Es war der 17. März 1960, als das Wort die deutsche Sprache betrat. „Gefährder“, bis dahin nicht einmal im Dritten Reich verwendet, wurde vom DDR-Fernsehideologen Karl-Eduard von Schnitzler erfunden. 56 Jahre später tritt der Begriff an, die Bundesregierung zu retten.
Von Schnitzler, ein wortgewandter Propagandist mit scharfem Sprachgefühl, schrieb an jenem Datum in der "Berliner Zeitung" über einen Prozess gegen Friedensfreunde in der BRD. Offenbar aus einer spontanen Eingebung heraus griff er in seinem Text zum Begriff "Gefährder", der sich zuvor weder in der deutschen Justizliteratur noch im polizeilichen Sprachgebrauch fand. Schnitzler hatte ihn in Fritz Thiels' "Baurechtssammlung" (Band 2) gelesen und assoziierte nun frei: Als er pflichtgemäß das Unrechtsurteil der Westjustiz anprangerte, kam er von deren Vorwurf der "Staatsgefährdung, Rädelsführerschaft, Verleumdung und Verächtlichmachung von Bundesregierung und Bundestag", erhoben gegen sechs junge Fortschrittskämpfer, zur Schöpfung des Begriffes „Staatsgefährder" als Synonym für "Aufrührer".Geburtsstunde eines Kampfbegriffs
Die Geburtsstunde eines Begriffes, der 56 Jahre später zum Pfeiler der Sicherheitspolitik der Bundesregierung werden soll. Vom CDU-Innenminister Thomas de Maiziere über die Bundeskanzlerin bis zur Grünen-Chefin Göring-Eckhardt wird das Wort herumgereicht wie eine Ikone: Das Vorgehen gegen "Gefährder" soll "Deutschland noch sicherer machen" (de Maiziere), eine "Wiederholung des Falles Amri" (dabei handelt es sich um eine Umschreibung des "Vorfalls von Berlin") verhindern und, vor allem, dafür sorgen, dass die Bürger wieder Vertrauen zu den Parteien der demokratischen Mitte fassen.Für gewöhnlich lässt die Bundespolitik solche Worthülsen in der Bundesworthülsenfabrik in Berlin drechseln. Hier aber griff sie auf einen Begriff zurück, der bisher nur im internen polizeilichen Sprachgebrauch genutzt wurde. Gefährder, das sind nach Lesart von Schnitzler Leute, bei denen „das Beweismaterial nicht ausreicht, sie hinter Gitter zu setzen“. Gefährder, das sind Figuren, die in einer „Spottgeburt rechtsstaatlicher Praxis“ (Schnitzler) dennoch irgendwie abgeurteilt oder wenigstens weggesperrt werden müssen, damit nach außen hin Ruhe herrscht.
Schnitzlers Definition gilt heute noch.
Der Gefährder ist, auch in der Lesart des amtierenden Justizminister Heiko Maas, semantisch artverwandt dem Straftäter, durch seine Tätigkeit bestimmt, die aber kein Tun ist wie beim Straftäter. Der tut etwas und wird dafür bestraft. Der Gefährder hingegen gefährdet nur, tut also gerade nichts. Und erhält seine Strafe deshalb in einem Zwischenreich des Rechtsstaates, wo nicht zählt, was strafbar ist, sondern das, was strafbar sein würde, wäre es erst getan.
Härter noch als ein Hasskommentar
Härter noch als den Hasskommentator, dessen Schreiben schon Straftat ist, trifft den Gefährder künftig der Sicherheitsbann der Bewahrer der demokratischen Grundordnung. Der Gefährder denkt und noch ehe aus seinem Denken Tun wird, wartet die Fußfessel auf ihn. Die Absicht macht ihn zum Täter, es bedarf keiner Tat mehr, um Menschen wegzusperren, es reicht eine angenommene Gefahr. Die Definition, wer ein Gefährder ist oder wie jemand einer wird, fehlt bislang ebenso wie eine verlässliche Auskunft darüber, an welcher Schwelle dem Staat kein Mittel mehr bleibt als den Gefährder vorbeugend abzustraften.Da es für ein solches Handeln weder nach den Buchstaben noch nach dem Geist des Grundgesetzes eine rechtliche Handhabe geben kann, sollen nicht Gerichte darüber befinden, wer welche Fußfessel wie lange zu tragen hat. Sondern Behördenkomissionen, die Exekutive und Judikative in sich vereinen wie zuletzt die fliegenden Standgerichte der Nazizeit.
Karl-Eduard von Schnitzler wäre stolz auf die Langzeitwirkungen dessen, was er erdacht hat.
6 Kommentare:
Das ist wie bei einer Schnitzeljagd. Zuerst läßt der Schnitzler eine Reihe von Phantasieschnitzel fallen, dann kommen die Jäger die Misere und Maas, die zu einfallslos sind, eigene Schnitzel zu backen, und klauben sie auf. Mal sehen, was sie als nächstes auf Schnitzlers Spuren finden.
Meine Bewunderung an sie Herr ppq.
Wo auch immer sie diese passenden Vergleiche herholen, aus dem Gedächtnis, einer unerschöpflicher Datensammlung oder von Putin. Meine Bewunderung dafür.
Beste Grüße vom Preußen
Zu schade nur, daß der letzte Satz des vorletzten Absatzes nicht in ganzer Pracht in den Artikel geschafft hat ...
das war der druckfehlerteufel. ist repariert. danke für den hinweis
Teufel aber auch, dieser Druckfehlerteufel. Hat er die Jurisdiktion doch glattweg wieder dem Juri aus Rußland übergeholfen, der jetzt die deutsche Jurikative leitet.
mensch. danke
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