Sonntag, 5. November 2017

Medienkunde Katalonien: Ein dröhnendes Schweigen

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Die Internetseite der katalonischen Regierung ist neuerdings nicht mehr erreichbar. Für deutsche Medien aber ist der einmalige Fall von politischer Zensur im Internet durch eine euroäische Regierung so wenig Theme wie für deutsche  Politiker oder die EU.
Unschöne Nachrichten aus Katalonien, dem aktuell nervigsten Krisengebiet der kriselnden EU. Obwohl die Zentralregierung in Madrid ein Machtwort gesprochen und widerspenstige Teile des Internets gesperrt hat, woraufhin alle Staatenlenker der Gemeinschaft ihr die bedingungslose Solidarität versichert haben, regt sich in der Provinz selbst unverständlicherweise Widerstand. Hunderttausende Teilnehmer fand etwa eine Protestaktion, bei der Menschen topfschlagend auf ihre Balkone traten, um die Freilassung der inhaftierten Mitglieder der abgesetzten Regionalregierung zu verlangen.

Hunderttausende bei Protesten gegen die Regierung, das wäre, spielte es in Moskau, eine Spitzenmeldung in der "Tagesschau" und große Schlagzeilen in sämtlichen angeschlossenen Holzabteilen.

Spielt sich Vergleichbares hingegen in Barcelona ab, gibt es eine einzige Meldung in deutschen Medien darüber. Der Rest ist Schweigen, ähnlich dröhnend wie das der EU-Kommission, die sich mit dem Hinweis auf Spaniens "innere Angelegenheiten" seit Monaten selbst von einer Mitwirkungspflicht an der Lösung des Konfliktes um Katalonien befreit hat.

Dabei zielt das Vorgehen der Regierung von Mariano Rajoy längst nicht nur auf die Separatisten, sondern auf zentrale europäische Werte. Rajoy hat nicht nur die verfassungsmäßigen Rechte der katalanen auf Autonomie suspendiert, er hat auch Internetseiten wie catalangovernment.eu einfach abschalten und und Videos löschen lassen, die gewalttätige Übergriffe der Zentralmacht beim Referendum Anfang Oktober dokumentierten.

Eine chinesische Lösung, aber natürlich kein Fall für die Hüter der Meinungsfreiheit und kein Anlass für die europäischen Partner, das Wort zu erheben und Madrid zu einer Rückkehr zu gemeinsamen Werten zu mahnen. Nicht ein deutsches Leitmedium erwähnt den unerhörten und bisher einmaligen Vorgang, dass die Regierung eines EU-Mitgliedsstaates das Internet zensiert, um Regierungskritiker zum Schweigen zu bringen.

Die spanische Inquisition 2.0, sie findet den stillen Beifall der Leute, die in anderen Fällen gar nichtentschieden genug gegen die Kontrolle von Internetinhalten protestieren können. Zufall oder Strategie? Ausdruck von Ratlosigkeit angesichts einer unüberschaubaren Situation oder Furcht davor, den Falschen in die Hände zu spielen, wenn man die Richtigen kritisiert?

Auf jeden Fall ein Offenbarungseid, der zeigt, wie verschieden die Maßstäbe sind, die bei der Beurteilung von Ereignissen angelegt werden. Was den eigenen Ansichten nützt, weil es ihnen Nachdruck verleiht, kann gar nicht groß und lange genug wiederholt und immer wieder um Nuancen ergänzt rekapituliert werden. Was dagegen nicht ins eigene Weltbild passt, landet mit monatelanger Verspätung im Kleingedruckten.







9 Kommentare:

Die Anmerkung hat gesagt…

Die leiden halt unterm Trump-Syndrom.

Für Eilige habe ich das erst ganz am Ende des Posts verlinkt. Dieses Leiden.

Anonym hat gesagt…

Ich finde das Schauspiel in Spanien herrlich. Da freut man sich richtig auf die Vereinigten Staaten von Europa, wenn dann ein Land austreten will.

ppq hat gesagt…

@anmerkung:was für eine wunderschöne geschichte von mensch und tier. ich werde sie zum heiligen abend den meinen vortragen, mit betonung!

Die Anmerkung hat gesagt…

Vielen Dank. Das war nur die Vorbereitung für einen größeren Post. Mit dem soll das Sittichdasein jenseits der erwartbaren Altersgrenze in das gesamtgesellschaftliche Ganze eingebunden werden.

Nimmt man es präzise und weltumspannend, ist das Maxl-Syndrom auch nur Sympton einer kranken Gesellschaft. Das zu erklären bedarf aber noch einiger Denkstunden.

Volker hat gesagt…

"Hunderttausende bei Protesten gegen die Regierung, das wäre, spielte es in Moskau, eine Spitzenmeldung in der "Tagesschau" und große Schlagzeilen in sämtlichen angeschlossenen Holzabteilen."

Wenn bei Pegida ein paar Tausend mitmachen, wird das auch gern mal als Vorbote des Weltuntergangs präsentiert.

Gernot hat gesagt…

Die Zensurmaßnahmen dürfen natürlich nicht mit denen in China "verglichen" werden. Hier wurde schließlich im Namen des GUTEN gehandelt, so wie bei Hussein, Gadaffi usw.

Volker hat gesagt…

Nicht dass ich für Zensur wäre ... aber in diesem Fall ist das wohl legal und auch irgendwie gerechtfertigt.

Es gibt keine amtierende katalonische Regierung, also kann/darf auch niemand als katalonische Regierung auftreten.
Oder?

ppq hat gesagt…

@volker: "government" ist aber nicht nur die "regierung", sondern die staatsgewalt, also das, was bei uns immer "öffentliche hand" genannt wird. das gibts doch noch in spanien, oder?

Volker hat gesagt…

Wenn man die Seite bei Archive.org aufruft, sieht es so aus als wenn es doch eine Regierungsseite wäre, wo die Außenpolitik eine Rolle spielt, die Müllabfuhr nicht.
Egal, Nebensache die keine Debatte wert ist.

Hatten wir schon mal gestaunt, dass Hundertausende gegen Putin demonstrieren und unsere Medien kriegen das nicht mit?