Mittwoch, 2. August 2017

Kunst im Kopf: Die Kanzlerin in Trance

Der Künstler Sören Rose Helbig hat in Stralsund Fassaden mit abgeschlagenen Babyköpfen verziert, um die Weltgemeinschaft vor dem Krieg in Syrien zu warnen.

 "Martin, Martin, Martin", quäkt eine Stimme – Sören Rose Helbig repetiert einen Hit aus dem SPD-Wahlkampf. Ein Abbild des korpulenten, sechstagebärtigen Spitzenkandidaten steht gleich neben dem Lautsprecher: eine Mülltonne mit Plastik-Kopf.



In der Nähe sind, nach dem Vorbild eines berühmten Fotos, fünf Frauen dabei, die Szenerie nachzustellen, als Kanzlerin Angela Merkel der Weltpresse seinerzeit in Bayreuth ihr Dekolleté zeigte. Die Büstenhalter hier sind allerdings leer, nur ein paar Apfelsinen aus Kuba kullern darin herum. Im Restaurant geht derweil der Verzehr von Würstchen weiter, und aus dem Automaten kann sich für 70 Pfennig jeder Besucher eine Coca-Cola ziehen. Sören Rose Helbig schmunzelt zufrieden. Das ist seine Welt, eine Welt aus Kunst und Luther und Moral und bunten Farben und Popmusik.

Cola und Gesang



Cola und Gesang, Möbel und lebensgroße Puppen, Metall und Holz sowie ein ausgestopfter Hund gehören zu einem 9,60 Meter breiten, silbrig angestrichenen "transportablen Kriegsdenkmal", das der gebürtige Suhler, 42, mit Sarkasmus und, wie er sagt, Vaterlandsliebe errichtet hat - als jüngstes Beispiel für seine kritische Kunst der gemischten Mittel. Elf solcher "Black Boxes", wie Helbig seine teils krass realistischen, teils surrealen Monumental-Arrangements nennt, hat er bislang ausgeführt; zehn davon sind jetzt in der Bautzener Kunsthalle zur großen Rose-Helbig-Werkschau, einem alptraumhaften Super-Panoptikum, zusammengestellt.


Da tanzt die Kanzlerin in Trance, ein rumänischer Straßenmusiker ist aufgefordert, sich unablässig zu verspielen. Eine Flüchtlingsfrau windet sich in Wehen, ein Plastikbruder des großen chinesischen Alltagsinterpretatoren Ai WeiWei wartet plastiniert auf den Tod, ein Paar betreibt Petting auf dem Autorücksitz, ein anderes Beischlaf im Computer. Dazu dudeln Radios und Bluetooth-Boxen, Chemikalien verströmen Kneipenmief oder Klinikgestank, denn Rose Helbig scheut keinen Schock.


Den Realismus hat der gelernte Ausstellungstechniker so weit getrieben, dass er etwa eine Bar seines derzeitigen Wohnorts Manila maßstab- und detailgetreu nachbildet; um sie dann anzuzünden. Ein Bordell aus Las Vegas hat er besucht, gefilmt und dann angerufen, eine Putin-Puppe gekauft und geköpft und Wandkalender aus vergangenen Jahren malt er traditionell mit Lippenstift nach, in Echtzeit.

Künstlerers "totale Environments"


Alles das kann auf DVD oder per Streaming gekauft werden. Doch stets durchbrechen phantastische Einzelheiten, aufschreckend und deutend, die Fiktion der Wirklichkeit: Das Pintenpublikum hat anstelle der Gesichter Uhren, die Puffmutter einen Wildschweinschädel. Helbigs Gruselkabinette, in deren Raum, Lärm und Duft sich der Betrachter hineinbegeben soll, sind nach Auffassung des Künstlerers "totale Environments". Mit seinen klassischen, raumgliedernden Entwürfen lässt der Einzelgänger, der "von der Kunstgeschichte gar nichts weiß", die New Yorker Künstlerzirkel als "inzestuös" meidet und sich nur auf seine "persönliche Erfahrung" verlassen will, die Kunstwelt alt aussehen.


So will er das kürzlich vom Erfurter Sammler Karol Rasebusch angekaufte vielschichtige "Friedensmahnmal"" zu dem auch eine Gedenktafel für ausgelöschte Städte (von "Aleppo" bis "Donezk") und ein leerer Grabstein für künftige Opfer gehören, keineswegs als "Beleidigung" gedeutet sehen. "Kampfinstinkt", sinniert er, sei wohl "notwendig", doch tunlichst durch eine "verantwortliche Führung des Künstlers durch die Bundesregierung" zu kanalisieren. Scherzt Helbig? Meint er das ernst? Der Künstler, gemeinsam mit seiner minderjährigen Frau ständig auf der Flucht vor Behörden, Fans und Reportern, bleibt undurchschaubar.


Rose Helbig hält sich derzeit mit kleineren Arbeit über Wasser, so malt er von Auftraggebern bemalte Banknoten in Öl nach und verkauft sie dann gerahmt. Als echte Liebhaberstücke gilt die sogenannte imaginäre Art des Tausendsassas: Dabei handelt es sich um Kunstwerke, die Rose Helbig konzipiert, aber noch nicht ausgeführt hat. Gegen relativ kleines Geld kann jedermann solche frappierenden Konzepte erstehen: Für die Idee, einen Gemischtwarenladen mit Beton auszugießen, fordert der Künstler derzeit nur 15 000 Dollar.




2 Kommentare:

Gernot hat gesagt…

https://groups.yahoo.com/neo/groups/Ideenkunst/info

Anonym hat gesagt…

Der Des-Kaisers-neue-Kleider-Trick klappt doch immer wieder. Wem es nicht gefallen will, der ist ein tumber Banause/Prolet, und wer will das schon sein.
... und eines Tages kamen auch zwei Betrüger, die gaben sich für Hohoho-Überlebende aus und sagten, daß sie das gräßlichste Zeug, das man sich denken könne, erlebt hätten...