Die deutsche Nationalmannschaft startete gleich mit einer Niederlage in die Fußball-Weltmeisterschaft in Russland. Für Fanexperten oder Fußball-Neulinge war das nicht weiter ungewöhnlich, denn die deutsche Mannschaft ist, so die Legende, eine "Turniermannschaft", die sich im Verlaufe großer Fussballversammlungen stets zu steigern weiß.
Das Können sei da, predigten die Berichterstatter, die Klasse, der Wille, die Laufbereitschaft, die Entschlossenheit, zu kämpfen. Kurz: All die Sekundärtugenden, "mit denen man auch ein KZ leiten kann" (Oskar Lafontaine). Was fehlte, war der Mannschaftsgeist: Nur ein Spiel gewonnen, dann auch noch ausgerechnet das, bei dem erstmals seit Jahren nur in der Startformation standen, die die Hymne mitsangen.
Deutschland, so schien es, würde sich wie immer am eigenen Stutzen aus dem Sumpf der fussballerischen Mittelmäßigkeit ziehen. Begleitet von einem als Außenkommunikation getarnten Einheitsbrummen geschwätziger Verschwiegenheit ging es um alles, nur nicht das, worum es ging: Die selbsternannte #Mannschaft, das würden die Fans viel, viel später erfahren, war gar keine. Wie das Land war sie zerrissen, verunsichert darüber, für wen der Nebenspieler wohl eigentlich kickt.
Jung und alt, über die Rentenfrage gespalten, der Trainer nur noch guter Hoffnung, irgendwie so weit zu kommen, dass es in den Augen der Öffentlichkeit reicht. Dann das plötzliche Ende, ein koitus interruptus ohne Erguss, torlos raus gegen Südkorea, ein Land, das auf deutschen Fußballlandkarten eigentlich gar nicht existiert.
Auf einmal splittert es überall. Auf einmal ist kein Plan mehr da. Mehr als ein Jahrzehnt lang war alles rund um den deutschen Fußball gnadenlos durchprofessionalisiert worden. Und nun stehen die Nachfolger des Kaisers aller Kicker nackt da, ratlos in ihrer größten Niederlage, zurückverwandelt in Menschen, statt in Sprechroboter. Mats Hummels sprach auf einmal wieder Sätze mit Inhalt statt emotionsloser Standard-Phrasen vom Frühstücksbuffett der Fußball-Worthülsenfabrik. Der Trainer wirkte sympathisch unkontrolliert im Bemühen, die Kontrolle zu behalten. Aus der Tragödie auf dem Platz war ein Drama im echten Leben geworden. Der Fußball, eine gelackte, polierte Veranstaltung, die durchplanbar und bis ins letzte Siegertränchen kommerzialisierbar schien, erlebte eine Rückverwandlung ins Echte, Authentische, Lebendige.
Es ist das, was andere Mannschaften der deutschen voraushatten in diesem Weltmeisterschaftsjahrgang 2018. Die Russen, die Japaner, die Kolumbianer, die Schweizer, Uruguayer und Kroaten, die Dänen und die Franzosen - nicht allein die spielerische Klasse und das notwendige Quäntchen Glück ließ sie die Gruppenphase überstehen, sondern auch eine gemeinsame Identifikation mit einem gemeinsamen Ziel: Für ein Land, ein Trikot, eine als solche empfundene Gemeinschaft anzutreten.
Das Erstaunliche ist: Öffentlichkeit wie Medien akzeptiert dem Umstand, dass es sich bei dieser empfundenen Gemeinschaft in der Regel um eine sogenannte Nation handelt. Man versteht die Gefühlswelt und spendet Verständnis, ja, man ist selbst ein Stück weit Nationalist und sieht im Nationalteam ein Spielbein der eigenen Kindersehnsucht nach Fußballruhm.
Auf einmal ist es grundfalsch, nur Spieler zu haben, die nur Funktionen in einem Mannschaftskörper erfüllen., Auf einmal sollen es Figuren sein, die wie einst Oliver Kahn oder Bastian Schweinsteiger, wie Effenberg, Basler und Ballack Ecken und Kanten haben, die geradeaus ihre Meinung sagen, ohne sie mit dem DFB abzustimmen. Über Jahre hinweg antrainierte Verhaltens- und Sprechmuster aus stromlinienförmiger Tabuisierung aller wirklichen Probleme steht ebenso infrage wie die aus der Politik entlehnte Strategie der #Mannschafts-Führung, Konflikte durch endlos ins Detail gehende Kompromisse zu befrieden.
Identität ist ein Thema, Identifizierung wird verlangt werden, Identifizierung bis zur Inbrunst, mit der etwa die Isländer für ihre Farben sangen und sich in die Bälle warfen. Der Fußballspieler der nächsten Generation wird seine Wirkung als Werbeträger, die letztlich sein finaler Nutzen ist, nicht mehr entfalten können, ohne identisch mit seiner Person zu sein, wie es Özil und Gündogan in jenem seltenen Moment waren, als Özil und Gündogan einen unverstellten Einblick in ihr Seelenleben gaben. Maßstabsetzend.
1 Kommentar:
Wie kann man bei Bolzgladiatorgehältern von mehreren Millionen € jährlich eigentlich noch so blöd sein und glauben, es mit einer "National"-Mannschaft zu tun zu haben, die zum Ruhme eines bestimmten Landes bzw. Volkes spielt? Da laufen seit Jahrzehnten nur noch monetär verwöhnte internationale Multikultimillionäre auf dem Arenarasen umher, um sich und ihren Fußballmanagerhorden im großen Unterhaltungs- und Ablenkungszirkus die nimmersatten Geldgiertaschen zu füllen und sonst nix.
Der instinktgesteuerte Plebs bzw. Pöbel aber braucht irgendwelche Helden, die er verklärt anbeten und irgendwelche Vereine oder Stämme, denen er sich stolz zugehörig fühlen kann. Dann erwacht auch im ansonsten hohlköpfig isolierten Nichtsnutz der göttlich starke Gruppenübermensch, der für den Sieg seiner Sippe wie ein Irrer brüllt. Brot und Spiele in ihrer primitivsten Nacktaffenform.
Nur das Abschlachten der Verlierer müssen wir von den jubelnd importierten Bereicherern erst wieder lernen. Bezüglich der roten Buntheit auf grünem Gras oder gelbem Sand waren uns die Alten Römer nämlich weit überlegen.
Auf Dauer fehlt dem immer gleichen 90 Minuten lang einem Ball hinterher rennen nämlich der ultimative Kick. Anschließende öffentliche Hinrichtungen mit dem Beil oder Schwert könnten dieser Tristesse sicher abhelfen.
Na ja, was noch nicht ist, kann schneller werden, als uns dann lieb und teuer ist. Wir sind ja bereits auf gutem Weiter-so-Wege zurück in die archaische Barbarei.
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