Die Kanzlerin will sich immer noch von den europäischen Partnern zu einer Änderung ihrer Flüchtlingspolitik zwingen lassen, um das Scheitern ihre Wir-schaffen-das-Strategie nicht zugeben zu müssen. Der Österreicher Sebastian Kurz kungelt derweil mit dem um die Wahlchancen der CSU bangenden Horst Seehofer und dem italienischen Hardliner Matteo Salvina, dessen Chef Giuseppe Conte schließt bilaterale Abkommen mit Emmanuel Macron, dem letzten europäischen Partner, dessen Namen Angela Merkel bei ihrem Rettungsauftritt bei Anne Will noch einfiel. Der Rest Europa wird schon lange nicht mehr gefragt, Dänen, Niederländer, Portugiesen, Polen, Ungarn, Tschechen sind nurmehr Anschlussgebiete, die mitzumachen haben, was Berlin und Paris beschließen.
Ein Europa der 27 Geschwindigkeiten, in dem Angela Merkel wirkt wie eine Spinne ohne Netz. Die ehedem mächtigste Frau der Welt hat es in drei Jahren nicht fertiggebracht, eine europäische Lösung für den Umgang mit dem Flüchtlingszustrom zu finden. Beziehungsweise. Die von ihr gefundenen Lösungen blieben stets totes Papier: Weder klappte die fest vereinbarte Verteilung nach festen Quoten in ganz Europa noch gelang es, Ordnung in die Aufnahmeprozzesse zu bekommen oder Schleuserbanden wirksam und grenzüberschreitend zu bekämpfen.
Nun fordert Merkel zwei weitere Wochen, um einen neuen Zehn-Punkte-Plan zur Endlösung der Flüchtingskrise mit all den Ländern vereinbaren zu können, die die Hoffnung längst aufgegeben haben, mit Deutschlands Regierung könne irgendwann zur Einsicht gelangen, dass Wasser zum tiefsten Punkt, so lange man keine Dämme baut.
Es ist Krach unterm Dach. 21 von 47 europäischen Ländern haben derzeit geschlossene Grenzen, sechs davon gehören zu den 28 Länder des sogenannten "Schengen-Raum". Drei weitere Staaten kontrollieren wegen eines zum Teil vor vielen Jahren ausgerufenen "Ausnahmezustandes". Deutschland hat symbolische Grenzkontrollen wiedereingeführt, die derzeit weiter aufrechterhalten werden, obwohl keine Genehmigung der EU-Kommission dazu mehr vorliegt.
Frankreichs Zurückweisungspräsident Macron und der italienische Regierungschef Conte wollen nun Ankerzentren in den Herkunftsländern der Flüchtlinge bauen, Kurz schmiedet an einer "Achse der Willigen", Polen, Ungarn, Portugal, Slowenien, Tschechien und der Rest der uneinigen Gemeinschaft sind ganz raus, Spanien hingegen will seine Kolonien in Nordafrika zugänglicher für Zuwanderer machen. Die dann ohnehin nach Deutschland weiterziehen.
Entschlossen rufen nun alle wieder nach "tiefgreifenden Reformen" der europäischen Asylpolitik (Macron), nach einem solidarischen Umbau der Dublin-Verordnung, wie sie Deutschland 2013 noch rigoros abgelehnt hatte. Der EuGH hatte später bestätigt, dass auch im Ausnahemzustand eines massenhaften Zustroms stets das Land, in dem ein Flüchtling zuerst EU-Boden betritt, für dessen Asylverfahren zuständig bleibe. Zumindest solange kein anderer Staat sich selbst für zuständig erkläre.
Deutschland tut das seit 2015, ein Stresstest für die Gesellschaft, ein Stresstest für die Koalition, ein Stresstest nun auch für die christsozialdemokratische Union, die sich nicht einmal mehr über die - rein symbolische - Frage einig werden kann, nur bereits in Deutschland abgelehnte Asylbewerber bei einem erneuten Einreiseversuch an der Grenze zurückgeschickt werden sollen. Oder ob auch Flüchtlinge, deren Asylverfahren in anderen EU-Staaten laufen, die Einreise verweigert werden darf.
Ein Streit um der Kaiserin' Bart, in dem die Kanzlerin jetzt schon bis aufs Blut rasiert ist. Egal, wie das Kräftemessen zwischen Berlin und München ausgeht, egal, wer beim Geschacher um Zuständigkeit für die, noch noch nicht so lange hier leben (Merkel), auf dem europäischen Schlachtfeld den Kürzeren zieht: Nie wird Europa, als dessen Synonym sich die EU bezeichnenderweise sieht, obwohl die Mitgliedsstaaten nicht einmal die Hälfte der Landmasse des Kontinents ausmachen, dasselbe sein wie in den fröhlichen Flitterwochen der Eurokrise, des Brexit, des Handelskrieges mit der Schweiz und der Konflikte um die deutsche Austeritätspolitik.
Heinsohn: Wenn Afrika zu Besuch kommt
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