Es war eine Nachricht, die viele nach der abrupten Wende der deutschen Flüchtlingspolitik schwer gewordene Gewissen erleichterte: Im Rahmen eines neuen EU-Umsiedlungsprogramm, so versprach die Bundesregierung, werde Deutschland weitere 10.200 Flüchtlinge aufnehmen. Vielleicht nicht das, was sich viele Bürgerinnen und Bürger von ihrem Land gewünscht hatten, dem es seit dem Flüchtlingszustrom von 2015 nachgewiesenermaßen so gut geht wie noch zuvor. Aber doch immerhin ein symbolischer Schritt, der Deutschland erneut als führende moralische Macht in einer zunehmend egozentrisch und brutal auf den eigenen Vorteil orientierten Welt präsentiert.
10.200 ist allerdings, das war den Verantworlichen in Berlin schnell klar. Als Obergrenze gilt diese Zahl selbst der CSU als zu niedrig, Linke, CDU, SPD und Grüne würden sie vielleicht als Tageszahl anerkennen, nicht aber als Gesamtgröße für ein Land,d as mit 82,67 Millionen Einwohnern Vermutungen zufolge so bevölkerungsreich ist wie nie zuvor.
Nun gelte es, die mehrere tausend Flüchtlinge, die im Zuge des Umsiedlungsprogramms für besonders Schutzbedürftige auf direktem Weg nach Deutschland kommen dürfen, entsprechend klug und weitsichtig auszusuchen. Zu diesem Zweck sind bereits vor Verkündung des Resettlements Teams aus Ärzten, Polizisten, Mitarbeitern der Arbeitsämter und Beamten des Bamf nach Nordafrika und dem Nahen Osten reisen, um dort mit der Selektion der Glücklichen zu beginnen, die künftig in Deutschland leben dürfen. PPQ-Reporter hatten Gelegenheit, als sogenannte "embedded journalists" an der Reise teilzunehmen. Amania Tukür, eigentlich Teamleitin Socialmedia hier beim Mitmachboard, kabelte inzwischen den ersten Bericht aus Thyna, einer Stadt im früherenUrlaubsland Tunesien, in der eines der ersten EU-Umsiedlungszentren arbeitet.
PPQ dokumentiert ihre herzergreifende Reportage über den schweren Job der 47 deutschen Spitzenbeamten, Mediziner und Verwaltungsangestellten, die über Schicksale entscheiden.
An der Rampe ist gar kein Gedränge mehr. Diszipliniert stehen die Menschen in einer Reihe, geduldig, fatalistisch fast, obwohl die tunesische Sonne auch an diesem ersten Morgen der Resettlement-Mission erbarmungslos vom Himmel brennt. Es ist grausam. daran zu denken, dass nur 90 von den Männern, Frauen und Kindern, die in der Schlange vor der Medizinbaracke von Camp Gustav stehen, ihren Traum werden leben können, künftig in Deutschland zu wohnen und zu arbeiten. 90, das ist die magische Zahl, ein erster Schwung, wie der leitende Arzt Horst Egster scherzhaft sagt. Weitere 1.110 Menschen werden später nachkommen, ausgesucht von weiteren Selektionskommissionen, die in den kommenden Wochen im Auftrag der Bundesregierung in ganz Nordafrika nach besonders schutzbedürftigen Menschen suchen werden, um sie mitzunehmen nach Norden, dorthin, wo Integration nicht nur ein Wort, sondern gelebte Wirtklichkeit ist.
Egster und seine Mitarbeiter, Fachleute allesamt, zum Teil für Altersfeststellung, zum Teil für exotische Krankheiten, aber auch für bestimmte gefragte Handwerksberufe, Sprachen und Intelligenztests, sind die ersten deutschen Abgesandten, die hierher nach Tunesien gekommen sind. Alles ist Neuland, was sie betreten. Selbst die Auswahlverfahren, nach denen entschieden werden muss, wer verdient hat, aus der Hoffnungslosigkeit der brennenden afrikanischen Sonne erlöst zu werden, sind noch neu und unerprobt.
Klar ist nur, es gibt ein Punktesystem, an das sich die von Geflüchtetetnhilfeorganisationen mistrauisch beobachteten Vertreter der Bundesregierung halten müssen. Sie tun das, obwohl ihnen bei der Ankunft neben warmem Applaus auch Hass entgegenschlug. Mehrere Aktivisten aus Berlin, Saarlouis und Bremen hatten sich am Tor festgekettet, durch das der deutsche Selektionsbus fahren musste. Sie protestierten gegen die Absicht der EU, nur handverlesene Geflüchtete mitzunehmen. "Kein Mensch ist illegal", hieß es auf mitgebrachten Transparenten, aber auch "Offene Grenzen für alle".
Petra S., die eigentlich anders heißt, aus Angst vor Übergriffen nach ihrer Rückkehr nach Deutschland aber nicht mit vollem Namen genannt werden möchte, hatte anfangs selbst Probleme, "eine Haltung zu der Sache zu finden", wie sie sagt. Flüchtlingen helfen, das sei immer richtig, so ihre Ansicht. Aber auswählen müssen, wem geholfen wird? "Ich? Mit welcher Autorität denn?", fragt sie sich selbst immer wieder.
Erst als klar war, dass die große Koalition in Berlin der Selektionskommission klare Regeln mitgegeben hat, über die Petra S. allerdings nicht öffentlich sprechen darf, gab sie sich einen Ruck. "Einer muss es ja machen", sagt sie. Zudem werde kollektiv entschieden, ihr Votum sei nur eins unter mindestens zehn. "verteilte Verantwortung macht das Entscheiden leichter", gestehe die 44-jährige, die normalerweise als Einarbeitungshilfe bei einer Handwerkskammer in Süddeutschland arbeitet.
Der Job an der Rampe, er ist doch nochmal etwas anderes, das hat auch Robert M. gleich bemerkt. "Zwar wähle ich nur grob aus", beschreibt er sein Seelenleben, "aber der, den ich wegwinke, hat ja gar keine Chance mehr." Auch M., der die Menschen ganz vorn in der Reihe die Münder aufsperren lässt, um den Zahstatus zu überprüfen ("klar, dass man verhindern will, dass da in Deutschland erstmal teure Sanierungsmaßnahmen nötig sind"), leitet die Hoffnungen nur weiter. Und bei anderen zerstört er sie.
Aus der großherzigen Zusage der Bundesregierung an EU-Migrations- und Innenkommissar Dimitris Avramopoulos, die der über die Zeitungen der sogenannten "Funke Mediengruppe" bekannt machte, wird so eine seelisch belastende Tätigkeit, die die deutsche Delegation in Tunesien zwingt, eine Willkommenskultur nach Nase zu inszenieren, wie es M. nennt.
Weil aus anderen EU-Mitgliedstaaten nur Zusagen für die Aufnahme von 40.000 Flüchtlingen vorliegen und Deutschland seine Obergrenze völlig willkürlich und ohne jede Rechtsgrundlage auf 10.200 festgelegte habe, könne das "Resettlement-Programm" nur einen kleinen Teil der vielen Millionen Menschen, die in Afrika auf der Flucht sind, retten.
"Die deutsche Regierung ist erneut zur Stelle, wenn es um internationale Solidarität geht", lobte der EU-Kommissar. "Manche Vorgaben zur Auswahl, die wir bekommen haben, sind widersprüchlich", kritisiert Petra S. Einerseits dürften nur Menschen ausgewählt werden, die besonders schutzbedürftig sind. Andererseits solle nur denen ein direkter und sicherer Weg nach Europa geöffnet werden, die Deutschlands demografisches Problem lösen helfen wollen.
Mit 90 Schutzbedürftigen im Gepäck wird die erste deutsche Selektionsmission Anfang Mai nach Deutschland zurückkehren. Bis Herbst 2021 sollen dann mehrere Dutzend weitere Auswahlkommissionen Flüchtlinge bis zur Obergrenze von 10.200 vor allem aus Nordafrika holen und in Deutschland ansiedeln. Die EU unterstützt die Aufnahmeländer mit der Zahlung einer Ansiedlungsprämie von 10.000 Euro pro umgesiedelten Flüchtling.
10.200 ist allerdings, das war den Verantworlichen in Berlin schnell klar. Als Obergrenze gilt diese Zahl selbst der CSU als zu niedrig, Linke, CDU, SPD und Grüne würden sie vielleicht als Tageszahl anerkennen, nicht aber als Gesamtgröße für ein Land,d as mit 82,67 Millionen Einwohnern Vermutungen zufolge so bevölkerungsreich ist wie nie zuvor.
Auswahl für Umsiedlungsprogramm
Nun gelte es, die mehrere tausend Flüchtlinge, die im Zuge des Umsiedlungsprogramms für besonders Schutzbedürftige auf direktem Weg nach Deutschland kommen dürfen, entsprechend klug und weitsichtig auszusuchen. Zu diesem Zweck sind bereits vor Verkündung des Resettlements Teams aus Ärzten, Polizisten, Mitarbeitern der Arbeitsämter und Beamten des Bamf nach Nordafrika und dem Nahen Osten reisen, um dort mit der Selektion der Glücklichen zu beginnen, die künftig in Deutschland leben dürfen. PPQ-Reporter hatten Gelegenheit, als sogenannte "embedded journalists" an der Reise teilzunehmen. Amania Tukür, eigentlich Teamleitin Socialmedia hier beim Mitmachboard, kabelte inzwischen den ersten Bericht aus Thyna, einer Stadt im früherenUrlaubsland Tunesien, in der eines der ersten EU-Umsiedlungszentren arbeitet.
PPQ dokumentiert ihre herzergreifende Reportage über den schweren Job der 47 deutschen Spitzenbeamten, Mediziner und Verwaltungsangestellten, die über Schicksale entscheiden.
An der Rampe ist gar kein Gedränge mehr. Diszipliniert stehen die Menschen in einer Reihe, geduldig, fatalistisch fast, obwohl die tunesische Sonne auch an diesem ersten Morgen der Resettlement-Mission erbarmungslos vom Himmel brennt. Es ist grausam. daran zu denken, dass nur 90 von den Männern, Frauen und Kindern, die in der Schlange vor der Medizinbaracke von Camp Gustav stehen, ihren Traum werden leben können, künftig in Deutschland zu wohnen und zu arbeiten. 90, das ist die magische Zahl, ein erster Schwung, wie der leitende Arzt Horst Egster scherzhaft sagt. Weitere 1.110 Menschen werden später nachkommen, ausgesucht von weiteren Selektionskommissionen, die in den kommenden Wochen im Auftrag der Bundesregierung in ganz Nordafrika nach besonders schutzbedürftigen Menschen suchen werden, um sie mitzunehmen nach Norden, dorthin, wo Integration nicht nur ein Wort, sondern gelebte Wirtklichkeit ist.
Experten für exotische Krankheiten
Egster und seine Mitarbeiter, Fachleute allesamt, zum Teil für Altersfeststellung, zum Teil für exotische Krankheiten, aber auch für bestimmte gefragte Handwerksberufe, Sprachen und Intelligenztests, sind die ersten deutschen Abgesandten, die hierher nach Tunesien gekommen sind. Alles ist Neuland, was sie betreten. Selbst die Auswahlverfahren, nach denen entschieden werden muss, wer verdient hat, aus der Hoffnungslosigkeit der brennenden afrikanischen Sonne erlöst zu werden, sind noch neu und unerprobt.
Klar ist nur, es gibt ein Punktesystem, an das sich die von Geflüchtetetnhilfeorganisationen mistrauisch beobachteten Vertreter der Bundesregierung halten müssen. Sie tun das, obwohl ihnen bei der Ankunft neben warmem Applaus auch Hass entgegenschlug. Mehrere Aktivisten aus Berlin, Saarlouis und Bremen hatten sich am Tor festgekettet, durch das der deutsche Selektionsbus fahren musste. Sie protestierten gegen die Absicht der EU, nur handverlesene Geflüchtete mitzunehmen. "Kein Mensch ist illegal", hieß es auf mitgebrachten Transparenten, aber auch "Offene Grenzen für alle".
Petra S., die eigentlich anders heißt, aus Angst vor Übergriffen nach ihrer Rückkehr nach Deutschland aber nicht mit vollem Namen genannt werden möchte, hatte anfangs selbst Probleme, "eine Haltung zu der Sache zu finden", wie sie sagt. Flüchtlingen helfen, das sei immer richtig, so ihre Ansicht. Aber auswählen müssen, wem geholfen wird? "Ich? Mit welcher Autorität denn?", fragt sie sich selbst immer wieder.
Erst als klar war, dass die große Koalition in Berlin der Selektionskommission klare Regeln mitgegeben hat, über die Petra S. allerdings nicht öffentlich sprechen darf, gab sie sich einen Ruck. "Einer muss es ja machen", sagt sie. Zudem werde kollektiv entschieden, ihr Votum sei nur eins unter mindestens zehn. "verteilte Verantwortung macht das Entscheiden leichter", gestehe die 44-jährige, die normalerweise als Einarbeitungshilfe bei einer Handwerkskammer in Süddeutschland arbeitet.
Der Job an der Rampe, er ist doch nochmal etwas anderes, das hat auch Robert M. gleich bemerkt. "Zwar wähle ich nur grob aus", beschreibt er sein Seelenleben, "aber der, den ich wegwinke, hat ja gar keine Chance mehr." Auch M., der die Menschen ganz vorn in der Reihe die Münder aufsperren lässt, um den Zahstatus zu überprüfen ("klar, dass man verhindern will, dass da in Deutschland erstmal teure Sanierungsmaßnahmen nötig sind"), leitet die Hoffnungen nur weiter. Und bei anderen zerstört er sie.
Willkommenskultur nach Nase
Aus der großherzigen Zusage der Bundesregierung an EU-Migrations- und Innenkommissar Dimitris Avramopoulos, die der über die Zeitungen der sogenannten "Funke Mediengruppe" bekannt machte, wird so eine seelisch belastende Tätigkeit, die die deutsche Delegation in Tunesien zwingt, eine Willkommenskultur nach Nase zu inszenieren, wie es M. nennt.
Weil aus anderen EU-Mitgliedstaaten nur Zusagen für die Aufnahme von 40.000 Flüchtlingen vorliegen und Deutschland seine Obergrenze völlig willkürlich und ohne jede Rechtsgrundlage auf 10.200 festgelegte habe, könne das "Resettlement-Programm" nur einen kleinen Teil der vielen Millionen Menschen, die in Afrika auf der Flucht sind, retten.
"Die deutsche Regierung ist erneut zur Stelle, wenn es um internationale Solidarität geht", lobte der EU-Kommissar. "Manche Vorgaben zur Auswahl, die wir bekommen haben, sind widersprüchlich", kritisiert Petra S. Einerseits dürften nur Menschen ausgewählt werden, die besonders schutzbedürftig sind. Andererseits solle nur denen ein direkter und sicherer Weg nach Europa geöffnet werden, die Deutschlands demografisches Problem lösen helfen wollen.
Mit 90 Schutzbedürftigen im Gepäck wird die erste deutsche Selektionsmission Anfang Mai nach Deutschland zurückkehren. Bis Herbst 2021 sollen dann mehrere Dutzend weitere Auswahlkommissionen Flüchtlinge bis zur Obergrenze von 10.200 vor allem aus Nordafrika holen und in Deutschland ansiedeln. Die EU unterstützt die Aufnahmeländer mit der Zahlung einer Ansiedlungsprämie von 10.000 Euro pro umgesiedelten Flüchtling.
2 Kommentare:
Wann ist man besonders schutzbedürftig? Bei gutem Zahnstatus?
Und warum sollte man dann in D leben, statt hier geschützt zu werden, bis man wieder heim kann?
Und wieso erinnert mich "Einer muss es ja machen, sagt sie. Zudem werde kollektiv entschieden, ihr Votum sei nur eins unter mindestens zehn. Verteilte Verantwortung macht das Entscheiden leichter, gestehe die 44-jährige,..." so sehr an Schlinks "Der Vorleser"?
Schlinks "Der Vorleser"? ----
Na, na. Nichts gegen geschlechtliche Abirrungen, solange es ausschließlich auf eigene Kosten und Verantwortung sowie völliger Freiwilligkeit abgeht.
Aber hier möchte es fast so scheinen, als ob Schlink dieses Zeugs allen Ernstes glaubt, es soll solche Vögel ja tatsächlich geben.
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