Deutschland verändert sich, und das mit zunehmender Geschwindigkeit. Keine Woche mehr ohne Nachrichten von Messerstechereien, kein Monat ohne Streit über das, was sich noch berichten lässt oder berichten lassen sollte. Kein öffentliches Fest ohne Poller, kein Bahnhof ohne bewaffnete Streifen. Und kein Silvester, wie es früher war: Frauen und Männer im Suff vereint, auf der Suche nach Spaß und Abenteuer, drumherum dröhnende Musik aus der Fetenmusik-Fertigteilfabrik.
Zwei Jahre nach der großen Silvesterparty auf der Kölner Domplatte geht das Land in der Mitte Europas einen weiteren Schritt in Richtung des großen Ziels, offen zu sein bei maximaler Sicherheit, geschlechtergerecht mit Kopftuch und fröhlich in festen Grenzen des staatlich verordneten Geschmacks. Pioniere sind die Veranstalter der Silvesterparty am Brandenburger Tor in Berlin, dem Ort, an den die Welt schaut, wenn sie in der Neujahrsnacht neidisch nach Deutschland blickt: Erstmals wird in diesem Jahr eine "besondere Sicherheitszone für Frauen" eingerichtet, in der Frauen und Mädchen "unbedroht" (Welt) von männlichen Partygästen enthemmt feiern können. In diese deutlich mit "Männer müssen draußen bleiben"-Schildern markierte Zone können sich auch Frauen flüchten, die draußen in der sogenannten Mixed-Zone Opfer eines Sexualdeliktes geworden sind oder sich belästigt fühlen.
Die Einrichtung einer solchen Zone, die nach Schreibtischrecherchen der Spiegel-Kinderzeitung "Bento" allerdings eigentlich doch gar nicht existiert, gilt als sanfte Lösung für den Umgang mit einer sicher zusehends verändernden Partykultur. In Leipzig gehen Polizei und Stadtverwaltung nach positiven Erfahrungen der vergangenen Jahre einen anderen Weg: 1000 Polizisten werden die Silvesternacht absichern und ein Demo-Verbot am alternativ geprägten Connewitzer Kreuz durchsetzen. "In der City werden Nizzasperren aufgestellt, ein funkelnagelneuer SEK-Panzer steht für Notfälle bereit", frohlockt das örtliche Tageblatt über "das Ende von Gleichberechtigung, Freizügigkeit und Selbstbestimmtheit", wie es der unter Rechtspopulismusverdacht stehende Polizeigewerkschaftschef Rainer Wendt nennt.
"Kurz vor der Silversterparty am Brandenburger Tor ist die Diskussion eskaliert und hat mit der Realität nichts mehr zu tun", warnt Bento, das Fachmagazin für "stilvolles Rüberrutschen" und "elegantes Ausflippen". Eigentlich ist die "Schutzzone" nur eine von Rechten, Ausländerfeinden und anderen Panikmachern missbrauchte "Unfallhilfsstelle" mit der Aufschrift "Women's Safety Area", in der "nicht eigens geschulte Mitarbeiter "mit Opfern sexueller Gewalt zu sprechen" werden.
Das ist keineswegs das Ende der leuchtend-zukunftsfrohen Unisex-Ära, die eben noch gerade erst zu beginnen schien. Klos für alle, die freie Wahl der Herkunft, die freie Wahl der Chromosomenzahl. Eine Utopie, die sich anfühlte wie ein Ankommen nach langer Wanderung durch die Wüsten der Vorbestimmung. Der Mensch, seines Schicksals Schmied, der Herr über eigenen Geschicke nun auch eine Frau.
Kein tiefer Fall zurück in die Dämmerung der selbstverschuldeten Unmündigkeit, die plötzlich als Fortschritt im Regal liegt. Sondern ein Angebot für die Opfer sexuellen Missbrauchs: "Wenn sie Anzeige erstatten wollen, werden sie zur nahe gelegenen Wache der Polizei begleitet." (Bento)
Wer da die Geschlechtertrennung auf dem Vormarsch sieht, die bisher auf den Sport, die Kirche und Gefängnisse beschränkte gesellschaftliche Akzeptanz von Separation, Seedukation, Segregation, Seklusion und Sexual Apartheid, geht zu weit. Hier wird nichts weiter getan, als das Zusammenleben neu ausgehandelt, wie es versprochen worden war.
Schutzzonen für Frauen, offene Gehege für Männer, vereint leben, getrennt feiern. Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul rät feiernden Frauen, die es nicht in eine Schutzzone schaffen: "Geht nach Möglichkeit nicht allein, sondern in Gruppen."
Bento prangert an: EU verbietet das Bleigießen
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