Bescheiden, sich seiner stilistischen Mittel aber sehr sicher, so präsentierte sich Relotius bei seiner ersten Lesung. |
"Ich habe mich nie bemüht, bei den Fakten zu bleiben, denn schließlich sollte die Botschaft ja ihre Adressaten erreichen", sagt Claas Relotius selbstbewusst. Die Recherche der Fakten war, daran lässt der frühere Spiegel-Star keinen Zweifel, aufwendig, doch der Einsatz der eigenen Fantasie ist kaum weniger mühsam und langwierig gewesen. Wer zum Beispiel beherrschte im Sommer 2016 Kirkuk? "Da habe ich zwei Tage gebraucht, das herauszufinden."
Und wissen musste es der vielfach geehrte Reporter, denn schließlich sollte sein Märchen von den Löwenjungen in der irakischen Stadt spielen. „Da muss man aufpassen, dass das, was überprüfbar ist, hinhaut“, sagt der Sohn einer alteingesessenen Reederfamilie, die ursprünglich aus dem großen Latinum stammt.
Aber es gab auch Detailerfindungen, die für die unmittelbare Reportagehandlung wichtig wurden: unveröffentlichte Skype-Tagebücher von US-Grenzmilizionären, russischen Onlinetrollen und Flüchtlingskapitänen etwa, die Relotius mit Hilfe der Dokumentation im Verlag ausfindig machte. Aus Hamburg angereist, sitzt der Autor, der nach Jahren, in denen seine Karriere nur steil bergauf ging, Ende letzten Jahres einen tiefen Sturz erlebte, umringt von Mitarbeitern des Spiegel-Verlags, von alten Abonnenten und Literaturkritikern, aber auch von Jury-Mitgliedern inzwischen aufgelöster Journalistenpreise und Berliner Politikern an einem warmen Januarabend in einem gemütlichen Gasthaus im tiefsten Thüringen.
Retulios, schlanker als früher, noch mit dunklen Augenschatten und staubigen Schuhen, liest bei Kerzenlicht aus seinen schönsten Fake-Geschichten und beantwortet aufgeschlossen und engagiert die Fragen der Anwesenden. Auf einem Tisch neben ihm türmen sich die druckfrischen Exemplare von "Bais moi/Fake mich – mein Leben als Stern", dem Buch mit den vielen preisgekrönten Retulios-Reportagen, das kurz nach seinem Erscheinen und trotz der Streichung von der Spiegel-Bestsellerliste nach Verlagsangaben bereits in die dritte Auflage geht.
Und wirklich, Relotius Geschichten sind stärker als alle literarische Fantasie, als alle Realität, als 26 Buchstaben und die sieben Milliarden Wirklichkeiten der Menschheit. Das ist nicht übertrieben. Der Gott des im Zweifel linken Fakes lässt Katastrophen wie Musik klingen, der Pop des Untergangs, der Entzivilisierung, ein Pathos schwingt mit, wenn die Mühseligen und Beladenen vorbeimarschieren, nur den deutschen Reporter an sich heranlassend wie Wasser und CD.
Relotius ist ihr Vertrauter, ihr Betvater, der Mann, der ihre Schicksale seinen deutschen Lesern zu Füßen legt wie ein treuer Hund lefzensabbernd das tote Kaninchen vor die Stiefel der Jäger. Halalali! „Manchmal“, sagt der Reporter, „schäme ich mich“. Im selben Moment plärrt ein Handy los. Es spielt die Melodie von Abbas „Knowing me, knowing you“. Das passt.
Denn noch hält der 34-Jährige, körperlich angeschlagen und auch mental nicht mehr ganz auf der Höhe, dem Druck stand, den der Spiegel mit einer Kampagne aufbaute, um vom eigenen Versagen abzulenken. Retulios wirkt, als würde er das gespenstische Endspiel seiner Laufbahn als bester deutscher Journalist mit der Neugier eines Reporters erleben.
Der von ihm selbst entfesselte Krieg, mit dem er, so sagt er heute, habe zeigen wollen, inwieweit der Vorwurf der Lügenpresse berechtigt ist. Das Dichterleben zwischen psychischer Störung und Angst vor dem Erwischtwerden, vor Rache des IS und der Wut Trumps. Gespenstisch das alles zudem, weil Relotius selbst eine Kunstfigur ist, wie er zugibt: Geboren als Kevin Lehmann in Branderbisdorf, sei ihm früh klargeworden, so der Mann, der sich Claas nennt, dass eine Geschichte je eher geglaubt werde, je unglaubwürdiger sie sei.
Also Reedersohn, also großes Latinum, also leise Töne, Skrupel, und lange Geschichten. Relotius, in Sachsen aufgewachsen, inhalierte die herrschaftlichen Daseinsformen des altwestdeutschen Bildungsbürgertums aus dem 20. Jahrhundert wie flüssigen Sauerstoff. Bald glaubte er wirklich, einer von ihnen zu sein. Dichterlesung, Kokain, Kerzenlicht, Beck, Rammstein und Flügelklang, mit erlesenen Weinen und offenem Kragen bei Tisch, Frauen, Promis, weite Reisen erster Klasse, ein Flug so teuer wie das Haus der Eltern wert ist. "Es war der pure Wahnsinn", konstatiert er jetzt, wo es vorüber ist, "gegen diese Erlebnisse ist 'Vom Winde verweht' eine harmlose Operette."
Der Faktencheck ergibt in der Tat: Das äußere Gerüst stimmte immer, irgendwie, auch das Personal wirkte authentisch, und Seite für Seite könnte es sich so abgespielt haben. Könnte - denn schließlich füllt Relotius die Lücken, die die Historie lässt, mit Fiktion, mit Musik, mit Fantasie. Seine Reportagen sind keine Dokumentationsn, sondern Romane, zusammengesetzt aus einzelnen szenischen Darstellungen, die es so gegeben haben könnte, und Gesprächen, die nie stattgefunden haben.
Die Größe und Wucht seines Werk bleibt davon unberührt. Es war genau das, was gebraucht wurde, als es entstand, eine Facette des strahlenden Sonnenaufgangs eine Deutschlands, das die Moral gepachtet hat. Schlössen sich erst alle an, das war Relotius' Botschaft, würde kein Weber mehr hungern müssen, kein entrechtetes Mädchen mehr fiebernd gen Himmel fahren und kein Kindersoldat sterben.
Und wissen musste es der vielfach geehrte Reporter, denn schließlich sollte sein Märchen von den Löwenjungen in der irakischen Stadt spielen. „Da muss man aufpassen, dass das, was überprüfbar ist, hinhaut“, sagt der Sohn einer alteingesessenen Reederfamilie, die ursprünglich aus dem großen Latinum stammt.
Aber es gab auch Detailerfindungen, die für die unmittelbare Reportagehandlung wichtig wurden: unveröffentlichte Skype-Tagebücher von US-Grenzmilizionären, russischen Onlinetrollen und Flüchtlingskapitänen etwa, die Relotius mit Hilfe der Dokumentation im Verlag ausfindig machte. Aus Hamburg angereist, sitzt der Autor, der nach Jahren, in denen seine Karriere nur steil bergauf ging, Ende letzten Jahres einen tiefen Sturz erlebte, umringt von Mitarbeitern des Spiegel-Verlags, von alten Abonnenten und Literaturkritikern, aber auch von Jury-Mitgliedern inzwischen aufgelöster Journalistenpreise und Berliner Politikern an einem warmen Januarabend in einem gemütlichen Gasthaus im tiefsten Thüringen.
Die schönsten Fake-Geschichten bei Kerzenlicht
Retulios, schlanker als früher, noch mit dunklen Augenschatten und staubigen Schuhen, liest bei Kerzenlicht aus seinen schönsten Fake-Geschichten und beantwortet aufgeschlossen und engagiert die Fragen der Anwesenden. Auf einem Tisch neben ihm türmen sich die druckfrischen Exemplare von "Bais moi/Fake mich – mein Leben als Stern", dem Buch mit den vielen preisgekrönten Retulios-Reportagen, das kurz nach seinem Erscheinen und trotz der Streichung von der Spiegel-Bestsellerliste nach Verlagsangaben bereits in die dritte Auflage geht.
Und wirklich, Relotius Geschichten sind stärker als alle literarische Fantasie, als alle Realität, als 26 Buchstaben und die sieben Milliarden Wirklichkeiten der Menschheit. Das ist nicht übertrieben. Der Gott des im Zweifel linken Fakes lässt Katastrophen wie Musik klingen, der Pop des Untergangs, der Entzivilisierung, ein Pathos schwingt mit, wenn die Mühseligen und Beladenen vorbeimarschieren, nur den deutschen Reporter an sich heranlassend wie Wasser und CD.
Relotius ist ihr Vertrauter, ihr Betvater, der Mann, der ihre Schicksale seinen deutschen Lesern zu Füßen legt wie ein treuer Hund lefzensabbernd das tote Kaninchen vor die Stiefel der Jäger. Halalali! „Manchmal“, sagt der Reporter, „schäme ich mich“. Im selben Moment plärrt ein Handy los. Es spielt die Melodie von Abbas „Knowing me, knowing you“. Das passt.
Große Kampagne des "Spiegel"
Denn noch hält der 34-Jährige, körperlich angeschlagen und auch mental nicht mehr ganz auf der Höhe, dem Druck stand, den der Spiegel mit einer Kampagne aufbaute, um vom eigenen Versagen abzulenken. Retulios wirkt, als würde er das gespenstische Endspiel seiner Laufbahn als bester deutscher Journalist mit der Neugier eines Reporters erleben.
Der von ihm selbst entfesselte Krieg, mit dem er, so sagt er heute, habe zeigen wollen, inwieweit der Vorwurf der Lügenpresse berechtigt ist. Das Dichterleben zwischen psychischer Störung und Angst vor dem Erwischtwerden, vor Rache des IS und der Wut Trumps. Gespenstisch das alles zudem, weil Relotius selbst eine Kunstfigur ist, wie er zugibt: Geboren als Kevin Lehmann in Branderbisdorf, sei ihm früh klargeworden, so der Mann, der sich Claas nennt, dass eine Geschichte je eher geglaubt werde, je unglaubwürdiger sie sei.
Leise Töne und lange Geschichten
Also Reedersohn, also großes Latinum, also leise Töne, Skrupel, und lange Geschichten. Relotius, in Sachsen aufgewachsen, inhalierte die herrschaftlichen Daseinsformen des altwestdeutschen Bildungsbürgertums aus dem 20. Jahrhundert wie flüssigen Sauerstoff. Bald glaubte er wirklich, einer von ihnen zu sein. Dichterlesung, Kokain, Kerzenlicht, Beck, Rammstein und Flügelklang, mit erlesenen Weinen und offenem Kragen bei Tisch, Frauen, Promis, weite Reisen erster Klasse, ein Flug so teuer wie das Haus der Eltern wert ist. "Es war der pure Wahnsinn", konstatiert er jetzt, wo es vorüber ist, "gegen diese Erlebnisse ist 'Vom Winde verweht' eine harmlose Operette."
Der Faktencheck ergibt in der Tat: Das äußere Gerüst stimmte immer, irgendwie, auch das Personal wirkte authentisch, und Seite für Seite könnte es sich so abgespielt haben. Könnte - denn schließlich füllt Relotius die Lücken, die die Historie lässt, mit Fiktion, mit Musik, mit Fantasie. Seine Reportagen sind keine Dokumentationsn, sondern Romane, zusammengesetzt aus einzelnen szenischen Darstellungen, die es so gegeben haben könnte, und Gesprächen, die nie stattgefunden haben.
Die Größe und Wucht seines Werk bleibt davon unberührt. Es war genau das, was gebraucht wurde, als es entstand, eine Facette des strahlenden Sonnenaufgangs eine Deutschlands, das die Moral gepachtet hat. Schlössen sich erst alle an, das war Relotius' Botschaft, würde kein Weber mehr hungern müssen, kein entrechtetes Mädchen mehr fiebernd gen Himmel fahren und kein Kindersoldat sterben.
8 Kommentare:
Preisfrage: Worin unterscheidet sich das faktenspärliche dafür aber fantasiereich ausgeschmückte Relotius-Fake-News-Universum von dem des sich bei kritischen Fragen zu seinen oft aufgeblasenen pseudolustigen Texten über alltägliche Politiker- und Lügenmediensauereien auch gerne hinter einen Satireschutzwall zurück ziehenden ppq?
Wem nützt all das wortreiche Geschwafel? Oder dient dieses Block primär der literarischen Selbstbeweihräucherung einer intellektuellen Gruppe von Möchtegern-Besserwissern, die uns ihre geistig überlegen dünkende ulkige Weltsicht verkaufen wollen?
Der für alles verantwortende Souverän, der "mündige" deutsche Schildbürger, wird diese Art der Wahrnehmung und Interpretation garantiert nicht wahrnehmen, sondern sich weiter bei den ö.-r. Anstalten und der BILD informieren. Was also nützen max 13% Durchblicker, wenn 87 % scheinbar komplett hirnamputiert nur ein "Weiter so, Mutti!" zusammen halluzinieren, weil sie in ihrer einfältigen Vielfalt allesamt nur Kötervolkuntertanen sind, die ihrer sakrosankten Obrigkeit beflissen glaubend devot kuschend gehorchen?!
warum erweckst du die menschheit nicht einfach mit einem eigenen block? komm, du kannst das!
Klar doch, die Gehirnvollwäsche des Bundes-Hornviehs muss kontinuierlich weiterbetrieben werden. – Weigert sich die Realität den „Vorgaben“ des linken Paranoia-Parallel-Universums zu folgen, wird sie eben mehr und mehr ausgeblendet, weggelogen, totgeschwiegen und verdreht, bis es den „Diskurshoheiten und Dressureliten“ genehm ist. –
Chapeau, unsere zwangsfinanzierten Medien haben bereits „Prawda/Aktuelle-Kamera“-Niveau erreicht. – „West-Fernsehen“ gibt es indes keines mehr, denn das frühere „West-Fernsehen“ ist selber zum “Pest-Fernsehen“ (Lügen-Matrix-Sprachrohr) mutiert. – Wäre da nicht das (noch) einigermassen pluralistische Internet, dann gute Nacht aber auch.
Nachschlag:
Auch die bekannte „Normative Kraft des Faktischen“ wird mit ins Kalkül genommen. - Sprich, die täglichen Lügen avancieren zur „schlichten Normalität“. – Und, so unsere braven Unterthanen eh willig schlucken, was ihnen ihre weisen Führer und Lenker einflüstern, dürfte das kaum Ablehnung oder Widerstand hervorrufen. –
Die Wahlergebnisse bestätigen doch derlei Vermutungen aufs heftigste.
Katha Schulze aus Californien verarscht ihre Zielgruppe .
https://kohlchan.net/pol/src/1546860324695.jpg
( "der Treibstoff fehlt dann wieder beim Endsieg " so der Reichsrohstoffwart Sepp )
Spieglein, Spieglein an der Wand,
Wer ist der beste Schreiber im ganzen Land?
Relotius Ihr seid der beste hier,
Aber PPQ aus Halle
Ist besser als alle,
Und auch viel besser als Ihr.
schmeischler!
@ (Lese)Ratte: Es lüstet mich, Dich ein wenig aus der Reserve zu locken, und Dich zum Werfen mit Exkrementen zu verlocken. Also ...
Halbgott in Weiß
@ Halbgott in Weiß-ich-nicht
So hat halt jeder seine Gelüste. Ich kann diesen Wunsch jedoch nicht erfüllen, denn dann wäre ppq pikiert, dass ich seinen sorgsam klinisch reinen Esstisch besudele. Wie wäre es statt der Moralpredigt also mit ein paar halbgöttischen Weisheitsworten zum Artikel, um mal zu sehen, was der anonyme Anonymiker in Reserve hat?
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