Montag, 15. Januar 2018

SPD: Faszinierend wie ein Verkehrsunfall

Es lagen 172 Tage zwischen Martin Schulzens Aussage, Angela Merkels Wahlkampf sei ein "Anschlag auf die Demokratie" und seiner Mitteilung an die Parteibasis, die SPD-Spitze habe sich mit Merkels Partzei auf eine Fortsetzung der Großen Koalition geeinigt. Das geschah genau 53 Tage nach Schulz' kategorischer Festlegung, dass seine Partei "für den Eintritt in eine Große Koalition nicht zur Verfügung" stehe, schließlich sei "diese Konstellation abgewählt" (Schulz) worden. 


Knallharte Oppositionsführung müsse nun sein, denn die Hauptverantwortung der deutschen Sozialdemokratie liege darin, der rechtsextremen AfD nicht die Rolle der Oppositionsführerin zu überlassen. Andrea Nahles, im Machtgerangel nach der verlorenen Bundestagswahl eine weitere Etage nach oben gespült im Leitungsgefüge der maladen Arbeiterpartei, kündigte eine "wirksame Strategie" aller demokratischen Parteien gegen die AfD an. "Wir scheuen Neuwahlen nicht", drohte Martin Schulz. Und Nahles winkte mit dem Zaunpfahl Richtung Union: "Ab morgen kriegen sie in die Fresse".

Fear the Walking Dead


Von der Kampfansage bis zur Ankündigung der Einigung in der großen Sondierungswoche vergingen 106 Tage, der Stolz auf das Ergebnis, das die SPD-Parteispitze als Kantersieg über die Union verkündet hatte, hielt dann keine hundert Stunden. Kaum war die Einigung auf eine Obergrenze, auf den Verzicht auf einen höheren Spitzensteuersatz und wachsweiche Kompromissformeln bei allen anderen Streitfragen öffentlich, gab es von der Basis in die Fresse. Dass es Nahles und Schulz gelungen war, die einst von der SPD abgeschaffte paritätische Finanzierung der Krankenkassenbeiträge eigenhändig wieder einzuführen, reicht den Genossen draußen im Lande augenscheinlich nicht als Begründung, wieder unter die Kuscheldecke einer Großen Koalition zu schlüpfen.

Der SPD in diesen Tagen zuzuschauen, ist wie Zeuge werden bei einem schweren Verkehrsunfall, der in Zeitlupe abläuft. 24 Stunden vergingen nach dem ersten Basisvorum gegen eine neue Groko, das sprachen die ersten Spitzengenossen von "Nachverhandlungen". Schulz, von Vorgänger Sigmar Gabriel vor einem Jahr als letzte Patrone der Sozialdemokratie geladen, um Deutschlands ältester Partei noch ein paar Jahre an den Fleischtöpfen der Macht zu sichern, ist innerhalb von zwölf Monaten zu einem Toten auf Urlaub geworden, ein Mann, der noch zu laufen scheint, in Wirklichkeit aber schon im Begriff ist, abzustürzen.

Blut, Angstschweiß und Tränen


Ein faszinierender Anblick, Blut, Angstschweiß und Tränen der Wut, die vor Verzweiflung vergossen werden, weil es nach einer doppelten Änderung der Grundstrategie durch Schulz und Co. nun keinerlei Möglichkeit mehr gibt, umzusteuern, ohne sich vollkommen lächerlich zu machen. Selbst das bisschen Trost, das die SPD noch erwarten kann, wirkt wie ein Faustschlag ins Gesicht: Furcht von einem Verlust der Glaubwürdigkeit muss die SPD zumindest nicht mehr haben.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

"Wat brauchste Jrundsätze, wennde een Apparat hast." (Ein älterer aber leicht besoffener Herr)