Auf einmal ist überall "Merkeldämmerung". Die Gazetten, die eben noch den Eindruck vermittelten, dass alles in Scherben fallen könnte, nicht aber ihre unverbrüchliche Solidarität zu der Frau, die Deutschland seit 13 Jahren regiert, vermitteln auf einmal ein Bild der inneren Zerrüttung.
Der "Spiegel", ein Sturmgeschütz in der Kanzlerfront, orakelt vom "Abschied von der Macht" und vom "Aufstand gegen Merkel". Die SZ argwöhnt, dass Merkel nun nicht weiterregieren könne wie bisher. Die "Zeit", eine Verlautbarungsstelle des Kanzelramtes, sieht den "Anfang vom Ende". Und die Taz sieht Merkels Macht "zerfließen", warum auch immer dieses Bild gewählt wurde. Der Münchner Merkur schnuppert
schon einen "Hauch von Abschied". Und selbst öffentlich-rechtliche Sender,
die Elitetruppen der Öffentlichkeitsarbeit des Kanzleramtes, heben den Kopf aus dem Graben und sehen ihre Kanzlerin "geschwächt" (Bettina Schausten).
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Was ist passiert? Ist Trump einmarschiert? Will Sachsen den Saxit? Sinken die Umfragewerte der Wunschkoalitionäre von den Grünen? Oder sollen die Prachtdiesel im Regierungsfuhrpark stillgelegt werden?
Kanzlerin ohne Kettenhund
Es ist nur der Fraktionsvorsitz, der Angela Merkel entglitten ist.
Volker Kauder, länger als ein Jahrzehnt der Kettenhund der Kanzlerin, geht bei der Abstimmung um den Chefposten in der Fraktion baden. Ein Ralph Brinkhaus, bis hierher Hinterbänkler unterm öffentlichen Radar, tritt an seine Stelle. 125 Stimmen gegen Kauder, nur 112 für ihn, obwohl die Leitmedien seit Tagen gewarnt hatten, dass ein solcher Ausgang einem Frontalangriff auf die mächtigste Frau der Welt gleichkommen werde. Brinkhaus, der Noname, wurde nicht gewählt, weil ihm
die Herzen zufliegen. Es ist vielmehr im Kleinen wie im Großen: So wie die AfD für das gewählt wird, was sie nicht ist, wurde Brinkhaus für das gewählt, was er nicht verkörpert - intime Kauder-Nähe zu Merkel.
Die Mehrheit der Unionsabgeordneten, eigentlich ein Haufen willfähriger Karrieristen, denen der sichere Parlamentssitz unterm Hintern in der Regel mehr gilt als die eigene Meinung, begehrt mit deisem Votum auf gegen eine Frau, der schon in der
Causa Maaßen die Machtmittel ausgegangen waren. Nur mit guten Gaben an ihre Koalitionäre konnte Angela Merkel die Ruhe in den eigenen Reihen zumindest vorerst wieder herstellen.
Wo andere Kanzler vor ihr und früher auch sie eine Ansage gemacht hätten, musste Angela Merkel diesmal schachern, um ihre schwachen Mitspieler bei der Stange zu halten. Das Wahlvolk aber bekam ein Beruhigungssäftchen aus frischgezapfter Ehrlichkeit gereicht. Es tue ihr leid, sagte Angela Merkel. Nicht "wir schaffen das". Auch sie habe da etwas falsch eingeschätzt beim
Blick aus ihrem Elfenbeinturm in Berlin. Sie, ja, und sie bereue das.
Der Hering wird zum Hai
Damit hätte es gut sein sollen. Das war schon mehr, als Angela Merkel jemals zuvor irgendwem gegeben hatte. Aber wie das so ist: ist ersteinmal Blut im Wasser, wird selbst der Hering zum Hai. Nicht nur, dass Ralph Brinkhaus, der ungewollte Neue im Amt, das beim Koalitionspartner niemand anders als Andrea Nahles bekleidet, sich über
die von der Kanzlerin zur "Stunde der Demokratie" ausgerufenen Niederlage lustig machte, indem er behauptete, zwischen ihn und Angela Merkel passe "kein Blatt Papier" - ein Zitat, das auf Gerhard Schröder zurückgeht, der so sein Bürgerkriegsverhältnis zu Oskar Lafontaine beschrieb.
Nein, es droht das Allerschlimmste, wie das für Merkel-Verhältnisse desaströse Medienecho zeigt. Wurde die Kanzlerin sogar nach ihrem Pyrrhussieg über Hans-Georg Maaßen noch gelobt, als habe sie staatsmännische Klugheit bewiesen, schwant den Kanzlerkompanien in den Schreibstuben in Berlin, Hamburg und München nun offenbar, dass es höchste Zeit sein könnte, Texte zu schreiben, die später beweisen werden, dass man schon immer gewarnt hat, eigentlich dagegen war und in jedem Fall Freund eines Neuanfangs ist, seit jeher.
Nirgendwo mehr ein gutes Wort, nirgendwo ein absurdes Lob, eine
Gaga-Umfrage oder ein Versuch, die "Niederlage" (Merkel) als den Moment zu interpretieren, in dem eine plötzlich erwachte Gerontokratie beschließt, nun aber mal wirklich "Sachpolitik" zu machen, dass es nur so kracht und selbst die Stammtische in Sachsen abjubeln.
Das wird Konsequenzen haben. Konnte sich Angela Merkel bisher stets darauf verlassen, dass noch jede wilde Volte ihres öffentlichen politischen Nachdenkens samt zugehöriger Richtungsänderung ihrer Politik zumindest bei den verbeamteten Kommentatoren von Zeit, SZ, Spiegel, Stern, FR und Taz mit warmem Applaus begrüßt wird, deutet sich schon Stunden nach dem Verlust ihrer Machtbasis in der Fraktion eine drastische Veränderung an. Merkel
ist nun eine "lame duck". Eine Chefin ohne Gefolgschaft. Eine Allmächtige auf "erodierter Machtbasis" (Handelsblatt). Ihres Bleibens, so legen die Schreibtischtäter nahe, wird nicht mehr lange sein. Ist es soweit, muss man es vorher gesagt haben.
Leitmediale Merkelmussweg-Kampagne
Und das ist erst der Anfang. Wer sich erinnert, wie ausgiebig
Seehofer im Sommer geprügelt wurde, als er eine Rückkehr zum rechtmäßigen Grenzregime verlangte und Merkel ihn ohne jedes Sachargument abtropfen ließ, der ahnt, welche Kraft eine leitmediale "Merkel muss weg"-Kampagne gewinnen wird, wenn erst alle Kanonen herumgedreht und alle Schreibsoldaten eingeschworen sind. Stoff genug werden die Rechercheure finden, die über viele Jahre hinweg mit geschlossenen Augen durchs Regierungsviertel spaziert sind.
Da ist die ehemalige Merkel-Erbin
Ursula von der Leyen, die nicht nur Millionenaufträge an externe Berater vergeben hat, sondern dabei zufällig auch
Geld bei der Firma ablud, bei der ihr Sohn arbeitet. Da ist der "Dieselskandal", der europaweit nur Deutschland trifft, obwohl Frankreich, Italien und die anderen EU-Staaten bei denselben EU-Grenzwerten dieselben Euro-Diesel fahren. Und da ist die ungelöste Migrationsfrage, die "europäische Lösung", für die Merkel
sich im Juni noch zwei Wochen Zeit ausbat. Und von der seither nie mehr die Rede war.
Vieles wird stürzen, wenn die Kanzlerin stürzt. Angela Merkel hat am Beispiel ihres Ziehvaters Helmut Kohl selbst
vorexerziert, wie so etwas gründlich gemacht wird.