Selten sind die Momente, in denen die gestresste junge Mama Claudia mal die stressgeplagte Seele baumeln lassen kann. |
Früher reichte ein Reporter, um das ganze Elend der Welt aufzuschreiben. Heute schickt die „Zeit“ mit Kolja Rudzio, Till Schwarze, Frida Thurm und Sascha Venohr gleich vier aus, um einem der letzten Rätsel der Gegenwart auf den Grund zu gehen: Wie schaffen es junge Menschen überhaupt noch, pünktlich aufzustehen, arbeiten zu gehen und eine Familie zu ernähren? Ein ernster, ein ganz krasser Fall, der zeigt, unter welch enormer Belastung eine Generation steht, von der es so oft heißt, es gehe ihr besser als jeder zuvor.
Claudia Nordweis und Carsten Pollak* sind moderne Eltern. Beide sind berufstätig, beide kümmern sich um die zweijährige Tochter. Das macht aus ihnen zwei wandelnde Terminkalender. Ständig stimmen sie miteinander ab, wer wann wo ist und welche Aufgabe übernimmt. Wann gehst du heute ins Büro? Wer holt Katharina von der Kita ab? Erledigst du den Einkauf? Soll ich kochen? Wie bekommen wir all das hin? Wer putzt Zähne, wer das Bad? Was kommt im Fernsehen und was ziehe ich an?
Ihr Leben sei "extrem durchgetaktet", sagen die jungen Eltern, die zwei sind von sechs Millionen Paaren in Deutschland: Eltern mit zwei Jobs. Früher undenkbar wie Supermärkte und Kindergärten, heute der Alltag. Statt auf dem Schwarzmarkt Zigaretten gegen Kohl einzutauschen wie Uroma, statt beim Bauern stoppeln zu gehen und aus den Knochen vom Braten noch eine Suppe zu kochen, zerren heute ganz andere Ansprüche an jungen Eltern. Vegan? Oder vegetarisch? Glutenfrei? Oder probiotisch? Das bedeutet eine tägliche Zerreißprobe zwischen Beruf und Familie. Nordweis und Pollak arbeiten 32 Stunden in der Woche, jeder. Sechs Stunden am Tag. Sie sagen, sie oft nicht, wie sie das alles hinbekommen sollen.
Teilzeit stresst am meisten
Denn der Job bei einem kleinen sozialwissenschaftlichen Institut in Hamburg stresst unheimlich. Immer Computer, immer Teilzeit. Nordweis ist 38, sie steht mit beiden Beinen in einem Leben, das viel härter ist als das seines Großvaters, der als Hauer in Schichten schuftete und nach zwölf Stunden im Schacht und vier Stunden in der Kneipe knülle nach Hause kam.
Nordweis und Pollak können sich das nicht leisten. Immer ist etwas zu managen, ein Timer muss programmiert, eine App geupdatet werden. Viele bestehen diese Prüfung nur, indem sie ihrerseits Hilfen beschäftigen: Putzkräfte, Lieferdienste, Babysitter und natürlich die Erzieherinnen in der Kita sind die unverzichtbaren Vereinbarkeitshelfer der modernen Familie. Um all diese Helfer bezahlen zu können, müssen die Eltern wiederum mehr im Job arbeiten – und haben dadurch noch vollere Terminplaner. 32 Stunden die Woche sind schon weg, von 168 die die Woche nur hat. Bleiben nur 136 zur freien Verfügung und minus Schlaf nur noch 80. Wie soll das gehen?
Ein Leben wie in einer Logistikzentrale. Wenn dann das Kind krank wird, droht der Systemkollaps. Nordweis sagt: "Gefühlt müsste jeder Tag zehn Stunden mehr haben, um alles zu schaffen." Ein wenig entlastet der Acht-Stunden-Kitaplatz für die Tochter, ein wenig auch die Spülmaschine, die Waschmaschine, der Pizzadienst. Aber alles andere bleibt an dem Paar hängen: Staubsaugen, Tatortgucken, Sockensortieren, den nächsten Urlaubsort raussuchen. Schon länger überlegen sie, eine Putzhilfe zu engagieren, doch eines fehlte ihnen dafür bisher immer: die Zeit, um sich darum zu kümmern.
Das harte Los der Hamburger
Nicht viele Paare haben so ein hartes Los wie die beiden Hamburger. Doch dass beide Eltern arbeiten, ist heute ein weit verbreitetes Modell. Es unterscheidet sich von jenem, das lange gängig war: Früher ernährte der Mann als Alleinverdiener die Familie, während die Frau Haushalt und Kinder managte. Das ist nicht nur ein Klischee, das war in den sechziger und siebziger Jahren Realität. Heute praktizieren bloß noch 29 Prozent der Familien dieses klassische Rollenmodell, das meist der Frau alle Möglichkeiten zur freien Entfaltung nimmt. Bei 55 Prozent sind inzwischen beide Eltern erwerbstätig, wie eine Auswertung des Statistischen Bundesamtes zeigt – und beide klagen mit Blick auf ihre Situation darüber, dass kaum noch Zeit bleibt, sich um die wichtigen Dinge zu kümmern.
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