Samstag, 20. Oktober 2018

Brexit: Das Prinzip Abschreckung

Es geht ums Prinzip: Die EU kann es sich angesichts der offenen Grenzen im Süden nicht leisten, eine Hintertür im Norden zu öffnen.


Campione liegt in der Schweiz, gehört aber zu Italien. Italien gehört zur EU, die Schweiz nicht. Schlimmer noch: Seit der erfolgreichen Ausschaffungsinitiative der Schweizer streitet die EU hartnäckig mit den Eidgenossen um eine künftige Regelung der gegenseitigen Beziehungen. Man werde am Beispiel der Schweiz zeigen, dass es im gemeinsamen Markt keine "Rosinenpickerei" geben könne, hatte die EU nach dem "fremdenfeindlichen "(SPD) Votum der Schweizer gegen grenzenlose Mobilität angekündigt. Schwer umzusehen offenbar, denn die Verhandlungen schleppen sich seit mittlerweile acht langen Jahren hin, es gibt keine Fortschritte, schon gar kein Ergebnis, sondern nur eine lange Bank, die immer länger wird. Werden muss, weil es keine Kompromisslinie gibt, der beide Seiten zustimmen können, ohne selbstaufgestellte grundlegende Prinzipien zu brechen.

Wie beim Brexit


Die Schweiz muss nicht austreten aus der EU, aber da sie bis zur Volksabstimmung über die Ausschaffungsinitiative voll integrierter Teil des gemeinsamen europäischen Marktes war - und durch die dahinschwebenden Verhandlungen faktisch bis ist, unterscheidet sich die Situation nicht sehrvon der Großbritanniens nach dem Brexit.

Dort waren die Schweizer aufgrund des Wählerwillens gezwungen, Teile der Abmachungen mit der EU zu kündigen, was diese bewog, ein Ganz-oder-gar-nicht-Ultimatum zu stellen, das die Schweizer Regierung wegen des Wählerwillens nicht akzeptieren kann. Beim Brexit wollen die Briten zeigen, dass sie gehen und doch weiter europäisch bleiben können, der EU aber liegt vor allem daran, das Gegenteil zu beweisen: Wer die Gemeinschaft verlässt, der soll leiden, damit jeder, der mit ähnlichen Gedanken spielt, gleich weiß, dass er das tunlichst nicht tun sollte, wenn ihm sein Wohlstand lieb ist.

Unsicherbare Grenzen sichern


Angela Merkel hat im Bundestag klargestellt, dass es nicht um Lösungen geht, sondern um ein Prinzip: Es müsse klar sein, sagte sie, dass am Ende immer ein Unterschied bleiben müsse "zwischen einer Mitgliedschaft in der Europäischen Union und einer Partnerschaft mit der EU als Drittstaat". Andrea Nahles, die scheidende Vorsitzende der SPD, sieht das genauso. "Keine Rosinenpickerei", zitierte sie im Bundestag ihren Parteikollegen Walter Steinmeier, der vor vier Jahren als Außenminister festgelegt hatte, dass die Schweiz keine Rosinenpickerei betreiben dürfe.

Strich als Knackpunkt


Ausgerechnet die Grenze des britischen Nordirland zum EU-Irland, ein bedeutungsloser Strich auf der Landkarte, haben die EU-Spitzen als Knackpunkt für den Kampf ums Prinzip auserkoren:
500 Kilometer, vor 78 Jahren als Grenze festgelegt, aber meist nicht wie eine Grenze kontrolliert,
sollen, so Merkel 2018, beweisen, dass die Merkel von 2015 Unrecht hatte, die damals behauptete, man könne Grenzen heutzutage sowieso nicht sichern.


Womit wir bei Campione sind, einer der interessanten kleinen Absurditäten der EU. Der Ort gehört nach Artikel 4 des Zollkodex der Union nicht zum Zollgebiet der Europäischen Union, sehr wohl aber zur EU. Andererseits gibt es – im Gegensatz zum Fürstentum Liechtenstein und zu Büsingen am Hochrhein – keinen Staatsvertrag über die Einbindung von Campione ins Schweizer Zollgebiet. Campione ist nicht dies und nicht das, es ist nicht de jure, aber de facto zollrechtlich Teil der Schweiz, die an der – nicht existierenden - Grenze keine Zollkontrollen durchführt, obwohl das Dörflein nicht zur Schweiz gehört. Andererseits hat auch Italien keine Zöllner im Örtchen stationiert, die das Eindringen von nicht EU-Bürgern ins Schengengebiet ahnden.

Ein unbewachtes Mauseloch


Eine Mauseloch. Dabei leben neben den italienischsprachigen Campionesen und einigen wenigen Schweizern mehrere hundert Deutsche im Ort, die hier die Personenfreizügigkeit in der Europäischen Union nutzen, um die steuerlichen Vorteile zu genießen, die es mit sich bringt, wenn man mittendrin ist, aber nicht dabei. Der EU ist das - ganz im Unterschied zur Regelung um Irland und Nordirland - ebenso schnuppe wie der zollfreie Status von Helgoland oder die offenen Grenzen der Union zu den Färöern, die kein EU-Mitglied sind, dennoch aber keine Zoll- oder Grenzkontrollen der EU fürchten müssen.


3 Kommentare:

Unknown hat gesagt…

Ich will ja kein pedantischer Querulant sein, aber bei der Karte habt ihr noch die italienische und kroatische Adriaküste einfach abgekürzt. Damit wäre die grüne Linie noch viel länger und offener. Und von der Schwarzmeerküste (Bulgarien & Rumänien) will ich gar nicht anfangen. OK ich geb's zu, doch querulantischer Pedant.

ppq hat gesagt…

natürlich. die grafikabteilung wieder. der verantowrtliche mann wird am montag entlassen, wollte wohl am freitag schnell zu seiner angeblichen familie, das wetter und so. da hat er dann einfach rumgeluscht und gemeint, es merkt keiner.

seine ausrede war jetzt, als er einbestellt und vernommen wurde, es sei bei einem eimer irgendwann egal, wie groß das loch sei. da hat er sich aber geschnitten.

das wird ein karges weihnachten werden!

lesandi hat gesagt…

"Andererseits hat auch Italien keine Zöllner im Örtchen stationiert, die das Eindringen von nicht EU-Bürgern ins Schengengebiet ahnden."

Liegt wahrscheinlich daran, dass man mit dem Passieren der Grenze - egal in welche Richtung - den Schengenraum nicht verläßt.
Also zum Mitmeißeln: Schweiz ist nicht EU, aber Schengenraum. Jedenfalls noch.

Irgendwie scheint es auch nicht zu interessieren, wer da so die Grenze passiert. Unsere Erfahrung bei einem Ausflug von Graubünden nach Italien: Einreise Italien keinerlei Kontrolle, bei der Rückreise in die Schweiz ein missmutiger schweizer Zöllner, der sich nur für mitgeführte Fleisch- und Wurstwaren interessierte.