Donnerstag, 1. Februar 2018

Ewige Wahrheit: Die leere Hand von Helmut Schimdt


Als Helmut Schmidt im November 2015 starb, ahnte er längst, wo die Reise hingehen würde. "Die Dummheit von Regierungen sollte niemals unterschätzt werden", hatte der Ex-Kanzler bemerkt, am Ende eines Lebens in dem er vom Wehrmachtsleutnant zum anständigen Sozialdemokraten und vom verhassten und aus dem Amt gejagten Politiker zu einem Säulenheiligen der nach Symbolfiguren suchenden Republik geworden war.

Diese Republik beschloss nun, den Lieferanten von Zitaten wie „Wir brauchen eine eindeutige und schnelle Abschiebepraxis für alle Fälle, in denen der Antrag abgelehnt wird. Der Art. 16 GG verlangt nicht, dass Asylbewerbern die volle Sozialhilfe zusteht, einschließlich vollständiger Sanierung ihrer Zähne auf Kosten der Sozialämter“ und "Es war sicher ein Fehler, so viele Ausländer ins Land zu lassen“ die höchste Ehre angedeihen zu lassen: Schmidt sollte aufs Geld, der gescheiterte Kanzler des Doppelbeschlusses würde ein Zwei-Euro-Stück zieren, üblicherweise mit Strichmännchen, EU-Flaggen und von Sklaven verlegten alten römischen Mosaiken geschmückt.

Den ganzen Helmut Schmidt aber erträgt dieses in ein Reich beständiger Verletztheit verwandelte Land denn doch nicht. Dort, wo beim Original zwischen zwei Fingern der rechten Hand beständig eine Menthol-Zigarette qualmte, finden sich nur zwei gespreizte Finger mit einer Leerstelle so groß wie Schmidts Ego: Ursprünglich hatte der Stahlgraveur Bodo Broschat überlegt, in die Raucherhand des Hundertjährigen eine Kippe zu ritzen. Doch dann wurde ihm klar, dass das nicht durchgehen würde. Als die Münzpresse anlief, um 30 Millionen Münzen mit dem Kopf des Altkanzlers zu pressen, war das Symbol einer untergegangenen Zeit, in der Männer wie Adenauer und Schmidt, Kennedy und Churchill rauchend die Weltgeschicke lenkten, verschwunden.

Das dient dem Raucherschutz, es bewahrt hunderttausende Jugendliche davor, zur Zigarette zu greifen, und es hält Millionen Ex-Raucher ab, wieder rückfällig zu werden. Zudem erspart es Auseinandersetzungen mit der EU, nach deren Verordnungswillen jede öffentlich gezeigte Zigarette mit einem Warnhinweis versehen werden muss.

Schmidts Münze ist nun ein geldgewordener Ausflug in die DDR, in der Menschen gelernt hatten, zwischen den Zeilen zu lesen und das Unsichtbare zu sehen. Bodo Broschat ist in Neuruppin geboren, er wuchs in der DDR auf und lernte seinen Beruf im VEB Münze der DDR. Er weiß, dass man nicht zeigen muss, was die Leute sehen sollen, man muss ihnen nur die Gelegenheit geben, es sehen zu können: Die Kippe, die nicht da ist, ist größer als jede Kippe sein könnte, die auf der Münzrückseite hätte abgebildet sein können.

"Man soll sie sich dazudenken können, sie soll aber nicht zu sehen sein", sagt Broschat, der die Wahrheit nicht riskieren konnte, um den Zuschlag für die Münzgestaltung nicht zu verlieren. Also hat er sein Schmidtbild so gezeichnet, dass es eine ewige Wahrheit nicht nur über den Altkanzler enthält - ein glücklicher Raucher bis zu seinem späten Tod - sondern auch eine über eine tugendhafte Gesellschaft, die es für ihr Fortbestehen für nötig hält, ihre Vergangenheit je nach tagesaktueller Lage neu zu schreiben.

„Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft. Wer die Gegenwart kontrolliert, kontrolliert die Vergangenheit.“

George Orwell, 1984.

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Thematisch zwar irrelevant und gossip-verdächtig, aber:
Zwischen Zeige- und Mittelfinger hielt H.S. auf der Vorlage für die Münze höchstwahrscheinlich seinen obligate Glimmstängel. - Der wurde offenbar politisch korrekterweise weggelassen. - (Wäre ja noch schöner, eine solche Ikone als Verführer zur Nikotinsucht zu porträtieren.)

Anonym hat gesagt…

Denn, wer hält denn Zeige- und Mittelfinger so geschlossen, und die restlichen Finger etwas gekrümmt/abgespreizt, es sei denn zwischen ersteren klemmt eine Kippe.

Die Anmerkung hat gesagt…

Ich habe mal heftige Anleihe genommen und die wichtigste Prägung der Münze Berlin seit Gründung der DDR vorgestellt.

Prägnant hat gesagt…

Vermutlich konnten die Bärliner Münzer sich nicht einigen, ob man ihm eine Go-WEst-Marlboro oder einen Go-East-Joint zwischen die Finger stecken solle.

Da, wo in Schland gegensätzliche Ideologien aufeinander prallen, bleibt dann nur die vollkommene Vertuschung durch Zensur. So bastelt man aus einem Kettenraucher eben einen Freiatmer. Und die nächste Generation verinnerlicht diese Lebenslüge dann als Fakt. Soooo muss politisch korrekte Bildung!

Übrigens soll der frühe Kohl einer Stiftung für Alte SS-Kameraden Geld geschenkt haben. War aber wohl nur der seelsorgerische Orden der Sozialen Samariter.

Papier ist bekanntlich geduldig, und so kann man ihm mit der Zeit jede gewünschte Ausdrucksform geben.