Deutschland behält die Weltlage genau im Blick - und empfiehlt Besserung. |
Es hat diese Zeit gegeben, als Deutschland erwachte. Knapp 60 Jahre nach dem Abschied vom Anspruch, die welt zu regieren, gingen deutsche Politiker wieder daran, ihre Vorstellungen von der Gestaltung der Welt öffentlich zu machen. Nichts mit Eroberung diesmal, nichts mit Gewalt und Unterdrückung. Deutschland hatte gelernt, Deutschland war nun bereit, mit guten Ratschlägen zu helfen und als leuchtendes Vorbild zu dienen. Es herrschte damals, im Jahre 2004, als die EU noch zu funktionieren schien, keine Finanz-, keine Atom- und keine Flüchtlingskrise in Sicht war, die tiefe Überzeugung vor, dass bald alles gut werden würde.
Es müssten eben nur alle Staatsführer und Vöker weltweit einsehen, dass der deutsche Weg, inklusiv, auf friedliche Eroberung durch wirtschafliche Dominanz orientiert und menschenfreundlich bis zu Selbstverleugnung, die einzige Möglichkeit ist, das neue Jahrtausend friedlich und fröhlich über die Runden zu bringen. Die USA, damals noch "unsere amerikanischen Freunde und Partner" genannt, mussten dazu hart an die deutsche Kandare genommen werden, von einem "Kampf der Kulturen" war die Rede und davon, dass alles, was es an Vorwürfen gab, die Amerikaner hätten gefoltert und das sogar mit deutschem Wissen, müsse aufgeklärt sein, bevor man weitersehen könne.
Ja, wie noch in jedem Jahrzehnt seit der ersten Jahrtausendwende machte der Nahe Osten auch damals schon ein paar Probleme. Die Lage im Irak war, wie ein Echo aus der Frühzeit, das nicht aufhören will, angespannt, es herrschte soetwas wie Krieg. Aus Israel machte wie immer Sorgen, der Judenstaat werte sich nach Kräften und zum Teil auch mit Gewalt gegen Vorschläge, von der Landkarte zu verschwinden. In dieser Situation trat der Bundestag zusammen, um die Lage zu debattieren. Die besten Denker und klügsten Globalstrategen traten auf, darunter auch Gernot Erler, ein Schlachtenbummler der Weltkrisenpolitik, der sichz entschlossen zeigte, "eigene Anstöße dazu einzubringen", wie die welt künftig befriedet werden sollte.
Im Folgenden dokumentiert PPQ die feinziselierte Reden Erlers anlässlich der Bundestagsdebatte über die Lage im Irak und im Nahen Osten am 28. Mai 2004. Auf die Erwähnung der dargebrachten Beifallskundgebungen und Zwischenrufe haben wir verzichtet, denn dem verständigen LeserIn wird schnell klar, dass die ganze Welt heute Beifall spenden würde, wären Erlers Vorschläge mit derselben Konsequenz umgesetzt worden wie etwa die Einführung von Lkw-Maut, Alcopop-Steuer und Friedensgewehr.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Debatte ist ein Anfang. Wir machen den ernsthaften Versuch, eine eigene parlamentarische Dimension für eine internationale Diskussion über Chancen eines nachhaltigen Stabilisierungskonzeptes für die Großregion des Nahen und Mittleren Ostens zu schaffen. Das ist gleichzeitig ein Versuch, eine umfassende politische Antwort auf die Herausforderungen des globalen Netzwerkterrorismus zu finden.
Der Termin ist gut gewählt, um Vorschläge zu machen und Erwartungen zu formulieren, denn wir stehen vor einer Reihe von Gipfelereignissen, man könnte sogar sagen: vor einem regelrechten Gipfelstakkato. Es fängt an mit den Feierlichkeiten zum D-Day in der Normandie, geht über das G-8-Treffen in Sea Island und den EU-USA-Gipfel in Irland hin zum NATO-Gipfel in Istanbul. Die Erwartungen sind groß, dass diese Treffen Fortschritte bringen in Bezug auf das Thema Greater Middle East.
Auch wir sind entschlossen, eigene Anstöße dazu einzubringen. Das drückt sich in den drei Anträgen aus, die die verschiedenen Fraktionen hier vorgelegt haben. Es gibt viele Gemeinsamkeiten zwischen ihnen, aber auch unterschiedliche Akzent- und Prioritätensetzungen.
Jede Beschäftigung mit diesem Thema muss sich heute der Situation im Irak stellen. Die amerikanische Politik dort ist gescheitert. Es ist ihr nicht gelungen, dem Land Sicherheit zu bringen und einen politischen Neuanfang sowie Übergang zur Stabilität zu organisieren. Aber das ist nicht alles. Hinzu kommen drei Besorgnis erregende Punkte:
Erstens. Der Irak ist heute Schauplatz eines offenen blutigen Konflikts - eines zweiten in dieser Region neben dem palästinensisch-israelischen -, durch den die ganze Region destabilisiert wird.
Zweitens. Der Irak ist heute Teil einer direkten Front mit den Kämpfern des global agierenden Terrorismus. An dieser Front werden den Einheiten der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten immer wieder schwere und tragische Verluste zugefügt, die häufig verbunden sind mit Verlusten bei der irakischen Zivilbevölkerung.
Der dritte Punkt ist der schlimmste: Die Entwicklung im Irak hat Osama Bin Laden seinem strategischen Ziel, einen Riss zwischen der westlichen und der arabisch-islamischen Welt zu schaffen und einen Kampf der Kulturen zu organisieren, näher gebracht. Vor allem die Berichte und Bilder von Misshandlungen und Folterungen irakischer Männer und Frauen durch amerikanische Soldaten haben zu dieser äußerst gefährlichen Entwicklung beigetragen.
Nüchtern und mit großer Sorge müssen wir feststellen: Wir sind, ohne uns wehren zu können, Teil dieser Auseinandersetzung, weil die westliche Führungsmacht diesen Krieg mit all seinen Problemen und Fehlern im Namen westlicher Werte führt. Deswegen befinden wir uns als Teil der westlichen Welt in unfreiwilliger Mithaftung. Das übrigens gibt uns auch das Recht, Fragen an die Verantwortlichen zu stellen und Erwartungen zu äußern,
zum Beispiel im Hinblick darauf, ob das Problem der Misshandlungen wirklich auf Verfehlungen von einigen wenigen Soldaten reduziert werden kann oder ob hier doch ein angeordnetes System zur Einschüchterung und Demütigung von Gefangenen angewandt wird, um bessere Befragungsergebnisse zu erzielen, aber auch im Hinblick darauf, ob der Schaden, der dadurch für das Image und das Prestige der westlichen Führungsmacht und damit der ganzen westlichen Welt in immensem Umfang entstanden ist, begrenzt werden kann und wer dabei die fachliche und wer die politische Verantwortung übernimmt.
Wir haben gerade wegen dieser unfreiwilligen Mithaftung das Recht, Antworten auf die Fragen zu bekommen.
Wir begrüßen - das sage ich auch im Namen der SPD-Bundestagsfraktion -, dass sich die amerikanische Politik ändert und jetzt Fehler korrigiert. Wir begrüßen, dass sie die Vereinten Nationen stärker in den Stabilisierungsprozess einbezieht. Wir können nur hoffen, dass die Autorität von Lakhdar Brahimi ausreichen wird, um jetzt eine Übergangsregierung zu schaffen und Personen zu benennen, die in der irakischen Bevölkerung eine Chance auf Vertrauen bekommen.
Wir begrüßen, dass Präsident Bush endlich Distanz zu einer Figur wie Ahmed Tschalabi und seinem INC, auf dessen Konto viele gefährliche Fehleinschätzungen gehen, herstellt. Wir begrüßen, dass jetzt die Beratung einer neuen Sicherheitsratsresolution möglich ist, die das Besatzungsregime beenden und die politische Verantwortung in die Hände einer neuen, souveränen Interimsregierung legen soll.
Wir sind davon überzeugt, dass eine durchgreifende Verbesserung der Sicherheitslage vor Ort aber nur dann erreicht werden kann, wenn es tatsächlich einen klaren Schnitt zum Bisherigen gibt und wenn die irakische Souveränität nicht eine fiktive, sondern eine tatsächliche sein wird.
Der bisherige Resolutionsentwurf bleibt dabei in entscheidenden Fragen unklar: Wie soll sich das Verhältnis der neuen Interimsregierung zu der künftig Multinational Force genannten Sicherheitsgruppierung gestalten? Wie sollen Verantwortung und Befehlsgewalt zwischen den irakischen Sicherheitskräften einerseits und der Multinational Force andererseits abgegrenzt und organisiert werden? Ohne eine klare Antwort auf diese Fragen sind die Erfolgsaussichten des Neuanfangs gering. Oder gibt es hier wirklich jemanden, der glaubt, dass die bloße Umbenennung von Okkupationskräften in Multinational Force mit denselben 138 000 amerikanischen Soldaten, denselben Koalitionstruppen, denselben Kommandostrukturen, vielleicht lediglich verbunden mit einer Konsultationspflicht bezüglich der neuen Interimsregierung, ausreicht, um die Gewalttätigkeiten, die täglich gegen die bewaffneten Kräfte stattfinden, tatsächlich zu beenden?
Es ist noch Zeit zur Nachbesserung; wir müssen sie nutzen.
Der Mut, durchgreifend etwas zu verändern, muss noch wachsen. Dabei könnte die nüchterne Erkenntnis hilfreich sein, dass sich die Koalitionstruppen - nach eigenen Angaben - zu 90 Prozent mit Eigensicherung beschäftigen müssen und dass es für die Iraker bisher eigentlich vor allem dann gefährlich wurde, wenn sie in die Nähe solcher Einheiten geraten sind, denn da finden die Anschläge statt. Widersinnigerweise ist man umso sicherer, je weiter man von den Sicherungsgruppen entfernt ist.
Zu der Sourveränitätsübertragung auf eine eigene irakische Regierung mit Autorität gibt es keine Alternative. Aber die Übergabe der Verantwortung in irakische Hände darf keine Mogelpackung sein; sie muss überzeugen.
Von den nächsten Wochen hängt viel ab. Eine neue politische Partnerschaft des Westens mit der Großregion des Nahen und Mittleren Ostens braucht Fortschritte im Irak und braucht auch Fortschritte bei der Beilegung des anderen blutigen Konflikts, nämlich des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern. Deswegen muss jede Strategie für einen Greater Middle East mit Bemühungen um eine Lösung für diesen beiden Konflikte beginnen.
Aber mangelnder Fortschritt bei der Lösung dieser beiden Konflikte darf keine Aktivitäten verhindern und darf nicht zum Vorwand genommen werden, nicht über die Stabilität der Großregion des Nahen und Mittleren Ostens nachzudenken. Wir müssen aus der Sackgasse herauskommen: Die einen sagen, erst müsse eine Demokratisierung stattfinden, bevor man überhaupt zu einer Konfliktlösung kommen könne, und die anderen sagen, bevor es nicht zu einer Konfliktlösung komme, mache es gar keinen Sinn, über ein Gesamtkonzept für diese Großregion zu reden. Diese Sackgasse ist entstanden; wir müssen aus ihr herausfinden.
Dabei muss uns auch klar sein, dass eine ideologische Form eines Demokratisierungskonzepts nicht weiterführt. Man muss doch zugeben, dass es sich gerade bei dem israelisch-palästinensischen Konflikt um einen Konflikt zwischen zwei Staaten handelt, die im Vergleich zu anderen Staaten demokratisch legitimierte Regierungen haben. Das ist ganz gewiss der Fall bei Israel und auch die palästinensische Autonomiebehörde ist im Vergleich zu anderen arabischen Staaten demokratisch legitimiert. Das ist ein Hinweis darauf, dass man nicht automatisch davon ausgehen kann, dass es zwischen demokratischen Ländern keine blutigen Konflikte gibt und deswegen die Demokratie - die man notfalls von außen mit Gewalt einführt - das Allheilmittel ist. Wenn man diese Automatik zugrunde legt, muss man scheitern. Das ist nicht die Lösung.
Das ist der Hintergrund für unsere Bemühungen. Wir müssen gemeinsam an Konzepten für einen gesamtstrategischen Ansatz für diese Region arbeiten. Wir müssen uns über die entsprechenden Instrumente unterhalten. Diese Debatte ist nur ein Anfang. Die Fraktionen des Deutschen Bundestages sollten sich vornehmen, diese Debatte intensiv weiterzuführen und auf diese Weise den für die Weltpolitik wichtigen diplomatischen Prozess aus parlamentarischer Sicht zu begleiten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schon lange vor dem 11. September war erkennbar, dass sich im ganzen Größeren Mittleren Osten und in Nordafrika eine explosive Situation heranbildet. Vom Maghreb bis nach Pakistan zieht sich seit langem ein Krisenbogen der Instabilität. Das reale Pro-Kopf-Einkommen in der arabischen Welt sank im letzten Jahrzehnt jährlich um 2 Prozent. Das ist der größte Einkommensverlust irgendeiner Region in der Welt.
Die dortige demographische Entwicklung ist das Gegenteil unserer demographischen Entwicklung. Von den 1,3 Milliarden Muslimen auf der Welt ist über die Hälfte jünger als 20 Jahre. Im Jahre 2010 wird die Zahl der Berufsanfänger auf dem Arbeitsmarkt gegenüber 1990 in Algerien, Ägypten und Marokko um 50 Prozent, in Syrien sogar um 100 Prozent gestiegen sein. Eine Volkswirtschaft kann noch so dynamisch sein; sie wird nicht in der Lage sein, diesen vielen jungen Menschen Arbeit und Perspektive zu vermitteln.
Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit und Würdelosigkeit sind der ideale Nährboden für Terroristen. Wenn wir den Terrorismus bekämpfen wollen, dann ist es - neben allen polizeilichen Maßnahmen bei uns - sehr wichtig, die sozialen und politischen Wurzeln des Terrorismus glaubwürdig zu bekämpfen. Deshalb debattieren wir heute im Deutschen Bundestag über eine Initiative für eine engere und tiefere Partnerschaft mit den Ländern Nordafrikas und des Mittleren Ostens. Das ist gut und wichtig.
Ich habe gestern zusammen mit dem Kollegen Ruck, dem Kollegen Gröhe und anderen aus unserer Fraktion mit 15 arabischen Botschaftern über unseren heutigen Antrag diskutiert. Vor dem Hintergrund dieses Gesprächs mit den Botschaftern möchte ich an dieser Stelle auf einige Punkte hinweisen, von denen die Glaubwürdigkeit unserer westlichen Initiativen in den nächsten Wochen und Monaten abhängt:
Erstens. Wir müssen bei all dem, was wir tun, immer zwischen dem Islam und dem militanten Islamismus unterscheiden.
Es ist unendlich wichtig, dass wir die großen toleranten Traditionen des Islam, etwa das Kalifat von Cordoba vor 1 000 Jahren, die großen Bemühungen in der islamischen Welt auch heute, für Aufklärung und Korankritik einzutreten, und auch die demokratischen Ansätze der Schura-Tradition des Islam würdigen und entsprechend darauf reagieren.
Es gibt im Koran die Sure 2,256, die besagt, dass in Glaubensdingen kein Zwang herrschen soll. Der Großscheich der ehrwürdigen Al-Azhar-Universität in Kairo, Mohammed Tantawi, hat neulich in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ Folgendes gesagt:
Der Islam ist gegen alle Formen und Facetten des Terrorismus. ... Wir sind nicht damit einverstanden, dass sich jemand inmitten unschuldiger Menschen, Frauen und Kinder in die Luft sprengt ... Es steht außer Zweifel, dass jeder Staat, der einen Terroristen, der rechtlich Verurteilte beherbergt und ihnen Unterschlupf bietet, ein terroristischer Staat ist ... Terrorismus bedeutet: Friedfertige in Angst zu versetzen ... Wer Terrorismus fördert, wird an ihm zugrunde gehen.
Das sagt eine der großen Autoritäten der islamischen Welt.
Es ist ganz wichtig, dass wir nicht in einen Kampf der Zivilisationen, des Christentums gegen den Islam, des Abendlands gegen den Orient, verfallen, sondern dass wir die Terroristen mit der großen Mehrheit der friedliebenden Muslime isolieren und bekämpfen. Das ist unsere politische Aufgabe.
Zweitens. Wenn wir über eine Initiative für den größeren Nahen Osten sprechen, dann ist es von sehr großer Bedeutung, dass wir klar machen, dass das kein Ersatz für eine Lösung des Nahostproblems ist. Der Stachel des Palästinaproblems sitzt überall in der arabischen Welt tief. Das ist das Problem Nummer eins. Wir werden zwischen unserer Welt und der islamischen Welt keinen Frieden finden, wenn dieser Konflikt nicht fair, gerecht und dauerhaft gelöst wird und wenn in dieser Region die Gewalt auf beiden Seiten nicht endlich ein Ende hat. Das ist die Voraussetzung für jede Form von Dialog mit der arabischen Welt.
Drittens. Mit unserem Angebot für eine Partnerschaft dürfen wir unter keinen Umständen den Versuch verknüpfen, wir wollten unsere Wertvorstellungen, unsere Formen der Demokratie, des Westminster-Parlamentarismus, anderen Länden überstülpen. Wir wollen keinen Kulturimperialismus, keine Belehrungen. Wir haben keinen Grund, andere von Europa aus zu belehren. In der muslimischen Welt hört man, wenn wir mit Demokratiekonzepten ankommen, immer wieder die Frage: Was habt ihr denn im letzten Jahrhundert über die Welt gebracht? Darauf kann man nur schwer reagieren. Wir haben keinen Grund zur Überheblichkeit. Wir wollen nicht unsere Demokratiemodelle durchsetzen; aber wir wollen mehr Einhaltung der Menschenrechte, mehr Freiheit und mehr Partizipation.
Dazu gibt es doch inzwischen in der arabischen Welt selbst hochinteressante Papiere. Es hat in den letzten Wochen Kommentare nur dahin gehend gegeben, dass der arabische Gipfel von Tunis fehlgeschlagen sei. Schauen wir einmal genauer hin: In der 13-Punkte-Erklärung von Tunis stehen zum ersten Mal in einem solchen Dokument viele wirkliche Bekenntnisse zu den Rechten der Frauen, zu Partizipation, Gewaltenteilung und zur Begrenzung von Amtszeiten. Das ist eine Chance. Sie können dazu sagen, dass das Lippenbekenntnisse seien und diese Regime das nicht so meinten. Aber es wird damit für die Menschen - denken wir nur an den KSZE-Prozess - eine Berufungsinstanz geschaffen. Dort tut sich etwas. An diesen Ansätzen müssen wir anknüpfen und sie unterstützen. Wir dürfen ihnen nicht unsere Konzepte überstülpen, sondern mit ihnen an der Verbesserung und Modernisierung ihrer Gesellschaft arbeiten. Darum geht es.
Viertens. Der nächste Punkt ist nicht ganz leicht. Aus der muslimischen Welt wird immer wieder gesagt: Ihr messt mit doppelten Standards. Wenn der Iran etwas macht, ist es abgrundtief böse und wenn es in Saudi Arabien geschieht, wo es den Wahhabitismus gibt, also ein radikales islamisches Regime, deckt ihr den Mantel des Schweigens darüber, weil es eine prowestliche Regierung ist.
Solange wir uns solche doppelten Standards erlauben, nehmen uns die jungen Muslime nicht ernst, wenn wir Demokratie und Menschenrechte predigen. Man kann es in der Politik nie 100-prozentig machen. Wir sind nicht Amnesty International; es gibt realpolitische Kompromisse und Notwendigkeiten. Aber ein bisschen mehr eindeutige Standards und weniger Doppelzüngigkeit sind dringend notwendig, wenn wir die Herzen junger Muslime gewinnen wollen.
Fünftens. Die Chance, Wandel und Menschenrechte in den Ländern des Größeren Mittleren Ostens und Nordafrikas zu unterstützen, erhalten wir nur, wenn die Werte, für die wir stehen, auch deutlich erkennbar bleiben. Insofern haben die Bilder von Folter und Demütigungen von Irakern eine katastrophale Wirkung. Sie diskreditieren all das, wofür die westliche Welt und auch Amerika stehen, nämlich Menschenrechte und Menschenwürde. Natürlich kann man darauf hinweisen, dass bei Saddam über Jahre und Jahrzehnte viel brutaler, viel umfassender und viel schlimmer gefoltert worden ist. Aber wir in der westlichen Welt haben unsere eigenen hohen Standards. Wir müssen alles dafür tun, dass diese Vorgänge aufgeklärt werden und dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden; sonst können wir die Glaubwürdigkeit, die wir zum Dialog mit der islamischen Welt brauchen, nie wieder erzielen.
Sechstens. Vor dem Hintergrund der hohen Arbeitslosigkeit und der sozialen Ungerechtigkeit geht es darum, den Globalisierungsprozess sozial zu gestalten und ihm einen politischen Rahmen zu geben. Die Öffnung unserer Märkte für die Produkte aus diesem Teil der Welt ist von großer Wichtigkeit. Freihandel zu fördern - aber wirklichen Freihandel -, Entwicklungspolitik zu betreiben, dort die Demokratie zu fördern, durch Aufklärungsprojekte einen Beitrag dazu zu leisten, dass die Bevölkerung vielleicht nicht mehr ganz so schnell wächst wie bisher, das ist von großer Wichtigkeit.
Siebtens. Wir müssen die kulturelle Zusammenarbeit ausbauen, viel mehr über den Islam, seine Unterschiede und die verschiedenen islamischen Länder wissen und sie besser verstehen. Deswegen ist es falsch, die Mittel für auswärtige Kulturpolitik zu kürzen.
Ich bin gerade in fünf Ländern am Persischen Golf gewesen. Auf der ganzen arabischen Halbinsel gibt es nicht ein Goethe-Institut. Das müssen wir ändern, wenn wir es mit dem Dialog mit der Welt des Islam ernst meinen.
Mein letzter Gedanke: Es ist nicht so, dass für alles, was in der islamischen Welt passiert, der Westen Verantwortung trägt. Natürlich hat es die Zeit des Kolonialismus gegeben, natürlich hat es enorme Fehler im Verhältnis zur islamischen Welt gegeben. Aber es geht nicht, dass die Muslime immer nur uns verantwortlich machen und sich selbst entlasten. Sie müssen auch selbst an der Modernisierung, an der Öffnung und an der Reform ihrer Länder mitwirken. Wir erwarten von den Muslimen in aller Welt - auch von denen, die bei uns leben -, dass sie sich deutlicher als bisher in Wort und Tat von den Terroristen und extremistischen Islamisten absetzen. Dieses Recht auf ihre Mitarbeit und auf ihre Modernisierungsanstrengung haben wir genauso, wie sie das Recht auf unsere Unterstützung und Sympathie haben.
Ich danke Ihnen.
Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Koalitionsfraktionen legen heute einen Antrag vor, der dreierlei leisten möchte: Er möchte den transatlantischen Dialog über Sicherheitsfragen wieder aufnehmen und in die richtige Richtung umlenken, er möchte die Debatte innerhalb der EU über die strategische Dimension der europäischen Politik vertiefen und er möchte einen substanziellen Dialog zwischen dem so genannten Westen und der arabisch-islamischen Welt über Modernisierung, Demokratisierung und Umsetzung der Menschenrechte mitinitiieren.
Dieser Antrag ist überfällig, weil uns die Krisen der letzten Monate eindrücklich vorgeführt haben, dass die Politik des „Weiter so!“, dass die reine Machtpolitik, die auf militärische Projektion setzt, gescheitert ist.
Sehen wir uns die Situation im Irak an. Im Irak erleben wir das Desaster einer ideologisch verblendeten Politik der Administration von Präsident Bush. So deutlich muss man das sagen.
Wir sehen, dass es unmöglich ist, Demokratie herbeizubomben. Wir sind uns in der Zielsetzung Demokratisierung einig. Aber man kann Demokratie nicht mit Waffengewalt herbeizwingen, insbesondere dann nicht, wenn man ständig die Würde der Menschen verletzt, die man zur Demokratie bekehren möchte.
Sehen wir uns das Sicherheitsdesaster an. Es war doch absehbar, dass kein Plan existierte, wie der Wiederaufbau nach dem Krieg einer Hightecharmee gegen eine mittelmäßig bewaffnete Dritte-Welt-Armee zu geschehen habe, wie regionale Stabilität gewährleistet werden könne. Heute muss die Bush-Administration auf die Kräfte zurückgreifen, die sie bekämpft hat, nämlich die alten Sicherheitsorgane von Saddam Hussein. Das ist doch der völlige Bankrott der Sicherheitspolitik, die dort angestrebt wurde.
Was zeigen uns die Folterorgien der letzten Monate mit den schrecklichen Menschenrechtsverletzungen? Man hatte den Anspruch, Demokratie zu exportieren - und man exportierte Folterknechte. Das ist doch der totale moralische Bankrott eines bestimmten Anspruchs, der angeblich für die gesamten westlichen Werte steht.
Gegen diesen Anspruch müssen wir uns wehren. Wir müssen von den amerikanischen Freunden und Partnern fordern - ich begrüße, dass der Außenminister das bei seiner Rede sehr deutlich gemacht hat -, dass die Dinge aufgeklärt und die Verantwortlichen bestraft werden. Wir hoffen, dass der Schaden, der durch diesen doppelten - politischen und moralischen - Bankrott angerichtet wurde, durch eine UNO-Resolution zumindest eingedämmt werden kann, die möglichst bald die Irakisierung des Konfliktes in die Wege leitet.
Meine Damen und Herren, doppelte Standards wirft uns die islamisch-arabische Welt vor. Wir wissen nur zu gut, dass sich viele Despoten des Orients mit ihren eigenen doppelten Standards hinter den Fehlern des Westens verstecken. Umso wichtiger ist es, dass wir eine Fehleraufarbeitung vornehmen und einen Neuansatz für einen grundlegenden Dialog zwischen unserem westlichen Kulturkreis und dem islamisch-arabischen Kulturkreis finden. Das geht nicht mehr mit dem moralischen Zeigefinger. Dieses Recht haben wir durch den moralischen Bankrott verspielt, den die Folterorgien mit sich gebracht haben.
Es müssten eben nur alle Staatsführer und Vöker weltweit einsehen, dass der deutsche Weg, inklusiv, auf friedliche Eroberung durch wirtschafliche Dominanz orientiert und menschenfreundlich bis zu Selbstverleugnung, die einzige Möglichkeit ist, das neue Jahrtausend friedlich und fröhlich über die Runden zu bringen. Die USA, damals noch "unsere amerikanischen Freunde und Partner" genannt, mussten dazu hart an die deutsche Kandare genommen werden, von einem "Kampf der Kulturen" war die Rede und davon, dass alles, was es an Vorwürfen gab, die Amerikaner hätten gefoltert und das sogar mit deutschem Wissen, müsse aufgeklärt sein, bevor man weitersehen könne.
Ja, wie noch in jedem Jahrzehnt seit der ersten Jahrtausendwende machte der Nahe Osten auch damals schon ein paar Probleme. Die Lage im Irak war, wie ein Echo aus der Frühzeit, das nicht aufhören will, angespannt, es herrschte soetwas wie Krieg. Aus Israel machte wie immer Sorgen, der Judenstaat werte sich nach Kräften und zum Teil auch mit Gewalt gegen Vorschläge, von der Landkarte zu verschwinden. In dieser Situation trat der Bundestag zusammen, um die Lage zu debattieren. Die besten Denker und klügsten Globalstrategen traten auf, darunter auch Gernot Erler, ein Schlachtenbummler der Weltkrisenpolitik, der sichz entschlossen zeigte, "eigene Anstöße dazu einzubringen", wie die welt künftig befriedet werden sollte.
Im Folgenden dokumentiert PPQ die feinziselierte Reden Erlers anlässlich der Bundestagsdebatte über die Lage im Irak und im Nahen Osten am 28. Mai 2004. Auf die Erwähnung der dargebrachten Beifallskundgebungen und Zwischenrufe haben wir verzichtet, denn dem verständigen LeserIn wird schnell klar, dass die ganze Welt heute Beifall spenden würde, wären Erlers Vorschläge mit derselben Konsequenz umgesetzt worden wie etwa die Einführung von Lkw-Maut, Alcopop-Steuer und Friedensgewehr.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Debatte ist ein Anfang. Wir machen den ernsthaften Versuch, eine eigene parlamentarische Dimension für eine internationale Diskussion über Chancen eines nachhaltigen Stabilisierungskonzeptes für die Großregion des Nahen und Mittleren Ostens zu schaffen. Das ist gleichzeitig ein Versuch, eine umfassende politische Antwort auf die Herausforderungen des globalen Netzwerkterrorismus zu finden.
Der Termin ist gut gewählt, um Vorschläge zu machen und Erwartungen zu formulieren, denn wir stehen vor einer Reihe von Gipfelereignissen, man könnte sogar sagen: vor einem regelrechten Gipfelstakkato. Es fängt an mit den Feierlichkeiten zum D-Day in der Normandie, geht über das G-8-Treffen in Sea Island und den EU-USA-Gipfel in Irland hin zum NATO-Gipfel in Istanbul. Die Erwartungen sind groß, dass diese Treffen Fortschritte bringen in Bezug auf das Thema Greater Middle East.
Auch wir sind entschlossen, eigene Anstöße dazu einzubringen. Das drückt sich in den drei Anträgen aus, die die verschiedenen Fraktionen hier vorgelegt haben. Es gibt viele Gemeinsamkeiten zwischen ihnen, aber auch unterschiedliche Akzent- und Prioritätensetzungen.
Jede Beschäftigung mit diesem Thema muss sich heute der Situation im Irak stellen. Die amerikanische Politik dort ist gescheitert. Es ist ihr nicht gelungen, dem Land Sicherheit zu bringen und einen politischen Neuanfang sowie Übergang zur Stabilität zu organisieren. Aber das ist nicht alles. Hinzu kommen drei Besorgnis erregende Punkte:
Erstens. Der Irak ist heute Schauplatz eines offenen blutigen Konflikts - eines zweiten in dieser Region neben dem palästinensisch-israelischen -, durch den die ganze Region destabilisiert wird.
Zweitens. Der Irak ist heute Teil einer direkten Front mit den Kämpfern des global agierenden Terrorismus. An dieser Front werden den Einheiten der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten immer wieder schwere und tragische Verluste zugefügt, die häufig verbunden sind mit Verlusten bei der irakischen Zivilbevölkerung.
Der dritte Punkt ist der schlimmste: Die Entwicklung im Irak hat Osama Bin Laden seinem strategischen Ziel, einen Riss zwischen der westlichen und der arabisch-islamischen Welt zu schaffen und einen Kampf der Kulturen zu organisieren, näher gebracht. Vor allem die Berichte und Bilder von Misshandlungen und Folterungen irakischer Männer und Frauen durch amerikanische Soldaten haben zu dieser äußerst gefährlichen Entwicklung beigetragen.
Nüchtern und mit großer Sorge müssen wir feststellen: Wir sind, ohne uns wehren zu können, Teil dieser Auseinandersetzung, weil die westliche Führungsmacht diesen Krieg mit all seinen Problemen und Fehlern im Namen westlicher Werte führt. Deswegen befinden wir uns als Teil der westlichen Welt in unfreiwilliger Mithaftung. Das übrigens gibt uns auch das Recht, Fragen an die Verantwortlichen zu stellen und Erwartungen zu äußern,
zum Beispiel im Hinblick darauf, ob das Problem der Misshandlungen wirklich auf Verfehlungen von einigen wenigen Soldaten reduziert werden kann oder ob hier doch ein angeordnetes System zur Einschüchterung und Demütigung von Gefangenen angewandt wird, um bessere Befragungsergebnisse zu erzielen, aber auch im Hinblick darauf, ob der Schaden, der dadurch für das Image und das Prestige der westlichen Führungsmacht und damit der ganzen westlichen Welt in immensem Umfang entstanden ist, begrenzt werden kann und wer dabei die fachliche und wer die politische Verantwortung übernimmt.
Wir haben gerade wegen dieser unfreiwilligen Mithaftung das Recht, Antworten auf die Fragen zu bekommen.
Wir begrüßen - das sage ich auch im Namen der SPD-Bundestagsfraktion -, dass sich die amerikanische Politik ändert und jetzt Fehler korrigiert. Wir begrüßen, dass sie die Vereinten Nationen stärker in den Stabilisierungsprozess einbezieht. Wir können nur hoffen, dass die Autorität von Lakhdar Brahimi ausreichen wird, um jetzt eine Übergangsregierung zu schaffen und Personen zu benennen, die in der irakischen Bevölkerung eine Chance auf Vertrauen bekommen.
Wir begrüßen, dass Präsident Bush endlich Distanz zu einer Figur wie Ahmed Tschalabi und seinem INC, auf dessen Konto viele gefährliche Fehleinschätzungen gehen, herstellt. Wir begrüßen, dass jetzt die Beratung einer neuen Sicherheitsratsresolution möglich ist, die das Besatzungsregime beenden und die politische Verantwortung in die Hände einer neuen, souveränen Interimsregierung legen soll.
Wir sind davon überzeugt, dass eine durchgreifende Verbesserung der Sicherheitslage vor Ort aber nur dann erreicht werden kann, wenn es tatsächlich einen klaren Schnitt zum Bisherigen gibt und wenn die irakische Souveränität nicht eine fiktive, sondern eine tatsächliche sein wird.
Der bisherige Resolutionsentwurf bleibt dabei in entscheidenden Fragen unklar: Wie soll sich das Verhältnis der neuen Interimsregierung zu der künftig Multinational Force genannten Sicherheitsgruppierung gestalten? Wie sollen Verantwortung und Befehlsgewalt zwischen den irakischen Sicherheitskräften einerseits und der Multinational Force andererseits abgegrenzt und organisiert werden? Ohne eine klare Antwort auf diese Fragen sind die Erfolgsaussichten des Neuanfangs gering. Oder gibt es hier wirklich jemanden, der glaubt, dass die bloße Umbenennung von Okkupationskräften in Multinational Force mit denselben 138 000 amerikanischen Soldaten, denselben Koalitionstruppen, denselben Kommandostrukturen, vielleicht lediglich verbunden mit einer Konsultationspflicht bezüglich der neuen Interimsregierung, ausreicht, um die Gewalttätigkeiten, die täglich gegen die bewaffneten Kräfte stattfinden, tatsächlich zu beenden?
Es ist noch Zeit zur Nachbesserung; wir müssen sie nutzen.
Der Mut, durchgreifend etwas zu verändern, muss noch wachsen. Dabei könnte die nüchterne Erkenntnis hilfreich sein, dass sich die Koalitionstruppen - nach eigenen Angaben - zu 90 Prozent mit Eigensicherung beschäftigen müssen und dass es für die Iraker bisher eigentlich vor allem dann gefährlich wurde, wenn sie in die Nähe solcher Einheiten geraten sind, denn da finden die Anschläge statt. Widersinnigerweise ist man umso sicherer, je weiter man von den Sicherungsgruppen entfernt ist.
Zu der Sourveränitätsübertragung auf eine eigene irakische Regierung mit Autorität gibt es keine Alternative. Aber die Übergabe der Verantwortung in irakische Hände darf keine Mogelpackung sein; sie muss überzeugen.
Von den nächsten Wochen hängt viel ab. Eine neue politische Partnerschaft des Westens mit der Großregion des Nahen und Mittleren Ostens braucht Fortschritte im Irak und braucht auch Fortschritte bei der Beilegung des anderen blutigen Konflikts, nämlich des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern. Deswegen muss jede Strategie für einen Greater Middle East mit Bemühungen um eine Lösung für diesen beiden Konflikte beginnen.
Aber mangelnder Fortschritt bei der Lösung dieser beiden Konflikte darf keine Aktivitäten verhindern und darf nicht zum Vorwand genommen werden, nicht über die Stabilität der Großregion des Nahen und Mittleren Ostens nachzudenken. Wir müssen aus der Sackgasse herauskommen: Die einen sagen, erst müsse eine Demokratisierung stattfinden, bevor man überhaupt zu einer Konfliktlösung kommen könne, und die anderen sagen, bevor es nicht zu einer Konfliktlösung komme, mache es gar keinen Sinn, über ein Gesamtkonzept für diese Großregion zu reden. Diese Sackgasse ist entstanden; wir müssen aus ihr herausfinden.
Dabei muss uns auch klar sein, dass eine ideologische Form eines Demokratisierungskonzepts nicht weiterführt. Man muss doch zugeben, dass es sich gerade bei dem israelisch-palästinensischen Konflikt um einen Konflikt zwischen zwei Staaten handelt, die im Vergleich zu anderen Staaten demokratisch legitimierte Regierungen haben. Das ist ganz gewiss der Fall bei Israel und auch die palästinensische Autonomiebehörde ist im Vergleich zu anderen arabischen Staaten demokratisch legitimiert. Das ist ein Hinweis darauf, dass man nicht automatisch davon ausgehen kann, dass es zwischen demokratischen Ländern keine blutigen Konflikte gibt und deswegen die Demokratie - die man notfalls von außen mit Gewalt einführt - das Allheilmittel ist. Wenn man diese Automatik zugrunde legt, muss man scheitern. Das ist nicht die Lösung.
Das ist der Hintergrund für unsere Bemühungen. Wir müssen gemeinsam an Konzepten für einen gesamtstrategischen Ansatz für diese Region arbeiten. Wir müssen uns über die entsprechenden Instrumente unterhalten. Diese Debatte ist nur ein Anfang. Die Fraktionen des Deutschen Bundestages sollten sich vornehmen, diese Debatte intensiv weiterzuführen und auf diese Weise den für die Weltpolitik wichtigen diplomatischen Prozess aus parlamentarischer Sicht zu begleiten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schon lange vor dem 11. September war erkennbar, dass sich im ganzen Größeren Mittleren Osten und in Nordafrika eine explosive Situation heranbildet. Vom Maghreb bis nach Pakistan zieht sich seit langem ein Krisenbogen der Instabilität. Das reale Pro-Kopf-Einkommen in der arabischen Welt sank im letzten Jahrzehnt jährlich um 2 Prozent. Das ist der größte Einkommensverlust irgendeiner Region in der Welt.
Die dortige demographische Entwicklung ist das Gegenteil unserer demographischen Entwicklung. Von den 1,3 Milliarden Muslimen auf der Welt ist über die Hälfte jünger als 20 Jahre. Im Jahre 2010 wird die Zahl der Berufsanfänger auf dem Arbeitsmarkt gegenüber 1990 in Algerien, Ägypten und Marokko um 50 Prozent, in Syrien sogar um 100 Prozent gestiegen sein. Eine Volkswirtschaft kann noch so dynamisch sein; sie wird nicht in der Lage sein, diesen vielen jungen Menschen Arbeit und Perspektive zu vermitteln.
Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit und Würdelosigkeit sind der ideale Nährboden für Terroristen. Wenn wir den Terrorismus bekämpfen wollen, dann ist es - neben allen polizeilichen Maßnahmen bei uns - sehr wichtig, die sozialen und politischen Wurzeln des Terrorismus glaubwürdig zu bekämpfen. Deshalb debattieren wir heute im Deutschen Bundestag über eine Initiative für eine engere und tiefere Partnerschaft mit den Ländern Nordafrikas und des Mittleren Ostens. Das ist gut und wichtig.
Ich habe gestern zusammen mit dem Kollegen Ruck, dem Kollegen Gröhe und anderen aus unserer Fraktion mit 15 arabischen Botschaftern über unseren heutigen Antrag diskutiert. Vor dem Hintergrund dieses Gesprächs mit den Botschaftern möchte ich an dieser Stelle auf einige Punkte hinweisen, von denen die Glaubwürdigkeit unserer westlichen Initiativen in den nächsten Wochen und Monaten abhängt:
Erstens. Wir müssen bei all dem, was wir tun, immer zwischen dem Islam und dem militanten Islamismus unterscheiden.
Es ist unendlich wichtig, dass wir die großen toleranten Traditionen des Islam, etwa das Kalifat von Cordoba vor 1 000 Jahren, die großen Bemühungen in der islamischen Welt auch heute, für Aufklärung und Korankritik einzutreten, und auch die demokratischen Ansätze der Schura-Tradition des Islam würdigen und entsprechend darauf reagieren.
Es gibt im Koran die Sure 2,256, die besagt, dass in Glaubensdingen kein Zwang herrschen soll. Der Großscheich der ehrwürdigen Al-Azhar-Universität in Kairo, Mohammed Tantawi, hat neulich in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ Folgendes gesagt:
Der Islam ist gegen alle Formen und Facetten des Terrorismus. ... Wir sind nicht damit einverstanden, dass sich jemand inmitten unschuldiger Menschen, Frauen und Kinder in die Luft sprengt ... Es steht außer Zweifel, dass jeder Staat, der einen Terroristen, der rechtlich Verurteilte beherbergt und ihnen Unterschlupf bietet, ein terroristischer Staat ist ... Terrorismus bedeutet: Friedfertige in Angst zu versetzen ... Wer Terrorismus fördert, wird an ihm zugrunde gehen.
Das sagt eine der großen Autoritäten der islamischen Welt.
Es ist ganz wichtig, dass wir nicht in einen Kampf der Zivilisationen, des Christentums gegen den Islam, des Abendlands gegen den Orient, verfallen, sondern dass wir die Terroristen mit der großen Mehrheit der friedliebenden Muslime isolieren und bekämpfen. Das ist unsere politische Aufgabe.
Zweitens. Wenn wir über eine Initiative für den größeren Nahen Osten sprechen, dann ist es von sehr großer Bedeutung, dass wir klar machen, dass das kein Ersatz für eine Lösung des Nahostproblems ist. Der Stachel des Palästinaproblems sitzt überall in der arabischen Welt tief. Das ist das Problem Nummer eins. Wir werden zwischen unserer Welt und der islamischen Welt keinen Frieden finden, wenn dieser Konflikt nicht fair, gerecht und dauerhaft gelöst wird und wenn in dieser Region die Gewalt auf beiden Seiten nicht endlich ein Ende hat. Das ist die Voraussetzung für jede Form von Dialog mit der arabischen Welt.
Drittens. Mit unserem Angebot für eine Partnerschaft dürfen wir unter keinen Umständen den Versuch verknüpfen, wir wollten unsere Wertvorstellungen, unsere Formen der Demokratie, des Westminster-Parlamentarismus, anderen Länden überstülpen. Wir wollen keinen Kulturimperialismus, keine Belehrungen. Wir haben keinen Grund, andere von Europa aus zu belehren. In der muslimischen Welt hört man, wenn wir mit Demokratiekonzepten ankommen, immer wieder die Frage: Was habt ihr denn im letzten Jahrhundert über die Welt gebracht? Darauf kann man nur schwer reagieren. Wir haben keinen Grund zur Überheblichkeit. Wir wollen nicht unsere Demokratiemodelle durchsetzen; aber wir wollen mehr Einhaltung der Menschenrechte, mehr Freiheit und mehr Partizipation.
Dazu gibt es doch inzwischen in der arabischen Welt selbst hochinteressante Papiere. Es hat in den letzten Wochen Kommentare nur dahin gehend gegeben, dass der arabische Gipfel von Tunis fehlgeschlagen sei. Schauen wir einmal genauer hin: In der 13-Punkte-Erklärung von Tunis stehen zum ersten Mal in einem solchen Dokument viele wirkliche Bekenntnisse zu den Rechten der Frauen, zu Partizipation, Gewaltenteilung und zur Begrenzung von Amtszeiten. Das ist eine Chance. Sie können dazu sagen, dass das Lippenbekenntnisse seien und diese Regime das nicht so meinten. Aber es wird damit für die Menschen - denken wir nur an den KSZE-Prozess - eine Berufungsinstanz geschaffen. Dort tut sich etwas. An diesen Ansätzen müssen wir anknüpfen und sie unterstützen. Wir dürfen ihnen nicht unsere Konzepte überstülpen, sondern mit ihnen an der Verbesserung und Modernisierung ihrer Gesellschaft arbeiten. Darum geht es.
Viertens. Der nächste Punkt ist nicht ganz leicht. Aus der muslimischen Welt wird immer wieder gesagt: Ihr messt mit doppelten Standards. Wenn der Iran etwas macht, ist es abgrundtief böse und wenn es in Saudi Arabien geschieht, wo es den Wahhabitismus gibt, also ein radikales islamisches Regime, deckt ihr den Mantel des Schweigens darüber, weil es eine prowestliche Regierung ist.
Solange wir uns solche doppelten Standards erlauben, nehmen uns die jungen Muslime nicht ernst, wenn wir Demokratie und Menschenrechte predigen. Man kann es in der Politik nie 100-prozentig machen. Wir sind nicht Amnesty International; es gibt realpolitische Kompromisse und Notwendigkeiten. Aber ein bisschen mehr eindeutige Standards und weniger Doppelzüngigkeit sind dringend notwendig, wenn wir die Herzen junger Muslime gewinnen wollen.
Fünftens. Die Chance, Wandel und Menschenrechte in den Ländern des Größeren Mittleren Ostens und Nordafrikas zu unterstützen, erhalten wir nur, wenn die Werte, für die wir stehen, auch deutlich erkennbar bleiben. Insofern haben die Bilder von Folter und Demütigungen von Irakern eine katastrophale Wirkung. Sie diskreditieren all das, wofür die westliche Welt und auch Amerika stehen, nämlich Menschenrechte und Menschenwürde. Natürlich kann man darauf hinweisen, dass bei Saddam über Jahre und Jahrzehnte viel brutaler, viel umfassender und viel schlimmer gefoltert worden ist. Aber wir in der westlichen Welt haben unsere eigenen hohen Standards. Wir müssen alles dafür tun, dass diese Vorgänge aufgeklärt werden und dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden; sonst können wir die Glaubwürdigkeit, die wir zum Dialog mit der islamischen Welt brauchen, nie wieder erzielen.
Sechstens. Vor dem Hintergrund der hohen Arbeitslosigkeit und der sozialen Ungerechtigkeit geht es darum, den Globalisierungsprozess sozial zu gestalten und ihm einen politischen Rahmen zu geben. Die Öffnung unserer Märkte für die Produkte aus diesem Teil der Welt ist von großer Wichtigkeit. Freihandel zu fördern - aber wirklichen Freihandel -, Entwicklungspolitik zu betreiben, dort die Demokratie zu fördern, durch Aufklärungsprojekte einen Beitrag dazu zu leisten, dass die Bevölkerung vielleicht nicht mehr ganz so schnell wächst wie bisher, das ist von großer Wichtigkeit.
Siebtens. Wir müssen die kulturelle Zusammenarbeit ausbauen, viel mehr über den Islam, seine Unterschiede und die verschiedenen islamischen Länder wissen und sie besser verstehen. Deswegen ist es falsch, die Mittel für auswärtige Kulturpolitik zu kürzen.
Ich bin gerade in fünf Ländern am Persischen Golf gewesen. Auf der ganzen arabischen Halbinsel gibt es nicht ein Goethe-Institut. Das müssen wir ändern, wenn wir es mit dem Dialog mit der Welt des Islam ernst meinen.
Mein letzter Gedanke: Es ist nicht so, dass für alles, was in der islamischen Welt passiert, der Westen Verantwortung trägt. Natürlich hat es die Zeit des Kolonialismus gegeben, natürlich hat es enorme Fehler im Verhältnis zur islamischen Welt gegeben. Aber es geht nicht, dass die Muslime immer nur uns verantwortlich machen und sich selbst entlasten. Sie müssen auch selbst an der Modernisierung, an der Öffnung und an der Reform ihrer Länder mitwirken. Wir erwarten von den Muslimen in aller Welt - auch von denen, die bei uns leben -, dass sie sich deutlicher als bisher in Wort und Tat von den Terroristen und extremistischen Islamisten absetzen. Dieses Recht auf ihre Mitarbeit und auf ihre Modernisierungsanstrengung haben wir genauso, wie sie das Recht auf unsere Unterstützung und Sympathie haben.
Ich danke Ihnen.
Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Koalitionsfraktionen legen heute einen Antrag vor, der dreierlei leisten möchte: Er möchte den transatlantischen Dialog über Sicherheitsfragen wieder aufnehmen und in die richtige Richtung umlenken, er möchte die Debatte innerhalb der EU über die strategische Dimension der europäischen Politik vertiefen und er möchte einen substanziellen Dialog zwischen dem so genannten Westen und der arabisch-islamischen Welt über Modernisierung, Demokratisierung und Umsetzung der Menschenrechte mitinitiieren.
Dieser Antrag ist überfällig, weil uns die Krisen der letzten Monate eindrücklich vorgeführt haben, dass die Politik des „Weiter so!“, dass die reine Machtpolitik, die auf militärische Projektion setzt, gescheitert ist.
Sehen wir uns die Situation im Irak an. Im Irak erleben wir das Desaster einer ideologisch verblendeten Politik der Administration von Präsident Bush. So deutlich muss man das sagen.
Wir sehen, dass es unmöglich ist, Demokratie herbeizubomben. Wir sind uns in der Zielsetzung Demokratisierung einig. Aber man kann Demokratie nicht mit Waffengewalt herbeizwingen, insbesondere dann nicht, wenn man ständig die Würde der Menschen verletzt, die man zur Demokratie bekehren möchte.
Sehen wir uns das Sicherheitsdesaster an. Es war doch absehbar, dass kein Plan existierte, wie der Wiederaufbau nach dem Krieg einer Hightecharmee gegen eine mittelmäßig bewaffnete Dritte-Welt-Armee zu geschehen habe, wie regionale Stabilität gewährleistet werden könne. Heute muss die Bush-Administration auf die Kräfte zurückgreifen, die sie bekämpft hat, nämlich die alten Sicherheitsorgane von Saddam Hussein. Das ist doch der völlige Bankrott der Sicherheitspolitik, die dort angestrebt wurde.
Was zeigen uns die Folterorgien der letzten Monate mit den schrecklichen Menschenrechtsverletzungen? Man hatte den Anspruch, Demokratie zu exportieren - und man exportierte Folterknechte. Das ist doch der totale moralische Bankrott eines bestimmten Anspruchs, der angeblich für die gesamten westlichen Werte steht.
Gegen diesen Anspruch müssen wir uns wehren. Wir müssen von den amerikanischen Freunden und Partnern fordern - ich begrüße, dass der Außenminister das bei seiner Rede sehr deutlich gemacht hat -, dass die Dinge aufgeklärt und die Verantwortlichen bestraft werden. Wir hoffen, dass der Schaden, der durch diesen doppelten - politischen und moralischen - Bankrott angerichtet wurde, durch eine UNO-Resolution zumindest eingedämmt werden kann, die möglichst bald die Irakisierung des Konfliktes in die Wege leitet.
Meine Damen und Herren, doppelte Standards wirft uns die islamisch-arabische Welt vor. Wir wissen nur zu gut, dass sich viele Despoten des Orients mit ihren eigenen doppelten Standards hinter den Fehlern des Westens verstecken. Umso wichtiger ist es, dass wir eine Fehleraufarbeitung vornehmen und einen Neuansatz für einen grundlegenden Dialog zwischen unserem westlichen Kulturkreis und dem islamisch-arabischen Kulturkreis finden. Das geht nicht mehr mit dem moralischen Zeigefinger. Dieses Recht haben wir durch den moralischen Bankrott verspielt, den die Folterorgien mit sich gebracht haben.
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