene, das Klima und Nachhaltigkeit eingestellt ist - also haben wir empfohlen, Privatsender  “profitwirtschaftliche Sender” zu nennen, Zeitungen und Magazine als “medienkapitalistische Heuschrecken” zu bezeichnen  und den Begriff des “Kommerzsenders” abwertend gegen ARD-Sender zu stellen, die wir künftig ausschließlich als "Gemeinwohlmedien" bezeichnen wollen.

Jede einzelne Verwendung dieses von unseren Geschwätzdesignern eigens neuentwickelten Wortes Wortes aktiviert einen Frame im Kopf der Rezipienten, der dahinterliegende Prozess nennt sich neuronale Simulation: Mit ausreichender Häufigkeit benutzt, wird aus dem Frame ein Fakt. Der dahinterstehende Mechanismus heißt Hebbian Learning: Je öfter Neuronengruppen simultan im Gehirn feuern, desto stärker wird die synaptische Verbindung zwischen ihnen. So gelingt es erfolgreich, Mitbürger mobilisieren und sie heute und morgen für die ARD begeistern.

PPQ: Und Sie glauben, es ist wirklich so einfach, da ein Image zu drehen?

Schawidow: Da verweise ich gern auf ein Beispiel aus der Geschichte. Sie wissen es vielleicht nicht, aber der Kampf um den Ausstieg aus der Nuklearenergie in Deutschland wurde auf demselben sprachwissenschaftlichen Feld entschieden, lange vor Fukushima. Ausschlaggebend war der Umstand, dass es der Anti-Kernkraftbewegung gelang, den Begriff "Atomenergie" zu etablieren, während die Industrie damit scheiterte, "Kernenergie" oder "Nuklearenergie" durchzusetzen. Atomenergie war wie Atombombe, unwissenschaftlich, unsinnig, aber unfassbar wirkungsstark, weil bedrohlich, finster und bedrückend. Hiroshima in Hildesheim! Es war nur eine Frage der Zeit, wann diese Milliardenindustrie an diesem Framing scheitern würde. Sie sehen dabei: Fakten sind nicht zentral, sie werden in einer öffentlichen Auseinandersetzung erst zu guter Munition, wo ihre moralische Dringlichkeit im Irrationalen kommuniziert wird.

PPQ: Es geht um Kampfbegriffe, um einen Krieg mit Worten, in dem keine Gefangenen gemacht werden?

Schawidow: Wer eine allgemeingültige Beitragspflicht "Zwangsgebühren" nennt oder einen Sender, der immer mal einen Regierungssprecher stellt, der dann später unabhängiger Rundfunkrat wird, "Staatsfunk" nennt, sucht sicher nicht nach einem Meinungsaustausch. Der gehört bekämpft, mit allen Mitteln der Sprache.

PPQ: Sie als Bundesbehörde beliefern nun aber ausgerechnet eine Senderfamilie, die dagegen ankämpft, als Staatsfunk wahrgenommen zu werden. Ist das nicht kontraproduktiv?

Schawidow: Wir sind nun einmal Marktführer, ja, eigentlich Monopolist auf unserem Gebiet. Als die ARD nach Fachleuten suchte, die ihr helfen können, unveränderte Sachverhalte moralisch neu zu interpretieren, waren wir einfach die logische Wahl.

Es gibt da aus meiner Sicht als BWHF-Direktor auch keine Angst vor Transparenz. Dass unsere Tätigkeit große Schnittstellen mit der psychologischen Schule des Konstruktivismus hat, ist allgemein bekannt. Dass unsere Sprachinnovationen wie  "Wachstumspakt", "Protestterroristen" und "Konjunkturspritze" stets auf die Konstruktion sozialer Wirklichkeiten zielen, die durch die Selektion von Erfahrungen und Abrufung vorhandener Denkkategorien funktioniert, ist kein Geheimnis.

Wir arbeiten ebenso zuverlässig für die SPD wie für alle anderen Parteien des demokratischen Blocks. Ich kann daran absolut nichts Falsches finden und ich wehre mich dagegen, dass unseren vielen ehrlichen Mitarbeitern, die mit hohem Engagement um beste Ergebnisse kämpfen, hier etwas vorgeworfen wird, das so nicht richtig ist.

6 Kommentare:

Carl Gustaf hat gesagt…

Wenn das der Karl-Eduard noch miterlebt hätte.

Carl Gustaf hat gesagt…

Das eigentlich Interessante oder gar Skandalöse an diesem Handbuch ist ja das, dass selbst die ARD Anja Reschke, Georg Restle, Patrick Gensing und Co. für solche Idioten hält, dass sie diesen Koryphäen die Erstellung des Handbuch nicht als Dienstaufgabe aufgetragen haz.

Anonym hat gesagt…

Schlussfolgerung ?

WENN DENN der Kulturbolschewismus MIT dem MUND gewinnt , dann muss der MUND des Kulturbolschewisten mit der Gewindestange und Sekundenkleber zerstört werden - welchen Teil des Satzes "totaler Krieg" begreift IHR eigentlich nicht ?

Anonym hat gesagt…

absolut irre .... und was noch irrer ist: die haben eine Generalsektretärin.....

ppq hat gesagt…

ich muss gestehen, dass ich über diesen fakt auch erstaunt war. ich hatte noch niemals zuvor davon gehört

Hase, Du bleibst hier... hat gesagt…

... "unveränderte Sachverhalte moralisch neu zu interpretieren"...

Die gesamte Unfähigkeit in einem Nebensatz entschlüsselt. Herzlichen Dank PPQ für dieses Meisterstück. Satire hat mehr Wucht als jeder Knüppel.