Sonntag, 30. Dezember 2018

2018: Das Jahr Februar

Von einem Hauch Abendrot umgeben: Angela Merkel bei einem ihrer letzten Auftritte im Bundestag.
Es ist der Monat vor dem Ende, der Moment, in dem klar ist, dass kein Novemberfrost mehr kommen wird, kein Dezembersturm und kein eisiger Januarfrost. "Februar" nannte die DDR-Rockband Silly vor knapp drei Jahrzehnten ein Album, das damals den Zeitgeist einfing: Kein Tauwetter ringsum, aber schon ist zu spüren, dass der Winter zu ende gehen wird.

Väterchen Frost, der diesmal eine Frau ist, die die Landschaft über Jahre hinweg in ein Gefrierfach verwandelt hatte, das kein gesellschaftliches Gespräch mehr kannte, sondern nur noch alternativlose Anweisungen, hat seine Kraft verloren. Ein paar verlorene Landtagswahlen und die Angst der unteren und mittleren Funktionärsebene vor galoppierendem Machtverlust reichten, die eben noch mächtigste Frau der Welt zu einem Rückzug auf Raten zu zwingen.

In den Winterjahren nach 2015


Es wird im Nachhinein ein Februar gewesen sein, das Jahr 2018, in dem all das, was ein Jahrzehnt lang als unanzweifelbare Gewissheit jeder Diskussion entzogen worden war, plötzlich wieder zum Gegenstand von Debatten wurde. Einen "Rechtsruck" hat die extreme Linke das genannt. Eine "Normalisierung" sahen die, die in den Winterjahren nach 2015 den Eindruck hatten, das Land habe sich in eine DDR verwandelt, in der jeder zwar noch "die formale Freiheit hat, zu sagen, was man denkt". In der man aber sicherheitshalber "nicht mehr zu denken wagt, was man nicht sagen darf", ohne unter die "Hetzer, Hasser und Zweifler" (Claus Kleber) einsortiert zu werden, denen das Böse Wesensart und Handlungsziel ist.

Deutschland vor der Zeitenwende, die dann doch nicht kommen wird. Die Lähmung ist alternden Gesellschaften Rückgrat und Tempolimit, wenn "unendlich viel auf dem Spiel" steht, macht das Spiel in satten Runden selten gute Laune. Das Jahr 2015 darf sich nie wiederholen, hat Angela Merkel noch zu Amtszeiten festgelegt. Armin Laschet, ihr onkelhafter Erbe aus NRW, ergänzte das um die Vorgabe, auch 2018 dürfe sich nicht wiederholen. "Zu viel Streit" habe es gegeben, das sei "nicht hilfreich" und helfe nur den Populisten. "Lauter Splittergruppen", schimpft der Hoffnungsträger, der sich im Jahr Februar lieber noch für den nächsten Neustart der CDU aufgespart hat.

Ein Witz, über den niemand mehr lacht


2017 war das Jahr, in dem die Wirklichkeit die Satire hinter sich ließ. 2018 dann das, in dem die Satire gewordene Wirklichkeit niemanden mehr zum Lachen brachte. Ein Witz, der politische Zwerge wie Annegret Kramp-Karrenbauer nach oben spülte und vermeintliche Riesen wie den Franzosen Emmanuel Macron entzauberte. Wer jetzt noch lacht, der baut kein Haus mehr. Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben, wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben und wird in den Alleen hin und her unruhig wandern, wenn im März die ersten Sprossen treiben.

2018 bleibt nicht deswegen in Erinnerung, weil der kaum jemandem bekannte Begriff "Heißzeit" das "Wort des Jahres" wurde, sondern weil es die Hoffnung nährte, dass es viel verrückter ja nun bald nicht mehr gehen kann. Nach dem Atom-, kam der Dieselausstieg, das Trinkhalmverbot, das WM-Aus und die ersten Befahrensverbote für Innenstädte.

Der Tugendterror absurder EU-Grenzwerte erreichte den Alltag von Millionen, die immer noch still staunend zuschauten, wie sich ihr Schicksal wendete, weg von der freien Entscheidung des Einzelnen, hin zu einer Gesellschaftsordnung, die vorkaut und vorgibt, einengt und einhegt und das für die Objekte im Gehege viel angenehmer hinbekommt als es das stalinistisch strenge System im Osten sich jemals erträumt hat. In dem hatte die Band Silly, als sie vor 30 Jahren dieses "Februar"-Album eingespielte, schon alles gesungen, was immer noch stimmt.



Wir wollen die Dose Spray unterm Arm
Wir wollen den wollweichen Streichelcharme
Wir wollen die Droge asiatischen Tee
Und Unterweltpornos aus Übersee

Wir wollen die Umwelt, wir wollen Benzin
Und übersinnliche Energien
Wir wollen schön sein, aber auch klug
Doch in jedem Falle reich genug

Alles wird besser,
Aber nichts wird gut

Wir wollen das Auto mit Klapprad im Heck
Ein schickes Zuhause und immer nur weg
Wir wollen jung, aber mächtig sein
Und alle Wetter lang Sonnenschein

Wir wollen die Insel mit nichts drumrum
Und reichlich Beifall vom Publikum
Kritisches Lob und 'ne gute Kritik
Und im Fernsehn uns're heiße deutsche Popmusik

Alles wird besser,
aber nichts wird gut







Keine Kommentare: